Unsexy, aber erfolgreich: Der Wandel der deutschen Fintech-Branche

Jahrelang war Sebastian Diemer nicht nur der Poster-Boy der deutschen Fintech-Szene – sondern auch ihr Enfant terrible. Der Kreditech-Gründer verglich das eigene Startup großmäulig mit Amazon, verbrachte angeblich zu viel Zeit beim Motocross-Fahren und musste sich für eine unflätige E-Mail an eine Mitarbeiterin rechtfertigen.

Eine Demission (2015 bei Kreditech) und einen Fußbruch (2016 vom Motocross) später ist Diemer nun wieder da. Geläutert? Das wäre zu viel gesagt. Aber doch deutlich ruhiger als in den wilden Anfangsjahren bei Kreditech. Während er damals noch die Finanzwelt revolutionieren wollte, konzentriert sich der 30-Jährige mit seinem neuen Fintech – es heißt „Finiata“ – auf eine eher dröge Randdisziplin des Bankgeschäfts: das Factoring. Trotzdem zeigen sich die Venture-Capital-Investoren auch diesmal wieder spendabel. Nachdem Finiata vor einigen Monaten bereits eine ungewöhnlich hohe Seed-Finanzierung von 5,5 Mio. Euro einstrich, geben Investoren nun weitere 10 Mio. Euro Eigenkapital plus 8 Mio. Euro Fremdkapital. Viel Geld für einen reichen Nischenplayer.

Unsexy, aber erfolgreich. Das scheint nicht nur das neue Motto des Sebastian Diemer zu sein, sondern passt ganz gut zum Zustand der deutschen Fintech-Branche insgesamt. Anders als in Großbritannien, wo mindestens halbes Dutzend sogenannte Challenger-Banken wie Monzo, Revolut oder Starling den Großangriff auf die etablierte Finanzbranche planen, scheint sich die deutschen Fintechs eher in Richtung „schwäbischer Mittelstand“ zu bewegen.

Da ist zum Beispiel der Hamburger Tagesgeldvermittler Deposit Solutions, der sich jüngst bei Investoren wie Peter Thiel rund 17 Mio. Euro sicherte und die Bewertung auf angeblich 220 Mio. Euro verdoppelte. Zwar betreiben die Hanseaten auch ein eigenes B2C-Angebot („Zinspilot“).

Ansonsten konzentrieren sie sich aber vor allem darauf, die eigene Technologie wie eine Zulieferfirma bei den Banken unterzubringen. Mit der Deutschen Bank hat Deposit Solutions bereits einen prominenten Kunden gewonnen (das entsprechende Tool für die Deutschen-Banken heißt „Zinsmarkt“). Ähnliche Modelle betreibt das Fintech mit rund ein Dutzend kleineren Instituten. Zuletzt bandelte Deposit-Solutions-Gründer Tim Sievers sogar mit den Sparkassen an.

Andere Beispiele für B2B-Fintechs, die in diesem Quartal ordentliche Finanzierungen einheimsten, waren Compeon (eine Art Interhyp für Unternehmenskredite) oder der Technologie-Dienstleister FintecSystems, bei dem ein Zweig der Milliardärsfamilie Reimann einstieg. Billie – ebenso wie Diemers Finiata ein Factoring-Spezialist – bekam fast aus dem Stand heraus 10 Mio. Euro.

Sehr umtriebig zeigt sich auch die erst 2015 gegründete Solarisbank, deren Geschäftsmodell unter anderem darin besteht, ihre Bafin-Lizenz anderen Firmen für deren Finanzdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Nach außen tritt Solaris fast nie in Erscheinung – doch unter Experten gilt das Schatten-Start-ups längst als das deutsche Fintech mit dem vielleicht größten Potenzial. Was es hingegen hierzulande kaum gibt, das sind Frontalangreifer wie in Großbritannien. Abgesehen von Kreditech fällt einem eigentlich nur die Berliner Smartphone-Bank N26 ein. Und vielleicht der Münchner Robo-Advisor Scalable Capital.

Ist das schlimm? Sebastian Diemer jedenfalls macht nicht den Eindruck, als würde es ihn langweilen, dass sich sein Arbeitsalltag jetzt um Vorfinanzierungen für Kleinunternehmer dreht. Es ist überzeugt, ein Segment entdeckt zu haben, „das so noch niemand abdeckt“. Revolution? Ach was. „Die Fintech-Branche hat einen Entwicklungsgrad erreicht, in dem es darum geht, nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen.“

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