von Oliver Schwarz*, 30. September 2021
Die Transformation der Banken zu Digitalunternehmen ist keine Option mehr, sondern längst eine Notwendigkeit. Neue datengetriebene Herausforderer, veränderte Bedürfnisse der Kund*innen, Niedrigzinspolitik und regulatorische Vorgaben setzen die klassischen Geschäftsmodelle unter Druck und fordern digitale Antworten. Nachhaltige Investitionen in moderne Technologien wie die Cloud und den Einsatz künstlicher Intelligenz sind dafür wichtig.
Doch Investitionen allein reichen nicht aus, wenn Menschen diese technologischen Veränderungen nicht akzeptieren und in ihr Leben – sei es im Alltag oder im Beruf – integrieren. Ein neues Grundverständnis ist also gefragt. Denn die Cloud, KI und App allein machen noch kein Geschäftsmodell.
Doch was heißt das genau?
Beim Verständnis hilft ein Blick auf die US-Bank. Schon legendär ist der Ausspruch von Lloyd Blankfein. 2015 erklärte der damalige CEO von Goldman Sachs: „We are a technology company“. Viele der großen US-Institute schlugen damals einen ähnlichen Weg ein. Sie digitalisierten ihre interne Organisation, förderten und automatisierten Prozesse, sie nutzten innovative Technologien, um die eigene operative Effizienz zu verbessern und Kund*innen-Erlebnisse neu zu gestalten.
Das Ergebnis dieser Richtungsentscheidung sehen wir heute bereits beim Blick auf die Personalstruktur der jeweiligen Banken. JPMorgan Chase beschäftigt rund 50.000 IT-Fachkräfte, dazu zählen zirka 18.000 Entwickler*innen. In der Summe entspricht das fast der Gesamtzahl aller Beschäftigten von Facebook. Die Division Technology and Operations der Bank of America hat weltweit 95.000 Beschäftigte – bei 213.000 Angestellten insgesamt.
Der Kurs ist also eindeutig, und der wirtschaftliche Erfolg gibt den US-Finanzdienstleistern bei ihrer Strategie recht. Der KBW-Bankenindex, der die größten börsengehandelten US-Banken berücksichtigt, hat auf Jahressicht um 62 Prozent zugelegt, auch weil viele der US-Häuser weitaus profitabler unterwegs sind als die europäischen Institute, wie eine Analyse der Unternehmensberatung EY zeigt.
Lange galt für die Banken hierzulande: IT follows Business. Die verschiedenen Geschäftsbereiche nutzten verschiedenste Anwendungen und trugen damit zum Aufbau von Silostrukturen bei, die sich auch in der internen Organisation manifestierten. Die IT war in dieser Betrachtung nie ein unternehmensstrategischer, sondern immer nur ein Kostenfaktor für die Kreditinstitute. Nicht selten war die Auslagerung der gesamten IT die Folge.
Doch wollen Banken das eigene Geschäftsmodell erfolgreich digitalisieren, dann benötigen sie den Zugriff auf die grundlegende Technologie dieses Geschäftsmodells. Sie müssen verstehen, wie diese Technologie funktioniert und wie die eigene Organisation ausgerichtet sein muss, um sie optimal zu nutzen. Die eigene Banking-App schafft keinen Mehrwert, wenn die zugehörigen internen Prozesse nicht zu ihr passen.
Eine moderne IT-Infrastruktur hilft dabei, Datensilos einzureißen und Informationen aus der gesamten Organisation zu nutzen. Technologien wie Process Mining, Robotik Process Automation (RPA) und KI helfen dabei, die internen Abläufe zu optimieren. Mittels Data Analytics und Machine Learning lassen sich Daten der Kund*innen analysieren und aufbereiten. API-Schnittstellen ermöglichen die Integration innovativer Dienstleistungen Dritter in das eigene Produktportfolio.
Banken sind so in der Lage, die eigene Wertschöpfungskette zu optimieren, komplette Ökosysteme aufzubauen und Kund*innen passgenaue Lösungen zu bieten, wann und wo immer sie diese benötigen. Der Einsatz von No-Code- und Low-Code-Anwendungen unterstützt die Geschäftsbereiche ohne Aufbau weitreichender Programmierkenntnisse, nicht standardisierte Produkte zu verkaufen, sondern individuelle Services zu entwickeln. Jürgen Moormann, Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School of Finance & Management, geht in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung beim Blick auf die Zukunft der Branche noch weiter: „Banken müssen zu Software-Entwicklungsunternehmen werden oder sie werden sterben.”
Die Digitalisierung wird oftmals als Grund für das Filialsterben angeführt, ganz so, als könnte es immer nur das eine geben: die Filiale vor Ort oder das Online-Angebot. Die Wahrheit ist eine andere. Die Bank als Digitalunternehmen ist nicht der Abgesang auf die Verteilung von Banken und Sparkassen in der Fläche, sie ist kein Argument gegen ein breit aufgestelltes Filialnetz. Sie ist vielmehr die Voraussetzung, um ein solches effektiv zu betreiben und den Anforderungen der Kund*innen in einer zunehmend hybriden Welt gerecht zu werden.
Der intelligente Einsatz von Daten erlaubt es, die Bedarfe der Kund*innen noch schneller zu erkennen und in Angebote umzusetzen – ganz gleich, ob vor Ort oder online. Die persönliche Beratung lässt sich effektiver und nachhaltiger gestalten, wenn es Berater*innen durch den Einsatz moderner Technologien und den smarten Umgang mit Daten gelingt, individuellen Bedürfnisse zielgenau zu adressieren. Als Phygital – also die Verbindung von Physischem und Digitalem – ist dieser Ansatz im E-Commerce bereits bestens bekannt, der auch Banken eine Chance bietet.
Übrigens: Die digital vorauseilenden US-Banken unterhalten nach Zahlen der Weltbank mit ihren Commercial Banks dreimal mehr Filialen pro 100.000 Einwohner*innen als die deutschen Kreditinstitute, gleichzeitig liegt die Gesamtzahl der Zweigstellen der Geschäftsbanken heute höher als noch zum Anfang des Jahrtausends. Zwar schrumpft auch in den USA die Zahl der Bankfilialen zuletzt – laut der National Community Reinvestment Coalition zwischen 2017 und 2020 aber nur um rund fünf Prozent. In Deutschland betrug der Rückgang bei den privaten Banken in derselben Zeit nach Zahlen der Bundesbank fast 28 Prozent.
Die Kund*innen denken längst digital. Das erwarten sie auch von ihrer Bank. Zeit, diese Erwartungen zu erfüllen und sich auf eine klassische Kernkompetenz der Finanzwelt zu besinnen: das Sammeln und Verarbeiten von Informationen. Nie war das für die Banken wichtiger als heute.
*Oliver Schwarz ist Senior Industry Executive Banking bei der Microsoft Deutschland GmbH. Microsoft gehört zu den „Premium-Partnern“ von Finanz-Szene.de. Mehr zum „Intelligent Banking“-Ansatz von Microsoft erfahren Sie hier. Und mehr zu unserem Partner-Modell steht hier.
Die Artikel von Finanz-Szene sind urheberrechtlich geschützt und nur für den jeweiligen Premium-Abonnenten persönlich bestimmt. Die Weitergabe – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Wie Sie Inhalte rechtssicher teilen können (z.B. via Pressespiegel), erfahren Sie hier.
Danke für Ihr Verständnis. Durch Ihr Abonnement sichern Sie ein Stück Journalismus!