von Maximilian Kühl*, 6. April 2022
Was früher die „Telebörse“, die „Finanztest“ oder die Bankfiliale war – das sind für die heutige Anleger-Generation die sozialen Medien. Und speziell: Youtube. Junge Leute suchen dort nach Tutorials für alles Mögliche und haben sich daran gewöhnt, ihren perfekt zugeschnittenen „Happen“ Antworten auf ihre Fragen zu finden. Für Finanzthemen gibt es in Deutschland zahlreiche Youtube-Kanäle, die sehr gut recherchierte Inhalte anbieten, kostenlos und überall on demand abrufbar.
In der Tat: Die Zeiten, in denen sich Menschen in Sachen Geldanlage fast ausnahmslos auf ihre Hausbank oder Haussparkasse verließen, sind vorbei. Nicht nur Digital Natives finden online bequeme und günstige Wege, um Rat einzuholen. Junge Menschen googeln oder youtuben und abonnieren Podcasts. Viele tiktokken auch. Warum 15 Euro für eine Online-Order im Brokerage der Hausbank bezahlen, wenn man sich Anleger-Informationen auf zielgruppengerechten Kanälen selbst beschaffen kann?
Diese Kanäle bieten keine natürlich Konten und keine Depots. Dennoch konkurrieren sie mit Banken und Sparkassen – und zwar um Aufmerksamkeit. Viele dieser Ratgeber haben sich einen Namen wie „Finanzfluss“ oder „Mission:Money“ gemacht und mindestens ähnlich viel Vertrauen und Reputation aufgebaut wie eine Bank oder Sparkasse.
Die neuen Formate nehmen den Suchenden nicht nur die Recherche nach Rankings, Tests, Preisen oder dem Einmaleins des Anlegens ab. Sie prüfen für ihre Follower auch, welchen der zigtausend Quellen im Internet sie vertrauen können und welche zweifelhaft sind. Damit verzeichnen sie starken Zulauf. Beispiel: „Finanzfluss“ konnte die Zahl seiner Abonnenten von rund 400.000 im Juni 2020 auf 935.000 im Februar 2022 mehr als verdoppeln.
Was Sparkassen und klassischen Banken aber vor allem zu denken geben sollte: Solche Player beeinflussen direkt die Kaufentscheidungen der Anlegerinnen und Anleger – und oftmals auch die Wahl des Depotanbieters. Denn die Menschen, die nach Informationen suchen, senden allein dadurch schon das erste Kaufsignal: Sie sind praktisch reif für die Order.
Dabei ist die Zielgruppe der jungen, gut informierten Anleger fürs klassische Banking interessanter als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Denn sie kaufen auch, wie eine Umfrage der Verbraucherplattform „Finanztip“ in der eigenen Youtube-Community ergab. Demnach gaben (näherungsweise und konservativ berechnet) etwas mehr als 22.000 Menschen an, dass sie monatlich durchschnittlich etwa 257 Euro in ETFs anlegen. Das sind 17% mehr als der durchschnittliche Deutsche von seinem Gehalt anspart (219 Euro laut Report „Private Finanzen & Investitionen in Deutschland 2020“, gefunden bei Statista).
Banken und Sparkassen sollten sich also sehr genau überlegen, ob sie das Anlagepotenzial dieser Gruppe nicht neu bewerten und ihr mehr Aufmerksamkeit schenken müssen – und wie sie dieser kaufwilligen Gruppe vielleicht ein Angebot machen, das diese auch annehmen kann. Banken und Sparkassen sollten diese informierte Zielgruppe nicht einfach ignorieren und für sie auch bereit sein, für die Klientel die Regale für Anlageprodukte neu zu sortieren.
Die informierten Anlegerinnen und Anleger interessiert beispielsweise ein anderes Wissen über Aktien, unter anderem weniger akademische und mehr praktische Kennzahlen. Viele mögen nicht zwischen GuV und Bilanz unterscheiden können, sie wissen aber sehr wohl, wo sie etwas günstiger bekommen, und lassen sich ungern übervorteilen. Die Argumente „Wir bieten besseren Service“ und „Wir müssen ein Filialnetz finanzieren“ interessieren diese Kunden nicht. Sie steuern ihre Finanzen selbst und möchten keinen Aufpreis für etwas bezahlen, das sie niemals nutzen werden.
Sie sind somit deutlich preissensibler als weniger informierte Kunden. Aktive Fonds und auch Robo-Advisor kommen für diese Klientel oft nicht infrage. Sie sind zu teuer. Passende Angebote gibt es in der S-Finanzgruppe oder bei den Genossenschaftsbanken kaum für diese neue Art von Kunden. Und gibt es sie, können sie kaum einem Kostenvergleich mit den gerade gehypten Neobrokern standhalten.
Kurz gesagt: Wenn Kunden mehr wissen und besser einschätzen können, was sie brauchen und möchten, liegt es nahe, ihnen auch genau das anzubieten.
Auf den ersten Blick lautet daher der Schluss: Banken und Sparkassen sollten ihre Preismodelle fix nach unten anpassen. Das wird aber so nicht funktionieren. Keine Bank und keine Sparkasse wird sich eins zu eins in einen Neobroker verwandeln. Dieser Weg wäre eine Sackgasse.
Die Antwort liegt somit in der Mitte. Die Idee ist: Das Girokonto räumt seinen Thron und seine Position als Ankerprodukt und macht Platz für das Depot, das Banken und Sparkassen künftig deutlich günstiger anbieten. Zudem braucht es eine nahtlose Begleitung der Kunden in allen Alters- und Lebensphasen.
Sparkassen haben einst mit dem „Weltspartag“ gezeigt, wie sie Kunden in ganz jungen Jahren an sich binden. Sie haben nur versäumt, die Customer Journey weiter zu begleiten. Diese Kunden springen ab einem bestimmten Alter hinüber zu den Trade Republics und Scalable Capitals dieser Welt, weil nach dem Sparbuch nur das Girokonto kommt, aber beispielsweise kein cooler Youtube-Erklärkanal, der ihnen die besten ETFs zu den günstigsten Preisen heraussucht, und auch keine intuitiv zu bedienende Trading-App, die dafür sorgt, dass sich Anlegen einfach anfühlt.
Dieses Umdenken muss natürlich profitabel sein. Über den gesamten Lebenszyklus hinweg und mit einem konsequent aufgebauten Sales Funnel kann es das auch. Diese Kunden sind zwar bei Depot- und Ordergebühren sensibel, aber sie zeigen auch eine erhöhte Affinität für andere Produktgruppen. Wer sich mit dem Vermögensaufbau beschäftigt, wird ab einer gewissen Summe und mit einer veränderten Karriere-, Familien- oder anderen Lebenssituation daran denken, den Status quo abzusichern. Zudem wird bei einigen die Zeit ein zu kostbares Gut werden, um sich in ähnlicher Form über Baufinanzierung und Berufsunfähigkeits-Versicherungen zu informieren wie bei ETFs. Und zu diesem Zeitpunkt steigt die Offenheit für Beratung, die dann auch etwas kosten darf. In dieser Phase findet dann die vertrauensstiftende Fachexpertise der klassischen Banken und Sparkassen ihren Platz, mit der sich auch Erträge erzielen lassen.
Eine ertragsfördernde Strategie kann also lauten: Banken und Sparkassen unterbreiten dieser informierten Zielgruppe ein wettbewerbsfähiges Angebot, um sie mit einer stringenten Customer-Lifecycle-Begleitung für beratungsintensivere Produkte zu gewinnen. Das bedeutet nicht, alles umzuschmeißen, sondern heißt, sinnvolle Angebote für Kunden zu ergänzen, die Banken oder Sparkassen sonst gar nicht hätten. Anderen Kunden, die die Beratung in Anspruch nehmen wollen, sollten weiterhin gemanagte und damit gebührenintensivere Fonds als Anlage zur Verfügung stehen. So kann die Ertragsrechnung am Ende aufgehen.
* Maximilian Kühl ist Berater bei Sopra Steria Next – und hat die Präferenzen junger, gut informierter Kunden und die Bedeutung steigender Informiertheit für das Wertpapiergeschäft von Sparkassen in seiner Bachelor-Arbeit untersucht. Weitere Erkenntnisse zu den Geschäftsmodellen der Trading-Anbieter erhalten Sie in der Sopra-Steria-Marktanalyse „Digitales Investieren„.
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