von Christian Kirchner, 2. Juli 2021
Im ersten Teil unserer kleinen “Die Gewinner und Verlierer des BGH-Hammer”-Reihe haben wir gestern anhand allgemeiner Merkmale skizziert: Welche Art von Instituten dürfte das Gebührenurteil besonders hart treffen? Und welche könnte umgekehrt sogar profitieren?
Heute wollen wir das Ganze noch kurz abrunden. Dazu haben wir 15 namhafte deutsche Banken ausgewählt (jeweils drei Großbanken, Direktbanken, Sparkassen, Genobanken und Fintechs) – und zu recherchieren versucht: Welche Player hat in den vergangenen Jahren welche Gebühren eingeführt bzw. erhöht? Und wie gravierend sind vor diesem Hintergrund die Folgen des BGH-Urteils?
Eine Vorabbemerkung: Juristisch ist vieles noch im Fluss. Weder ist definitiv klar, ob auch Gebühren, die schon vor vielen Jahren (also vor 2018) über die Klausel “Schweigen ist Zustimmung” eingeflogen wurden, weiter erhoben werden dürfen, weil Kunden durch jahrelang zustimmendes Verhalten (etwa den stummen Blick auf den Kontoauszug) ihr Einverständnis erklärt haben könnten. Noch lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass Rückforderungen nur bis 2018 möglich sind.
Dennoch lässt sich die Drei-Jahres-Frist als eine Art Wegscheide sehen. Banken, die Gebühren schon vor längerem erhoben haben, dürften in individuellen Fällen bessere Karten haben als jene, die erst vor kurzem über die Zustimmungsfiktion aktiv wurden.
Ein kleiner Schnelldurchlauf, von Deutsche Bank bis DKB, von N26 bis zur Stadtsparkasse KölnBonn. Auf geht’s:
Kundenzahl: 19 Millionen, davon 5 Millionen Postbank
Wesentliche Gebührenmaßnahmen seit 2018:
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Die Deutsche Bank hat im Privatkundengeschäft (das allerdings auch das Wealth Management umfasst) den Provisionsüberschuss zwischen 2018 und 2020 um 9% gesteigert – sicher nicht allein, aber auch dank derlei aggressiver Maßnahmen.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Stark. Finanzchef von Moltke “meldete” jüngst 300 Mio. Euro Gesamtbelastung aus dem BGH-Urteil, zusammengesetzt aus 100 Mio. Euro Rückstellungen und 200 Mio. Euro Ertragsverlusten in Q2 und Q3 (siehe hier). Die Gesamtsumme beträgt 4% der Jahreserträge der Sparte und rund die Hälfte des Vorsteuergewinns. Zudem ist fraglich, ob es der Bank gelingt, die Erträge bis zum Q4 über aktive Zustimmungen wieder fließen zu lassen, dies gilt vor allem für die nicht gerade digitalaffine Postbank-Klientel.
Fazit: Die Bank kann den Schlag verkraften, bei ihr spielt die Musik operativ im Investmentbanking. Allerdings dürfte das Erreichen des großen Ziels der Privatkundensparte – im Jahr 2022 rund 2 Mrd. Euro Vorsteuergewinn zu erwirtschaften – nach dem Urteil noch unwahrscheinlicher sein, als es ohnehin schon ist.
Kundenzahl: 11 Millionen (inklusive Comdirect)
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Hoch. Die Commerzbank war in der Ära Mandel/Zielke eher auf dem Weg, über höhere Erträge zu mehr Profitabilität zu kommen denn über aggressive Kostenmaßnahmen. Dieser Weg wurde erst spät korrigiert. Auch unter Zielkes Nachfolger Manfred Knof ist die Bepreisung von Leistungen zentral für die Privatkundenstrategie – sie durchzusetzen, wird nun schwerer.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Stark. Das BGH-Urteil durchkreuzt den Plan, eine signifikante Zahl von Gratiskonten in Bezahlmodelle zu überführen (siehe auch hier). Für diese Maßnahmen, die kollektiv zum 1.7. geplant waren und 2021 vermutlich klar ertragsrelevant gewesen wären, braucht die Commerzbank nun eine aktive Zustimmung – und hat begonnen, sie sich einzuholen.
Fazit: Ein Kandidat für Rückstellungen plus Ertragsverluste, analog zur Deutschen Bank. Allerdings ist die Commerzbank bereits seit einiger Zeit sehr aktiv in der “Aussteuerung” unrentabler Kunden, auch unter Knof gehört dies klar zu den Zielen. Insofern dürfte es dem Institut leichter fallen, noch mehr Kunden die Pistole auf die Brust zu setzen: Gebührenerhöhung akzeptieren oder gehen.
Kundenzahl: 1,2 Millionen (letzter kommunizierter Stand lt. Unicredit-Geschäftsbericht 2018)
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Überschaubar. Der grundlegende Umbau aller Modelle samt Verteuerung war bereits 2016 erfolgt. Selbst dieser konnte allerdings nicht verhindern, dass die HVB 2020 einen geringeren Provisionsüberschuss erwirtschaftete als noch 2015 im so genannten “Commercial Banking” (in dem allerdings auch Firmenkunden enthalten sind).
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Wenig. Die Kunden werden ohnehin seit Jahren konsequent auf die Omnichannel-Nutzung gepolt, und die wesentlichen Veränderungen erfolgten vor 2018, dürften also verjährt sein.
Fazit: Die Bank dürfte relativ schwächer betroffen sein, da sie weniger auf das Massengeschäft setzt und mehr auf eine tendenziell vermögendere Kundschaft und eine höherer Digitaldurchdringung.
Kundenzahl: 9,5 Millionen (davon 9 Millionen in Deutschland)
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Ordentlich. Der Anstieg des Provisionsergebnisses der ING-Diba (2020: +48%) ist eher eine Funktion der Wertpapierbegeisterung. Allerdings erlaubt die Kommunikation der Bank durchaus einige Rückschlüsse, was über die Gebühren zusätzlich in die Kasse kommt: Näherungsweise 24 Mio. Euro pro Jahr könnte die neue Monatsgebühr gebracht haben (siehe unsere Analyse von gestern). Der Analyst Stuart Graham von Autonomous Research kommt gar auf 50 Mio. Euro, die die ING an Erträgen erst einmal verliert.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Moderat. Auf dem Spiel stehen – so die erwähnte grobe Rechnung stimmt – knapp 3% der Provisionserträge eines Jahres oder 5% des Provisionsergebnisses.
Fazit: Die ING hat vor ein paar Tagen entschieden, die Gebühren nicht weiter zu erheben (siehe hier) – die Summe “bewegt die Nadel nicht”, heißt es. Obendrein hat sie eine eher digitalaffine Klientel, die weitere Maßnahmen im Girokontobereich künftig möglich macht. Interessant ist, dass die Bank nun mit aktiver Zustimmung der Kunden im Zinsbereich Erträge mit dem Verwahrentgelt erzielen will (siehe hier) – hier sagt die Bank allerdings, es gebe keinerlei Zusammenhang mit dem BGH-Urteil.
Kundenzahl: 1,8 Millionen
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Niedrig. Es stehen kaum vergangene Maßnahmen in Frage.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Moderat. Die geplanten Änderungen sind vorerst ausgesetzt. Dafür braucht die Comdirect nun neue Wege, die sie als digitale Marke aber leichter umsetzen dürfte als die Konkurrenz im klassischen Filialgeschäft.
Fazit: Intern dürfte die Marke Comdirect und ihre Klientel wieder ein wenig an Bedeutung gewonnen haben – ihre digitale Kundschaft ist nun noch interessanter für die Commerzbank.
Kundenzahl: > 7 Millionen (letzte offizielle Zahl per Anfang 2021, allerdings weltweit)
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Extrem gering. Bepreisungen hat N26 in der Regel nur für Neukunden vorgenommen.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Wenig.
Fazit: N26 dürfte ein relativer Gewinner des BGH-Urteils sein. Zwar beschneidet es auch seine Fähigkeit zur Preissetzung, aber die Zustimmung zu Preisänderungen ist bei einer Kundschaft, die Banking fast nur am Smartphone betreibt, leichter einzuholen.
Kundenzahl: 4,6 Millionen
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Extrem gering. Allerdings plant die DKB eine Umstellung ihres Kartenportfolios, will die Visa Debit zur Standardkarte machen. Ob allerdings dann die Girocard und Charge-Kreditkarte bepreist werden, ist noch offen – eine “Zwangsumstellung” wird jedenfalls etwas erschwert.
Fazit: Die DKB gehört zu den relativen Gewinnern: Ihr drohen kaum Rückstellungen oder Ertragsverluste, weil ihr Geschäftsmodell auf Kostenkontrolle und einem bedingungslos kostenlosen Girokonto fußt.
Kundenzahl: > 13 Millionen, davon > 300.000 in Deutschland
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Extrem gering.
Fazit: Siehe N26 – wie alle Neo- bzw. Digitalbanken hat Revolut recht wenig zu verlieren.
Kundenzahl: > 200.000, davon > 100.000 in Deutschland
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Sehr wenig.
Fazit: Siehe N26 und Revolut.
Kundenzahl: 958.000 Girokonto-Inhaber mit 1,4 Mio. Konten, davon die Hälfte (698.000) in den “Joker”-Kontomodellen
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Gering, sie betrifft nur das knappe Viertel der Kunden, die einzelbepreiste Girokonten führen. Ihre Mehrwertkonten (“Joker”) mit entsprechenden Pauschalmodellen hatte die Haspa bereits 1999 eingeführt, die letztmalige Preisanpassung dort datiert von 2016. “Ob und welche Auswirkungen sich aus dem Urteil gegen die Postbank auf die AGB der Haspa ergeben, analysieren auch wir gerade. Deshalb haben wir aktuell auch keine Anpassung bei der Preisberechnung des Girokonto klassisch vorgenommen”, heißt es auf Anfrage.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Wenig. Die Haspa hat bereits recht hohe pauschale Kontoführungsgebühren.
Fazit: Auch kleinere Ertragsverluste und mögliche Rückstellungen schmerzen eine Bank mit geringer Profitabilität (siehe hier). Aber unter den Filialbanken dürften bei ihr die Folgen lösbar sein.
Kundenzahl: 590.000 Privatgirokonten
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Gering, denn es gab kaum welche in der jüngeren Vergangenheit.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Stark, denn die geplanten Maßnahmen liegen erst einmal auf Eis.
Fazit: Die Lage der Sparkasse KölnBonn ist spiegelbildlich zu der in Hamburg – den großen Wurf bei den Modellen gab es noch nicht, nun ist er erheblich schwieriger durchzusetzen. Immerhin stehen kaum alte Erträge im Feuer.
Kundenzahl: 492.000 Privatgirokonten (nur Fraspa)
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Zumindest vor 2018: hoch – insofern wird es juristisch spannend, ob auch frühere Änderungen zurück genommen werden müssen.
Fazit: Die Preisänderungen waren bei der Fraspa schon 2017 massiv ergebniswirksam (siehe unsere Analyse gestern). Ein schönes Beispiel für die ökonomische Kraft von Gebührenmaßnahmen – die nun deutlich schwieriger umzusetzen sein werden.
Kundenzahl: 209.000 Mitglieder
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Hoch, allerdings erfolgten sie vor 2018 – auch hier wird fraglich sein, ob nur Maßnahmen ab 2018 oder auch frühere zurückgenommen werden müssen.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Wenig. Das aber hängt klar davon ab, ob auch Preismaßnahmen von vor 2018 betroffen sind – in dem Fall würden wir von moderat sprechen.
Fazit: Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Gebührenmaßnahmen in der Vergangenheit dem Provisionsgeschäft einen deutlichen, prozentual zweistelligen Schub beim Provisionsergebnis verpassen konnten (siehe Analyse gestern). Zeigt, was den “Last Movern” unter Umständen entgeht.
Kundenzahl: 701.000 per Ende 2020, 373.000 “Haushalte” mit Girokonto
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Hoch. Die Bank hat ihr Geschäftsmodell in der Kontoführung fundamental verändert, und dieses steht nun in Frage. Eine Näherung, worum es geht: Die Sparda Baden-Württemberg hat seit dem 1. September nur noch zwei Modelle, das 5-Euro-Konto (SpardaGiro) und das SpardaZero, das noch gebührenfrei ist, aber nur Kunden zwischen 7 und 30 Jahren offen steht. Laut Bank führen 373.000 “Haushalte” ein Konto, insgesamt hat die Bank aktuell 701.000 “Kunden” (diese Zahl war 2020 nur um 13.000 gesunken). Unterstellt man, dass in zahlreichen Haushalten mehrere Familienmitglieder ein Girokonto bei der Bank führen, dürfte die tatsächliche Zahl der Girokonten bei (konservativ geschätzt) 400.000 bis 500.000 liegen. Nun sind lediglich 18% der Sparda-Kunden unter 30 Jahre alt. Näherungsweise hat die Bank also für 80% der 400.000 bis 500.000 Konten die Kontoführungsgebühr neu eingeführt, was einem jährlichen Ertragspotenzial von 19 bis 24 Mio. Euro – konkreter 320.000 x 5 Euro x 12 Monate bzw. 400.000 x 5 Euro x 12 Monate – entspricht. Abzüglich Kündigungen, Basiskonten und administrativer Aufwand. Das entspricht knapp der Hälfte der bisherigen Provisionserträge von zuletzt 48 Mio. Euro.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Sehr stark. Auf Nachfrage teilt die Bank mit, sich nicht zum Urteil äußern zu wollen, man prüfe noch.
Fazit: Per Zustimmungsfiktion ein kostenloses Konto kostenpflichtig gemacht – kritischer geht es kaum.
Mitgliederzahl: 479.000 Mitglieder per Ende 2020
Auswirkungen der Gebührenmaßnahmen: Sehr hoch. Die Auswirkungen auf die Zahl der Mitglieder hielt sich in Grenzen (siehe Analyse gestern). So gesehen, dürften bis zum BGH-Urteil schon ordentliche neue Erträge geflossen sein, die es bis zu den Änderungen nicht gab und von der Bank auch für die Zukunft sicher schon fest eingeplant waren.
Wird durch das BGH-Urteil jetzt wie getroffen? Sehr stark. Wie die Sparda Baden-Württemberg hat die BB Bank hat ihr Geschäftsmodell in der Kontoführung fundamental verändert – und diese Veränderung steht nun in Frage.
Fazit: Per Zustimmungsfiktion ein kostenloses Konto kostenpflichtig gemacht – kritischer geht es (auch bei der BB Bank) kaum. Die Bank ließ eine Anfrage von Finanz-Szene.de, wie sie mit dem Urteil nun konkret umgeht, unbeantwortet.