von Christian Kirchner, 26. Mai 2019
Würden Sie bei einem Münzwurf-Spiel mitmachen, in dem Kopf verliert, Zahl gewinnt – und mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% Kopf kommt?
Nein?
Dann sollten Sie sich besser vom deutschen Aktienmarkt fernhalten. Zumindest, wenn Ihnen bei einem Börsendebüt eine der beteiligten IPO-Banken ein paar Papiere in die Hand drücken will.
Denn: In einem Anflug von analytischem Größenwahn hat “Finanz-Szene.de” in den vergangenen Tagen sämtliche Parkettdebüts am deutschen Aktienmarkt seit dem Ende der Finanzkrise untersucht (wer er ganz genau wissen will: Der Betrachtungszeitraum reichte vom Oktober 2009 – dem ersten Börsengang nach der Finanzkrise – bis heute).
Das Ergebnis? Ist für die hierzulande tätigen Emissionsbanken geradezu verheerend. Denn in 59 von 99 untersuchten Börsengängen erzielten die Anleger mit ihrem Investment bis heute Verluste. Und das, obwohl die analysierte Periode einen der längsten Bullenmärkte der Geschichte umfasst.
Was ist da schiefgelaufen? Wie lässt sich die Blamage für die IPO-Banken (darunter natürlich auch etliche renommierte Adressen wie Deutsche Bank, Goldman Sachs, Morgan Stanley & Co.) erklären? Und welche Emissionshelfer haben besonders viele Unternehmen an die Börse gehievt, deren Kurse hernach abschmierten?
Um Sie, liebe Leser*innen, heute früh nicht gleich völlig zu überfrachten, haben wir unsere Analyse in vier Teile gesplittet:
Insgesamt wuchteten die Emissionsbanken in den vergangenen knapp zehn Jahren 99 Unternehmen an die Frankfurter Börse – darunter Namen wie Zalando, Telefonica Deutschland, Hellofresh oder Covestro. Dabei erlösten die Firmen insgesamt rund 38 Mrd. Euro und kamen per Handelsstart auf eine aggregierte Bewertung von 210 Mrd. Euro.
Wir berücksichtigten in unserer Analyse nur Börsengänge im geregelten Markt in Frankfurt, dem so genannten “Prime Standard” mit umfangreichen Prospekt- und Transparenzpflichten. Die oft windigen Notierungsaufnahmen im Freiverkehr sind dagegen nicht berücksichtigt, mit ihnen fiele das Ergebnis noch drastisch schlechter aus. Mit dabei sind auch sogenannte Spinoffs und “Carve-outs” wie Siemens Healthineers (eine Abspaltung von Siemens) oder DWS (eine Abspaltung der Deutschen Bank), nicht aber reine Notierungsaufnahmen oder Segmentwechsel, wie es etwa die Linde-Praxair-Fusion war (welche, streng statistisch, auch in die “Primärmarktstatistik” einer Börse eingeht).
Zur Einordnung: Im untersuchten Zeitraum haben sich die Kurse deutscher Aktien im Schnitt etwa verdoppelt. Und selbst, wenn man den Vergleich fairerweise nur auf die 99 konkreten Vergleichszeiträume (also ab dem Tag des jeweiligen Börsengangs bis heute) bezieht, erzielte der Gesamtmarkt* in über 80% der Fälle eine positive Rendite. Der Rückenwind war als beträchtlich – doch es half nicht. In einem Fünftel der IPOs betrug das Minus sogar 80% und mehr, wir haben es also mit der Kategorie “Totalverlust” zu tun.
Besonders bitter: Von einer Trendumkehr ist nichts zu sehen. Stattdessen fallen die Ergebnisse der vergangenen zwölf Monate sogar noch schlechter aus als die Ergebnisse der zurückliegenden zehn Jahre: Nur einer der letzten zehn Börsenneulinge notiert gegenüber dem Ausgabepreis im Plus, nämlich Knorr Bremse aus dem Oktober 2018 (+20%). Dagegen weisen neun Debütanten ein Minus auf. Drei davon (Home24, Westwing, STS Group) qualifizieren sich mit einem Minus von 60% für die Kategorie “Katastrophe”.
Kann es also sein, dass sich die hierzulande tätigen IPO-Banken auf Kosten von Zeichnern die Taschen vollgemacht haben?
Traditionell gehören Börsengänge zu den lukrativsten Geschäften für Investmentbanken überhaupt. In Deutschland aktiv war in den vergangenen zehn Jahren nach Finanz-Szene.de-Recherchen 37 Banken, darunter die Crème de la Crème großer Investmentbanken, aber auch kleinerer Häuser wie Berenberg, Hauck & Aufhäuser oder die Quirin Bank.
Je nach Größe des Börsengangs und Güte der Firma kassieren die Banken zwischen einem und – bei kleineren, schwer zu platzierenden Werten – sechs Prozent und mehr des Emissionserlöses als Provision. Über die genaue Höhe gibt der Emissionsprospekt Auskunft.
Was auch gleicht zum Kernproblem führt: Bei Börsengängen agieren die Banken im Auftrag und Interesse der Unternehmen – und wollen für sie einen möglichst hohen Verkaufspreis erzielen. Dafür erhalten sie auch eine am Emissionserlös bemessene Provision. Ob die Aktie an der Börse dann gut läuft für Zeichner, spielt für die IPO-Helfer zunächst eine Nebenrolle.
Beispiel Creditshelf: Das Fintech wagte Ende Juli 2018 den Gang aufs Parkett. Konsortialführer war dabei die Commerzbank. Ausgabekurs damals: 80 Euro je Aktie. Kurs heute: 66,50 Euro, ein Minus von 17% in einem ansonsten behaupteten Markt. Wie viel es für die Emissionsbank zu verdienen gab, steht auf Seite 119 des Emissionsprospekts: 1 Mio Euro, falls man alle Aktien platziert – bei einem anfänglich angepeilten Emissionserlös von 15 bis 20 Mio. Euro entspricht dies einer Platzierungsprovision von 5 %.
Am anderen Ende der Skala steht exemplarisch eine – für Zeichner gut gelaufene – Großemission wie die von Knorr Bremse im Oktober 2018. Der Konzern erlöste mithilfe der Deutschen Bank, JP Morgan und Morgan Stanley 4 Mrd. Euro. Zu verdienen gab es dabei laut Prospekt maximal 63,1 Mio. Euro – mithin also 1,5 Prozent des Emissionserlöses.
Doch worin liegen die Gründe für die Vielzahl an Flops? Spricht man im Hintergrund mit Investoren und Investmentbankern, kristallisieren sich vier wesentliche Gründe heraus
In Teil II beleuchet Finanz-Szene.de morgen das Abschneiden der einzelnen Investmentbanken.
* definiert als der HDax-Kursindex (alle Werte aus Dax, MDax, TecDax)