von Christian Kirchner, 6. April 2023
Das jüngste Bankenbeben bot ja durchaus Anlass, über das Thema „Einlagenzinsen“ nochmal sehr grundsätzlich nachzudenken. Zum einen auf einer eher abstrakten Ebene (was wäre eigentlich los, wenn die Normalsparer da draußen ihre liquiden Mittel genauso optimieren würde, wie das ein Treasurer oder ein Silicon-Valley-Bank-Kunde tut?). Zum anderen aber auch auf einer sehr konkreten Ebene. Denn: Infolge des Bankencrashs stellte sich ja plötzlich und stellt sich weiterhin die Frage, ob die EZB die Zinsen überhaupt noch weiter erhöhen wird. Und falls nein – ob die sogenannte „Zinsschlacht“ vorbei ist, eh sie so richtig begonnen hat.
Zumindest auf letztere Frage gibt es nun die Antwort: Ja, trotz veränderter Makrolage geht der Zins-Wettlauf weiter! Jedenfalls für den Moment. Zunächst war es vergangene Woche die zur spanischen Santander gehörende „Suresse Direkt Bank“, die als erster Anbieter überhaupt ein „3%-Schild“ an ihr Tagesgeld hängte. Und nun: Tut es ihr als erster großer Player die ING Diba gleich – auch wenn es sich bei deren 3%-Offerte angesichts diverser Beschränkungen (nur für Neugelder, nur für sechs Monate, nur bis 50.000 Euro) unverkennbar um ein Lockangebot handelt.
Und jetzt? Ziehen die Aareals und Scalables und Trade Republics und DKBs und natürlich die C24 Bank nach? Gut möglich! Denn so wild Aktionen wie die der ING Diba auf den ersten Blick wirken mögen – ihnen wohnt eine industrielle Logik inne. Acht Gründe, warum die „Zinsschlacht“ weitergehen könnte:Warum dann wieder diese Angebote?
Eine Analyse in acht Thesen:
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Dass die Europäische Zentralbank (EZB) wieder 3,0% Zinsen auf Einlagen über Nacht zahlt (wie zuletzt 2008), verändert aus Sicht der Banken die Gleichung ihres Retail-Geschäfts gleich an zwei entscheidenden Stellen:
Weil die EZB die Regeln ihrer TLTRO-Geschäfte grundlegend geändert hat (siehe hier), sind die einst extrem zinsgünstigen EZB-Tender für viele Banken nicht länger attraktiv. Die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte sollten während der Pandemie die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte stützen, inzwischen hat sich der Fokus der EZB aber auf die Inflationsbekämpfung verschoben.
Die Folge: Bereits im November und Dezember 2022 haben die Banken eilig mehr als 700 Mrd. Euro dieser Kredite zurückgezahlt. Mitte Januar zahlten Banken weitere 63 Mrd. zurück, im Februar waren es 37 Mrd. Euro, im März 88 Mrd. Euro – und im Juni werden mehr als 600 Mrd. Euro fällig.
Das Problem dabei: Diese Mittel waren in den Bilanzen vieler Banken teils über Jahre als liquide Mittel verplant. Um die Lücke zu füllen, die die Rückzahlungen in die Bilanzen reißen, werden Kundeneinlagen wieder deutlich attraktiver. Zumal granulare Retail-Einlagen seit Basel III regulatorisch bei der Berechnung von Liquiditätskennziffern privilegiert sind – und es nach den spektakulären „Bank Runs“ auf die Silicon Valley Bank und Credit Suisse künftig sogar noch stärker sein werden. Und so halten sich Banken für ein Mehr an Liquidität wieder stärker an ihre Kundschaft statt an die EZB.
Seit dem Bankenbeben ist zwar fraglich, ob die EZB (wie ursprünglich intendiert) tatsächlich weitere Zinsschritte gehen wird. Die an den Terminmärkten gehandelten Zinserwartungen implizieren aktuell, dass spätestens im Juni der letzte EZB-Zinsschritt erfolgt.
Steigen die Zinsen aber bis dahin noch tatsächlich, hieße das: Bleiben Banken und Sparkassen zögerlich bei der Weitergabe an ihre Kunden, werden die aktuell eingeworbenen Einlagen dank der Arbitrage zumindest für einige Monate zum guten Geschäft. Ohnehin gelten die in Aussicht gestellten Zinsen auf Einlagen meist nur für einige Monate; die Banken behalten sich häufig vor, den Zinssatz anzupassen, wenn sich das Marktumfeld wieder grundlegend ändert.
Beim Neobroker Trade Republic heißt Guthaben nicht „Guthaben“, „Barbestand“ oder „Kontostand“ – es ist ein „nicht investierter Betrag“. Womit das Kalkül schon semantisch deutlich wird: Das Geld gehört eigentlich investiert. Und könnte damit einen bisher limitierenden Faktor für mehr provisionsträchtigen Handel beseitigen. Schließlich folgen viele Anleger, gerade auch die smartphone-zentrierten, kurzfristigen Impulsen: Hier ist die Aktie A um 20% gecrasht, dort lockt die hochinteressante Aktie B … Bloß: Ist kein Guthaben da, verpufft die Idee oft wieder – ohne Transaktion. Bis Geld überwiesen und nach ein, zwei Tagen auf dem Verrechnungskonto verfügbar ist, verstreicht der Impuls.
Eine Verzinsung von Guthaben animiert Kunden nun dazu, das Geld freiwillig und schon vorab auf klassischem, gebührenfreiem Weg zu den Neobrokern zu tragen.
Dass das erwähnte Problem eine Rolle spielt, lässt sich auch daran erkennen, dass Trade Republic seit Mitte 2021 „sofort verfügbares Handelsvolumen“ auch über Apple Pay, Google Pay, Debit- und Kreditkarten anbietet, sprich „Echtzeit-Einzahlungen“ – ein für einen Broker eher ungewöhnlicher Ansatz. Allerdings kostet die Nutzung dieser Option Provision für Anbieter wie Kunden.
Ein ebenso simples wie wichtiges Argument für wieder hohe Zinsen ist: Das Image vieler Banken hat über die Jahre erheblich gelitten. Die Gründe sind bekannt:
Wieder Zinsen zu zahlen, hilft der Marke, selbst wenn die Banken dabei ein Geschäft machen und die Sparer nach Abzug der Inflation immer noch Geld verlieren. Passend dazu schaltete die ING Diba zuletzt In-App-Werbung und verschickte eMails mit der Aufforderung an Kundinnen und Kunden, doch jetzt richtig „abzusahnen“ und Einlagen auf ein Tagesgeldkonto zu packen, zu 0,6% Zinsen – mithin gerade nur ein Viertel dessen, was die Bank zu diesem Zeitpunkt selbst für die Einlagen bei der EZB kassiert.
Dabei gilt: Die Fixierung deutscher Sparer auf den Nominalzins und Einlagen ist europaweit legendär im Banking. Wer als Bank steigende Zinsen weitergibt, wird daher nach vielen Jahren der monetären Zumutungen als fair und positiv wahr genommen – eine Gelegenheit, die sich viele Häuser nicht entgehen lassen, speziell wenn der Preis dafür überschaubar ist.
Allen vermeintlichen Zinsschlachten zum Trotz – es gilt, wie eingangs schon erwähnt, dass die zuletzt noch gut 1,8 Billionen Euro Retail-Einlagen mit täglicher Fälligkeit hierzulande immer noch nur mit 0,12% verzinst werden. Seit dem bisherigen Höchstwert im November sind die Bestände an täglich fälligen Einlagen (zu der auch Girokonten zählen) lediglich um 30 Mrd. Euro gesunken, weil die Kunden sie verkonsumierten oder rentierlicher anlegen – trotz zuletzt knapp 8% Teuerung und somit einem dreistelligen Milliardenverlust auf diese Einlagen für ihre Halter.
Die Masse an Kunden ist also weiterhin sehr träge, 98% blieb bislang unbewegt, wenn es darum geht, das Geld zu anderen Instituten zu tragen und zu optimieren. Das zeigt auch ein Blick auf die bei Einlagen tendenziell sehr zinsknausrigen Sparkassen, denen auch 2022 trotz der schon 2021 eingeleiteten Zinswende netto 31 Mrd. Euro an Einlagen zuflossen.
Obendrein hat sich der Anteil von Guthaben auf (meist weiter unverzinsten) Girokonten über die Jahre deutlich erhöht, verglichen mit dem Anteil von Guthaben in Sparprodukten. Exemplarisch: Im Einlagen-Mix kamen befristete und damit tendenziell höher verzinste Einlagen (Termingelder, Spareinlagen, Sparbriefe) 2012 bei den Genossenschaftsbanken noch auf rund 50% der Einlagen. 2022 lag der Wert bei nur noch gut einem Viertel. Es liegt heute – trotz der Zinswende absolut betrachtet weniger Geld in Spar- und Termineinlagen, während sich die täglich fälligen Einlagen mehr als verdoppelt haben.
Muss das so bleiben? Natürlich nicht. Gleichwohl ist es fraglich, ob das Geld im großen Stil in höher verzinste Einlagen wandert oder die Banken zu höheren Zinsen auch für Bestandskunden gezwungen werden, ehe der aktuelle Zyklus an Zinserhöhungen wieder endet. Und das könnte – siehe Punkt 3) – bereits im Juni der Fall sein.
Auch wenn Banken ungern drüber reden – von unprofitablen Kunden trennt man sich auch gern mal. Die Commerzbank setzte 2019 ein diesbezügliches Zeichen, als sie nach Jahren des rasanten Kundenwachstums erklärte, sie trenne sich von 1 Mio. "meist inaktiver Kundenkonten".
Nach allem, was im Umfeld von Banken und Beratern zu hören ist, gehen Banken diesen Schritt der Trennung heute schneller und konsequenter als noch in der bislang letzten Ära positiver Zinsen bis 2008. Das liegt zum einen daran, dass die Kundenanalyse massive Fortschritte gemacht hat und sich viel leichter errechnen lässt, ob man mit einer bestimmten Kundenverbindung perspektivisch überhaupt noch Geld verdient. Zum anderen ist es heute deutlich einfacher geworden, aktiv die Trennung zu vollziehen.
Zwar stand Privatbanken schon immer die Möglichkeit offen, unter Verweis auf die Vertragsfreiheit Kundenbeziehungen ohne Angabe von Gründen zu beenden. Allerdings sprechen sich Massenkündigungen herum, und niemand ist gerne bei einer Bank, bei der er fürchten muss, rauszufliegen – samt aller Scherereien einer Bankwechsels. Das ließ viele Institute dann doch vor der Ultima Ratio zurückschrecken. Inzwischen indes können Banken zum einen abstrakt auf erheblich strengere "Know Your Customer"- und Geldwäsche-Regeln verweisen. Zum anderen können sie auch schlicht all jene Kunden vor die Tür setzen, die sich nach dem Verbot der Zustimmungsfiktion durch den BGH in Sachen Akzeptanz neuer AGBs renitent zeigen und (!) die zugleich nicht profitabel für die Bank sind.
Kurzum: Die Möglichkeiten, den Kundenstamm so auszusteuern, dass man trotz Neukundenwachstums profitabel ist, haben sich deutlich verbessert. Zum Leidwesen der Kunden, aber zum Vorteil der Bank. So berichtete wiederum die Commerzbank im Zuge ihrer Bilanz-PK Mitte Februar, sie habe 2022 rund eine halbe Mio. Kunden weniger gehabt als im Jahr zuvor – und begründete dies leicht nebulös mit "Inaktivität" und einem "natürlichen Abgang".
Nur als Kontrast: Die ING Diba berichtet, sie habe 2022 einer nur zweistelligen Zahl von Kunden die Bankverbindung gekündigt. Schwer vorstellbar, dass es für solch ein Delta zwischen Commerzbank und ING Diba nicht auch strategische Gründe gibt.
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Im Zinswettbewerb tun sich vor allem jene Player leicht, die noch keinen hohen Einlagenbestand zu verzinsen haben – also junge Unternehmen wie Scalable Capital, Trade Republic oder die C24 Bank. Eine Ausnahme allerdings gibt es: N26.
Da die Berliner Neobank wegen der von der Bafin auferlegten Wachstumsbeschränkung (maximal 50.000 Neukunden monatlich) wenig Anreize hat, mit hohen Zinsen um neue Kunden zu buhlen, lässt sie es gleich ganz – und verharrt beim Nullzins. In genau diese Lücke stoßen nun etablierte Rivalen wie die ING Diba oder die DKB ebenso wie Newcomer wie C24 und Suresse Direkt Bank.
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