von Georgia Hädicke und Christian Kirchner, 16. September 2024
Okay, dass Stefan Effenberg jemals in Dortmund-Mengede war, darf bezweifelt werden. Und die dort ansässige Volksbank hat nach allem, was man weiß, auch nicht in Oberhausener Rotlicht-Immobilien, griechisches Mönchswasser oder eine selbstbetriebene Express-Reinigung investiert. Kurz gesagt, gibt es also durchaus Gründe, warum der eine Fall, also jener der sogenannten „Effenberg-Bank“ aus Schmalkalden, für bundesweite Schlagzeilen sorgte – während der andere Fall, nämlich jener der spitznamenlosen Volksbank Dortmund-Nordwest, medial komplett unterging.
Wobei: Den Großkopferten im Genosektor dürfte ja durchaus recht sein, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit so ungleich auf die beiden Fälle verteilte. Schließlich war das Drama von Schmalkalden eines, das sich sozusagen jenseits der etablierten Strukturen entfaltete. Die handelnden Personen? Gelinde gesagt schillernd. Die Geschäftspolitik? Größtenteils absurd. Das Drehbuch: Eine durchgeknallte Provinzbank, die dermaßen außer Kontrolle geriet, dass die üblichen „Checks & Balances“-Institution (BVR, Prüfverbände, Institutssicherung, Bafin, DZ Bank …) die Implosion beim besten Willen nicht verhindern konnten – so zumindest wird’s einem erklärt. Ein Einzelfall, wie er vielleicht alle 20 Jahre mal vorkommt, fast schicksalhaft.
Viel unangenehmer für den Genosektor ist so gesehen der Fall der Volksbank Dortmund-Nordwest. Gemessen an der Bilanzsumme (knapp 1,1 Mrd. Euro) ist der entstandene Schaden für den BVR-Stützungsfonds (134 Mio. Euro) kaum kleiner als in Schmalkalden. Und das, obwohl in Dortmund-Mengede ganz normale Volksbanker, zumindest scheinbar, einfach nur das getan haben, was viele, viele andere Volksbanker hierzulande auch tun. Was genau ist da passiert, und wie hat es passieren können? Die Geschichte vom Untergang einer vermeintlichen „Normalo-Bank“ – recherchiert von Finanz-Szene.
Bitte sehr:
–––
Zu Beginn dieses Jahres wurde bei der Volksbank Dortmund-Nordwest unvermittelt der komplette Vorstand ausgetauscht. Schon bald legten Recherchen von „Finanz-Szene“ und den „Ruhr Nachrichten“ (Paywall) nahe, dass das Revirement mit Problemen im Immobiliengeschäft zu tun haben dürfte – wobei es genauer gesagt um verlustgefährdete Spezialfonds ging, welche die Volksbank ausgerechnet von der Deka, also vom Fondsanbieter der Sparkassen bezogen hatte (zumindest teilweise).
Schon bald wurde aus dem Verdacht, dass hier irgendetwas ganz grundsätzlich nicht stimmt, bittere Gewissheit. So machte der regionale Genossenschaftsverband im Mai publik, dass der Volksbank Dortmund horrende Verluste drohen und sie deshalb vom Stützungsfonds des BVR aufgefangen werden muss. Setzt man die Höhe der Stützung (also die besagten 134 Mio. Euro) in Relation zur Bilanzsumme, dann dürfte es sich relativ betrachtet um eine der teuersten Bankenrettungen überhaupt in der Geschichte der genossenschaftlichen Finanzgruppe (wenn nicht der deutschen Bankenindustrie generell) handeln, viel, viel teuer beispielsweise als die Rettung der Hypo Real Estate im Jahr 2008.
Die Sache war nun allerdings: Abgesehen von der Rettungsaktion und der offenkundigen Diagnose, dass die Verluste irgendwie im Zusammenhang mit den Spezialfonds stehen müssen, wusste die Öffentlichkeit bis dato kaum etwas über den Fall.
–––––––––––––––––––
Ebenso wie die „Ruhr Nachrichten“ versucht „Finanz-Szene“ seit Wochen, mehr Licht in den unterbeleuchteten Fall zu bringen. Ein entscheidender Schlüssel hierfür: der öffentlich bislang nicht zugängliche Geschäftsbericht für 2023. Nach vielem Hin und Her wurde uns dieser in der vergangenen Woche schließlich zur Verfügung gestellt.
Und in der Tat: Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass das Bewertungsergebnis (in dem sich etwaige Verluste mit den selbst gehaltenen Spezialfonds zeigen müssen) mit minus 14,1 Mio. Euro tief ins Negative gerutscht ist. Folge: Das operative 2023er-Ergebnis ist tiefrot, nur durch eine umfangreiche Auflösung stiller Reserven konnte die Volksbank wenigstens noch ein Jahresergebnis von „Plus-minus Null“ ausweisen.
Freilich, wie es aussieht, dürften die 14 Mio. Euro nicht der Eisberg sein, sondern lediglich dessen Spitze. So ist in der Darstellung der Ertragslage die Rede davon, dass „die Marktpreisrisiken im Immobilienfondsbestand die bilanziellen Möglichkeiten der Volksbank Dortmund-Nordwest übersteigen“ – und dass dies der Grund gewesen sei, warum das Institut beim BVR den Antrag auf finanzielle Stützung gestellt habe. Weiter unten heißt es dann, dass aus der „Bewertung des Immobilienfondsportfolios in erheblichem Maße Risiken“ hätten abgeschirmt werden müssen – und dass nur dank der Stützung in Höhe von 134 Mio. Euro auf weitere „Wertberichtigungen auf den Immobilienfondsbestand verzichtet werden konnte“.
Sprich, die korrekte Rechnung scheint also eher die folgende zu sein:
(Zur Einordnung: Allein um diese knapp 15 Mio. Euro aufzubringen, musste die Volksbank Dortmund-Nordwest grob die Hälfte ihrer 340f-Rücklagen plündern; und nicht einmal das komplette Eigenkapital der Bank in Höhe von 111 Mio. Euro hätte ausgereicht, um die Immobilien-Verluste zu decken. Ohne das genossenschaftliche Sicherungssystem hätte die Bank sich sozusagen selbst gesprengt.)
Damit wissen wir also jetzt, was los ist. Bleibt aber immer noch die Frage, was los war. Wie kann es sein, dass eine scheinbar stinknormale Volksbank (die auf den ersten Blick nichts anderes tut, als das, was hunderte Sparkassen und Volksbanken hierzulande tun, nämlich einen Teil ihrer Mittel in Spezialfonds zu stecken) dermaßen explodiert?
Also weiter im Text …
––––––––––––––––––––
Laut „Anlagespiegel“ hielt die Volksbank Dortmund-Nordwest per Ende 2022 (also vor der Explosion) „Aktien und nicht festverzinsliche Wertpapiere“ im Umfang von 283 Mio. Euro – ein Viertel der Bilanzsumme. Dieses Geld lag weit überwiegend in den beiden 2020 bzw. 2021 aufgelegten Immobilien-Spezialfonds „Nordwest-Fonds“ und „Nordwest-Fonds 2.0“.
Blättert man nun im 2023er-Abschluss, stellt es sich wie in folgender Tabelle dar:
Nach unserem Verständnis ist Folgendes passiert: In den Jahren, als die Volksbank die Fondsanteile zukaufte und hielt, wurden die Vehikel nach den Kriterien des Kapitalanlage-Gesetzbuchs bewertet und bilanziert. Nun aber wollte die Volksbank 2023 Anteile verkaufen oder hat zumindest mal indikative Angebote eingeholt – und die blieben meilenweit hinter den eigenen Bewertungen zurück. Der Geschäftsbericht hält fest: „Die angegebenen Werte nach KAGB spiegeln nicht die zu erzielenden Marktpreise wider. Aus diesem Grund hat die Bank ein indikatives Kaufpreisangebot eines potenziellen Käufers für beide Spezialfonds eingeholt, um diesen einen angemessenen Wert beizumessen.“
Die Volksbank Dortmund-Nordwest betont in einer Stellungnahme gegenüber Finanz-Szene, dass die angegebenen niedrigeren Kaufpreise nicht zu Neubewertung oder Abschreibungen geführt hätten. Vielmehr handele es sich um „nicht schlagend gewordene Risiken“, welche durch die BVR-Garantien abgeschirmt worden seien.
Nun überrascht im Lichte der Gewerbeimmobilien-Krise nicht per se, dass die beiden Fonds der Volksbank Dortmund-Nordwest unter Wasser sind – das sind viele, viele andere Fonds auch. Aber 50%??? In der weiten Welt der Immobilienfonds hierzulande findet sich kein Produkt (jedenfalls kein öffentliches), das zuletzt auch nur annähernd derartige Verluste produziert hätte. Negativer Ausreißer war der Union-Fonds „ZBI Wohnimmo“ mit einer 17-Prozent-Abwertung im Juni.
Wieso also rechneten potenzielle Käufer und hernach dann die Volksbank selbst dann mit einer Halbierung der gehaltenen Anteilswerte? Und was, um alles in der Welt, ist in diesen Fonds eigentlich drin?
Um es vorwegzunehmen – was genau in den Fonds drin ist, geht aus dem Geschäftsbericht nicht hervor. Und das präzisiert die Bank auch auf Nachfrage nicht. Klar ist lediglich, dass es sich um Dachfonds handelt, welche wiederum Anteile an verschiedenen anderen Vehikeln halten.
Immerhin aber lässt sich auf Basis der Geschäftsabschlüsse nachvollziehen, wann die Mengede-Banker anfingen, in Immobilienfonds zu investieren – und wie sie dann im Laufe der Jahres gewissermaßen „all in“ gingen:
Zum Inhalt des Portfolios und dessen Wertentwicklung macht man bei der Deka auch weiterhin keine Angaben. Aus Mengede heißt es zur Frage, was sich in den Fonds befinde, dass ein derart krasses Abwertungsrisiko eingepreist werde:
„Die Bank wird sich von dem gesamten Fondspaket als Ganzes trennen, da sie keine Dauerbesitzabsicht verfolgt. Daher können Aussagen zu einzelnen Fonds nicht getroffen werden. Dabei ist die aktuelle Marktsituation und damit der einhergehend geänderte Liegenschaftszins zu berücksichtigen.“
Welche Investments dem Untergang der Volksbank Dortmund-Mengede zugrundeliegen, bleibt also weiter offen (wobei wir natürlich dran bleiben an der Frage).
Was die Deka (also die Sparkassen) mit dem Fiasko der „Gallier-Volksbank“ zu tun hat
Viele, wenn nicht die meisten Sparkassen und Volksbanken, die ein großes „Depot A“ (also umfangreiche Eigenanlagen) unterhalten, tun dies, weil ihre Kundeneinlagen irgendwo hinmüssen.
Bei der Volksbank Dortmund-Nordwest allerdings gab es erstaunlicherweise gar keinen Einlagen-Überhang, der in Ermangelung von Kreditnachfrage in Spezialfonds gepumpt hätte werden müssen. Im Gegenteil: Die kleine Stadtteil-Bank litt eher unter einem Einlagen-Mangel. 2019 (also dem Jahr, als man in Mengede begann, mit Immobilienfonds so richtig steil zu gehen) standen Kundeneinlagen von 537 Mio. Euro deutlich höhere Kredite über 617 Mio. Euro gegenüber.
Letztere mussten somit auch anderweitig refinanziert werden, etwa über Verbriefungen und Ähnlichem – oder über Kredite beim eigenen Zentralinstitut, der DZ Bank.
Und genau diese Kredite nutzten die Dortmunder offenbar irgendwann auch, um mit ihren Immofonds-Geschäften ein noch größeres Rad zu drehen als ohnehin schon. So findet sich Geschäftsbericht des Jahres 2019 eine zunächst unscheinbar wirkende Formulierung:
„In 2019 haben wir insbesondere in Immobilienfonds im Anlagevermögen investiert.“ Und weiter: „Die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten haben wir gegenüber dem Vorjahr (…) erhöht, um in das Wachstum unseres Kundenkreditgeschäftes sowie in das Wachstum unseres Immobilienfondsbuches zu investieren.“
Im Klartext betrieb die Bank hier also ein klassisches Hebelgeschäft im Stile eines Hedge-Fonds im Umfang von über einer Viertelmilliarde Euro: Geld leihen. Geld anlegen. Wer mit den finanzierenden „Kreditinstituten“ gemeint ist, das lässt sich im Genosektor leicht ermitteln. Von den Bankschulden in Höhe von 347 Mio. Euro per Ende 2019 entfielen stolze 337 Mio. Euro auf die DZ Bank. Also fast alles.
Die „Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten“ wurden seitdem nicht weniger. Im Gegenteil, bis Ende 2023 lagen sie bei 381 Mio. Euro – während zugleich die Einlagen weiter schrumpften auf nur noch 507 Mio. Euro, wobei vor allem Firmenkunden (wussten die womöglich mehr?) ihr Geld abzogen, obwohl zu dem Zeitpunkt die mediale Berichterstattung noch gar nicht eingesetzt hatte. Zitat aus dem 2023er-Geschäftsbericht: „Die Kapitalquoten werden zusätzlich durch hohe Abzüge von Geschäftsguthaben belastet.“
Jedenfalls: Wie auch schon im Falle der „Effenberg-Bank“ (siehe –> DZ Bank finanzierte „Last Minute“-Exzesse in Schmalkalden) stellt sich erneut die unserer Ansicht nach sehr dringende Frage, warum die DZ Bank so offenkundig freigebig die fragwürdigen Investments irrlichternder Verbundinstitute mitfinanziert. Im Westend-Tower ist man eher schmallippig bei diesem Thema. Ein Fragenkatalog von Finanz-Szene blieb unbeantwortet, man werde sich „nicht dazu äußern“, teilte die DZ Bank mit. Die Erklärungen, die im Umfeld der Bank zu vernehmen sind, laufen darauf hinaus, dass man als Zentralinstitut kaum anders könne, als die Primärinstitute nach deren Bedürfnissen zu refinanzieren.
Als eigenständiges Institut hat die Volksbank Dortmund-Nordwest keine Zukunft – die Verschmelzung auf ein anderes Haus ist beschlossene Sache, angestrebt wird eine Fusion mit der zehnmal größeren und auch um einiges gesünderen Volksbank Dortmund. Ob diese allerdings so wahnsinnig erpicht darauf ist, das kleine Nachbarinstitut zu übernehmen, darf beim Blick auf die Kennzahlen infrage gestellt werden – wenngleich die Volksbank Dortmund-Nordwest auf Anfrage mitteilt, die Sondierungsgespräche verliefen „planmäßig und zielgerichtet“.
Die jahrelange Fixierung auf das Geschäft mit Immobilienfonds hat auch im übrigen Geschäft zu massiven strukturellen Problemen geführt. So haben die Immo-Investment dermßen viel Eigenkapital gebunden, dass die Bank laut Geschäftsbericht bei der Kreditvergabe immer restriktiver werden musste – im zweiten Quartal 2023 wurde intern sogar ein Neukredit-Vergabestopp beschlossen. Kreditanfragen wurden an Nachbarbanken und Verbundpartner weitervermittelt. Manche operativen Kennzahlen lesen sich geradezu katastrophal. So brach das Zinsergebnis (wohl auch, weil Ausschüttungen aus den Spezialfonds zurückgingen) um unglaubliche 36% auf nur 14 Mio. Euro ein. Tatsächlich reichte der kombinierte Zins- und Provisionsüberschuss in Höhe von 18,3 Mio. Euro nicht einmal aus, um die Verwaltungsausgaben (18,4 Mio. Euro) zu decken. Folge: Die Cost-Income-Ratio kletterte auf 100,1%. Das Teilbetriebsergebnis im Verhältnis zur DBS sank buchstäblich auf Null.
Und dann ist da, BVR-Garantie hin oder her, halt auch immer noch die Sache mit den Spezialfonds. Denn die liegen ja immer noch in den Kellern, allerdings sei die „Dauerbesitzfähigkeit“ (sehr schönes Wort!) für die Assets langfristig nicht mehr gegeben, wie der Geschäftsbericht festhält, es bestehe eine „Notwendigkeit zur Veräußerung […] zum Zwecke der Wiedereinhaltung der bankenaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen“.
Kurzum: Es ist eine einzige Katastrophe.
Die Artikel von Finanz-Szene sind urheberrechtlich geschützt und nur für den jeweiligen Premium-Abonnenten persönlich bestimmt. Die Weitergabe – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Wie Sie Inhalte rechtssicher teilen können (z.B. via Pressespiegel), erfahren Sie hier.
Danke für Ihr Verständnis. Durch Ihr Abonnement sichern Sie ein Stück Journalismus!