Analyse

Das große FAQ zum drohenden Aus für die Restschuld-Versicherung

Als die spanische Santander im Sommer von einem Gewinneinbruch in ihrem Deutschland-Geschäft berichtete und dies explizit mit der „Fee Capping Regulation“ begründete – da gab man sich im Umfeld der Mönchengladbacher Tochter eher unwissend. Was denn mit „Fee Capping Regulation“ gemeint sei? Ob damit nicht naheliegenderweise der Provisions-Deckel bei der Restschuld-Versicherung gemeint sein müsste? Und ob man ungefähr beziffern könne, für welchen Anteil am Gewinneinbruch denn die „Fee Capping Regulation“ verantwortlich sei? Alles Fragen, auf die man am Niederrhein keine Antworten geben wollte.

Wozu passt, dass man zuletzt auch von der Targobank keine Auskunft erhielt, was denn hinter den riesigen Abschreibungen steckt, die die französische Mutter zuletzt auf ihre Düsseldorfer Tochter vorgenommen hat (für alle, die den Artikel gestern nicht gelesen haben: In Teilen werden die Abschreibungen im Geschäftsbericht ebenfalls mit dem Provisions-Deckel begründet).

Dazu muss man nun wissen: Sonderlich transparent waren die großen Konsumenten-Finanzierer hierzulande noch nie. In diesen Wochen allerdings gehen die Rollläden dermaßen runter, dass man sie nicht mal mehr mit zehn Brecheisen aufbekäme – während parallel der eigene Lobby-Verband ein Hilfegesuch beim Bundespräsidenten stellt.

Was (abgesehen vom etwas schrägen Gesamteindruck) bleibt, das sind Fragen: War’s das denn jetzt wirklich mit der Restschuld-Versicherung? Welcher Gewinnbeitrag würde der Branche damit flöten gehen? Und gibt’s nicht wenigstens noch ein bisschen Hoffnung – nämlich in Form der EU-Verbraucherkredit-Richtlinie?

Unser FAQ:

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1.) Was genau wurde beschlossen?

Der Bundestag hat am Freitag, den 17. November, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum sogenannten „Zukunftsfinanzierungs-Gesetz“ verabschiedet, dem der Bundesrat wiederum eine Woche später zustimmte. Darin befindet sich im Paket mit Dutzenden anderen Maßnahmen auch eine Änderung des Versicherungsvertrags-Gesetzes. Der Paragraf 7a Absatz 5 soll dabei wie folgt ergänzt werden: „Der Versicherer darf einen Restschuld-Versicherungs-Vertrag (…) nur dann schließen, wenn der Versicherungsnehmer die Vertragserklärung frühestens eine Woche nach Abschluss des Allgemein-Verbraucherdarlehens-Vertrags abgegeben hat“.

Konkret soll also zwischen dem Abschluss eines Kredites und einer dazu zugehörigen Restschuld-Versicherung – die etwa im Falle von Tod, Arbeitslosigkeit oder Erkrankung des Versicherungsnehmers die Kreditraten ganz oder teilweise übernimmt – künftig eine Woche liegen. Inkraft tritt die Änderung laut Gesetz zum 1. Januar 2025.

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2.) Warum die Aufregung in der Finanzbranche?

Die hat zwei Gründe. Der mit großem Abstand wichtigste: Das Gesetz schafft die Restschuld-Versicherung und das gute Geld, was Versicherer und Vertriebspartner damit verdienen, faktisch ab. Darauf deuten Erfahrungen aus Großbritannien hin, wo die Einführung einer entsprechenden Frist von einer Woche zwischen Kreditabschluss und Restschuld-Versicherung den Markt 2012 hat zusammenbrechen lassen. Die Versicherung wird entweder im Moment des Kreditabschlusses gleich mit abgeschlossen – oder gar nicht mehr. Das stellt nicht einmal der Versicherungsverband GDV in Abrede, er sieht in der einwöchigen Frist „faktisch ein Verkaufsverbot“, wie GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen zum Gesetz mitteilen ließ.

Der zweite Grund für die Aufregung ist, dass die Gesetzesänderung erst auf der Zielgeraden der Abstimmung in den Entwurf zum Zukunftsfinanzierungs-Gesetz wanderte – konkret zwei Tage vor der Abstimmung im Bundestag am 17. November. Im Finanzausschuss hatten sich die Parteien zuvor überparteilich (übrigens auch einschließlich der CDU/CSU und nicht nur mit den Stimmen der „Ampel-Koalition“) geeinigt, den Passus kurzfristig noch aufzunehmen.

Das Ziel der einwöchigen Frist stand zwar schon im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung. Mit der konkreten Gesetzesänderung und dem wahrscheinlichen Tod des Produkts hatten die Parlamentarier aber sowohl die Versicherungs- als auch die Bankenlobby völlig überrumpelt, denn beide hatten so keine Gelegenheit mehr, in den Gesetzgebungsprozess einzugreifen.

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3.) Was haben Banken überhaupt damit zu tun?

Sie sind der mit großem Abstand wichtigste Vertriebspartner von Restschuld-Versicherungen der Versicherer und verdienen daran sehr gute Provisionen. In einer Marktstudie der Bafin unter 27 Versicherungen mit Restschuld-Angeboten gaben im Jahr 2020 insgesamt 25 an, Banken als Vertriebsweg zu nutzen – weil die Verbraucher in der Regel im Moment des Kreditabschlusses mit einer Bank online (oder am physischen Point of Sale eines Konsumguts) auch am leichtesten dazu zu bewegen sind, eine Restschuld-Versicherung „im Paket“ abzuschließen. In der selben Marktstudie hält die Bafin fest, die von „Versicherungs-Unternehmen an die Kreditinstitute geleisteten Provisionen (seien) teilweise außerordentlich hoch und bilden deshalb einen lukrativen Anreiz für die Kreditinstitute, möglichst viele Restschuld-Versicherungen mit einer möglichst hohen Prämie zu verkaufen.“

Die Vertriebsmacht lassen sich die Institute somit sehr gut bezahlen, zumal der zu verteilende Ertragspool (siehe unten) sehr groß ist – weil die Versicherungen nur sehr selten zahlen müssen. Wie oft genau? Darüber gibt es eine Schlacht der Statistiken. Die EU-Versicherungsaufsicht Eiopa bezifferte 2021 die Leistungen der Versicherungen europaweit auf im Durchschnitt weniger als 30% der Bruttobeiträge. Heißt: 70% der Prämien bleiben beim Versicherer als Rohgewinn hängen. Selbst aus Daten der hiesigen Versicherer ergaben sich noch 2019 in Teilmärkten Schadensquoten von unter 1% aller Policen. Die Branche wies diese Daten in der Regel als verzerrt zurück, geizt aber selbst mit belastbaren Angaben über die Gewinnspannen (siehe auch den nächsten Punkt).

Seit Juli 2022 greift zwar ein Provisionsdeckel für die Restschuld-Versicherung von 2,5% der Darlehenssumme. Banken und Versicherer haben aber dem Vernehmen nach Wege gefunden, die Gewinne über andere Wege als über direkte Provisionen zu teilen – allen voran, indem schlicht keine Provisionen fällig werden, sondern beide Parteien sich hinterher versicherungstechnisch angefallene Gewinne teilen (für näheres dazu siehe auch unter Punkt 7 unserer großen Analyse aus dem Oktober 2022)

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4.) Um welche Beträge geht es?

Die Banken- und Versicherungslobby ist zwar empört über das drohende Verkaufsverbot, bleibt selbst aber belastbare Zahlen schuldig, wie groß der Markt überhaupt ist. Der Versicherungsverband GDV sprach zuletzt über ein jährliches Prämienvolumen von 4 Mrd. Euro, hat aber die zuvor ohnehin schon dürren und nicht vollständigen statistischen Angaben über den Markt in seinem statistischen Jahrbuch ganz gestrichen. Eine Vollerhebung mache man nicht, weil die Restschuldversicherung in der Statistik ziemlich verstreut sei, heißt es auf Anfrage beim GDV, sie tauche je nach Ausgestaltung in der Leben-, Schaden- und Unfallversicherung auf, mal mit, mal ohne Überschuss-Beteiligung, das Ganze im Einzel- oder Gruppengeschäft.

Dahinter stecken aber nach Aussagen von Insidern der Branche keine statistischen Schwierigkeiten, sondern der Unwille der größten und wichtigsten Akteure, sich in die Karten – konkret: die Profite – schauen zu lassen. Zu den Spitzenvertretern gehörten hierzulande in den vergangenen Jahren BNP Paribas Cardif, CNP Santander Insurance, die Talanx-Gruppe mit den Marken Targo Versicherung und PB Versicherung (neuerdings: LifeStyle Protection), die R+V Versicherung und die AXA Creditor.

Nachgerade ulkig ist, dass die „Initiative Restschuld-Versicherung“ – offenbar antizipierend, dass regulatorischer Ärger droht – schon 2017 eine „Marktstudie über Funktion und Bedeutung der RKV aus Wirtschafts- und Verbrauchersicht“ an der HHL Leipzig Graduate School of Management in Auftrag gab. In Bezug auf genau diesen „Markt“ heißt es darin aber lapidar, das gesamte Prämienvolumen werde auf 4 Mrd. Euro geschätzt, und „beim Leistungsgeschehen ist die Datenlage noch schwieriger statistisch zu erfassen“ – mehr gibt es nicht.

Mit der Materie vertraute Insider schilderten Finanz-Szene jedenfalls, dass es schon beim Provisionsdeckel um Erträge in der Größenordnung von 1,5 bis 2,0 Mrd. Euro für die Banken gegangen sei – von denen in der Vergangenheit wiederum mehr als 1 Mrd. Euro als Gewinn hängen geblieben wären. Das entspräche ungefähr 4% des Jahresgewinns vor Steuern, den hiesige Institute 2022 in ganz Deutschland erwirtschaftet haben.

Die Unternehmensberatung Oliver Wyman stützt diese Zahlen: Sie geht davon aus, dass der Ertragspool aus dem Vertrieb der Restschuld-Versicherungen für die hiesigen Banken vor Einführung des Provisionsdeckels bei 1,8 Mrd. Euro gelegen habe, anschließend immer noch 0,75 Mrd. Euro betragen habe, mit der Einführung der Wochenfrist aber auf 0,12 Mrd. Euro zusammenschnurren werde. Die Profitabilität einer typischen Police sei mit dem Provisionsdeckel aus Bankensicht schon um 32% gesunken– mit der einwöchigen „Abkühlperiode“ sinke sie um fast 80%, orakelt Oliver Wyman.

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5.) Welche Linie fahren Banken und Versicherer, um das Produkt zu retten?

Weil auf legislativem Wege das Gesetz quasi „durch“ ist und nun die Uhr tickt, bis die verpflichtende Pause zwischen Kreditabschluss und Versicherung am 1. Januar 2025 kommt, setzen Banken- und Versicherungslobby nun noch auf die Tatsache, dass möglicherweise die deutsche Gesetzgebung mit der EU-Gesetzgebung zur so genannten Verbraucherkredit-Richtlinie kollidieren könnte.

Die Argumentation geht sinngemäß so: Die EU-Richtlinie für Verbraucherkredite verbietet zwar Kopplungsgeschäfte aus Krediten und Restschuld-Versicherung, sprich: ein Verbraucher kann nicht gezwungen werden, auch eine Restschuld-Versicherung abzuschließen, um überhaupt einen Kredit zu bekommen. Erlaubt sind aber laut Entwurf „Bündelungs-Geschäfte“, die auch einzeln abgeschlossen werden können, und so handhabe man das ja in Deutschland in der Praxis schon lange. Was nun laut EU erlaubt sein dürfe, könne nicht mal eben national verboten werden, so die Lobbyisten. Genau hier setzt auch der Protest des Bankenfachverbands beim Bundespräsidenten an, der das Gesetz mit der einwöchigen Cooling-Off-Periode möglicherweise als europarechtwidrig erachtet.

Zwar steht die konkrete Ausgestaltung der Verbraucherkredit-Richtline hierzulande noch final aus. Der Branche läuft aber buchstäblich die Zeit davon: Bekanntlich greift die verpflichtende Ein-Wochen-Frist und damit das faktische Verkaufsverbot bereits zum 1. Januar 2025. Mit dem Inkrafttreten der EU-Verbraucherkredit-Richtlinie ist aber nicht vor Mitte 2025 zu rechnen. Selbst wenn sich die Lobbyisten noch durchsetzen können, einen Widerspruch zu konstruieren und in die Verbraucherkredit-Richtlinie einzubinden – sei ein Produkt erst einmal tot, werde es nicht von einer neuen Richtlinie ein halbes Jahr später (oder noch weiter in der Zukunft) wieder „zum Leben erweckt“, heißt es im Umfeld von Lobbyisten der Bankenbranche.

Ein „Pausieren“ kann sich kaum jemand vorstellen. Konkret heißt das: Stoppt die Branche nicht noch in irgendeiner Form die Anwendung des verabschiedeten deutschen Gesetzes, ist das Produkt tatsächlich tot, sind die Milliarden, die man damit verdient hat, futsch.

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