von Christian Kirchner und Bernd Neubacher, 18. Dezember 2022
Als das Jahr begann, das nun allmählich endet, da war die Welt noch eine bessere – auch aus Perspektive der Banken und Sparkassen hierzulande. Zugegeben, von den Zinswende war damals noch eher wenig zu spüren. Aber auch ohne Zinswende, so schien es, hatten etliche deutsche Kreditinstitute so was ähnliches wie ein Geschäftsmodell gefunden. Die Deutsche Bank? Fuhr gestützt auf ihr Investmentbanking die Erträge hoch. Die Commerzbank? Machte erstaunliche Fortschritt bei ihrer Restrukturierung. Die Landesbanken? Erwirtschafteten, zumindest sofern sie tendenziell dem südlichen oder besser noch südwestlichen Teil der Republik entstammten, endlich wieder auskömmliche Gewinne.
Und dann waren da ja noch die HCOBs und OLBs und HVBs, die ihre Cost-Income-Ratios auf fast unwirkliche Niveaus herunterprügelten. Kurzum, es schien, als hätte sich zumindest Teile der deutschen Kreditwirtschaft mit der Niedrigzins-Ära arrangiert, statt immer nur zu klagen über sie.
Und das Allerschönste: So ein bisschen Zinswende-Hoffnung war ja durchaus erlaubt. Es gab also sogar Grund zu der Annahme, dass 2022 alles sogar noch ein bisschen besser werden würde … Heute weiß man: Es wurde schlechter. Denn es kam zwar die Zinswende. Aber es kamen auch der Krieg und der ganze andere Kladderadatsch. Und auch wenn manche Banken 2022 noch einen kurzen „Sweet Spot“ erwischt haben (niedrige Risikovorsorge, bis Jahresmitte hohes Baufi-Volumen, steigende Zinserträge), so dürfte klar sein: 2023 werden unsere Banken und Sparkassen endgültig in eine neue Welt eintauchen. Darum haben wir uns im ersten Teil unserer zehnteiligen Ausblicks-Serie der Frage gewidmet, welche Faktoren im kommenden Jahr über die GuVs entscheiden könnten.
2021 kam es bei den Kosten zu einem regelrechten Dammbruch: Um 5 Mrd. Euro beziehungsweise 6% zogen die Personal- und Sachkosten von Banken und Sparkassen laut Bundesbank-Daten an. Beispiellos.
Was den Befund umso erschreckender macht: Der Anstieg vollzog sich vor dem Hintergrund einer Inflationsrate von gerade mal 3,1%. Inzwischen liegt sie eher bei 10%. Das heißt, da ja auch für Banken und Sparkassen alles teurer wird (also Strom, Miete, IT, externe Dienstleistungen etc.pp.), drohen bei den Verwaltungsaufwendungen in 2023 sogar noch dramatischere Erhöhungen. Vielleicht mal zwei Datenpunkte zur groben Orientierung:
Wichtig in dem Kontext: Bei den Privatbanken laufen die Tarifverträge zwar noch bis Anfang 2024 – bei den Sparkassen allerdings stehen Tarifverhandlungen unmittelbar bevor. Eine erste Forderung hat die Arbeitnehmerseite bereits formuliert: 10,5% mehr Lohn.
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Vor dem Hintergrund der Zinswende wird zur entscheidenden Frage: Welche Banken verfügen über ausreichend Einlagen oder sogar über einen Passivüberhang? Denn mit dem lässt sich (nachdem die EZB den Einlagenzins ja vergangene Woche sogar auf 2,0% hob) plötzlich wieder gleichsam risikofrei Geld verdienen (oder die Kapitalmarkt-Refinanzierung substituieren). Plus: Granulare Kundeneinlagen sind ja auch regulatorisch privilegiert – was die letztem Jahr kaum ins Gewicht fiel, da die Nachteile der Negativverzinsung überwogen.
Bislang erweisen sich die Einlagen als sticky. So lag der durchschnittliche Effektivzins auf tägliche fällige Gelder privat Haushalte (vulgo: Tagesgeld und Girokonto-Guthaben) per Oktober immer noch bei nur 0,02%. Doch wird das so bleiben? Die ING Diba zum Beispiel gibt es aktuell größte Mühe, einen Zinswettlauf vom Zaun zu brechen (siehe unsere Berichterstattung vergangene Woche hier). Uns selbst eine mit „Investmentgrade“-Rating ausgestattete (Wholesale-)Bank wie die Aareal zahlt aufs Festgeld inzwischen wieder über 3% Zinsen.
Werden einlagenstarke Banken und Sparkassen gezwungen, die Zinsen nun ebenfalls anzuheben? Noch haben Deutsche Bank, Commerzbank sowie die allermeisten Sparkassen und Volksbanken nicht gezuckt. Aber wehe, sie müssen zucken – dann wird’s teuer angesichts von zuletzt rund 2500 Mrd. Euro täglich fälliger Einlagen bei Privat- und Firmenkunden.
Dass die Risikovorsorge steigen wird – so viel scheint klar. Aber wie stark wird sie steigen??? Was die Lage so brisant macht, das ist die enorme Fallhöhe. Denn jahrelang haben vor allem die großen Banken den Unternehmen sehr niedrige Ausfallraten unterstellt, zumal die Zinsbelastung der Schuldner verlässlich sank (Ende 2020 lag der entsprechende Zinsaufwand bei nur rund 1% der Bilanz, wie die Buba ausgerechnet hat). Nun aber treibt die Zinswende diese Quote in die Höhe. Mit womöglich höchst ungemütlichen Folgen.
Dazu muss man wissen: In der Vergangenheit ließ ein Anstieg der Zinsaufwandsquote um einen Prozentpunkt die von Banken ermittelte Ausfallwahrscheinlichkeit für Unternehmenskredite im Mittel um knapp 0,1 Prozentpunkte anziehen. Klingt unspektakulär, bedeutet laut Bundesbank aber, „dass sich die Ausfallwahrscheinlichkeiten derzeit um ungefähr 30% erhöhen würden“. Auch dürften schlechtere Konjunkturaussichten die Ausfallrisiken „signifikant“ treiben, so die Notenbanker. Zugleich zeigten vor allem die großen, systemrelevanten Banken, die ihren Eigenkapitalbedarf mit internen Modellen selbst berechnen, momentan niedrige Risikogewichte bei ihren Unternehmenskrediten auf. Zu niedrige?
In 2022 fielen die Risikokosten der deutschen Banken bislang seltsam moderat aus. Und das, obwohl IDW-Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann zuletzt betonte, die Bilanzierungsregeln stünden „der Bildung umfangreicher Risikovorsorge keineswegs entgegen“. Das IDW (das Kürzel steht für Institut der Wirtschaftsprüfer) jedenfalls will sich die 2022er-Abschlüsse „genau anschauen“. Und auch die Aufsicht ist sensibilisiert, wie wir dieser Tage in unserem Artikel -> „EZB erklärt Makro-Schocks und Kreditrisiken zu obersten Prioritäten“ aufgedröselt hatten. Interessant in diesem Zusammenhang auch, dass die Commerzbank vor ein paar Wochen dargelegte, das Szenario einer bundesweiten Gasrationierung könne ihr eine zusätzliche Risikovorsorge zwischen 500 Mio. und 600 Mio. Euro abverlangen. Das wäre rund ein Fünftel des von Analysten für 2023 erwarteten Betriebsgewinns.
Was derweil Hoffnung macht:
Klassischerweise verpflichtet der internationale IFRS-Standard die Banken auf eine Rechnungslegung zu Marktpreisen – während das heimische HGB es den Instituten erlaubt, etwaige Preisschwankungen über ihre stillen Reserven abzufedern. Die Frage ist: Wie viel sind diese Unterschiede in der Praxis noch wert? Der Mitte November vorgestellte Finanzstabilitäts-Bericht der Bundesbank jedenfalls zeigte: Das HGB schützt nicht schlechten Nachrichten. So hielt die Buba öffentlich fest, dass bei Sparkassen und VR Banken im ersten Halbjahr stille Reserven im Umfang von knapp 22 Mrd. Euro verdampft seien (siehe hier). Zitat: „Den Banken stehen damit im Aggregat vorerst keine stillen Reserven mehr zur Verfügung, weshalb weitere Wertverluste unmittelbar zu entsprechenden Abschreibungen und Verlusten führen würden.“
November 2022: Die Buba ruft Alarm. Und bei dutzenden Sparkassen springen die Warn-Ampeln an
Es hat den Anschein, als würden sich die Unterschiede zwischen IFRS und HGB nivellieren. Übrigens nicht nur bei der Bewertung von Wertpapieren, sondern auch bei der Risikovorsorge. So fordern Bafin und Bundesbank dieser Tage von mehr als 1.000 nach HGB bilanzierenden Instituten, sich u.a. zu etwaigen Drohverlust-Rückstellungen zu erklären (siehe unser Scoop -> Bafin schaltet in Alarm-Modus und befragt 1.500 hiesige Banken zu Zinsrisiken). Den europäischen Großbanken schrieb derweil die EZB erst vergangene Woche in Prioritätenbuch, die Rahmenwerke zur Bildung von Risikovorsorge gemäß IFRS9 würden überprüft (siehe ->EZB erklärt Makro-Schocks und Kreditrisiken zu obersten Prioritäten). Heißt im Hinblick auf 2023: Egal nach welchem Bilanzstandard – die Aufseher werden peinlich genau darauf achten, dass sich Banken und Sparkassen bilanziell gegen etwaige Ausfälle wappnen. Ein schönes Beispiel, in welche Richtung es gehen könnte, lieferte im ersten Halbjahr die LBBW, die per Model-Adjustment eine Extra-Risikovorsorge von 90 Mio. Euro bildete.
Und was heißt das alles im Hinblick aufs Eigenkapital? Nun – wenn bei den Primärbanken der beiden Verbünde die stille Reserven verdampft sind, wie die Bundesbank sagt, dann müsste sich das ja auch in den bislang durch die Reserven aufgepolsterten Kapitalquoten zeigen. Hier könnte nun der im Aufsichts-Jargon „interner Prozess zur Sicherstellung einer angemessenen Ausstattung mit Kapital“ (ICAAP) genannte Prozess interessant werden. Denn dieser ermöglichte es (den nach HGB bilanzierenden) Banken laut Marktbeobachtern, bei der Ermittlung des Eigenkapitals auf das Volumen der stillen Reserven zu verweisen und darauf zu drängen, diese zur Abdeckung von Zinsrisiken heranziehen zu dürfen. Und nun? Setzt diese Mechanismus, wenn er sich nun verkehrt, die Kapitalquoten zusätzlich unter Druck?
Letzter Gedanke: Stille Reserven finden sich in geringerem Maße ja auch in der IFRS-Logik, und zwar in der Kategorie „Held to maturity“. Bei den entsprechenden Aktiva brauchten die Institut etwaige Marktschwungen weder in der GuV noch beim Eigenkapital nachzuvollziehen. Gut möglich, dass auch hier böse Überraschungen lauern.
2022 haben die Banken in der besten aller Zinswelten gelebt: Die Einlagenverzinsung lag effektiv nahe 0%, aber die Kreditzinsen kletterten kräftigst an – alleine Kredite für die Baufinanzierung mit zehnjähriger Zinsfestschreibung um in der Spitze 300bp auf über 3%. Auch Konsumenten- und Firmenkredite verteuerten sich. Nun zeichnet sich allerdings ab, dass die Zinskurve „invertiert“ – die kurzfristigen Zinsen bei Staatsanleihen steigen immer weiter und über die schon wieder – sinkenden – Langfristzinsen hinaus. Das passiert häufig im Vorfeld von Rezessionen, wenn zugleich der Anleihenmarkt schon wieder die späteren Zinssenkungen einpreist (siehe unsere Analyse hier).
Je deutlicher sich diese Inversion ausprägt, desto gefährlicher wird das Zinsgeschäft für Banken und Sparkassen. Denn diese finden sich gewissermaßen am falschen Ende der Gleichung, weil sie immer höhere Zinsen für kurzfristige Einlagen zahlen müssen und immer weniger für die langfristigen Kredite verlangen können. Und: Sie brauchen eine vitale Kreditnachfrage, um die niedrig verzinsten Altkredite durch lukrativeres Neugeschäft zu ersetzen. Bricht die Kreditnachfrage zusammen, wie es in Rezessionen oft der Fall ist, zeigen sich die Problem gleich doppelt: Das Aktivgeschäft gerät unter Druck – und zugleich sorgt die invertierte oder zumindest flache Zinskurve für sinkende Zinsspannen, aus denen man schöpfen kann.
So dramatisch muss es 2023 nicht kommen. Es könnte aber.
Deutschlands Banken haben in den Jahren des Zinstiefs das Provisionsgeschäft gelernt. Allein von 2018 bis 2021 stieg der aggregierte Provisionsüberschuss der deutschen Kreditwirtschaft von 29,5 Mrd. auf 37,9 Mrd. Euro. Doch nun? Für 2022 gibt es noch keine branchenweiten Zahlen. Indizien deuten aber darauf hin, dass der Peak überschritten ist:
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