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Tatort Geldautomat: Der aussichtslose Kampf der Banken

Es gab Zeiten, da war echte Kriminalität in audiovisuellen Medien noch eine weitgehend exklusive Sache von „Aktenzeichen XY“. Hier mal eine wacklige Kamerasequenz aus einem Banküberfall. Da ein unscharfes Schwarz-Weiß-Bild. Und natürlich jede Menge nachgespielte Szenen.

Wer sich dagegen heute – in Zeiten von rund 60 Mio. Smartphone-Nutzern allein hierzulande – mal ein bisschen Kriminalität reinziehen will, der geht einfach auf Youtube. Das Videoportal ist voll von Clips nächtlicher Geldautomaten-Sprengungen. Und fast jede Woche kommen neue Filmchen hinzu.

Was bei manchen Augenzeugen (die dann vom Balkon aus filmen, wie in der Filiale gegenüber der Automat in die Luft gejagt wird) ein Gefühl wohligen Kitzels auslösen mag, ist für Banken und Sparkassen längst ein massives Problem. Die quantitativen Ausmaße hatte Finanz-Szene.de bereits Anfang Juni beschrieben (siehe hier): Allein bis Ende Mai hatte das nordrhein-westfälische LKA damals schon NRW-weit 92 Sprengungen bzw. Sprengversuche gezählt und damit fast so viele wie im gesamten Vorjahr (104). Seitdem? Haben sich die Probleme nach Finanz-Szene.de vorliegenden Daten sogar noch einmal verschärft. Per Ende August lagen die Fallzahlen um 130% (!) über dem entsprechenden Vorjahreswert. Im Schnitt knallt es im bevölkerungsreichsten Bundesland damit inzwischen viermal pro Woche. Legt man die 2019er-Zahlen zugrunde, dann erbeuten die Täter je erfolgreichem Sprengversuch rund 110.000 (!) Euro.

Die Zahlen allerdings sind nur das eine. Das andere ist die wachsende Brutalität der Täter und die zunehmende Ohnmacht nicht nur der Behörden, sondern auch der Banken und Sparkassen. Finanz-Szene.de hat in den zurückliegenden Wochen mit diversen Insidern gesprochen, darunter den Sicherheitsexperten von drei der größten deutschen Banken bzw. Bankengruppen. Die Schilderungen aus der Szene ähneln sich: Welche Maßnahmen man auch ergreife – am Ende gewännen fast immer die Täter.

Tatsächlich ist deren mittlerweile erreiche Professionalität bemerkenswert: Die Täter sind gut organisiert, sie regeln arbeitsteilig den Diebstahl der Fluchtwagen, die  Sprengung der Automaten und die Flucht vom Tatort. Die Banken versuchen zu kontern.  Sie errichten physische Barrieren. Setzen auf Geldfärbemittel. Oder installieren Verneblungsmaschinen. Doch keine dieser Maßnahmen schreckt die Kriminellen dauerhaft ab. Bis die Banken irgendwann derart resignieren, dass sie die Automaten an manchen Standorten schlicht abbauen.

Der Kampf droht endgültig ein aussichtsloser zu werden, seit die Täter nicht mehr nur explosive Gasgemische einsetzen – sondern erheblich zerstörerischen Festsprengstoff, mit dem sie die Geldkassetten regelrecht freibomben. Laut dem Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ des BKA kam letztes Jahr bundesweit in lediglich 18 Fällen kein Gasgemisch zum Einsatz. Dagegen zählten allein die Behörden in NRW in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits 50  Angriffe mit Festsprengstoff. Die Folge sind erheblich größere Schäden. Es wurden sogar schon Fälle bekannt, in denen ganze  Häuser und Schulen evakuiert werde mussten. Wie vergangene Woche im nordrhein-westfälischen Walbeck.

Einer der genannten Sicherheitsexperten beschreibt die Lage so: „Wir befinden uns in einer Zwickmühle: Je ausgefeilter unsere Sicherheitstechnik, desto größer der Anreiz für die Täter, immer mehr Festsprengstoff einzusetzen, um brachial an das Geld zu kommen. Das heißt auch: Je mehr wir für die Sicherheit tun, desto größere Sprengungen provozieren wir.“

Je länger man mit den Insidern spricht, desto mehr Details kommen aufs Tapet …

  • Eine namhafte deutsche  Bank war vor einiger Zeit besonders häufig Ziel von Sprengungen. Daraufhin beauftragte das Institut einen traditionellen Schweißer, die Schwächen des hauseigenen Geldautomaten auszumerzen. Der Schweißer kaum auf die Idee, einen Bolzen einzusetzen, der die Einleitung des explosiven Gasgemischs an der richtigen Stelle verhinderte. In der untereinander gut vernetzten Bankenbranche machte diese zeitweise erfolgreiche Lösung unter dem Namen „Oldenburger Riegel“ die Runde. Die Sprengungen gingen zunächst tatsächlich zurück, ehe die Täter aber einen Workaround versuchten und die Seitenwände des Geldautomaten absprengten, ehe sie sich an den Innereien zu schaffen machen. Das typische Bild der auf diese Art geknackten Geldautomaten trägt unter Sicherheitsexperten den Titel „Elefentenohren“, weil die abstehenden Seitenflügel des traktierten Automaten an ebensolche erinnern.
  • Zumindest zeitweise bestand ein probates Mittel darin, Schalterhallen bei starken Erschütterungen komplett zu vernebeln, um die Tatausführung zu erschweren und zu verlängern. Doch auch hier fanden Täter (auf Youtube zu sehende) Gegenmittel: Umgebaute Abluftanlagen von Wäschetrocknern entlüfteten Geldautomaten-Foyers ebenso schnell, wie sie zuvor zugenebelt worden waren.
  • Ebenfalls zeitweise erfolgreich war das Prinzip der „Permanentzündung“: Wenn in Geldautomaten in Gefahrensituationen dauerhaft kleinere Explosionen ausgelöst werden, verhindert das, dass eingeleitete, explosive Gasgemische eine gefährliche Konzentration erreichen. Sie kokeln quasi permanent ab, ohne eine für die Sprengung kritische Größe zu erreichen. Das Problem jedoch: „Sind wir am Ende juristisch oder moralisch dafür verantwortlich, wenn der Pemanentzünder doch eine größere Explosion auslöst und einen Geldautomatenräuber verletzt oder tötet? Oder gar Anwohner“, sagt einer der Sicherheitsexperten, mit denen wir sprachen.
  • Viele Banken verriegeln inzwischen nachts die Schalterhallen und SB-Zonen und begründen dies abstrakt mit „Vandalismus-Gefahren“. Doch eine geschlossene Tür vor dem SB-Bereich hält Täter nicht ab. Inzwischen kommt es  zu Mehrfachsprengungen. Erst wird die Tür zerstört. Und dann der Automat.
  • Als Klassiker der Sprengungsprävention gelten energieabsorbierende Matten. Das physikalische Kalkül: Wenn die Unterseite der Geldautomaten die Energie einer Sprengung teilweise aufnehmen kann, sinkt das Risiko, dass die Täter ans Geld gelangen. Diesen und anderen Maßnahmen begegnen die Täter indes schlicht mit dem Einsatz von immer mehr und immer gefährlicherem Sprengstoff.
  • Ein traditioneller Schutzmechanismus ist das Färben von Geldscheinen bei Beschädigung oder starken Erschütterungen. In der Praxis hält das aber Geldautomatenknacker nicht von der Sprengung ab. Denn: Auch für gefärbtes Geld gibt es einen Absatzmarkt. „Die Scheine gehen dann ganz granular irgendwo in ganz Europa über hunderte Club-Theken, wo nachts nicht näher hingesehen wird beim Bezahlen“, heißt es bei einer Bank.

Dass die Banken immer wieder das Nachsehen haben, führt dazu, dass in der Szene schon seit langem ein Gerücht kursiert, wonach die Banken, um Geld zu sparen, die Sicherheit der Öffentlichkeit und insbesondere der Anwohner aufs Spiel setzen. Der Verdacht lautet: Haben die Institute zu lange auf eine alte, besonders leicht zu sprengende Automatenart gesetzt? Tatsächlich zeigen Bilder und Videos von gesprengten Geldautomaten sehr häufig einen bestimmten Typus – nämlich Geräte der sogenannten 2000er-ProCash-Serie von Wincor Nixdorf. Mitte 2017 zitierte die „BILD“ aus einem geheimen Strategiepapier des nordrhein-westfälischen LKA. Dort hieß es:  Besonders „beliebt“ sei der „ProCash 2000“ . Er sei durch seine Bauart leicht zu öffnen.

Was stimmt: Die Automaten gibt es gebraucht im Import bereits ab rund 1000 Euro im Internet zu bestellen, ein 3D-Plan von Automat und Innereien kostet schlappe 20 Euro, die technischen Sicherungen des seit den Nullerjahren massenhaft ausgerollten Typen sind von Haus aus überschaubar. Allerdings ist dieser Typ wohl eher deshalb so oft Ziel von Sprengungen (gewesen), weil er in Deutschland laut Brancheninsidern auf eine Verbreitung in der Größenordnung von 70-80% kommt. Experten sagen, die Sicherheitstechnik auch dieses Automatentypen sei über die Jahre erheblich verfeinert worden.

Dem Eindruck, man vernachlässige die Sicherheit, tritt man in Bankkreisen mit Nachdruck entgegen. „Wir wären ja vollkommen verrückt, es nicht zu tun, wenn wir das Problem der Sprengungen mit einem simplen Upgrade der Automaten lösen könnten“, sagt ein Verantwortlicher. Die Wahrheit sei: Es sei für Banken und Behörden fast unmöglich, mit der kriminellen Energie der bestens organisierten Täter mitzuhalten. Ganz unabhängig vom Automatentypus.

Gleichwohl gibt es Banken, die das Problem zumindest zeitweise zurückdrängen konnten. Dazu sind dann allerdings erheblichste Mittel erforderlich – ohne dass der Erfolg der Operationen garantiert wäre. Was man tun kann: Die Automaten schlicht überwachen. Ein anderes Mittel ist der konsequente Abbau von Risikostandorten. Längst existieren in den Banken entsprechende Scoringsysteme. „Ein Viertel unserer als riskant eingestuften Geldautomaten führt nachts gar kein Geld mehr“, heißt es bei einer Bank. Sie scheint mit dem Ansatz für den Moment Erfolg zu haben. In der Liste der Banken, deren Automaten in diesem Jahr in NRW schon Ziel eines Anschlags waren, taucht der Name nicht auf.

Andererseits: Welchen Sinn macht ein Geldautomat ohne Geld?

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