von Heinz-Roger Dohms und Thomas Borgwerth, 5. Mai 2020
Deutschlands größter Sparkasse, der Hamburger Haspa, droht ein bilanzieller Scherbenhaufen. Das geht aus dem 2019er-Geschäftsbericht hervor, der seit einigen Tagen öffentlich einsehbar ist. Was man dazu wissen muss: Die Haspa hatte ihre Erträge jahrelang öffentlich unbemerkt über sogenanntes Kreditersatzgeschäft gespusht. Dadurch sah es immer so aus, als stünde das Institut bilanziell eigentlich ganz gut dar. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung 2015. Da stiegen die laufenden Erträge aus “Aktien und anderen nicht-festverzinslichen Wertpapieren” auf satte 158 Mio. Euro – was aber niemanden auffiel, weil Sparkassen diese Erträge gern nonchalant dem Zinsüberschuss zuschlagen.
Wie aus dem aktuellen Geschäftsbericht hervorgeht, befinden sich die Erträge aus dem Kreditersatzgeschäft inzwischen allerdings im freien Fall. 2018 erreichten sie nur mehr 87 Mio. Euro, im vergangenen Jahr dann sogar nur noch 33 Mio. Euro. Die Folgen für die Gewinn- und Verlustrechnung sind beängstigend: Innerhalb der letzten drei Jahre ist das operative Ergebnis der Hamburger Sparkasse um fast vier Fünftel (!) auf zuletzt nur noch 43 Mio. Euro zurückgegangen. Das bedeutete für 2019 eine Eigenkapitalrendite vor Steuern von lächerlichen 1,2%. Dividiert durch die Bilanzsumme von 46,6 Mrd. Euro lag die Rendite bei nicht einmal mehr bei 0,1%.
Die GuV-Implosion könnten erklären, warum die Hamburger Sparkasse in diesem Jahr auf eine Bilanz-Pressekonferenz verzichtete. Stattdessen kommunizierte das Institut Anfang Februar bilateral gegenüber einzelnen Medien einen Gewinnrückgang von 40%. Das allerdings betraf das Ergebnis nach Steuern. Das eigentliche Drama – nämlich der Gewinneinbruch vor Steuern – wurde nicht kommuniziert.* Ebenso wenig wie der Umstand, dass die Haspa 2019 praktisch gar keine Steuern mehr bezahlt hat (was überhaupt erst der Grund war, warum das Institut beim Nachsteuergewinn einigermaßen glimpflich davonkam).
Wie stark die Hamburger Sparkasse vom Kreditersatzgeschäft lebt und wie stark dieses und damit die übrigen Kennziffern zuletzt eingebrochen sind, zeigt sich, wenn man das Ganze tabellarisch aufdröselt:
Die Erträge aus “Aktien und anderen nicht festverzinslichen Wertpapieren” entwickelten sich seit 2015 wie folgt:
Als Konsequenz sank das, was die Hamburger Sparkasse als ihren “Zinsüberschuss” bezeichnet (also inklusive der Erträge aus Aktien und anderen nicht-festverzinslichen Wertpapieren), folgendermaßen:
Damit sank auch der operative Gewinn:
… und es implodierte die Eigenkapitalrendite vor Steuern (in%):
Da die Haspa aber 2019 praktisch keine Steuern mehr bezahlte (jetzt wieder in Mio. Euro) …
… konnte der Vorstand in den Pressegesprächen Anfang Februar darauf verweisen, dass der Gewinn ja “nur” um 28 Mio. Euro zurückgegangen sei (während es vor Steuern erschreckende 86 Mio. Euro waren):
In der Pressemitteilung zum 2019er-Ergebnis (die auf Anfrage auch nicht-ausgewählten Medien zugesandt wurde) war von alldem freilich nicht die Rede – obwohl das Dokument vier eng beschriebene DIN-A4-Seiten umfasste (siehe hier). Stattdessen sparte die Haspa das Kreditersatzgeschäft und dessen Effekte schlichtweg aus. Wie schon seit Jahren.
Warum der Vorstand damit öffentlich durchkommt? Vermutlich weil die Gewinn- und Verlustrechnung inzwischen von so vielen im Kern nicht-operativen Einflussgrößen bestimmt wird, dass ohnehin niemand mehr durchblickt.
Versuchen wir es trotzdem: Wie steht die Haspa wirklich da?
Nimmt man nur den eigentlichen Zinsüberschuss (also ohne das Kreditersatzgeschäft), dann steht die Haspa so gut da wie kaum eine andere Bank oder Sparkasse in Deutschland. Bis 2018 konnte das Nord-Institut sein Zinsergebnis kontinuierlich steigern, selbst 2019 lag der Überschuss noch um 2,1% über dem von 2015.
Darüber hinaus schafft es die Hamburger Sparkasse dank der konsequent betriebenen Bepreisung ihres “Joker” genannten Girokontos, auch den Provisionsüberschuss konsequent zu steigern:
Kann sein, dass die Haspa ertragsseitig einen guten Job gemacht hat. Kann auch sein, dass sie einfach nur von ihrer starken Marktststellung und der jahrelang boomenden Hamburger Wirtschaft profitierte. An den Zahlen ist jedenfalls nicht das Geringste auszusetzen (oder zumindest stellt es sich für uns so dar).
Das Problem der Hamburger Sparkasse liegt auf der Kostenseite. Dabei hat das Institut seine Personalkosten auf den ersten Blick im Griff. Die Lohnausgaben sind stabil, die Sozialabgaben zuletzt sogar gesunken:
Dennoch sind die allgemeinen Verwaltungs-Aufwendungen seit 2016 um 11,3% gestiegen …
… was vor allem an einem schon seit Jahren üppigen, 2019 aber sogar noch einmal explodierten Kostenblock namens “sonstige betriebliche Aufwendungen” liegt.
Warum sind die “sonstigen betrieblichen Aufwendungen” derart hoch? Zum einen kommt das daher, dass der wesentliche Geschäftszweck der Hamburger Sparkasse schon seit Jahren darin zu liegen scheint, die Altersvorsorge ihrer (auch zukünftigen) Ex-Mitarbeiter zu erwirtschaften. Allein 2019 wurde den Pensions-Rückstellungen 92,6 Mio. Euro zugeführt – also gut das Doppelte des operativen Ergebnisses. Insgesamt liegen in dem Vorsorgetopf jetzt unfassbare 1,036 Mrd. Euro.
Nun erklären die Pensions-Rückstellungen die “sonstigen betrieblichen Aufwendungen” nur zum Teil. Woher kommt der Rest?
Die Hamburger Sparkasse ist eine jener Banken, die sich fortwährend in irgendwelchen kostspieligen Groß- und Kleinprojekten befinden:
Vielleicht hat die Projektfreude dazu beigetragen, dass die Haspa ihre operativen Erträge in den letzten Jahren steigern und die Lohnkosten (jedenfalls die im engeren Sinne) konstant halten konnte. Zugleich gehen die ständigen Umbauarbeiten aber Jahr für Jahr an irgendwelchen Stellen der GuV ganz ordentlich ins Geld. So verursachte das “Zukunftsprojekt Haspa Spring” 2019 allein für den Personalabbau eine Rückstellung von 62,4 Mio. Euro. Auch diese 62,4 Mio. Euro befinden sich in den “sonstigen betrieblichen Aufwendungen”.
Und schließlich ist da besagtes Kreditersatzgeschäft. Dieses wird schon seit vielen Jahren über “Spezialfonds” betrieben, die Namen wie “Jupiter 1” oder “Wikinger 2” tragen und die in nahezu alles investieren, was Rendite verspricht. Europäische und internationale Aktien. Staats- und Unternehmensanleihen. Immobilien und Pfandbriefe.
Warum die Erträge aus diesen Vehikeln nicht mehr sprudeln, wird aus den Geschäftsberichten nicht ganz klar. Es könnte aber (ganz unspektakulär) zum einen mit dem allgemeinen Renditetief und zum anderen damit zu tun haben, dass die Haspa das schiere Volumen dieser Geschäft zuletzt dann doch mal lieber zurückgefahren hat:
Die Haspa scheint also ordentlich Risiko rausgenommen zu haben. Dafür fehlen jetzt jene Erträge, die in der Vergangenheit Jahr für Jahr das Ergebnis gerettet hatten.
Auf Anfrage teilt die Haspa mit:
“In 2018 haben wir mit der Neuausrichtung unserer Kapitalanlage begonnen und diese in 2019 fortgeführt. In diesem Zuge haben wir das Volumen unserer Spezialfonds zurückgefahren. In der Folge reduzierten sich damit auch die Ausschüttungen aus den Spezialfonds – dies war für 2019 so auch geplant.”
Unterm Strich ergibt sich das Bild einer Sparkasse, bei der die positive operative Grundtendenz (stabiles Zinsergebnis, wachsender Provisionsüberschuss, niedrige Risikovorsorge) seit Jahren durch immens hohe Kosten konterkariert wird – wodurch der Gewinn letzten Endes immer am Kreditersatzgeschäft hängt. Bis 2017 ging das noch einigermaßen gut. 2018 dann nicht mehr wirklich. Und 2019 – einem an sich starken Böesenjahr – folgte schließlich die Implosion.
Und wie nun weiter?
In ihrem Prognosebericht ging die Haspa für 2020 von einem Zinsüberschuss (inkl. Kreditersatzgeschäft) nochmals “deutlich unter dem Niveau des abgelaufenen Jahres” aus. Zudem wurde bei der Risikovorsorge “mit einem deutlich höheren Niveau” gerechnet wurde. Also zwei eindeutige Belastungsfaktoren. Dafür fiel der Ausblick beim “sonstigen betrieblichen Ergebnis” (das den Mega-Kostenblock “sonstige betriebliche Aufwendungen beinhaltet) “deutlich günstiger” aus.
Zur erwarteten Entwicklung des operativen Ergebnisses äußert sich der Geschäftsbericht zwar nicht. Aber dass 2020 ohne Corona wirklich besser gelaufen wäre als 2019 – dafür finden sich im Prognosebericht kaum Anhaltspunkte. Und mit Corona? Das mag man sich lieber nicht ausmalen.