von Christian Kirchner, 5. Mai 2021
Es gibt Themen, zu denen referiert man dieser Tage durchaus gerne bei der Deutschen Bank. Die Erfolge im Investmentbanking. Die Fortschritte beim Konzernumbau. Der in steter Erholung befindliche Aktienkurs. Bei anderen Stichwörtern ist die Auskunftsfreude weniger ausgeprägt. Der Zoff mit der Bafin. Die interne Bad Bank. Oder auch, plötzlich wieder topaktuell – die Kapitalausstattung!!! Rund 500 Mio. Euro, so verlautete gestern Früh, sollen über die Emission einer Nachranganleihe in die Deutsche Bank fließen.
Nun kommt die Meldung einerseits nicht unerwartet; die Deutsche Bank hatte die Ausgabe sogenannter „Coco Bonds“ in ihrem Emissionsplan bereits angekündigt. Andererseits: Wozu, bitteschön, braucht Herr Sewing eine halbe Milliarde Euro? Hinter der Bank liegt das erfolgreichste Quartal seit Jahren; Dividenden schüttet sie keine aus; und: Lag die Kernkapitalquote nicht zuletzt 3,2 Prozentpunkte über dem geforderten Mindestwert?
Ja, tat sie. Allerdings – und hier wird die Sache nun knifflig: Es gibt sozusagen zwei Mindestwerte. Einen „Muss“-Wert (das ist der, der immer zitiert wird und im Falle der Deutschen Bank bei 10,4% liegt). Und einen „Soll“-Wert. Von dem weiß man nur, dass er ein gehöriges Stück über dem „Muss“-Wert liegen dürfte. Doch wie viel ist es exakt? Und vor allem: Wie viel Puffer bleibt der Deutschen Bank dann noch??? Zumal die Risiken (Stichwort: RWA) zuletzt wieder gestiegen sind und die Regulierer (Stichwort: bankinterne Risikomodelle) demnächst aber mal so richtig ernst machen.
Ein Deep Dive ins Eigenkapital der Deutschen Bank:
Beginnen wir mit der simpelsten Frage überhaupt: Welche zusätzlichen Polster weisen die großen europäischen Banken auf? Genauer gesagt: Wie groß ist der Unterschied zwischen der (jeweils unterschiedlichen) regulatorischen Mindestanforderung an die Kernkapitalquote CET1 und der tatsächlichen Kernkapitalquote? Hier eine Auswertung der Ratingagentur Standard & Poor’s von vor gut einem Monat auf Basis der 2020er Zahlen:
Quelle: Standard & Poor’s, Stand März 2021
Kurzum: Keine andere europäische Großbank hatte per Ende 2020 einen derart kleinen (relativen) Puffer zwischen Soll und Ist beim harten Kernkapital wie die Deutsche Bank. Als da wären: nur 3,2 Prozentpunkte. Dabei fällt die regulatorische Mindestkapitalquote wegen eines „Corona-Rabatts“ bereits niedriger aus als normal, denn durch eine im März 2020 beschlossene (und bis heute gültige) regulatorische Erleichterung sank die Anforderung im Fall der Deutschen Bank von 11,6% auf 10,4%.
Anders gesagt: Ohne diese Erleichterung würde der Puffer sogar nur 2,0 Prozentpunkte betragen.
Nun ist das alles noch kein Drama. Zumal die Deutsche Bank mit 1 Mrd. Euro Nettogewinn im Q1 bewiesen hat, dass die Richtung stimmt und sie die Kernkapitalquote nochmals leicht auf 13,7% steigern konnte. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine vorübergehende Verbesserung, bevor die Lage wieder schlechter werden wird: So hat das Frankfurter Institut bereits angekündigt, dass die Kernkapitalquote im Q2 aufgrund mehrerer aufsichtsrechtlicher Veränderungen wohl um 0,8 Prozentpunkte sinken werde – was auf knapp 13% hinaus liefe. Genau darin steckt auch offiziell ein Grund für die gestrige Nachrang-Emission. Und was die Deutsche Bank auch bereits angekündigt hat: Mit Blick auf das Jahresende gibt sie die Erwartung aus, mehr als 12,5% zu erreichen.
Im Klartext heißt das dennoch: Der Puffer zwischen „Ist“ und „Muss“ schmilzt womöglich – bei der europäischen Großbank, die ohnehin bereits das dünnste Eis unter den Füßen hat. Und das, obwohl sie noch nicht mal mit Dividendenzahlungen begonnen hat. Was sie für 2022 ff. angekündigt hat.
Nun ist es so, dass die Aufseher nicht nur sagen, wie viel Kapital eine Bank vorhalten muss – nein, sie sagen auch, wie viel Kapital sie vorhalten sollte.
Das (offizielle) Zauberwort lautet:“Pillar 2 Guidance“ oder auch „Säule 2 Empfehlung“. Das Ganze funktioniert etwa so: Die Bankenaufseher – im Fall der Deutschen Bank ist das die EZB – unterziehen die Institute bekanntlich regelmäßig einem Stresstest. Dieser untersucht, wie stark sich die Kapitalausstattung, das Risikoprofil und die Liquidität in bestimmten Stresszenarien wie Wirtschaftseinbrüchen oder starken Veränderungen des Zinsniveaus verändern. Die Erkenntnisse dieser Stresstests fließen dann in eine nachdrückliche Empfehlung der Aufseher an jede individuelle Bank ein, wie viel Eigenkapital sie besser vorhalten sollte, um für solche Szenarien gerüstet zu sein.
Im Geschäftsbericht 2020 der Deutschen Bank steht dazu: „Der Kapital-Zusatzbetrag gemäß der Säule-2-Empfehlung besteht eigenständig von und ergänzend zur Säule-2-Anforderung. Die EZB hat ihre Erwartung geäußert, dass Banken die Eigenmittelzielkennziffer einhalten.“ Letzterer Satz bedeutet so viel wie: „Es wäre sehr, wirklich seeeeeehr schön, liebe Deutsche Bank, wenn ihr nicht nur eine Kernkapitalquote von 10,4%, sondern von 10,4% plus weitere regulatorische Mindestquoten plus x% vorhalten würdet!“
Nur wie groß ist „x“, zumindest mit Blick auf die Säule-2-Empfehlung? Wie viel Kapital sollte die Deutsche Bank nach Ansicht der EZB vorhalten?
Die kurze Antwort: Genau das verrät die Deutsche Bank nicht. Auch nicht auf Nachfrage (wobei sie nicht die einzige größere Bank ist, die in diesem Punkt die Auskunft verweigert – das heißt: marktüblich ist das Schweigen durchaus).
Das Dumme ist nur: Bei der Deutschen Bank wäre die Information von besonderer Bedeutung. Denn Ausgangspunkt für die Frage, wie viel Kapital man denn doch besser für die Aufseher (zusätzlich) vorhalten solle, ist noch immer der bisher letzte Stresstest der europäischen Bankenaufseher aus dem Jahr 2018. Mit dessen Ergebnissen hatte sich die EZB seinerzeit in ihren sogenannten Überprüfungs- und Bewertungsprozess („Supervisory Review and Evaluation Process“, kurz SREP) gestürzt und der Deutschen Bank am 9. Dezember 2019 ihre Empfehlungen übermittelt.
Zwar hätte an sich 2020 der nächste reguläre Stresstest stattfinden sollen, doch da hatten Aufseher wie Banken aus naheliegenden Gründen andere Sorgen. Darum gelten die alten, aus dem Stresstest 2018 abgeleiteten Empfehlungen bis heute, also auch für 2021. O-Ton aus dem aktuellen Geschäftsbericht der Deutschen Bank: „Da die EZB im Jahr 2020 keine neue SREP- Entscheidung gemacht hat, bleibt die SREP-Entscheidung von 2019 weiterhin gültig.“
Im 2018er Stresstest gehörte die Deutsche Bank allerdings zu den europäischen Banken, deren Kernkapitalquote im sogenannten „adversen Szenario“ am stärksten unter Druck geriet; die Kernkapitalquote stürzte in diesem Szenario auf nur noch 8,1%. Ein Ergebnis, das vermuten lässt, dass das oben genannte „x“ vermutlich nicht ganz schmal ausgefallen ist. Zur Einordnung: In der Eurozone lag das durchschnittliche „x“ – die „Säule-2-Empfehlung“ – Ende 2020 bezogen auf alle Großbanken bei 1,4 Prozentpunkten.
Eine Auffälligkeit im Geschäftsbericht: Was die Angemessenheit ihrer Kapitalausstattung angeht, hält sich die Deutsche Bank mit verglichen mit anderen Instituten dann doch verbal zurück.
Ein paar Beispiele, wie es anderswo gehandhabt wird:
Die Deutsche Bank aber? Äußert sich nicht explizit über die eigene Kapitalausstattung. Stattdessen beschreibt sie lediglich Prozesse, nennt Mindestquoten und erreichte Zahlen. In Bankkreisen heißt es, mehr sei nicht nötig – schließlich gehe aus den Zahlen doch auch unzweideutig hervor, dass alle Pflichtwerte deutlich überschritten würden. Absolut betrachtet kommunizierte die Deutsche Bank kürzlich im Zuge der Q1-Zahlen, dass sie 11 Mrd. Euro Puffer zwischen „Muss“ und „Ist“ habe.
Der ultimative Test naht allerdings. Die Investoren der Bank wurden über viele Jahre schwer gebeutelt, das Geldhaus steht bei ihnen im Wort, ab kommendem Jahr Geld auszuschütten. 5 Mrd. Euro sollen frei werden, beginnend 2022.
Dies setzt allerdings voraus, dass nicht nur die Deutsche Bank und ihre Investoren, sondern auch die Aufseher davon überzeugt sind, dass diese 5 Mrd. Euro ausgeschüttet werden können – statt als Puffer für härtere Tage in der Bank zu bleiben.
Der guten Ordnung halber: Noch besteht an der Dividendenfähigkeit (oder an möglichen Aktienrückkäufen) der Deutschen Bank kein fundamentaler Zweifel.
Die Kapitalausstattung eines Kreditinstituts besteht aber aus einem Zähler (dem Eigenkapital) und einem Nenner – den Aktiva.
Dass der Zähler im Fall der Deutschen Bank durch Nettogewinne zumindest ein wenig größer werden könnte, ist plausibel, solange es im Investmentbanking weiter brummt und der Konzernumbau Fortschritte macht. Gut einen Euro Gewinn je Aktie trauen Analysten der Bank für 2022 zu, davon könnte rund ein Viertel an Aktionäre fließen. Macht knapp 2,5% Dividendenrendite.
Indes: Auch die Aktiva, sprich der Nenner, dürften absehbar mit Sicherheit steigen. In der für die Kernkapitalquote entscheidenden Kennziffer der „risikogewichteten Aktiva“ (kurz RWA) hat die Deutsche Bank zwischen 2015 und 2019 rund 73 Mrd. Euro abgebaut. Seit 2019 klettern die RWA aber wieder leicht – und dürften sich, so die Bank in ihrem Jahresausblick, auch 2021 erhöhen. Die Zeiten, in denen alleine schon über den Abbau der Aktiva der Druck sinkt, mehr Eigenkapital vorhalten zu müssen, die sind in diesem Stadium der Transformation der Bank jedenfalls um.
Zudem setzt – bereits deutlich spürbar im laufenden Quartal – mit Macht das ein, was unter Analysten als „RWA-Inflation“ bekannt und gefürchtet ist. Vereinfacht gesprochen steigen die risikogewichteten Aktiva selbst dann, wenn die Bank überhaupt nichts verändert an ihrem Geschäft und damit ihren Aktiva, diese aber regulatorisch schlicht immer kritischer bewertet werden.
Besonders heftig wird dies bei der Finalisierung der Basel III-Kapitalregeln: Lange Zeit war es so, dass die Banken sich bei der Berechnung ihrer RWA eigener, interner Risikomodelle bedienen durften. Da Untersuchungen nahelegten, dass viele Institute damit ihre Risiken doch etwas arg herunter rechneten, setzen die Regulatoren dieser Praxis künftig Grenzen. Ab 2023 müssen die mithilfe der bankinternen Risikomodelle errechneten RWA-Werte mindestens 50% der schablonenhaften, fest vorgegebene Risikoberechnung der Aufseher entsprechen. Anschließend steigt diese Untergrenze Jahr für Jahr, bis sie 2028 bei 72,5% liegt.
Drei große Verlierer kennt diese Umstellung Experten zufolge:
Ups. Da wüssten wir jemanden, der aber mindestens mal in zwei dieser drei Kategorien fällt.
Es gibt Schätzungen von Bankenaufsehern, wie stark die Kapitalanforderungen für die großen, systemrelevanten Banken in Folge der höheren RWA bis 2028 steigen. Die Zahlen reichen von 23% bis 40%. Laut Deutscher Bundesbank etwa, die das im Dezember 2020 geschätzt hat, klettern die Kapitalanforderungen an große, international aktive Banken in Deutschland um 31% (siehe hier).
Das heißt dann in der Folge auch: Wollen die entsprechenden Banken ihre Kapitalquoten auch nur konstant halten, muss erheblich mehr Eigenkapital her, nämlich 31%.
Welche Zahl man auch nimmt: Die Deutsche Bank (systemrelevant, deutsch, mit großer Schlagseite bei den Gewinnen zum Investmentbanking und einer Bad Bank bzw. Bad Assets, die es vermutlich auch 2023 noch geben wird) wird künftig deutlich mehr Kapital vorhalten müssen als heute. Steigt der Nenner massiv, muss auch der Zähler massiv größer werden – soll die Quote die regulatorischen Vorgaben erfüllen.
Im Dezember gab Finanzchef James von Moltke immerhin schon mal einen groben Blick auf diese regulierungsbedingte Inflation der risikogewichteten Aktiva. 2021 kommen 15 Mrd. Euro „dazu“. 2022 noch mal 5 Mrd. Euro. Und bis 2028 – also jenem Jahr, in dem die Kapitalregeln von Basel III endgültig greifen – rechnet von Moltke mit einem Anstieg von 10 bis 15% der risikogewichteten Aktiva als Folge des Regulierungsregimes verglichen mit Ende 2020 – eine erheblich optimistischere Einschätzung, als sie etwa die Bankenaufseher für große Häuser nahe legen – aber wer weiß auch schon, welche Geschäfte die Bank 2028 plant zu machen.
Doch selbst wenn von Moltke näher an dem tatsächlichen Verlauf läge – dann müssten ebenfalls weitere 33 bis 49 Mrd. Euro risikogewichtete Aktiva mit Eigenkapital unterlegt werden. Lösbar ist das gewiss über die Jahre, glauben auch Analysten. Doch an dem, was die Bank künftig netto verdient, verdienen eben nicht nur Aktionäre mit; die Bank muss auch ihren Eigenkapitaltopf konstant befüllen – in welchem Umfang, das ist, siehe oben, nicht einmal vollständig klar.
Am Montag stellte Europas oberster Bankenaufseher Andrea Enria recht eindeutig klar, dass Banken – wegen Corona ohnehin schon mit zahlreichen Erleichterungen ausgestattet – nicht auf Milde hoffen sollten. „Ich höre Rufe, dass das Anfangsdatum für die Umsetzung noch weiter nach hinten verschoben werden sollte“, sagte Enria zu Basel III auf einer Online-Konferenz. Dazu wolle er sich klar äußern: „Wir sehen keine Vorteile in weiteren Verzögerungen.“ Dies würde nur Unsicherheit schaffen und notwendige Anpassungen im Bankensektor hinausschieben, zitiert ihn das Handelsblatt.
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