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Volksbank-Revolution bleibt aus: Gericht billigt umstrittene Fusionspraxis

Es war ein Beben, das den Geno-Sektor in seinen Grundfesten zu erschüttern drohte: Vor einem Jahr wurden erstmals ernste juristisch Zweifel an jenem ebenso gängigen wie umstrittenen Verfahren laut, nach dem hierzulande die meisten Fusionen von Volks- und Raiffeisenbanken vollzogen werden.

Konkret ging es um den – gemessen an der Bilanzsumme rund 5,4 Mrd. Euro schweren – Zusammenschluss dreier VR-Banken aus Nürnberg, Erlangen und Neustadt an der Aisch im Jahr 2021. Die Gemengelage, grob gesagt: Gemessen am Eigenkapital, an der Rentabilität und an der Dividende war die „VR meine Bank“ aus Neustadt zum Zeitpunkt der Fusion das mit Abstand stärkste der drei Institute. Trotzdem entfielen nach der Fusion lediglich 21% des Geschäftsguthabens auf die Neustädter Genossen – während die Nürnberger auf 47% kamen und die Erlanger auf 32%.

Darf das sein? Das war die Frage, die das Landgericht Nürnberg-Fürth damals aufwarf. Und die in den genossenschaftlichen Bankenverbänden für helle Aufregung sorgte.

Ein Jahr später ist die hochbrisante Frage nach Informationen von Finanz-Szene nun erst einmal beantwortet: Ja, das Prozedere ist rechtens, glaubt das Landgericht – scheint sich seiner Sache so ganz sicher aber auch nicht zu sein und öffnet den Weg in die nächste Instanz. Der Fall ist also allenfalls vorläufig entschieden.

Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

1.) Worum es in der Entscheidung geht

Juristisch gesprochen, hat das Landgericht Nürnberg-Fürth entschieden, einen Antrag auf Kompensation für einen erlittenen Wertverlust abzuweisen. Kläger war ein Genossenschaftsmitglied der früheren VR-Bank Neustadt, das geltend machte, diesen Wertverlust im Zuge der Fusion erlitten zu haben. Der Kläger wollte ein sogenanntes Spruchverfahren eingeleitet sehen. Mit einem solchen wird üblicherweise überprüft, ob jemand bei einer Fusion oder Übernahme womöglich übervorteilt wird und Anrecht auf eine Ausgleichszahlung hat.

In dem von der Branche extrem genau beobachteten Verfahren (AZ: 1 HK O 7642/21) ging es um das grundsätzliche Vorgehen bei Fusionen im Genossenschaftssektor (siehe auch unsere große Analyse aus dem Februar 2022). Schließen sich Genobanken zusammen, ist durch das Genossenschaftsgesetz die Einleitung eines Spruchverfahrens bislang quasi ausgeschlossen. Die Höhe der Rücklagen oder die Rentabilität der Institute spielt keinerlei Rolle. Vielmehr orientieren sich Fusionen und das Verhältnis der Beteiligten streng an den ausgegebenen Geschäftsguthaben (also den Genossenschaftsanteilen).

Überspitzt formuliert: Fusioniert eine extrem vermögende und rentable Geno-Bank mit einem ausstehenden Geschäftsguthaben in Höhe von 1 Mio. Euro an Genossenschaftsanteilen mit einer finanziell schwachbrüstigen Bank, die auf ein Geschäftsguthaben von 9 Mio. Euro kommt, so hat das fusionierte Institut insgesamt 10 Mio. Euro Geschäftsguthaben. Von diesen entfallen nach dem Zusammenschluss allerdings 9 Mio. Euro auf die Mitglieder der „schwachen“ Bank. Der Anspruch der Kläger war nun sinngemäß, dass hierfür ein Ausgleich fließen müsse, schließlich gingen ja auch mögliche hohe Rücklagen auf die fusionierte Gesellschaft über. Und unter Umständen sänken durch die Fusion auch die Dividende auf das Guthaben.

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2.) Wie es zu der Entscheidung kam

Die „starke“ Bank war bei der Dreier-Fusion in Franken eindeutig VR-Bank aus Neustadt/Aisch – sowohl was Kapitalstärke und Rücklagen als auch die Dividendenfähigkeit anging. So konnten die Neustädter ihren Mitgliedern das Drei- bis Siebenfache der Wettbewerber auf das Geschäftsguthaben auszahlen. Doch in der Fusion und bei der Festlegung der Mehrheitsverhältnisse spielte das alles keine Rolle. Nach dem Zusammenschluss zur Nummer 35 unter Deutschlands Geno-Banken entfielen – siehe oben – nur 21% des Geschäftsguthabens auf die Eigentümer des Neustädter Instituts.

Im Genossenschaftssektor – und hier vor allem unter den Lobbyisten des BVR – wurde das Verfahren mit großer Spannung verfolgt. Mit dem Antrag stand nicht weniger als das Vorgehen bei Fusionen von Geno-Banken grundsätzlich infrage. Entsprechend zog der Verband auch die genossenschaftliche Spitzenorganisation DGRV hinzu (einen Prüfungsverband für Kredit-, Waren-, Energie-, Konsum- und Dienstleistungsgenossenschaften), um eine entsprechende Stellungnahme für das Gericht vorzubereiten.

Offenbar war sich auch das Landgericht der Tragweite des Sachverhalts bewusst, denn im Februar 2022 bestellte es in der Causa einen sogenannten „Gemeinsamen Vertreter“ – einen neutralen Sachverständigen, der in derlei Verfahren die Interessen sämtlicher betroffener Genossenschaftsmitglieder vertritt (die von einer möglichen Ungleichbehandlung unter Umständen oft gar nichts wissen). Juristen werteten dies als Hinweis, dass eine Grundsatzentscheidung fallen könnte. Später gaben die drei Verfahrensbeteiligten ihre ausführlichen Stellungnahmen ab.

Eine mündliche Verhandlung fand dann allerdings nicht statt. Das Gericht beschloss die Ablehnung des Antrags ohne Anhörung der Beteiligten.

In seiner Begründung führt das Landgericht Nürnberg-Fürth aus, dass das Umwandlungs- beziehungsweise Genossenschaftsgesetz außer im Falle einer Liquidation keinerlei Ansprüche der Mitglieder auf Ausgleichszahlungen vorsehe. Was übersetzt so viel heißt wie: Wo es keinen Anspruch auf Beteiligung an Rücklagen gibt, da kann dieser Anspruch auch nicht verfolgt werden.

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3.) Warum die Entscheidung nicht das letzte Wort ist

Obwohl die Entscheidung einerseits eindeutig scheint, nahm sich das Gericht zugleich mehr als 30 DinA4-Seiten Raum, um die Positionen der Verfahrensbeteiligten wiederzugeben und einen Beschluss zu begründen. Finanz-Szene zeigte den Beschluss einem mit der Materie vertrauten Kapitalmarktrechtler. Dessen Einschätzung: Das Gericht nehme bei Lichte betrachtet eine „Wir wissen es doch auch nicht genau“-Haltung ein – und lege damit indirekt nahe, „dass in der Sache besser eine höhere Instanz entscheiden soll“.

Tatsächlich will sich der Kläger dem Vernehmen nach mit dem Urteil nicht zufriedengeben. Er wird dem Umfeld der Interessengemeinschaft Igenos zugerechnet, die den Genosektor seit Jahren mit Vorwürfen und Klagen piesackt. Der Kernvorwurf: Der Rechtsmantel der Genossenschaft werde in der Praxis missbraucht, Transparenz und Mitbestimmung blieben auf der Strecke.

Gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat der Kläger denn auch Beschwerde eingelegt. Über den Status dieser Beschwerde ist bislang indes nichts bekannt. Der BVR lehnte eine Stellungnahme ab. In Verbandskreisen fühlt man sich allerdings bestärkt, bei Fusionen weiter wie gehabt vorzugehen.

Parallel versucht Igenos dem Vernehmen nach, dem Landgericht Darmstadt eine Entscheidung über eine mögliche Ausgleichszahlung im Zusammenhang mit der Mitte 2022 beschlossenen Fusion der Raiffeisenbank Offenbach-Bieber mit der Volksbank Dreieich abzuringen. Die Argumentation des Klägers dort ähnelt der im Nürnberger Fall: Pro Euro Geschäftsguthaben betrage das Vermögen der kleinen Raiffeisenbank Offenbach-Bieber 14.396 Euro, und das sei mehr als das Vierfache der 3.219 Euro, die sich für die Volksbank Dreieich ergeben würden. Folglich müssten die Genossinnen und Genossen der Raiffeisenbank Offenbach-Bieber entschädigt werden.

In Igenos-Kreisen verlautete, man sei bereit, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuloten, um das aus ihrer Sicht unangemessene Vorgehen bei Fusionen von Genossenschaftsbanken zu stoppen.

Februar 2022: Volksbank-Beben – Gericht stellt Procedere bei Geno-Fusionen infrage

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