von Christian Kirchner und Thomas Borgwerth, 19. November 2019
Sparprogramme gibt es viele in Banken-Deutschland. Aber ein solches?
Scheinbar aus dem Nichts heraus teilte die Sparda West Ende Oktober mit, innerhalb der nächsten drei Jahre 43 ihrer 82 Filialen dichtzumachen. Wenige Tage später wurde darüber hinaus bekannt, dass mehr als 250 der 1000 Jobs wegfallen sollen. Betriebsbedingte Kündigungen? Will man vermeiden. Werden aber nicht explizit ausgeschlossen.
Was man dazu wissen muss: Die in Düsseldorf ansässige Sparda-West ist nicht irgendeine Bank. Sondern das nach Kunden (718.000) größte deutsche Genossenschaftsinstitut, mit Filialen vom Rheinland bis an die Nordseeküste. Noch vor wenigen Monaten, als die Sparda West gerade mit der Sparda Münster fusioniert hatte, sagte Vorstandschef Manfred Stevermann, sein Institut sei “bestens aufgestellt” und Mitarbeiter würden weiterhin gesucht.
Und nun: dieser Schock. Und die naheliegende Frage: Wie kann es sein, dass eine Bank, die unlängst noch vorgab, vor Kraft zu strotzen, urplötzlich ein solches Massaker veranstaltet?
Hier unser “Deep Dive”:
10,8 Mio. Euro Überschuss. 12,2 Mrd. Euro Bilanzsumme. Macht einen Gewinn von 0,09% gemessen an der Bilanz. So weit, so schlecht.
Nun gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass die Sparda West im vergangenen Jahr den Zusammenschluss mit der (viel kleineren) Sparda Münster vollzogen hat. Solche Fusionen gehen gern mal ins Geld. Schauen wir uns, um einen umfassenderen Eindruck zu erhalten, die wichtigsten Kennziffern also über einen längeren Zeitraum an:
Quelle: Geschäftsberichte (*Zahlen bis 2017 “alte” Sparda West, Zahlen für 2018 nach der Fusion mit der Sparda Münster), gerundet
Man sieht: Der Sparda West leidet unter einem dramatisch schwindenden Zinsergebnis, welches seinerseits die klar wichtigste Ertragskomponente ist. Trotz Fusion warf das Zinsgeschäft 2018 weniger Überschuss ab als drei Jahre zuvor noch “stand-alone” ohne die Sparda Münster. Da zugleich der Provisionsüberschuss nur moderat stieg, ist die Sparda West kaum noch in der Lage, ihre Kosten zu erwirtschaften. Obendrein regnet es nun beim Bewertungsergebnis hinein.
Verengt man den Blick auf das “Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit” (also den Gewinn vor Steuern, aber auch z.B. vor außerordentlichen Erträgen) …
Quelle: Geschäftsberichte
… dann zeigt sich folgendes Bild: Eine operativ schwache Bank (nämlich die Sparda West) hat sich mit einer operativ extrem schwachen Bank (nämlich der aus Münster) zusammengetan. Und herausgekommen ist für den Moment eine “neue” operativ extrem schwache Bank.
Bohren wir tiefer in die Zahlen hinein – und konzentrieren uns zunächst auf die entscheidende Kennziffer, nämlich das Zinsergebnis (also auf die 148 Mio. Euro in der Tabelle weiter oben).
Nach landläufiger Lesart ist der Zinsüberschuss das Ergebnis aus dem Zinsertrag abzüglich der Zinsaufwendungen. Tatsächlich fließen bei der Sparda West (wie bei vielen anderen Banken auch) in das ausgewiesene Zinsergebnis allerdings noch weitere Kenngrößen ein – darunter die “laufenden Erträge aus Aktien und anderen nicht-festverzinslichen Wertpapieren”. Also das, was bei der Eigenanlage am Kapitalmarkt abfällt.
Dröselt man nun die 148 Mio. Euro Zinsüberschuss auf, fällt ins Auge, dass ebendiese “laufenden Erträge” 2018 den mit Abstand größten Batzen am Zinsergebnis ausmachten, nämlich sage und schreibe 80 Mio. Euro.
Der eigentliche, der “pure” Zinsüberschuss hingegen (also Zinserträge abzüglich Zinsaufwendungen) fiel 2018 in sich zusammen …
… auf nur noch 64 Mio. Euro. Was aber, anders als man annehmen sollte, weniger an den Zinserträgen lag – sondern an explodierenden Zinsaufwendungen.
Das Ganze wird – mit gleichen Zahlen – in dieser Grafik deutlicher:
Hier stehen wir nun vor dem ersten großen Rätsel: Sollten in Zeiten sinkender Zinsen die Zinsaufwendungen nicht sinken statt zu steigen? Wie ist es möglich, dass eine Bank, die sich fast ausschließlich über kurzfristige Kundeneinlagen (und daher also mehr oder weniger zum Nulltarif) refinanziert, solch horrende Refikosten ausweist? Mal ein Vergleich, der zwar ein wenig hinkt, aber vielleicht hilft, das Problem zu illustrieren: Bei der Targobank standen Zinserträgen von 1063 Mio. Euro zuletzt Zinsaufwendungen von 41 Mio. Euro gegenüber. Ein Verhältnis von 26:1. Bei der Sparda West hingegen haben wir es mit einem Verhältnis von 3:2 zu tun.
Wie ist diese, mit Verlaub, miserabel anmutende Ratio zu erklären?
Zinsswaps sind nichts Böses. Im Gegenteil: Zinsswaps sind sinnvoll, jedenfalls für Banken wie die Sparda West, die z.B. langfristige Baufinanzierungen ausreichen und diese mit kurzfristigen Kundeneinlagen refinanzieren. Denn: Während die langfristigen Zinsen starr sind, können die kurzfristigen jederzeit steigen – was im Extremfall zur Folge hat, dass eine Bank ihren Sparern höhere Zinsen zahlen muss, als sie für ihre Hypothekenkredite kassiert. Kurzum: Vor diesem existenziellen Risiko müssen sich Banken wie die Sparda West schützen – und sie tun dies: mit Zinsswaps (sprich: mit einem Absicherungsgeschäft). Das kostet und belastet als laufende Aufwendungen das Zinsergebnis.
Bei der Sparda West fallen nun zwei Dinge auf:
Huch, denkt man da nun erst einmal. Und stellt sich ein paar Fragen. Genauer gesagt: drei.
Zur ersten Frage: Die 44,1 Mio. Euro sind zweifellos ein Grund für die exorbitant hohen Zinsaufwendungen. Gleichwohl: Allein können die 44,1 Mio. Euro die enorme Höhe der Aufwendungen nicht erklären (wobei das jetzt zu weit führen würde …)
Zur zweiten Frage: Im Geschäftsbericht heißt es: “Bei Zins-Swaps mit langen Laufzeiten, die die Laufzeit der im Bankbuch kontrahierten Geschäfte deutlich überstiegen, wurde die Laufzeit so verkürzt, dass im Wesentlichen eine Laufzeitkongruenz zwischen den Zins-Swaps und den Geschäften im Bankbuch hergestellt wurde.”
Mit anderen Worten: Es war also tatsächlich so, dass sich in der Bilanz der Sparda West Zinsswaps befinden bzw. befanden, die “die Laufzeit der im Bankbuch kontrahierten Geschäfte deutlich überstiegen”. Natürlich stellt sich da die Frage: Warum war die Laufzeit denn nicht kongruent?
Die Sparda West schreibt uns dazu, dass “die Fristenkongruenz in der Vergangenheit im Steuerungskreislauf der Bank nicht erforderlich (war), da über geeignete Kennzahlen, u.a. dem aufsichtlichen Zinsrisiko-Koeffizienten das Zinsänderungsrisiko gesteuert wurde.” Und weiter: “In der barwertigen Betrachtungsweise reduziert sich das zur Absicherung notwendige Nominalvolumen der Swaps bei länger laufenden Kontrakten gegenüber Kurzläufern. Die im Geschäftsbericht dokumentierten Kürzungsmaßnahmen entfallen auf Swaps, die in den Jahren 2008 bis 2011 abgeschlossen und im letzten Jahr einmalig aufwandswirksam aufgrund der Änderung des IDW RS BFA 3 verbucht wurden.”
Zur dritten Frage: Im Geschäftsbericht findet sich der Satz: “Den Zinsaufwendungen stehen, im Zusammenhang mit der Laufzeitverkürzung bei den Derivaten, höhere laufende Erträge aus anderen nicht festverzinslichen Wertpapieren gegenüber.”
Eigentlich lässt diese Formulierung nur eine Schlussfolgerung zu: Alles überhaupt kein Problem mit den 44,1 Mio. Euro. Denn es gibt zwar die derivate-bedingten Aufwendungen (vulgo: Verluste). Es gibt “im Zusammengang mit der Laufzeitverkürzung bei den Derivaten” allerdings auch die “höheren laufenden Erträge” (vulgo: Gewinne). Also quasi ein Nullsummenspiel.
Bloß: Wenn dem so ist – warum sagt die Sparda West das dann nicht?
Zwischen der Finanz-Szene.de-Redaktion und der Sparda West gab es in der vergangenen Wochen einen ziemlich intensiven Mailverkehr, genauso wie zwischen der Finanz-Szene.de-Redaktion und diversen renommierten Bankbilanz-Experten da draußen. Und eigentlich haben wir genauso wie die Experten einfach nur darauf gewartet, dass die Sparda West irgendwann mal schreiben würde:
“Die Dinge sind so, wie es die Formulierung in unserem Geschäftsbericht nahelegt: Genauso wie die höheren Zinsaufwendungen eine unmittelbare Folge des Verkürzung der Derivate-Laufzeiten sind, handelt es sich auch bei den höheren laufenden Erträgen um eine unmittelbare Folge der Verkürzung der Derivate-Laufzeiten.”
Bloß: Genau das schrieb uns die Sparda West eben nicht! Sondern sie schrieb (bezugnehmend auf einen “Spezialfonds”, bei dem es sich um ein Vehikel zur Eigenanlage handelt):
“Durch eine vorsichtige Anlage- und Ausschüttungspolitik des Spezialfonds konnten in den vergangenen Jahrzehnten stille Reserven in unserem Spezialfonds aufgebaut werden. Ausschüttungen erfolgten lediglich in Höhe der vom Fonds erwirtschafteten ordentlichen Erträge. Diese lagen in 2018 in etwa auf dem Niveau der vergangenen Jahre.”
Und:
“Der Anstieg der buchhalterischen Position ‘Laufende Erträge aus Aktien und anderen festverzinslichen Wertpapieren” resultiert aus einer darüber hinausgehenden Ausschüttung aus dem Spezialfonds zur Finanzierung der besonderen Aufwendungen in 2018. Diese waren im Wesentlichen die Kürzung der Derivate in der von uns bereits genannten Höhe sowie die Aufwendungen für die Fusion der Sparda-Banken West und Münster zur neuen Sparda-Bank West.”
Wie klingt das für Sie? Für uns klingt das nach: “Wir betreiben seit Jahrzehnten recht erfolgreich Kreditersatzgeschäft – und zwar mittels eines Spezialfonds, mit dem wir auf eigene Rechnung in Aktien und andere Wertpapiere investieren. Durch die erfreuliche Entwicklung der Aktienmärkte war es uns möglich, über den Spezialfonds stille Reserven zu bilden, die wir 2018 in nicht ganz kleinem Umfang aufgelöst haben, um auf diesem Wege unsere laufenden Erträge zu pimpen.”
Wenn dem wirklich so war – dann stünden die “laufenden Erträge” nach unserem Verständnis allerdings in keinem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit den Zinsderivaten. Sondern: Zwischen den beiden Positionen hätte nur insofern eine Beziehung bestanden, als die Sparda West mit den exorbitant hohen “laufenden Erträge” die exorbitant hohe “Zinsaufwendungen” kompensierte und dadurch eben allem Schlamassel zum Trotz doch noch einen – schmalen – Überschuss ausweisen konnte.
Indes: Wenn es den unmittelbaren sachlichen Zusammenhang nicht gegeben haben sollte – warum legt der Geschäftsbericht dann nahe, es habe ihn gegeben?
So wenig Widerhall das Sparda-West-Filial-Massaker in der überregionalen Wirtschafts- und Finanzpresse fand – so groß war die Aufregung in den ersten Novembertagen in den nordrhein-westfälischen Regionalmedien. Dabei taten sich besonders die “Westfälischen Nachrichten” und der “WDR” hervor. Die nämlich stellten ohne nähere Quellenangabe folgende Behauptungen in den Raum:
“Durch sogenannte Zinswetten drohen der Genossenschaftsbank millionenschwere Verluste, die sie auch in den kommenden Jahren belasten werden.” (WDR vom 6. November) “Auf einer Mitarbeiterversammlung in Essen klärte der Sparda-Vorstand die Beschäftigten nicht nur über die Neuausrichtung der Filialstruktur, sondern auch über die zu erwartende Geschäftsentwicklung auf: Im operativen Geschäft inklusive der zuletzt aus dem Ruder laufenden Zinsabsicherungsgeschäfte plant die Bank unbestätigten Berichten zufolge bis 2023 mit einem jährlichen Verlust von zehn Mio. Euro, 2022 sogar mit 20 Mio. Euro.” (Westfälische Nachrichten, 3. November)
“Durch sogenannte Zinswetten drohen der Genossenschaftsbank millionenschwere Verluste, die sie auch in den kommenden Jahren belasten werden.” (WDR vom 6. November)
“Auf einer Mitarbeiterversammlung in Essen klärte der Sparda-Vorstand die Beschäftigten nicht nur über die Neuausrichtung der Filialstruktur, sondern auch über die zu erwartende Geschäftsentwicklung auf: Im operativen Geschäft inklusive der zuletzt aus dem Ruder laufenden Zinsabsicherungsgeschäfte plant die Bank unbestätigten Berichten zufolge bis 2023 mit einem jährlichen Verlust von zehn Mio. Euro, 2022 sogar mit 20 Mio. Euro.” (Westfälische Nachrichten, 3. November)
Finanz-Szene.de bat die “Westfälischen Nachrichten” um eine Stellungnahme zu den Quellen dieser Theorie, dort sah man jedoch keinen Anlass, sich zu erklären.
Die Sparda West teilt hierzu mit, die “zitierte Aussage des Vorstandes aus den Westfälischen Nachrichten in Bezug auf die Zinsabsicherungsgeschäfte hat der Vorstand in der Mitarbeiterveranstaltung nicht getätigt”.
Was soll das nun heißen? Dass der WDR und die “Westfälischen Nachrichten” einfach mal so behaupten, es drohten Verluste aus “Zinswetten” bzw. es gebe “aus dem Ruder gelaufene Zinsabsicherungsgeschäfte”? Das allerdings wäre ein starkes Stück.