von Christian Kirchner, 21. Juni 2019
Wie lassen sich deutsche Banken in Sachen Profitabilität für die Ära der (womöglich dauerhaften) Niedrigzinsen rüsten? Klar: Hintenrum die Digitalisierung der Prozesse vorantreiben, das wollen eigentlich alle. Und vornherum mehr Menschen dazu bringen, ihre Geschäfte online oder per Smartphone zu erledigen.
Aber wie sieht die optimale Strategie in Sachen Filialen aus? Wäre es da nicht naheliegend, einfach noch mehr (und noch schneller) Filialen zu schließen, als die Banken es in den vergangenen Jahren ohnehin schon getan haben?
Dieser Frage sind dieser Tage die Analysten der UBS in einer Studie nachgegangen, die zum besten gehören dürfte, was zu diesem Thema je veröffentlicht worden ist. Konkret haben die Researcher mithilfe von mikrodemografischen Daten Filialdichten, Kannibalisierungseffekte, Kaufkraft und die Erreichbarkeit aller (!) deutschen Bankfilialen untersucht.
Eine Vorbemerkung: So “overbanked” in Sachen Filialen ist Deutschland gar nicht. 36 Zweigstellen kommen hierzulande auf 100.000 Einwohner. Das ist europäisches Mittelfeld für Flächenländer, die Dichte in Italien (45 Filialen/100.000 Ew.), Frankreich (55) und Spanien (59) ist deutlich höher, allein die Niederlande (9) sticht hier markant heraus.
Was schon die Conclusio nahelegt: Ja, Filialschließungen bringen natürlich etwas bei den Kosten. Aber die Effekte wären selbst bei konsequenter Umsetzung nicht so groß, als dass sie einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der fundamentalen Ertrags- und Profitabilitätsschwierigkeiten liefern könnten. Ein Grund: Bei einigen deutschen Banken dürften die Sparpotenziale schon fast ausgeschöpft sein, weil sie ihre Filialstruktur längst optimiert haben – dazu zählten sie etwa die Deutsche Bank oder die Targobank. Das gelte allerdings zum Beispiel nicht für die Commerzbank. Und auch die HVB schneidet in puncto Optimierung unterdurchschnittlich ab.
Gehen wir ins Detail: Wie würde die Schließung von noch mehr Filialen die Profitabilität verändern? Hierzu rechnet die UBS in drei Szenarien: einem vorsichtigen, in dem weitere 5% der Filialen dichtgemacht werden werden, einem mittleren mit 10% und einem aggressiven mit 15%.
Aus Basis bisheriger Erfahrungen würde dieser Schritt die Kosten laut UBS-Schätzungen je nach Szenario um 2%, 4% bzw. 6% Prozent drücken. Dabei taxiert die UBS die Filialkosten bei den untersuchten Instituten auf aktuell zusammen 90 Mrd. Euro. Mithin läge das Kostensenkung-Potenzial bei maximal gut 5 Mrd. Euro (6% von 90 Mrd. Euro) in der “aggressiven” Variante.
Klar, viel Geld. Aber um diese Summe einzuordnen: Seit 2015 sinkt auch der Zinsüberschuss deutscher Banken in der Größenordnung von rund 5 Mrd. Euro pro Jahr. Die vermutlich nur über mehrere Jahre hinweg umsetzbaren Schließungen taugen demnach aktuell gerade einmal, um den durchschnittlichen Verlust an Zinsüberschüssen eines Jahres auszugleichen.
Und wie gesagt: Wir reden hier vom “aggressiven” Szenario – das überdies Zeit bräuchte. 2015 bis 2017 schlossen die deutschen Banken im Schnitt nur knapp 6% ihrer Filialen jährlich. Entsprechend lange würde es dauern, 15% der Zweigstellen dicht zu machen.
Dabei, stellen die UBS-Analysten fest, ist das Kostensenkungspotenzial sehr ungleich verteilt. Bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken sei es zum Beispiel weit größer als bei den privaten Banken. Weil letztere bereits beherzt Filialen geschlossen haben.
Aber wie beherzt genau? Wie weit könnten Deutsche Bank, Commerzbank, HVB und Co. noch gehen, wie viel haben sie bereits ausgeschöpft?
Dazu unterzogen die Analysten das komplette Filialnetz der privaten Banken einer genauen Standortanalyse anhand folgender Kriterien:
Dabei dürfte es sich um Kennziffern handeln, die auch in den Banken bei der Optimierung der Filialstrukturen so oder so ähnlich zum Einsatz kommen.
Um Sie nicht mit einem Zahlenfriedhof zu langweilen, hier die wesentlichen Erkenntnisse:
* Maßstab: Bevölkerung, die Filiale innerhalb von 15 Autominuten erreichen kann
** Maßstab: Kaufkraft der Bevölkerung innerhalb von 15 Autominuten rund um Filialen
Quelle: UBS Research
Zwar veröffentlichte die Bank lediglich diese Ergebnisse detailliert. Ehrenhalber erwähnt wird indes eine Bank, die eher selten im Rampenlicht steht: die Degussa Bank. Deren Fokus -ähnlich wie der der Santander – auf stark industrialisierte Regionen und große Städte sowie Mittelstands-Festungen sei vorteilhaft, während Sparkassen sowie Genossenschaftsbanken sowohl bei Marktgrößen als auch Kannibalisierungen schlecht aussähen – was auch ihre teils wettbewerbsfreie Position in der Fläche nicht ausgleichen könne.
Bleibt natürlich die Frage: Für wen sind das gute Nachrichten und für wen schlechte?
Aus Sicht eines Filialmitarbeiters ist das Abschneiden der Deutschen Bank mit Blick auf die Optimierungsmöglichkeiten des Filialnetz vermutlich eine gute: Das Netz lässt sich kaum noch optimieren, ohne Risiken mit Blick auf die Märkte einzugehen, in denen die Filialen operieren. Denn, auch das stellt die UBS befragungsbasiert fest: Noch immer gingen 79% der Kunden für eine Anlageberatung und 74% der Kunden für die Beratung in Sachen eines Immobilienkredits in einer Filiale, auch wenn die Nutzung mobiler Angebote rasch voranschreite.
Aus Sicht eines Investors ist das gute Abschneiden der Deutschen Bank gleichwohl eine schlechte (und umgekehrt das der Commerzbank eine gute), zeigt es doch, dass die Deutsche Bank – anders als die Coba – kaum noch Möglichkeiten hat, über Schließungen den Überschuss ihrer Privatkundensparte signifikant zu erhöhen.