von Christian Kirchner, 5. Juni 2020
Kann es sein, dass viele Sparkassen-Chefs, Volksbanken-Chefs und Privatkunden-Chefs dieser Tage am liebsten so wären wie Walter Beller? Auch auf die Gefahr hin, “dafür Prügel zu beziehen”, wie Beller es ausdrückt (hier der entsprechende Artikel im Münchner Merkur)
Walter Beller ist Vorstandschef der VR-Bank Werdenfels, eines mittelgroßen (Bilanzsumme: 1,7 Mrd. Euro) Genossenschaftsinstitut im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Als im März die Corona-Pandemie ausbrach, tat Beller, was viele andere Bankchefs hierzulande auch taten. Er schloss Filialen. Vorübergehend, so dachte man. Als allerdings im Mai die Filialen anderswo wieder öffneten – da hielt Beller sechs seiner Filialen einfach geschlossen. Und zwar dauerhaft. Obwohl die entsprechenden Filialen ohne Corona-Krise wohl noch jahrelang offen geblieben wären, wie Beller einräumt.
Tatsächlich ist die VR-Bank Werdenfels kein Einzelfall. Auch einige andere Institute haben “Corona” zuletzt zum Anlass für Filial-Schließungen genommen. Hinzu kommen etliche Banken und Sparkassen, die zwar keinen expliziten Bezug zu “Corona” herstellen – im Mai aber trotzdem angekündigt haben, Niederlassungen dichtzumachen. Und dann: Sind das Institute wie die Deutsche Bank, die sich bei der Wiedereröffnung erstaunlich vieler Filialen erstaunlich viel Zeit lassen.
Einfach mal als These in den Raum geworfen: Kann es sein, dass die Corona-Krise für die deutsche Kreditwirtschaft so etwas wie ein perfekter A/B-Test war? Brauche ich überhaupt noch Filialen – und wenn ja, welche? Und kann es sein, dass das Ergebnis dieses Tests lautete: Nein, brauche ich eigentlich nicht mehr. Jedenfalls viel weniger gedacht. Denn wie sonst ist zu erklären, dass die Zahlen nicht nur im Firmen-, sondern auch im Privatkundengeschäft im März/April teilweise nicht nach unten, sondern sogar nach oben gingen?
Kurzum: Beginnt das Filialsterben jetzt so richtig? Unsere Analyse in drei Thesen:
Die weitgehende Kontaktsperre in Deutschland galt ab dem 23. März. In vielen Filialen ruhte der Verkehr indes schon in der Woche ab dem 16. März.
Dem Kreditgeschäft tat dies aber keinen erkennbaren Abbruch. Konkret stieg im März das Kreditvolumen* zum Vorjahresmonat um 4,5% – ein Sechsmonatshoch. Dabei gab es auch nur kleine Unterschiede zwischen den Institutsgruppe; bei Großbanken stieg das Volumen um 3,3% an, bei den Sparkassen um 4,5%, bei den Genossenschaftsbanken um 5,4%, bei den Landesbanken gar um 7,1%, wie aus Bundesbankdaten hervor ging.
Und im April, in dem die Kontaktsperre praktisch durchgehend galten und etliche Filialen nicht nur in Deutschland weiterhin geschlossen waren? Stieg die Kreditvergabe in der Euro-Zone um 6,6% zum Vorjahresmonat. Kaum vorstellbar, dass der große deutsche Markt wesentlich darunter gelegen hat.
Explizit im April machten die Sparkassen nach Angaben von DSGV-Präsident Helmut Schleweis bei der privaten Baufinanzierung 12% mehr Neugeschäft und bei Unternehmenskrediten 40% mehr Neugeschäft als im Vorjahresmonat.
Nun wehren sich die Sparkassen natürlich gegen jedwede Deutung, die auch nur im entferntesten Richtung “Weniger Filialen = Mehr Geschäft” gehen könnte. Auf Anfrage teilt des DSGV mit: “Nur ein Teil der Geschäftsstellen war für den Kundenverkehr geschlossen und auch Beratung nach telefonischer Absprache möglich. Und wir gehen für April davon aus, dass bereits vor der Krise angebahnte Kreditabschlüsse die Ergebnisse noch erheblich beeinflusst haben.”
Und doch sind die Zahlen zunächst einmal so, wie sie sind.
Mithilfe von Presse-Datenbanken und “Google News” haben wir zum einen geschaut, wo im Mai (und nur im Mai!) Filialen zunächst Corona-bedingt geschlossen wurden und dann laut Ankündigung einer Bank nun dauerhaft geschlossen bleiben (also das “Walter-Beller-Modell”):
Dann haben wir geschaut, wo im Mai ohne konkreten Corona-Bezug das Schließen von Filialen oder das Umwandeln in SB-Filialen neu angekündigt wurde:
Wir kommen auf 29 + 68 = 97
Nun machten Banken und Sparkassen im vergangenen Jahr laut Bundesbank-Statistik 1.220 Filialen dicht – also rund 100 Monat für Monat. Da lägen die von uns für den Mai 2020 ermittelten 97 Schließungen “nur” im Schnitt. Allerdings sind wir ziemlich sicher, dass wir mit unserer “Presse-Datenbanken + Google News”-Methode nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Verhältnisse erwischt haben. Denn nicht alle Ankündigungen schaffen es in die Lokalpresse – erst Recht nicht in und um Metropolen und von den größeren Instituten.
(Eigentlich müssten wir jetzt noch etliche weitere methodische Fußnoten machen, was wir uns aber sparen – es geht uns in erster Linie darum, einen Eindruck davon zu vermitteln, was da draußen in der Fläche womöglich gerade los ist).
Klar: Auch das deutet alles nicht auf das Ende der Filialen hin – aber doch auf einen möglichen “Turbo” und dem Vorziehen von Maßnahmen, die perspektivisch unumgänglich sind.
Welche Kriterien haben Banken eigentlich heran gezogen, um Filialen zu schließen? Als Finanz-Szene.de dies im März recherchierte, lautete die typische Antwort: Größe. In einer Filiale mit zehn oder mehr Mitarbeitern sei es nun mal leichter, mit “Split Teams” zu arbeiten, hieß es damals. In einer kleinen Filiale mit nur zwei oder drei Mitarbeitern gehe das sehr viel schwieriger.
Welche Kriterien haben Banken nun, um sie wieder zu öffnen? Dazu erkundigte sich Finanz-Szene.de unter anderem bei der Deutschen Bank, auf deren Webseite sich leicht recherchieren lässt, welche Filialen bereits wieder geöffnet sind (die überwiegende Mehrheit) und welche noch nicht.
Antwort der Deutschen Bank: “Für den Zeitpunkt, wann wir eine vorübergehend geschlossene Filiale wieder eröffnen, sind in erster Linie die Kundennachfrage und die Verfügbarkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entscheidend. In die Planungen fließt auch ein, wie weit für die Kunden die Entfernung zur nächstgelegenen geöffneten Filiale ist.”
Finanz-Szene.de machte für drei Städte bzw für deren Umland die Probe aufs Exempel. Ergebnis (sofern wir keiner Schein-Korrelation aufsitzen): Es haben vor allem dort die Filialen wieder geöffnet, wo die Kaufkraft laut Kaufkraft-Index am höchsten ist, mithin sich also besonders viel interessante Kundschaft und Nachfrage aus Bankensicht befindet.
Die Deutsche Bank streitet einen Zusammenhang ab und betont: “Wir stellen keine Analysen der Kaufkraft an.“ Vielmehr sei die Kundennachfrage und die Verfügbarkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entscheidend. In die Planungen fließe auch ein, wie weit für die Kunden die Entfernung zur nächstgelegenen geöffneten Filiale ist.
Also kein Menetekel? Warten wir’s ab.
*Kredite an “inländische Nichtbanken” gemäß Bundesbank-Zahlen und Bundesbank-Definition