von Christof Roßbroich, 22. Juni 2021
Von Christof Roßbroich*
Wer bin ich? Diese Kernfrage der Philosophie stellt sich im Zeitalter des Internets neu. Sie ist von der metaphysischen Ebene bis in die digitale Welt gedrungen. Im Zuge der Vernetzung und des Internet der Dinge (IoT) lässt sich die Frage zudem erweitern auf: Was bin ich? Es sind nicht mehr ausschließlich Menschen, die Daten wie zum Beispiel Zahlungsinformationen austauschen, sondern zunehmend auch Dinge – wie Maschinen oder Mietwagen. Das stellt Leistungserbringer und -empfänger, aber auch zwischengeschaltete Dienstleister vor neue Herausforderungen.
Traditionell überprüfen Unternehmen die Identität einer Person mittels menschlicher Interaktionen und physischer Dokumente, die von Behörden mit hoheitlichen Aufgaben (und den entsprechenden Öffnungszeiten) ausgestellt wurden. Diese Verfahren sind heute nicht mehr zeitgemäß, weil der Kunde inzwischen eine digitale und effiziente Erreichbarkeit rund um die Uhr erwartet. Es sind daher neue, digitale Verfahren der Identitätsfeststellung notwendig, die ohne Medienbrüche funktionieren.
Vor allem die Finanzindustrie kann und sollte dieses neue Aufgabenfeld der digitalen Identität für sich nutzen. Sie bringt die Voraussetzungen und die Erfahrung mit, um die alten, ineffizienten und zeitaufwändigen manuellen Prozesse abzulösen. Und sie genießt das Vertrauen der Kunden, um diese sensible Aufgabe wahrzunehmen. In einer repräsentativen Umfrage hat der IT- und Digitalisierungsspezialist ti&m im vergangenen Jahr festgestellt, dass 90 Prozent der Deutschen ihrer Bank in punkto Datensicherheit vertrauen. Das ist eine ideale Grundlage, um als Dienstleister die Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Identität zu bedienen.
Kein anderer Sektor wird von staatlichen Regulierern so stark beaufsichtigt wie die Bankbranche, kein anderer Sektor muss in seiner täglichen Arbeit so viele Identifikations- und Ausweispflichten beachten. Dies wird besonders deutlich beim Onboarding neuer Kunden. Der gesamte KYC-Prozess (Know Your Customer) ist extrem komplex. Dafür kann er aber auch bereits als erster Schritt hin zum Aufbau einer digitalen Identität dienen. Denn nach der einmaligen – und verifizierten – Identifizierung der Person kann der Identitätsanbieter einen auf Wiederverwendung angelegten Service anbieten.
Sinnvoll ist der Aufbau einer Plattform für weiterführende Dienste, die auch das klassische Tätigkeitsgebiet einer Bank übersteigt, also zum Beispiel Autorisierungsdienstleistungen für das Online-Shopping oder die Verifizierung einer erfolgten Corona-Impfung. Diese Identitätsnachweise lassen sich fälschungssicher und kostengünstig in einer Blockchain abspeichern und über das Handy des Nutzers abrufen. Gleichzeitig öffnen sich damit auch Möglichkeiten der Monetarisierung für die Bank. Befürchtungen, dass die Bank damit den direkten Zugriff auf den Kunden an Dritte weiterreicht, sind unbegründet, da nur exakt die Daten übermittelt werden, die für den jeweiligen Einsatzzweck notwendig sind.
Welche Vorteile eine digitale Identität im Alltag mit sich bringt, zeigt das Beispiel der Schweizer Gemeinde Zug. Gemeinsam mit ti&m als Technologiepartner hat die 23 Kilometer südlich von Zürich gelegene Stadt mit 30.000 Einwohnern eine digitale Identität auf Basis der Etherium-Blockchain eingeführt. Diese digitalen Identitäten können von Banken und vielen anderen Unternehmen oder Dienstleistern genutzt werden. Bereits angebotene Einsatzzwecke sind: ein einfacher Zugang zu elektronischen Behördendienstleistungen, ein Blockchain-basierter Fahrradverleih, ein digitalisiertes Parking-Management oder das Ausleihen von Büchern ohne Bibliotheksausweis.
Der Vorteil für Kunden mit einer anerkannten und verifizierten digitalen Identität ist beträchtlich. Zeitraubende und zum Teil auch kostenintensive Anwendungen wie Video-Identifizierung, Post-Identifizierung oder Trustpartner für eine qualifizierte elektronische Signatur werden hinfällig. Den Banken stünde als Anbieter dieser digitalen Dienstleistung die „Beyond-Banking-Welt“ offen: bei der Verifizierung eines Mietwagen-Kunden, eines Interessenten für einen Mobilfunkvertrag oder eines neuen Mieters.
Dies hat auch Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr im Internet der Dinge, wenn Gegenstände selbstständig Informationen austauschen. So könnten bei einer rechtssicheren Identifizierung auch Auto und Ladestation automatisch abrechnen, wobei das Fahrzeug als eigenständiger Kontoinhaber auftreten könnte. Dies wird zum Beispiel beim Car-Sharing interessant, wenn die Konten von Nutzer und Auto untereinander die Leihgebühr begleichen.
Die breitere Einführung digitaler Identitätssysteme kann sowohl in der Online-Welt wie auch in der realen Welt drastische, positive Veränderungen nach sich ziehen. Ganz aktuell betrifft dies zum Beispiel den digitalen Impfausweis auf dem Handy, der idealerweise eine Anknüpfung an eine digitale Identität haben sollte. Auch in der Online-Welt würden viele Anwendungen deutlich einfacher, wenn die Verifizierung der beteiligten Personen bzw. IoT-Anwendungen gesichert wäre.
Banken stehen jetzt vor der Aufgabe, eine treibende Kraft für diesen Wandel zu sein. Ihr Geschäftsmodell ist seit jeher darauf ausgerichtet, ihren Kunden einen sicheren Datentransfer zu gewährleisten. Sie sind schon aus historischen Gründen die perfekten Dienstleister, um eine Identität nachzuweisen. Dass sich die Finanzinstitute diesem neuen Geschäftsfeld noch nicht vollständig öffnen, liegt nicht an technischen Herausforderungen. Noch überwiegt die Angst davor, Daten eines Kunden weiterzugeben und möglicherweise damit den Zugriff auf den Kunden selbst zu verlieren. Aber genau da sollte ein Umdenken stattfinden, da über eine sinnvoll eingerichtete Blockchain-Technologie Kunde und Bank gemeinsam einen genau zugeschnittenen Informationsaustausch mit Dritten einrichten können.
Die Bank verliert also, wenn sie es richtig anpackt, nicht die Kontrolle, im Gegenteil: Sie kann die Eindeutigkeit einer Person in digitaler Form bestätigen und würde damit auch eine Vorreiterrolle in unserer neuen, vernetzten Gesellschaft einnehmen.
*Christof Roßbroich ist Senior Executive beim IT- und Digitalisierungsspezialisten ti&m in Frankfurt.
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