Von Christian Kirchner
Wie viele Kunden hat der – allem Ermessen nach – größte deutsche Neobroker, also Trade Republic? Die kurze Antwort: Man weiß es nicht. Die lange? Kommt hier …
Von “mehr als 150.000 Kunden” sprach das Berliner Fintech im April. Im September war dann von “weit mehr als 150.000 Kunden” die Rede. Schon damals hatten wir vermutet, dass es sich bei dem Beharren auf der Bezugsgröße “150.000” um ein Täuschungsmanöver handele. Und dass es einen “kommunikative Masterplan” gebe, der vorsehe “demnächst mit einer völlig neuen Wow-Zahl (500.000?) den Markt zu schocken”.
Und nun: Glauben wir, dass der Schock-Moment naht. Entweder hat Trade Republic die halbe Millionen tatsächlich schon erreicht. Oder steht kurz davor. Was ein ziemlicher Wahnsinn wäre. Denn, zur Einordnung: Mit 500.000 Depotkunden hätten Trade Republic 17 Monate nach dem offiziellen Launch schon gut ein Drittel der Depotkunden, die die ING Diba per Ende 2019 hatte (das waren 1,4 Mio.) und die Flatex aktuell hat (1,2 Mio.). Und die Comdirect (aktuell 1,8 Mio. Kunden) wäre zwar noch weit voraus, aber eben nicht mehr in völlig anderen Dimensionen unterwegs.
Haben wir einen Beweis für die Behauptung? Nein. Aber zwei, wie wir glauben, starke Indizien:
Erstes Indiz: Die mysteriösen Groß-Trades bei LS Exchange
Im November 2019 – also vor gut einem Jahr – führte Trade Republic den gebührenfreien* ETF-Sparplan ab 25 Euro ein, damals noch für 280 einzelne ETFs. Inzwischen ist die Palette auf 1.300 ETFs gewachsen.
Nun gestaltet es sich in der Praxis so, dass Trade Republic den ETF-Sparern erstens anbietet, die Raten am 2. oder 16. eines Monats auszuführen. Zudem werden die Sparpläne, zweitens, wie sämtliche Order von Trade Republic ausschließlich am Düsseldorfer Handelsplatz LS Exchange (dahinter steht des Aktienspezialist Lang & Schwarz) abgewickelt.
Nun ist es darüber hinaus auch so, dass LS Exchange jeden einzelnen Trade bzw. (um ganz genau zu sein) jeden einzelnen “Request for Trade” mit Stückzahl und Uhrzeit in einem börsentäglich veröffentlichten und jeweils zwischen 3.000 und 5.000 DIN-A4-Seiten umfassendem “Kursblatt” veröffentlicht. Darauf wies uns ein netter Leser hin.
Was also haben wir gemacht? Einfach mal die besagten Kursblätter nach Hinweisen auf das ETF-Sparplan-Volumen von Trade Republic durchflözt. Wobei wir uns auf den jeweils 2. jeden Monats fokussiert haben. Und auf die bei Sparplänen typischerweise populärsten ETFs, also auf die DAX-ETFs und die MSCI-World-ETFs.
Und siehe da, in der Tat: An jedem 2. eines Monats pünktlich um 10:03 Uhr (!) kommt eine sehr große (und monatlich größer werdende) Order für den von uns geprüften Dax-ETF mit der ISIN DE0005933931 herein …
Uhrzeit | Stücke | Kurs € | Volumen € | |
Feb 20 | 10:03:12 | 221 | 111,6 | 24.664 |
Mär 20 | 10:03:44 | 321 | 102,92 | 33.037 |
Apr 20 | 10:03:59 | 1350 | 81,86 | 110.511 |
Mai 20 | 10:03:53 | 1776 | 90,38 | 160.515 |
Jun 20 | 10:03:16 | 1801 | 101,92 | 183.558 |
Jul 20 | 10:03:19 | 1969 | 106,6 | 209.895 |
Aug 20 | 10:03:13 | 2096 | 106,38 | 222.972 |
Sep 20 | 10:03:26 | 2237 | 112 | 250.544 |
Okt 20 | 10:03:14 | 2307 | 107,78 | 248.648 |
Nov 20 | 10:03:01 | 2511 | 99,13 | 248.915 |
Dez 20 | 10:03:01 | 2551 | 113,52 | 289.590 |
… und: Immer gegen 15.50 Uhr (also nach Eröffnung des US-Börsen) kommt eine sehr große (und monatlich größer werdende) Order für den MSCI World mit der ISIN IE00B0M62Q58 herein:
Uhrzeit | Stücke | Kurs € | Volumen € | |
Dez 19 | 15:35:11 | 1154 | 44,225 | 51.036 |
Jan 20 | 15:34:48 | 2360 | 45,165 | 106.589 |
Feb 20 | 15:35:19 | 4708 | 45,199 | 212.797 |
Mär 20 | 15:50:01 | 6721 | 41,174 | 276.730 |
Apr 20 | 15:50:22 | 13413 | 34,622 | 464.385 |
Mai 20 | 15:50:57 | 16761 | 38,538 | 645.935 |
Jun 20 | 15:50:23 | 17801 | 41,614 | 740.771 |
Jul 20 | 15:50:23 | 20407 | 42,447 | 866.216 |
Aug 20 | 15:51:41 | 21662 | 42,149 | 913.032 |
Sep 20 | 15:50:35 | 24446 | 44,16 | 1.079.535 |
Okt 20 | 15:49:56 | 25680 | 42,947 | 1.102.879 |
Nov 20 | 15:49:47 | 26046 | 42,48 | 1.106.434 |
Dez 20 | 15:49:50 | 29007 | 45,92 | 1.332.117 |
Nun ist das Schöne, dass ETF-Sparer in der Regel mit einer fixen monatlichen Summe sparen. Das heißt, die Kursentwicklung spielt keine Rolle. Hat Trade Republic in einem Monat etwa 1 Mio. Euro in einem Sparplan auf den MSCI World abgewickelt und im Monat zuvor 500.000, dann hat sich schlicht das Volumen der Sparpläne erhöht, entweder, weil die Bank mehr Sparpläne abgeschlossen hat, oder aber – was angesichts der sehr jungen Unternehmenshistorie eher selten der Fall sei dürfte – weil neue Sparpläne abgeschlossen worden sind.
Wir treffen nun folgende Annahmen:
- Die durchschnittlichen Sparraten der Trade-Republic-Kunden dürften sich über die vergangenen Monat nicht allzu stark verändert haben. Wenn also das Sparplan-Volumen von 100.000 Euro in einem auf 200.000 Euro im nächsten Monat steigt, dann führen wir das darauf zurück, dass sich die Anzahl der Sparpläne ungefähr verdoppelt haben dürfte (natürlich könne 100 Euro mehr auf einen Sparplan mehr à 100€ oder zwei mehr à 50€ zurückzuführen sein, aber bei großen Zahlen gleicht sich so etwas aus).
- Neue Sparpläne indes dürften ein guter “Proxy” auch für neue Kunden sein. Weil: Trade Republic ist ein derart junges Unternehmen, dass die Zahl der Kunden, die erst Monate nach ihrer Kontoeröffnung die neu eingeführten ETF-Sparpläne für sich entdecken, überschaubar sein dürfte.
Auf Basis dieser beiden Annahmen zeigt sich nun:
- Beim genannten Dax-ETF hat sich das Sparplan-Volumen zwischen April (=der Kunden-Datenpunkt von “mehr als 150.000 Kunden”) und Dezember um den Faktor 2,6 vergrößert
- Beim genannten MSCI-World-ETF liegt der Faktor bei 2,9.
Wir halten dabei den MSCI-World-ETF für den etwas geeigneteren “Proxy”. Weil:
- Hier liegt ausweislich der Kursdaten eine längere Historie vor
- Die Sparplan-Summen sind hier generell höher als beim Dax-ETF, das heißt, die Daten sind qualitativ robuster
Kommen wir nun zu der Formulierung “mehr als 150.000 Kunden” aus dem April. Wenn Trade Republic einigermaßen seriös kommuniziert, dann dürfte das eine Umschreibung für irgendwas zwischen 155.000 und 175.000 sein. Denn bei weniger als 155.000 würde man eher von “rund 150.000” sprechen, bei deutlich mehr als 175.000 würde eine Kommunikationsabteilung eher eine Formulierung mit der Bezugsgrößte “200.000” wählen.
Nimmt man nun also die Mitte (165.000 Kunden) und legt den als “Proxy” errechneten Faktor 2,9 zugrunde, dann landet man bei 480.000 Kunden per Anfang Dezember.
Na, sind Sie überzeugt – oder ist Ihnen das zu dünn? Wir vermuten: Letzteres. Dann zum zweiten Indiz …
Zweites Indiz: Der Datenpunkt aus dem Februar – und was daraus folgt
Neben den “mehr als 150.000 Kunden” aus dem April und den “weit mehr als 150.000 Kunden” aus dem September besitzen wir einen weiteren Datenpunkt:
- In dem im Oktober im Bundesanzeiger erschienen Abschluss von Trade Republic (zum 30.9.2019) war mit Datum vom 17. Februar 2020 die Rede davon, dass Trade Republic “seit Januar 2019 bis heute eine hohe fünfstellige Kundenzahl erreicht” habe.
Wenn wir nun einfach mal die “hohe fünfstellige Kundenzahl” auf 85.000 taxieren und die “mehr als 150.000” (wie oben) auf 165.000, dann heißt das: Zwischen Mitte Februar und Mitte April hätte Trade Republic rund 80.000 Kunden gewonnen. Macht rund 40.000 pro Monat.
Seit April sind nun acht Monate vergangen. Hätte Trade Republic sein Kundenwachstum gehalten hätte, wären zu den für Mitte April taxierten 165.000 Kunden also 320.000 Kunden hinzugekommen. Sprich: Auch nach dieser Methode landet man grob bei 480.000 Kunden.
Zu hoch gepokert? Weil wir den Boom aus dem Februar bis April nicht hätten 1:1 fortschreiben dürften? Nun, aus dem Markt heißt es zwar, über den Sommer habe sich der Trading-Boom kurzzeitig abgeschwächt. Zuletzt allerdings hätten die Zahlen dafür wieder deutlich zugelegt. Darauf deuten auch die Formulierungen hin. Und: Der Wettbewerber Gratisbroker vermeldete gestern (freilich ohne konkrete Zahlen), der Oktober wäre gemessen an der Gesamtzahl der Trades sein bisheriger Rekordmonat gewesen. Und der November sogar noch mal gut 25% besser.
Uns würden jedenfalls nicht überraschen, wenn entweder noch vor Weihnachten oder aber relativ früh im neuen Jahr die Mitteilung kommt, dass Trade Republic die Marke von 500.000 Kunden geknackt hat.
* Anmerkung: In einer früheren Version des Textes heute früh hieß es, dass Sparpläne 1 Euro Fremdkostenpauschale kosten. Diesen Fehler haben wir korrigiert.
NEWSLETTER