Ausblick (#2)

Von ING Diba bis N26: Was Direktbanken und Neobanken 2023 umtreiben wird

In unserer zehnteiligen Ausblicks-Serie fragen wir, was Banken und Fintechs im kommenden Jahr umtreiben wird.

Heute Teil zwei: Direktbanken und Neobanken …

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1.) ING Diba, DKB und Comdirect gehen in die Offensive

Ist ja nicht so, als hätten die drei klassischen Online-Banken hierzulande ihren Kunden nicht ein bisschen was zugemutet in den letzten Jahren. Die Bepreisung des Girokontos (jedenfalls bei mangelnden Kontoumsätzen). Die zeitweise Erhebung von Negativzinsen. Und die DKB ging sogar so weit, dem Konto keine kostenlose Kreditkarte mehr beizulegen – dabei war doch gerade das viele Jahre lang der USP der BayernLB-Tochter gewesen. Konsequenzen?

Gar keine. Jedenfalls keine negativen. Laut der renommierten Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) ist die Zahl der deutschen Verbraucher, für die Direktbanken „nicht in Frage kommen“ seit 2018 um von damals 40 Mio. und nunmehr nur noch 36 Mio. gesunken; und beim „Net Promoter Score“ – einer vielbeachteten Kennziffer, die aussagt, welchen Banken am häufigsten von den eigenen Kunden weiterempfohlen werden – belegten DKB und ING Diba auch in diesem Jahr wieder die beiden Spitzenplätze.

Kein Wunder also, dass die Frankfurter Oranje-Bank dieser Tage ihr 10-Mio.-Kunden-Ziel reaktiviert hat, während der Erzrivale aus Berlin in diesem Jahr irgendwas zwischen 250.000 und 300.000 Kunden hinzugewonnen haben dürfte. Wer geglaubt hat, die klassischen Direktbanken könnten zwischen den Filialbanken auf der einen und den Neobanken auf der anderen Seite zerrieben werden – der findet für diese These bislang kaum Belege. Stattdessen: Während N26 nach wie vor unterm Neukunden-Deckel der Bafin hockt, stürzen sich ING Diba, DKB und Comdirect mit Wonne in die Zinsschlacht. Die Zeichen stehen auf Offensive.

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2.) Auch an „schlechten“ Kunden lässt sich wieder verdienen

Während die DKB inmitten des Zinstiefs ihr (später wieder revidiertes) 8-Mio.-Kunden-Ziel ausrief, hielt sich die ING Diba bei der Neukundenakquise in den letzten ein, zwei Jahren eher zurück. Kein Wunder: Aus einem Kunden einen profitablen Kunden zu machen – das ging in Zeiten negativer Zinsen ausschließlich über Cross-Selling. Was mal besser funktionierte (Wertpapier-Boom) und mal schlechter (letzter Ausweg, siehe oben: Kontogebühren für inaktive Kunden). Die ING Diba nannte das Ganze „Hausbank-Prinzip“. Übersetzt: Einen Kunden, der weder Wertpapiere kauft noch eine Baufinanzierung abschließt, wollen wir eigentlich gar nicht mehr.

Passé. Kürzlich hat die EZB beschlossen, die Übernacht-Einlagenzinsen für die Banken auf 2,0% anzuheben. Heißt vereinfacht: Ein nicht anderweitig benötigtes Kontoguthaben von 5.000 Euro generiert 100 Euro risikolosen Zinsertrag pro Jahr. Für effizient arbeiten Online-Banken lässt sich der Unterhalt eines Girokontos also wieder ganz anders refinanzieren als noch vor zwölf Monaten. Die alten Marketing-Fähigkeiten sind nun also wieder gefragt: Wie gewinnt eine Bank möglichst schnell möglichst viele Kunden?

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3.) Auch im Zinsaufschwung zählt die Erstbank-Verbindung

Natürlich geht es nicht um die Frage, wie schnell sich neue Kunden gewinnen lassen – sondern auch, um welchen Preis. Hier dürfte der „Break-Even-Point“ der Direktbanken sehr viel niedriger sein als der klassischer Filialbanken. Was es ING Diba, DKB und Comdirect nun auch erlaubt, im Rennen um Kundeneinlagen mit 0,3% bzw. 0,4% vorzupreschen.

Interessant in dem Zusammenhang: Der Banken-Analyst Stuart Graham („Autonomous Research“) hat in einer kürzlich veröffentlichten Studie (zitiert in unserem Podcast mit Raisin-CEO Tamaz Georgadze) darauf hingewiesen, dass der größte Teil der Kundeneinlagen heutzutage auf klassischen Girokonten liegt und nicht mehr, wie vor der Niedrigzins-Ära, auf klassischen Einlagenkonten. Auf grob 90:10 schätzt Graham das Verhältnis. Vor ein paar Jahren noch dürfte es eher um die 50:50 gewesen sein.

Banken mit einem großen Anteil an Gehaltskonten dürften über entsprechend hohe Einlagen verfügen – wertvolle „Spielmasse“, mit der sich nun arbeiten lässt. Sehr gute Karten dürfte die DKB mit ihren rund 4 Mio. Girokonten haben. Zum Vergleich: Die ING Diba kommt auf rund 3 Mio. Girokonten, bei der Comdirect waren es vor der Verschmelzung auf die Commerzbank vor zwei Jahren gut 2 Mio. Girokonto-Kunden.

Man darf davon ausgehen, dass es sich bei den meisten dieser Kunden um die Erstbank-Verbindung handelt. Ein klarer Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu den Neobanken.

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4.) Die Zinswende hilft theoretisch auch N26 – aber …

Als N26 im Oktober mit reichlicher Verspätung seine 2021er-Zahlen vorstellte (siehe -> „So ernüchternd sind die N26-Zahlen: Eine Bestandsaufnahme in 13 Bullet-Points“) – da kündigte Gründer Valentin Stalf an, dass „die Umsätze“ (wir vermuten, er meinte grob gesagt die Summe aus Zins- und Provisionserträgen) im laufenden Jahr um 30% steigen würden. Offen blieb, wie will davon aufs Zinsgeschäft entfallen. Und selbst, wenn man es wüsste, bliebe die Frage: Was wäre denn das bessere Signal? Wenn die Zuwächse eher aus dem Zinsgeschäft kämen – oder wenn das Gegenteil der Fall wäre?

Fest steht: Die Neobanken sind Kinder der Niedrigzins-Ära. Das Einlagengeschäft gehörte darum nie zu ihrer DNA. Dabei träfen die Argumente, die (siehe oben) momentan für ING Diba, DKB und Comdirect sprechen, in der Theorie auch auf N26 zu: Die Berliner sind geübt in der Kundengewinnung. Und sie arbeiten zu niedrigen Stückkosten. Warum sollten nicht auch sie von der Zinswende massiv profitieren?

  • Nun, weil für N26 nach allem, was man weiß, nach wie vor das Neukunden-Limit der Bafin gilt (seit nunmehr 14 Monaten …)
  • Und weil N26 für viele Kunden nicht die Erstbank ist. Zur Einordnung: Per Ende 2020 entfielen auf knapp 3 Mio. „ertragsrelevante Kunden“ gerade mal Einlagen von rund 4 Mrd. Euro (siehe hier). Sprich: gerade mal rund 1.200 Euro pro Kunde. Nicht die „Spielmasse“, die es bräuchte, um jetzt das richtig große Rad zu drehen.

Und so droht N26 nach dem Wertpapier-Boom in 2020 und dem Krypto-Boom in 2021 nun auch noch den Zins-Boom in 2023 zu verpassen.

Was bleibt, das ist das angestammte Geschäft. Also Konto und Karte. Und damit dürften für N26 auch die Aufgabenstellungen in 2023 mehr oder weniger dieselben sein wie in 2022: Die Kosten im Griff behalten. Und den Provisionsüberschuss steigern. Und zwar am besten (Stichwort: Neukunden-Limit) den Provisionsüberschuss pro Kunde.

Zuletzt machte das Milliarden-Fintech in dieser Disziplin eher bescheidende Fortschritte. So lag das Provisionsergebnis je ertragsrelevanten Kunden 2019 bei knapp 21 Euro; zwei Jahre und eine Pandemie später waren es dann 24 Euro. In diesem Jahr (dem ersten Geschäftsjahr seit 2019 ohne pandemie-bedingte Einschränkungen)? Grob geschätzt: vielleicht an die oder um bei 30 Euro. Weiterhin zu wenig, um profitabel zu wirtschaften.

Freilich: N26 hat Millionen von Kunden und dank des „Um die 1 Mrd. Euro“-Fundings im Herbst letzten Jahres bis auf weitere auch genügend Finanzmittel. Den kleineren hiesigen Neobanken fehlt es tendenziell an beidem. Kein Wunder, dass die Hamburger Fintech-Bank Tomorrow dieser Tage die Entlassung von einem Viertel der Belegschaft angekündigt hat. Für manchen spät gestarteten N26-Nachahmer dürfte es 2023 in erster Linie ums Überleben gehen.

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5.) Mehrmarken-Strategien sind vielleicht gar nicht so abwegig

Nicht jede Neugründung ist gleich ein Trend. Und doch erstaunt, dass die spanische Santander mit der Santander Consumer Bank, der Openbank sowie der Suresse Direkt Bank neuerdings gleichen drei Retail-Marken hierzulande unterhält. Eine für die filialaffinen Kunden; eine für die online-affinen; und die dritte für die Zinshopper.

Wird dieses Beispiel Schule machen? Abwarten. In jedem Fall hat die Zinswende die hiesige Direktbanken-Szene um neue Namen bereichert. Ein Beispiel: die Bank Norwegian (formal eine Tochter der norwegischen Nordax Bank), die in Deutschland jetzt Einlagen einsammelt und Kreditkarten ausgibt.

Nun haben hiesige Banken mit ihren Online-Zweitmarken eher keine guten Erfahrungen gemacht. Die Ausnahme, klar, ist die Commerzbank mit der Comdirect. Aber schon bei der Deutschen Bank (Bank24, Norisbank, Maxblue, Robin …) muss man überlegen, welcher Ableger denn überhaupt noch existiert. Und über Yomo, also das N26 der Sparkassen, sollte man ja eh schweigen.

Dabei böten die Digitalisierung und insbesondere die Fortschritte im Cloud-Banking eigentlich beste Voraussetzungen, um mit neuen Marken ein neues Publikum anzusprechen, sei es im Brokerage, sei es im Einlagengeschäft.

Erlebt die 1822 (also die Online-Bank der Frankfurter Sparkasse) womöglich eine kleine Renaissance? Wird die Degussa Bank zur Suresse Direkt der OLB? Oder braucht’s zum Einsammeln von Einlagen gar keine Zweitmarke? Klar, wer wie die Aareal oder die Deutsche Pfandbriefbank keine Rücksicht auf angestammte Retailkunden nehmen muss – der kann auch einfach unter Klarnamen zum Einlagenbroker gehen.

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