Exklusiv

Wie Trade Republic und Scalable Capital den kompletten Markt aufsaugen

So disruptiv unsere Fintechs auch sein mögen, lobend erwähnt werden müssen ihre Verdienste um die Rettung der traditionellen Außenwerbe-Industrie hierzulande. Denn nicht genug damit, dass man als durchschnittlicher Stadtbewohner schon lange nicht mehr vor die Haustür treten kann, ohne in eines der mal mehr, mal weniger wortwitzigen Scalable-Capital-Plakate zu rennen („Deine Villa geschehe, auch ohne Vater im Himmel“) – jetzt fängt Trade Republic genauso an. Ein bisschen nüchterner zwar („Trade Republic gibt die Zinsen an alle weiter“), aber ähnlich voluminös. Als gelte es, von Berlin-Friedrichshain bis Reutlingen das ganze Land mit ETF-Werbung zuzuhängen resp. zuzukleben.

Nun ist natürlich eine ironische Pointe, dass in Zeiten, in denen jede noch so kleine Sparkasse ihre Azubis irgendwelche Tiktok-Reels drehen lässt („1384 Follower“), ausgerechnet die großen Neobroker zum Ströer-Gedächtnis-Marketing ausholen.

Allerdings: Die Zeiten, in denen man bei manchen Fintechs das Gefühl hatte, sie würden vor allem deshalb große Werbekampagnen fahren, weil sie anderweitig nicht wissen, wohin mit ihrem Geld – die sind lange vorbei. Bei Scalable Capital und Trade Republic verfestigt sich stattdessen der Eindruck, dass sie systematisch immer breitere Zielgruppen für sich erschließen und auf diese Weise inzwischen weite Teils des Neugeschäfts im Brokerage- und Sparplan-Markt auf sich vereinen.

Trade Republic Plakat an der Uber Arena in Berlin-Friedrichshain; Quelle: Instagram @traderepublic – Scalable Capital Plakat in Reutlingen; Quelle: Florentine Majid

Um diesen Effekt zu bemessen, sollte man sich nicht nur die Zahlen von Trade Republic (inzwischen >4 Mio. Kunden) und Scalable Capital (inzwischen >1 Mio. Kunden) anschauen – sondern auch die der etablierten Konkurrenz.

Die Comdirect scheint seit der Einverleibung durch die Commerzbank netto keine neuen Kunden mehr hinzuzugewinnen (siehe hier); bei der DKB stagniert seit geraumer Zeit die Zahl der verwalteten Depots (siehe hier); die ING Diba hat im vergangenen Jahr zwar die Zahl ihrer Depots und auch das Depotvolumen steigern können – aber nicht die Zahl der entsprechenden Transaktionen (siehe hier); und während die Handelszahlen von Trade Republic zuletzt durch die Decke gingen, scheint Flatex-Degiro von der jüngsten Renaissance des Tradings-Booms kaum zu profitieren (siehe hier).

Dazu passt, dass ausweislich der Marktstatistik des Internetportals „Extra ETF“ das Neugeschäft mit ETF-Sparplänen – scheinbar! – seit Jahren zurückgeht. Auf dem Höhepunkt des Trading-Hypes im Jahr 2021 belief sich der durchschnittliche Nettoabsatz bei den führenden Online-Brokern hierzulande noch auf zusammen gut 100.000 Stück pro Monat; ein Jahr später waren es dann noch 36.000 Stück pro Monat, wieder ein Jahr später noch 29.000 Stück pro Monat, bis er sich zu Beginn dieses Jahres zumindest leicht erholte (49.000 Stück pro Monat im Schnitt für Januar-März).

Dazu muss man allerdings wissen: Die Zahlen von „Extra ETF“ wirken zwar einigermaßen marktbreit, schließlich beteiligen sich etliche namhafte Player an den monatlichen Erhebungen. Schaut man sich die Liste der teilnehmenden Banken und Broker indes genauer an …

  • Comdirect
  • Commerzbank
  • Consorsbank
  • DKB Bank
  • Finvesto
  • Finanzen.net Zero
  • Flatex
  • Genobroker
  • ING Diba
  • Maxblue
  • Onvista Bank
  • Postbank
  • S-Broker
  • Smartbroker

…, dann fällt auf, dass ausgerechnet Scalable Capital und Trade Republic in der Liste fehlen. Die beiden Fintechs äußern sich grundsätzlich immer nur sehr spärlich zu ihren Zahlen. Aus zwei Datenpunkten, die Scalable im vergangenen Jahr veröffentlicht hat (10. Januar 2023: erstmals mehr als 1,0 Mio. Sparpläne; 21. Juli 2023: erstmals mehr als 1,2 Mio. Sparpläne), lässt sich aber zumindest grob schlussfolgern, dass das Münchner Fintech im H1/2023 rund 200.000 Neuabschlüsse verzeichnet haben dürfte.

Gerechnet pro Monat wären das fast 35.000 Stück gewesen. Womit Scalable allein im H1/2023 runtergebrochen auf den einzelnen Monat mehr Sparpläne abgesetzt hätte als die oben aufgelisteten Player im 2023er-Monatsschnitt zusammen (29.000 Stück). Und das war wohlgemerkt vor der jüngsten Wertpapier-Renaissance. Vor den jüngsten Großkampagnen. Und es ist nur Scalable Capital – bei Trade Republic mit seinen angeblich mehr als 4 Mio. Kunden und dem jüngsten Hype um die „Saveback“-Karte darf man mindestens mal von ähnlich vielen Neuabschlüssen ausgehen.

Daneben gibt es noch ein weiteres Indiz für die augenscheinlich massiven tektonischen Marktverschiebungen zugunsten von Trade Republic und Scalable Capital – nämlich die Marktanteile der außerbörslichen Handelsplätze hierzulande.

Der unumstrittene Platzhirsch war jahrelang Tradegate aus Berlin, ein Joint-Venture von Berliner Effektengesellschaft (56% Anteil), BNP Paribas (20%) und Deutschen Börse (20%). Aufgrund einer engen Kooperation mit Online-Brokern (bzw. Online-Banken) wie der ING Diba, Comdirect oder Flatex-Degiro verzeichnete Tradegate lange Zeit fulminante Umsatzzuwächse. Die Mechanik dahinter hatten wir vor ein paar Jahren mal stichprobenartig in unserem Stück –> Die ING Diba, Herr Baader, unsere Neobroker – und der Einbruch von Xetra illustriert: Tradegate gewann auf Kosten des klassischen Xetra-Handels, einfach, weil die Abwicklung des Handels für die Online-Broker günstiger war. Hinzu kam der Trading-Boom, mit der Folge, dass das über Tradegate abgewickelte Handelsvolumen im Corona-Jahr 2020 regelrecht explodierte, nämlich auf 324 Mrd. Euro, eine Verdreifachung binnen drei Monaten.

Indes: 2020 war auch das Jahr, in dem sich Trade Republic und der Scalable Capital Broker in den Kampf um Kunden und Trades eingeschaltet haben. Die allerdings im Gegensatz zu den angestammten Retail-Brokern nicht Tradegate nutzten. Sondern primär die von Lang & Schwarz betriebene LS Exchange (Trade Republic) bzw. den von der Münchner Wertpapierbörse organisierten Marktplatz Gettex (Scalable Capital).

Laut Marktteilnehmern steht Trade Republic heutzutage für die weit überwiegenden Handelsumsätze an der LS Exchange – so wie Scalable Capital für einen beträchtlichen Teil der Umsätze bei Gettex stehen dürfte. Und siehe da …

... Tradegate ist zwar laut Finanz-Szene vorliegenden Handelsdaten weiterhin der klare Marktführer unter den außerbörslichen Handelsplätzen. Allerdings: Lag der Marktanteil (wenn man Tradegate, die LS Exchange und Gettex zusammen als Markt definiert) im Jahr 2020 noch bei mehr als 90%, so sind es inzwischen nur noch gut 60%. Dagegen haben Gettex und die LS Exchange ihren Marktanteil über die letzten Jahre sukzessive ausgebaut.

Wenn man sich nun vor Augen führt, dass Tradegate der Handelsplatz der klassischen Online-Banken ist, während Gettex und LS Exchange die Handelsplätze von Scalable Capital bzw. Tradegate sind – dann illustriert auch das den extremen Bedeutungszuwachs der beiden Neobroker über die letzten Jahre. Und auch, warum Tradegate nun plötzlich selbst einen Neobroker startet.

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Wie lässt sich der irrwitzige Hype um die Trade-Republic-Karte erklären?

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