von Heinz-Roger Dohms, 27. November 2017
Die fehlende regulatorische Sandkiste als Standortnachteil für hiesige Finanz-Startups – das war in den vergangenen Jahren ein weitverbreitetes Narrativ in der deutschen Fintech-Szene. Sascha Dewald, CEO des Berliner Kontowechsel-Spezialisten Finreach, dreht das Ganze nun um. Seine Firma ist in Österreich erfolgreich unterwegs, hat gerade die erste größere Bank außerhalb der Dach-Region als Kunden gewonnen (nämlich die spanische Self Bank) – und will als nächstes nach Italien expandieren. Dewalds Botschaft: Wer keine Sandkiste hat, wird schneller erwachsen.
Herr Dewald, wir dachten immer, die spanischen Banken seien in puncto Digitalisierung weit vorne. Warum braucht ein dortiges Kreditinstitut dann einen deutschen Dienstleister für den Kontowechsel?
Sascha Dewald: Es stimmt zwar, dass viele spanische Banker deutlich digitalaffiner sind als wir das aus Deutschland kennen. Grundsätzlichen kämpfen die iberischen Institute allerdings mit den gleichen Problemen wie die hiesigen Banken – vom Niedrigzins bis zur IT-Legacy. Nicht einmal große Player wie die BBVA oder Santander können darum alle digitalen Projekte selbst umsetzen. Es heißt also auch hier: ‚Make or buy‘ – bzw. im Falle des Kontowechsels: „Buy!“ Denn: Den digitalen Kontowechsel ohne Medienbruch innerhalb von wenigen Minuten – das gab es in Spanien bisher weder bei den Banken noch vonseiten eines externen Dienstleisters.
Das Thema Kontowechsel hat durch das im vergangenen Jahr erlassene neue Zahlungskontengesetz (ZKG) einen gewaltigen Schieb erhalten – wovon Anbieter wie Finreach oder Ihr Kasseler Konkurrent Fino stark profitiert haben. Allerdings: Ursprünglich basierte die gesetzliche vorgeschriebene Kontowechselhilfe ja auf einer EU-Richtlinie – müsste es darum in anderen Ländern nicht längst ähnliche Anbieter wie Finreach oder Fino geben?
Dewald: In der Tat beruht das Zahlungskontengesetz auf der europäischen PAD-Direktive, die bis Mitte September 2016 in nationales Recht umgesetzt sein sollte. In Ländern wie Frankreich, Österreich oder eben Deutschland ist dies auch geschehen – wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. In Spanien hingegen gibt es bis heute keine entsprechendes Gesetz. Die Regierung in Madrid ist deshalb auch schon zweimal von der EU-Kommission verwarnt worden.
Heißt das, dass die beflissentliche deutsche Gesetzgebung in diesem Fall einen Wettbewerbsvorteil für hiesige Fintechs kreiert hat?
Dewald: Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass das deutsche ZKG teilweise an die Steinzeit erinnert – mit der sogenannten „Schriftform-Erfordernis“ oder dem guten alten „Fax-Gerät“ als Medium der Wahl. Da war uns zum Beispiel Frankreich deutlich voraus. Nichtsdestotrotz hat das Gesetz aber natürlich bei allen Banken und Sparkassen in 2016 einen Run auf Wechselservices wie Finreach ausgelöst, denn die Integration solcher Prozesse in die bestehenden Backend-Strukturen schien katastrophal. Hinzu kamen die zahlreichen Medienberichte, durch die die Wechselquote merklich gestiegen ist. Was nun die Situation in Spanien angeht: Trotz des schleppenden Gesetzgebungsverfahrens sind sich die dortigen Banken sehr wohl bewusst, dass das Thema auf sie zurollt. Und davon profitieren wir nun.
Also gibt es letzten Endes tatsächlich so etwas wie eine Regulierungs-Dividende?
Dewald: Was in Deutschland jedenfalls fehlt, das ist der vielbeschworene regulatorische Sandkasten für Finanz-Startups. Die Folge: Fintechs werden automatisch mit den großen Banken und ihren Dienstleistern gleichgestellt. Und das ist – insbesondere mit Blick auf die Internationalisierung von Produkten – ein Wettbewerbsvorteil. Schauen Sie sich doch einfach mal die erfolgreichen deutschen B2B-Fintechs an, die eine Nische in der Wertschöpfungskette für sich entdeckt und digitalisiert haben – das sind alles Firmen, die Themen wie Regulierung und Datenschutz quasi mit der Muttermilch aufgenommen haben. Wenn wir da – dieser Wechsel in den Fachjargon sei erlaubt – mit unserer Dokumentation von OHB*, Penetrationstests, Report von Audits oder frühzeitig abgeschlossener DSGVO-Tauglichkeit um die Ecke kommen, verstimmen die Kritiker – das ist man im Ausland oft nicht gewöhnt.
Um vom Fachjargon zurück in den Holzschnitt-Modus zu wechseln: Deutschlands B2B-Fintechs rollen jetzt Europa auf?
Dewald: Ich kann nur für uns sprechen. Natürlich ist das langfristige Ziel, so viele europäische Länder wie möglich mit unseren Produkten auszustatten. Allerdings legen wir Wert auf eine extrem gründliche Vorbereitung. Wir wollen Märkte nicht scheinbar aufschließen und dann nach sechs Monaten feststellen, das war eine Schnapsidee. 2018 nehmen wir darum nur eine kleine Handvoll an weiteren Ländern in den Fokus. Nachdem wir nun in Österreich und Spanien Fuß gefasst haben, starten wir mit unserem Kontowechsel als nächstes in Italien.
*Organisationshandbuch in Banken
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