von Heinz-Roger Dohms und Thomas Borgwerth, 12. Februar 2018
Die Niiio AG (mit dreifachem „i“) scheint der Alleskönner unter Deutschlands Fintechs zu sein. Sie beherrscht „Innovation hoch zwei“, will das „SAP fürs Wertpapiergeschäft“ sein, plant einen „eigenen Blockchain-Marktplatz“, gibt mit ihrer „hochmodernen Robo-Advisor-Suite eine konkrete Antwort auf die zentralen Zukunftsfragen der Finanzbranche“ und hat erst jüngst wieder „ein neues Geschäftsmodell“ angekündigt.
Wundert es da, dass sich der Aktienkurs der Niiio AG zwischen Anfang 2017 und Anfang 2018 in etwa vervierfacht hat (bevor das Papier zuletzt im allgemeinen Börsenrutsch nachgab)?
An Prominenz mangelt es dem neuen deutschen Super-Duper-Robo-Blockchain-Startup jedenfalls nicht. Dem Aufsichtsrat gehören neben Michael Mellinghoff vom Frankfurter Fintech-Forum auch ein früherer UBS-Deutschland-Vorstand und ein früherer Fidor-Vorstand an, ein weiterer hochrangiger Ex-Banker könne folgen, ist zu hören. Höchste Zeit zu fragen: Was ist das eigentlich für ein Unternehmen? Und wo kommt es her? „Finanz-Szene.de“ hat sich das neue deutsche Wunder-Fintech mal etwas genauer angeschaut. Hier die Antwort in fünf Akten:
Die Meridio AG war ein klassischer deutscher Vermögensverwalter. Gegründet wurde die Kölner Gesellschaft 1998 von Uwe Zimmer, den das interessierte Publikum vor allem aus dem „n-tv Geldanlagecheck“ kennt. Was die „n-tv“-Redaktion vermutlich nicht wusste: Die Meridio AG war wirtschaftlich nicht sonderlich erfolgreich. Seit der Finanzkrise 2008 erwirtschaftete das Unternehmen in keinem einzigen Jahr einen positiven Ertrag. Ende 2015 betrug der kumulierte Bilanzverlust erstaunliche rund 5,5 Mio. Euro. Was das mit der Niiio AG zu tun hat? Nun …
Mitte 2016 wurde die in Sachsen beheimatete Niiio GmbH in die im Rheinland beheimatete Meridio AG eingebracht (die Niiio GmbH war also nun Teil der Meridio AG). Im Gegenzug gab die Meridio AG im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung 6,85 Millionen Aktien an die Eigentümer der Niiio GmbH aus. Da sich das Stammkapital des Kölner Vermögensverwalters vor dieser Kapitalerhöhung auf lediglich auf 3,15 Millionen Aktien belief, gehörte die Meridio AG jetzt mehrheitlich den Eignern der Niiio GmbH. Denn: Neben besagter Sachkapitalerhöhung sollte es zwar auch noch eine Barkapitalerhöhung über 8,9 Millionen Aktien geben. Von denen wurden allerdings nur 141.490 Anteile gezeichnet, eine Quote von gerade mal 1,6 Prozent. Bald darauf wurde die Meridio AG in Niiio Finance Group AG umbenannt. Neuer starker Mann im Unternehmen ist ein gewisser Johann Horch.
Laut Paragraf 183, Absatz 3 des deutschen Aktiengesetzes hat bei einer Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen „eine Prüfung durch einen oder mehrere Prüfer stattzufinden“. Im konkreten Fall übernahme dies die MSW GmbH, eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft. Obwohl die Meridio AG seit 2007 nur noch Verluste gezeigt hatte und die Provisionserlöse 2015 gerade einmal 1,3 Mio. Euro betrugen, kamen die Gutachter auf einen positiven Unternehmenswert von 2,2 Mio. Euro. Nach der Ertragswertmethode war das freilich gar nicht möglich. Denn die Planungen wiesen selbst für das letzte Planjahr 2020 kein positives Ebit aus. Um dennoch einen Wert zu ermitteln, verfielen die Gutachter auf einen AUM-Multiplikator (AUM soll wohl Assets under Management heißen). So kam man auf Basis einer nicht näher definierten Peer-Group von 18 Vermögensverwaltern auf den Wert von 2,2 Mio. Euro.
Für die Niiio GmbH kommt der Gutachter auf Basis des Ertragswert-Verfahrens auf einen Wert von 15,4 Mio. Euro und nach dem sogenannten Multiplikator-Verfahren auf einen Plausibilisierungswert von 9,8 Mio. Euro. Dem zugrunde lag der Plan, 2016 Umsätze von 2,6 Mio Euro zu erzielen und diese bis 2018 dann gleich mal zu verzehnfachen. Wie das gehen soll? Wird im Gutachten nicht en detail hinterfragt. Stattdessen nimmt der Gutachter einfach einen pauschalen Abschlag von 30 Prozent auf die Umsatzplanung vor. Unter Berücksichtigung dieses Abschlags soll in 2018 bereits ein Jahresüberschuss von 12,8 Mio. Euro erwirtschaftet werden.
Glaubt man der Explosion der Niiio-Aktie, dann ist das neue Super-Duper-Robo-Blockchain-Fintech auf einem sehr guten Weg. Der kürzlich veröffentlichte 2017er-Halbjahresbericht allerdings liest sich weniger vielversprechend. Das alte Kerngeschäft der Meridio (also die klassische Vermögensverwaltung) wurde für nur 200.000 Euro an die Kölner Maiestas Vermögensmanagement AG veräußert – also nicht mal ein Zehntel des vom Gutachter ermittelten Werts. Die Beteiligung an der Niiio GmbH (die laut Gutachten ja 15,4 Mio. Euro wert sein sollte) wurde mittlerweile auf nur noch 5,6 Mio. Euro abgewertet. Mitte 2017 bestand zudem laut Managements eine Unsicherheit über die Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft, die durch eine Kapitalerhöhung von 750.000 Euro beseitigt werden sollte (was nach Angaben des Unternehmens mittlerweile geschehen ist). Anfang Dezember hat die Niiio AG nun eine weitere Kapitalerhöhung über 8,5 Mio. Euro beschlossen. Vergangene Woche wurde bekanntgegeben, dass die Kapitalerhöhung nun kurzfristig bevorsteht und den Bezugspreis auf einen Euro festgelegt. Ein kräftiger Abschlag von 30 Prozent auf den aktuellen Kurs von zuletzt rund 1,50 Euro. Mit dem frischen Geld will due Niiio AG nun den Bereich Blockchain aufbauen.
So seltsam das gesamte Konstrukt (im Fachjargon „Reverse Takeover“ genannt) anmutet – ohne Ratio ist es nicht. Die offenkundig völlig unwirtschaftliche Meridio AG sparte sich ein teures Delisting. Während die offenkundig sehr ambitionierte Niiio GmbH es ohne teuren IPO an die Börse schaffte. Das Gutachten mag man zweifelhaft finden – schädigte aber zunächst einmal niemanden. So kann man nämlich in der hohen Bewertung der Meridio AG auch ein Zugeständnis der neuen Gesellschafter an die Altaktionäre sehen. Fraglich ist allerdings, ob anschließend jene Aktionäre, die den Kurs 2017 um rund 300 Prozent nach oben trieben, wussten, was sie da tun.
Hat Niiio ein Geschäftsmodell? Zumindest die „alte Firma“ hatte eines. Zuletzt habe der Umsatz der Niiio GmbH bei knapp 650.000 Euro, der Vorsteuergewinn bei gut 160.000 Euro gelegen, sagte Aufsichtsratschef Mario Uhl dieser Tage im Gespräch mit „Finanz-Szene.de“. Das allerdings reicht der sächsischen Technologiefirma offenkundig allein nicht aus, jetzt soll es Robo, jetzt soll es Blockchain, jetzt soll es Börse sein. „Das Listing verschafft uns eine ganz andere Visibilität, auch international“, sagt AR-Chef Uhl. „Aufbauend auf unserer bestehenden Kundenbasis, die mehr als 80 Banken umfasst, werden wir nun unsere neuen Produkte am Markt platzieren – darunter ein B2B2C-Angebot im Robo-Bereich.“ Ob diese Pläne aufgehen, wird man sehen.
Fragt sich nur noch, was aus Uwe Zimmer geworden ist, dem bekannten „n-tv-Experte“ und langjährigen Chef der defzitären Meridio AG? Er firmiert inzwischen als Geschäftsführer von Fundamental Capital, der „ersten digitalen Vermögensverwaltung, die aktive Hedgefonds-Technologien für Privatanleger zugänglich macht“.
Auch Zimmer ist jetzt also „robo“.
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