von Heinz-Roger Dohms, 14. September 2017
Neulich hat Roland Folz für ein Vorstandsfoto posiert. Und was trug der Kollege neben ihm auf dem Kopf? Eine Wollmütze. Nicht weil es kalt war. Sondern als modisches Accessoire. Spätestens in diesem Moment dürfte Folz, 53 Jahre, langjähriger Manager der Deutschen Bank, klar geworden sein, dass er in einer völlig anderen Welt gelandet ist.
Wobei: Stimmt das überhaupt? Oder ist das jetzt bloß wieder eines dieser üblichen Klischees?
Hier die Banken, dort die Fintechs. Das ist eines der wichtigsten Narrative in der deutschen Finanzberichterstattung der vergangenen Jahre. Tatsächlich lassen sich gewisse kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Lagern ja kaum negieren. Hier die Kamingespräche. Dort die Tech-Konferenzen. Hier die graumelierten Anzugträger. Dort die Jungs in Jeans und Sneaker. Hier die Freßgass-Seilschaften. Dort die Twitter-Netzwerker.
Jenseits solcher Stereotypen stellt sich allerdings die Frage, ob das Bild von der Banken-Szene auf der einen und der Fintech-Szene auf der anderen Seite überhaupt noch stimmt. Roland Folz, seit Anfang Februar Chef des Berliner Fintechs Solarisbank, ist ja nicht der einzige namhafte Bankmanager, der zuletzt rübergemacht hat. Markus Gunter, Ex-Vorstandschef der DAB Bank, steht seit rund einem Jahr an der Spitze der Smartphone-Bank N26. Und Holger Hohrein, zuvor Finanzvorstand der Comdirect, firmiert seit April als COO des Hamburger Spareinlagen-Vermittlers Deposit Solutions. Umgekehrt funktioniert das Ganze natürlich auch. Dirk Elsner, ein früherer Berater, der sich als Fintech-Blogger einen Namen machte, trägt heute den Titel des Senior Managers für Innovation und Digitalisierung bei der DZ Bank.
Kann es sein, dass die Grenzen zwischen Banken und Fintechs verschwimmen?
Es war vor allem die Lust, noch mal etwas Neues zu wagen, die Roland Folz getrieben hat. Von 2002 bis 2005 stand er an der Spitze der Daimler-Chrysler Bank, danach war er vier Jahre lang Bereichsvorstand bei der Telekom, seit 2009 gehörte er rund siebeneinhalb Jahre lang als „Managing Director“ der zweiten Führungsebene der Deutschen Bank an. Er klingt nicht so, als wäre er beim größten Geldhaus des Landes unglücklich gewesen. Aber gebrannt für seinen Job hat er am Ende wohl auch nicht mehr. „Zweite Ebene ist zweite Ebene. Da verpufft eben auch viel, was Sie machen.“ Das Angebot, den Vorstandsvorsitz bei der erst 2015 gegründeten Solarisbank zu übernehmen, kam daher zur richtigen Zeit. „Es gibt viele Fintechs, zu denen ich sicher nicht gewechselt wäre. Aber hinter der Solarisbank habe ich ein Konzept erkannt.“
Ortswechsel, von Berlin zurück nach Frankfurt, von Roland Folz zu Lars Reiner. Auch der war mal bei der Deutschen Bank. Aber von Folz unterscheiden ihn dann doch ein paar Dinge. Reiner hat zum Beispiel keinen Wikipedia-Eintrag. Und er ist fast 25 Jahre jünger.
Lars Reiner sagt, im Grunde gebe es drei Gruppen von Ex-Bankern, die in der Fintech-Branche arbeiteten. Die kleinste und zuletzt entstandene Gruppe, das sind die Markus Gunters und Roland Folzens, also gestandene Manager, die auf der Zielgeraden ihrer Berufslaufbahn noch mal die Seiten wechseln. Dabei achten solche Kaliber natürlich darauf, dass sie bei den Start-ups anheuern, die aufgrund des Geschäftsmodells und der Funding-Tiefe nicht gleich wieder umkippen. Was im Falle von N26 und Solaris hinzukommt: Beide besitzen – im Gegensatz zu den meisten anderen Fintechs – eine Vollbanklizenz. Auch darum sind sie auf Banker mit einem gewissen Senior-Status angewiesen. „Die Aufseher sehen es ja eher ungern, wenn das halbe Management aus Studienabbrechern ohne Finanzhintergrund besteht“, lacht Lars Reiner.
Die zweite Gruppe? Das sind jene Banker, die relativ früh und aus unterschiedlichen Motiven den Sprung aus der Banken- in die Fintech-Branche wagten. Oliver Prill ist so ein Fall, ehemals Royal Bank of Scotland, später C&A Bank, inzwischen COO bei Kreditech, dem mit mehr als 300 Mio. Euro mutmaßlich höchstbewerteten deutschen Fintech. Oder: Daniel Berndt, von 2008 bis 2013 Head of Sales Service Center bei der Deutschen Bank, inzwischen seit mehr als vier Jahre Chief Client Officer bei Weltsparen.
Und die dritte Gruppe? Das sind die eigentlichen Gründer – zu denen auch Lars Reiner selbst gehört. Er hat vor drei Jahren seinen Job in der Strategieabteilung der Deutschen Bank aufgegeben, um Ginmon aufzusetzen, einen der führenden Robo-Adviser, die um das Geld der deutschen Kleinanleger buhlen.
Tatsächlich beruht der weitverbreitete Glaube, bei der Fintech-Revolution handele es sich um einen externen Angriff auf die Bankenbranche, um ein Missverständnis. Klar – es gibt Gründer wie Sebastian Diemer, den mittlerweile zurückgetretenen Chef von Kreditech. Diemer hatte mit der Bankenbranche nichts zu tun, bevor er zu deren Herausforderer wurde. Er studierte an der London School of Economics, arbeitete ein knappes Jahr für die Samwer-Brüder, gründete dann mit Mitte 20 und einem Jugendfreund Kreditech. Von Diemer heißt es, er habe Investoren gegenüber gezielt die Anti-Banker-Karte gespielt und sei auch deshalb von vielen Venture-Fonds hofiert worden.
Mag sein, dass es tatsächlich so gewesen ist. Doch die Diemers sind nicht die Regel. Hinter Scalable Capital, dem rasant wachsenden Münchner Robo-Advisor, stehen ehemalige Goldman-Sachs-Manager. Einer der Gründer von Firstwire – einem webbasierten Marktplatz für Private Placement – ist Jens Michael Otto, der langjährige Kommunalfinanzierungschef der Deutschen Bank. Reinhard Tahedl wiederum, der Chef der kürzlich von der W&W-Gruppe übernommenen Treefin GmbH, entstammt der Fondsbranche. Und Florian Christ firmierte, bevor er 2015 den Kontowechsel-Anbieter Fino gründete, fünf Jahre lang als Abteilungsdirektor Business Development bei der Commerzbank. Selbst auf Figo-Chef André Bajorat, den omnipräsenten Fintech-Blogger, Fintech-Redner und Fintech-Twitterer, trifft das Klischee des hippen Start-up-Entrepreneurs nur bedingt zu. Als ehemaliger Giropay-Geschäftsführer ist er nichts anderes als ein Kind des Sparkassenlagers. Fleisch vom Fleische.
Zurück von Frankfurt nach Berlin. Lunch mit Ramin Niroumand, dem Jungstar der deutschen Fintech-Branche. Als Chef des Company Builders Finleap hat er inzwischen zwölf Finanz-Start-ups aufgebaut [Anm.: inzwischen sind es 13], die zusammen schon fast 500 Mitarbeiter beschäftigen; das US-Magazin Forbes setzte ihn darum jüngst auf seine europäische „Top 30 unter 30“-Liste. Wenn man Niroumand gegenübersitzt, dichte schwarze Haare, schelmisches Grinsen, Jungsgesicht, meint man, er wäre direkt von der Uni auf den Chefsessel gefallen. Dabei blickt der 30-Jährige schon auf eine mehr als zehnjährige Berufslaufbahn zurück. So arbeitete Niroumand unter anderem als Innovationsmanager für die DKB.
„Fintech ist von der Wertschöpfungskette her viel tiefer als E-Commerce. Darum wäre es ein Fehler zu glauben, man könnte die Finanzbranche mit exakt denselben Methoden revolutionieren wie den Einzelhandel“, sagt Niroumand. Bei Finleap haben sie darum auf die Balance zwischen Start-up-Expertise und Finanz-Know-how geachtet. Jan Beckers, ein Veteran der deutschen Gründerszene, setzte den Inkubator zwar 2014 auf. Zum CEO allerdings machte er nicht sich selber, sondern den DKBler Niroumand. Zudem umgab sich das Gründerteam von Anfang an mit erfahrenen Branchenmanagern. So gehörte der bereits erwähnte Ex-Deutschbanker Otto ebenso zu den Finleap-Beratern wie der frühere Mastercard-Manager Jochen Siegert. Darüber hinaus finden sich unter den Investoren neben den üblichen Venture-Capital-Fonds auch zwei prominente strategische Investoren, nämlich die Hannover Rück und Unicredit – was kein Einzelfall ist: Die Researchfirma CB Insights stellte zuletzt fest, dass bei immer mehr Fintech-Deals Banken im Spiel sind. Dasselbe gilt im kleineren Umfang für Versicherer und inzwischen auch für Vermögensverwalter. Jüngstes Beispiel: Der Einstieg von Blackrock bei Scalable Capital. Daneben investieren prominente Banker auch mit eigenem Geld in Finanz-Start-ups. So soll der frühere Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann beim Konto-App-Spezialisten Centralway Numbrs eingestiegen sein. Ein anderes Beispiel ist die Beteiligung des Ex-HRE-Chefs Axel Wieandt beim Düsseldorfer Online-Lender Auxmoney.
Am Beispiel Finleaps lässt sich studieren, wie neue Netzwerke entstehen, bei deren Mitgliedern sich immer schwerer auseinanderhalten lässt, wer eigentlich der Fintech-Szene und wer der Bankenbranche zuzuordnen ist. Ein kleiner Ausschnitt: Die Solarisbank, der seit Kurzem der Ex-Deutschbanker Folz vorsteht, wurde 2015 gemeinsam von Finleap und einem Münchner VC namens Yabeo Capital aufgesetzt. Der Yabeo-Gründer ist Matthias Sohler, früherer COO der Unicredit, die sowohl bei Finleap als auch bei Solaris investiert ist. Zum Management-Team von Yabeo wiederum gehört Gerrit Seidel, Ex-Chef des deutschen Ur-Fintechs Sofort AG („Sofortüberweisung“). Seidel war es, der Folz ansprach, ob der sich vorstellen könne, zur Solarisbank zu wechseln. Zwar kannten die beiden sich nicht persönlich. Folz aber kannte den Seidel-Kompagnon Sohler. Warum? Weil der einst bei der DAB Bank sein IT-Chef gewesen war. Zudem kannte Folz den Solaris-Gründungsvorstand Andreas Bittner. Denn: Der war auch mal bei der DAB. Zudem kannte Bittner wiederum Seidel. Die beiden arbeiteten Ende der Nullerjahre bei der Fondsdepot Bank.
Natürlich spielt immer auch der Zufall eine Rolle, wenn sich solche Netzwerke bilden. Darüber hinaus lassen sich, wenn man die Schnittmengen zwischen Banken- und Fintech-Szene untersucht, aber auch immer mehr Strukturen erkennen. Eine wichtige personelle Verbindungsachse zwischen alter und neuer Finanzwelt scheinen zum Beispiel die Consulting-Firmen zu sein. Beispiele gefällig?
Das zweite und vielleicht noch wichtigere personelle Scharnier sind die Direktbanken, was insofern logisch ist, als die Direktbanken entwicklungsgeschichtlich gewissermaßen den Übergang von der Filial- zur Fintechwelt markieren. Nicht nur Solaris-Chef Folz ist ein früherer DAB’ler. N26-Chef Gunter ist es auch. Und nicht zu vergessen: An der Spitze der DAB stand sehr lange Matthias Kröner – derselbe Matthias Kröner, der mit Fidor als erster Banker (zumindest marketingmäßig) voll auf die Fintech-Karte setzte. Vor dem Hintergrund ihrer Direktbank-Vergangenheit versteht man dann auch, warum Roland Folz und Markus Gunter die Berliner Start-up-Szene, deren Teil sie jetzt ja irgendwie sind, als gar nicht so neu empfinden – Wollmütze hin oder her. „Auch bei der DAB Bank trieb uns damals schon die Attitüde, das Banking verändern zu wollen“, sagt Gunter.
Bei N26 übrigens soll es inzwischen einen – halbironischen – „Ü50“-Klub geben. Vielleicht ist es bei Banken und Fintechs ja so wie im richtigen Leben. Die Alten machen sich jünger. Und die Jungen machen sich älter. Großbanken stellen Blogger ein. Und Fintechs verpflichten Manager, die man auf dem Weg in den Vorruhestand wähnte. Arno Walter, Comdirect-Chef, legt, wenn er Interviews gibt, inzwischen fast habituell zwei Smartphones vor sich auf den Tisch. Wozu er ein zweites Handy braucht, traut man sich nicht zu fragen. Aber die Aussage ist klar: Auch Banker sind jetzt Digital Natives.
Dazu passt die erfolgreiche Konversion des früheren UBS-Vorstands Oliver Bussmann zum Fintech-Missionar. Der sichtbarste Ertrag: bald 25 000 Twitter-Follower. Bussmann ist jetzt der Justin Bieber des Bankings. Derweil sagt Simon Brunke, Chef des neuen Hamburger Hype-Start-ups Exporo, den bemerkenswerten Satz: „An die Duzerei in meiner eigenen Firma habe ich mich erst einmal gewöhnen müssen.“ Brunke stammt aus der Versicherungswirtschaft.
Die Grenzen verschwimmen. Es scheint inzwischen sogar einen Banking-Fintech-Dresscode zu geben: Jacket ja. Krawatte nein. Lars Reiner erzählt, wenn sich Fintech- Gründer und Bankmanager in Frankfurt bei „Between the Towers“ oder im „Tech-Quartier“ träfen, dann sei „das Verhältnis inzwischen immer ungefähr fifty-fifty.“ Goldene Knöpfe sieht man bei solchen Gelegenheiten natürlich eher nicht. Aber auch kaum noch Wollmützen.
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