Analyse

Warum die Deka (und die Sparkassen-Berater) so krass auf Zertifikate abfahren

Eigentlich unterstützen wir als B2B-Newsletter ja ausnahmslos alles, was Erträge bingt! Motto: Was schert uns der Kunde? Und doch, liebe Deka (und liebe Sparkassen), eine Frage sei erlaubt: Müssen es denn wirklich Zertifikate sein? Also jene „Bäh“-Papiere, bei denen jeder, der vor zehn Jahren schon Zeitung lesen konnte, reflexartig an „Lehman“ denkt? Ja, es müssen Zertifikate sein. Und wie! Binnen fünf Jahren ist die Deka in diesem 70-Mrd.-Euro-Markt von Null (!) zum Dominator mit einem Fünftel Marktanteil aufgesteigen, wie wir neulich berichteten. Und nun: Wurde diese Woche bekannt, dass die Deka im vergangenen Jahr verrückterrweise sogar mehr Zertifikate – Volumen: 5,7 Mrd. Euro – als Fonds abgesetzt hat (Lesen Sie dazu auch unseren Nachtrag *). Höchste Zeit, sich das Ganze einmal detailliert anzuschauen. Was sind das eigentlich für Produkte, die die Sparkassen da an ihre Kunden vertreiben. Und vor allem: Welche (irren?) Kosten (und damit letztlich: Erträge) stecken da drin?

Wir wollen unsere kleine Analyse auf acht Zertifikate beziehen, die die Deka aktuell im Rahmen einer Kampagne als „Frühlingszertifikate“ bewirbt. Was muss passieren, dass der Kunde eines dieser Papiere erwirbt? Denn: Dass der Kunde in die Filiale kommt und dem Berater selbstgewiss erkärt, „Ich hätte gerne ein DekaBank Express-Zertifikat Memory mit Airbag 06/2025 auf den EURO STOXX 50“… das dürfte ja eher selten passieren.

Anders gesagt: Zertifikate sind in aller Regel (und bei den Sparkassen zu annähernd 100 Prozent) ein klassisches Retail-Vertriebsprodukt: Der Kunde hat Geld herumliegen, und der Berater die zündende Idee, was man damit machen könnte: ein Zertifikat kaufen. Abzulesen ist das auch an den Marktanteils-Statistiken: Zertifikate-Emittenten ohne eigene Retail-Vertriebsstrukturen in deutschen Banken (etwa Goldman Sachs, die UBS oder BNP Paribas) kommen in Deutschland kumuliert auf nur rund 20 Prozent Marktanteil. Emittenten mit Filialen auf die übrigen 80 Prozent (siehe nochmal unser Stück aus dem Februar).

Somit sind – was im Fondsmarkt ähnlich ist – die Berater der Schlüssel für den Erfolg oder den Misserfolg eines Produkts. Und das kleine, dunkle Geheimnis der Branche lautet: Gut ausgebildete Berater lieben Zertifikate!

Warum?

  • Sie sehen gut aus. Zertifikate werden meist mit optisch hohen Zinskupons ausgestattet. Das liebt der zinsfixierte deutsche Anleger. 2,55 Prozent Kupon offeriert zum Beispiel das „Express Zertifikat Plus auf den Euro Stoxx 50“, das die Deka in ihrer „Frühlingsaktion“ aktuell in Zeichnung hat. Gar 10 Prozent sind es bei einer Aktienanleihe auf die Lufthansa. Man beachte: Alle acht angebotenen Frühlings-Zertifikate generieren, wenn alles gut geht, auf die ein oder andere Art jährliche Kuponzahlungen.
  • Sie klingen so schön. Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen. Heißt: Der Käufer „funded“ den Emittenten (hier: die Deka) und trägt das volle Insolvenzrisiko der ausgebenden Bank. Und das ist nicht das einzige Risiko. Denn bei den Papieren sind die Chancen meist auf den Zinskupon gedeckelt – sie bergen aber die Risiken des Aktienmarkts. Exemplarisch: Bei fünf der acht eigens beworbenen“Frühlingszertifikate“ würden Anleger im Falle eines größeren Crashs am Aktienmarkt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Herbststurm erleben. Das hält Emittenten – auch die Deka – allerdings nicht davon ab, den Zertifikaten so oft es geht den wohlklingenden Namen der „Anleihe“ zu geben. Was  vertriebsfördernd Sicherheit ausstrahlt.  Letzte Zweifel beseitigen dann Wortklaubereien wie „Relax“, „Memory“, „Airbag“, „Plus“ und „Zielzins“.
  • Keiner sieht genau hin (Teil I). Was Zertifikate tatsächlich kosten, lässt sich zwar ermitteln – aber nur, wenn man weiß, wo man schauen muss. Aber wer liest das alles schon? Im Falle der Deka-Frühlingszertifikate muss man sich etwa über den Namen des Zertifikats und dem Reiter „Publikationen“ auf das „Basisinformationsblatt“ vorkämpfen, um weiter hinten im Dokument auf die bei Anlageprodukten etwas sperrige, aber wichtige Kennziffer „Reduction in Yield“ zu stoßen. Sie gibt an, wie sich die gezahlten Gesamtkosten auf die Anlagerendite auswirken. Diese Gesamtkosten berücksichtigen alle einmaligen und laufende Kosten. Diese Gesamtkosten sind in der Branche eine nicht unumstrittene Berechnungsmethode. Dennoch steht fest: der Frühling ist eine schöne Jahreszeit, Gebührenallergiker bekommen aber rasch einen Niesanfall. Im Falle der aktuell feilgebotenen „Express-Zertifikat Memory mit Airbag 06/2025 bezogen auf den EURO STOXX 50“ beträgt die Renditeminderung durch Kosten und Gebühren im ersten Jahr 2,9 Prozent, im Falle des „BASF Express Zertifikat Relax“ 4,9 Prozent, im Falle der „DekaBank Zinsdifferenz-Anleihe mit Zielzins“ – 6 Prozent bezogen auf den Verkaufspreis.

  • Sie bergen aus Sicht der Anbieter keine Risiken. Wenn sich der Wert eines Fonds halbiert, halbieren sich auch die an sein Volumen gebundenen Managementgebühren (für den Anbieter) und der Bestandsprovision (für Berater). Bei Zertifikaten gibt es für beide Parteien ein hohes Maß an Planungssicherheit, welche Provisionen fließen. Nur nicht für den Anleger, dessen Rückzahlungsprofil von den Kapitalmärkten abhängt. Der guten Ordnung halber: Anders, als gemeinhin angenommen wird, sind Zertifikate aber auch keine Wetten zwischen Anbieter und Anleger. Auch die Deka „wettet“ so nicht gegen Käufer ihrer Zertifikate. Ihr Interesse (und das aller anderen Emittenten) ist, sichere Provisionserträge und Margen im Weiterverkauf zu generieren.  Zertifikateanbieter verpacken daher Optionen und Wertpapiere, die sie entweder sowieso halten oder eigens ankaufen, einfach um. Und reichen sie dann als Zertifikat weiter an Anleger. So wie ein guter Koch wenig wegwirft, arbeiten auch Zertifikateemittenten: Idealerweise generieren sie so aus Beständen, die sie ohnehin halten – gemeinhin das „Buch“ genannt – zusätzliche Provisionseinnahmen. Und wollen Kunden lieber nicht in die Küche gucken, was alles in die „bunten Frühlingseintöpfe“ fliegt.

  • Zertifikate schaffen Beratungsbedarf. Der vermutlich wichtigste und meistunterschätzte Grund: Bei den meisten Spar- und Anlageformen wie Fonds, Bausparverträgen, Sparkonten oder auch Lebens- und Rentenversicherungen ist ein Kunde, einmal raus durch die Tür, meist auf Jahre weg. Und schwer wieder reinzubekommen. Nicht so bei Zertifikaten. Die Produkte weisen alle feste Laufzeiten auf, werden bei Erfüllen bestimmter Bedingungen vorzeitig fällig (oder vorzeitig seitens des Emittenten gekündigt, wenn sie, etwa bei Zinsprodukten, für ihn unvorteilhaft werden).  Und sie generieren meist Zinskuponeinnahmen, die sich auch summieren können – alles Gründe für Berater, den Kunden zu einem erneuten Beratungsgespräch bitten zu können. Und flugs lockt der nächste Abschluss. Das ist, was die Gattung der „Express-Zertifikate“ zu einer der populärsten Produkte im Reich der Zertifikate gemacht hat mit 26 Prozent Anteil an allen Zertifikaten im 70-Milliarden-Euro-Markt. Wir ersparen ihnen die Details (und Connaisseure können sich hier einlesen), aber: Bei Expresszertifikaten ist im Idealfall für Kunde wie Emittent wie Berater schon nach einem Jahr der komplette Anlagebetrag wieder zur Rückzahlung fällig. Und natürlich das entsprechende Gespräch, was man denn mit dem frei gewordenen Geld nun anstelle. Was das mit der Deka zu tun hat? An den „Express-Zertifikaten“ – übrigens schön für Anleger in Seitwärts- und Bullenmärkten, aber riskant in echten Crashs – haben die Deka und ihre Berater einen Narren gefressen. Gemessen an der Zahl Emissionen der letzten vier Wochen kommen Express-Zertifikate auf einen Anteil von gut 50 Prozent an allen 283 neu ausgegebenen Deka-Zertifikaten, gemessen am Vertriebsvolumen 2018 auf rund 34 Prozent.
  • Keiner sieht genau hin (Teil II). „Zinsdifferenz-Anleihe mit Zielzins“ – an sich ein wohlklingender Name eines aktuell in Zeichnung befindlichen „Frühlingsprodukts“. Das Auszahlungsprofil vieler Zertifikate – so auch diesem – ist aber selbst für Kapitalmarktprofis kaum vernünftig einzuschätzen. Denn für einen vernünftigen Einsatz des Produkts im Depot – zur Erinnerung: Gesamtkosten können bis zu sechs Prozent im ersten Jahr betragen – brauchen geneigte Anleger nicht weniger als eine Marktmeinung,wie sich denn so die mittel- und langfristen Kapitalmarktzinsen zwischen den Jahren 2026 und 2033 entwickeln werden. Klingt wie ein schlechter Scherz? Ist es aber nicht. Die „Zinsdifferenz-Anleihe mit Zielzins“ weist eine Laufzeit von 15 Jahren auf. Die ersten sechs gibt es für Anleger einen Kupon von einem Prozent pro Jahr. Ab dem siebten Jahr beträgt dann die variable Verzinsung die – Achtung – um den Faktor zwei multiplizierte Differenz zwischen dem 30-Jahres-Euro-CMS-Satz (vereinfacht: die sehr langfristigen Kapitalmarktzinsen) und dem 10-Jahres-Euro-CMS-Satz (vereinfacht: den mittelfristigen). Geht alles gut, wird das Zertifikat dann auch vorzeitig getilgt. Entwickelt sich die Zinskurve in den sieben (!) Jahren ab 2026 nicht wie vom Anleger erhofft, steckt er womöglich über Jahre in einem unverzinsten Papier. Das ist nichts anderes als ein auf eine Inhaberschuldverschreibung draufgepacktes Zinsdifferenzgeschäft, das schon in der Prä-Lehman-Ära zu epischen Streits zwischen Kommunen, Ländern und Banken geführt hat – nun aber wieder im Mantel eines „Zinsdifferenz“-Anleihe wieder en vogue ist. Ein Einzelfall? Mitnichten. Jeder fünfte 2018 von der Deka netto verkaufte Euro floss in Zinsdifferenzprodukte.

Wie heißt es in entwaffnender Offenheit im „Basisinformationsblatt“ der meisten Deka-Zertifikate? „Sie sind im Begriff, ein Produkt zu erwerben, das nicht einfach ist und schwer zu verstehen sein kann.“

 

*) An dieser Stelle eine Präzisierung: Die Deka weist für Fonds ihren Nettoabsatz (also unter Berücksichtigung der von Anleger zurückgegebenen Fonds) aus, für Zertifikate ihren Bruttoabsatz aus – also ohne Berücksichtigung ausgelaufener/verkaufter Zertifikate. Eins zu eins vergleichbar sind also der Fonds- und der Zertifikateabsatz nicht. Allerdings ist diese Unterscheidung auch nicht völlig willkürlich, sondern dem Ertragscharakter angemessen, da bei Zertifikaten die Provision direkt beim Vertrieb (Bruttoabsatz) anfällt, sich bei Fonds allerdings laufend aus dem Bestand speist (der sich um den Nettoabsatz erhöht).

Und noch für Feinschmecker: Dem Nettoabsatz an Zertifikaten im Retail-Markt kann man sich immerhin nähern. Laut Marktanteilsstatistiken des Branchenverbands der Zertifikateindustrie hat die Deka zwischen Ende 2017 und 2018 ihr in Zertifikate verwaltetes Volumen vom 9,8 auf auf 12,3 Mrd. Euro gesteigert und damit die Marktführerschaft erobert. Diese Veränderung wird gleichwohl auch von Marktschwankungen bestimmt, nicht nur vom Absatz.  Da allerdings 2018 ein eher schwaches Kapitalmarktjahr war, dürfte der tatsächliche Netto-Neuabsatz an Zertifikaten der Deka (inklusive also vorzeitiger Rückzahlungen und Endfälligkeiten) indes bei mehr als der Differenz von 2,5 Mrd. Euro liegen.

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