von Heinz-Roger Dohms und Georgia Hädicke, 13. September 2023
Momentan geht ja alle naslang irgendwo in Deutschland ein Fintech pleite. Spektakulär indes sind die wenigsten dieser Fälle. Meist handelt es sich um eher schwachbrünstige Player, für die es dann halt irgendwann nicht mehr reicht. Dieser Tage etwa: Coindex. Aus Bielefeld. Irgendwas mit Krypto. Letzte Woche Insolvenz angemeldet. Deutlich anders allerdings liegen Dinge bei einem Fall, den Finanz-Szene am Mittwoch entdeckt hat.
Es geht um: Crosslend. Einst eines der wertvollsten deutschen Fintechs. Teil des Berliner „Finleap-Ökosystems“. Gefundet von großen Banken (Santander, ABN Amro) sowie namhaften VCs (Earlybird, Lakestar). Allein im Herbst 2019 sollen angeblich 35 Mio. Euro in die Firma geflossen sein; zu einer Bewertung im dreistelligen Millionenbereich, wie damals kolportiert wurde. Es hieß, Crosslend habe das Potenzial, den Verbriefungsmarkt zu revolutionieren und den Banken entsprechend Geschäft abzujagen. Doch stattdessen???
Um es kurz zu machen: Pleite ist Crosslend zwar nicht (weshalb sich der Fall auch nicht in den Insolvenzregistern zeigt). Implodiert allerdings ist das Berliner Fintech trotzdem, „bilanziell überschuldet“, wie es heißt, und am Ende (offenbar, ohne dass noch groß Geld geflossen wäre) weitergereicht an eine andere Gesellschaft.
Hier wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall (leider ein bisschen ad-hoc-mäßig, aber so ist es halt manchmal):
Das erklärte Betätigungsfeld von Crosslend war der Verbriefungsmarkt. Die Idee: Anstatt großvolumige Kredite zu einem Wertpapier zu bündeln und zu Tranchen zu stückeln (so wie es etwa Hypotheken- oder Investmentbanken tun), wollten die Berliner über ihre Plattform auch einzelne Kredite und kleinere Portfolien (also solche im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich) verbriefen und auf diese Weise für Investoren zugänglich machen.
Rein inhaltlich (sprich: Warum hat es Crosslend nicht geschafft, den Verbriefungsmarkt umzukrempeln) können wir den Fall auf die Schnelle nicht beurteilen. Was allerdings auffällt: Bei Crosslend war das Delta zwischen Erträgen und Cashburn noch deutlicher krasser als bei vielen anderen Fintechs. Und das, obwohl die Firma schon 2014 gegründet worden war, man also davon ausgehen durfte, dass irgendwann auch mal Umsatz (oder zumindest so was ähnliches wie Umsatz) generiert würde.
Die Realität:
Nun liest sich der Anstieg bei der Gesamtleistung im Geschäftsjahr 2021 auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Hierin aber waren enthalten:
Auch bei der größten Ertragsposition („Erlöse aus im anderen EU-Land steuerpflichtigen sonstigen Leistungen“ in Höhe von 2,0 Mio. Euro) bleibt der operativ erwirtschaftete Anteil unklar. Immerhin ist von „erfolgreicher Kundenakquise“ und einer „gestiegenen Anzahl an Transaktionen“ die Rede.
Einfach mal „Copy & Paste“ aus dem aktuellen Geschäftsbericht:
Die Crosslend GmbH wurde also 2022 an die „The Thing GmbH“ verkauft. Wie sich dem Geschäftsbericht entnehmen lässt, ging auch ein Teil der übrigen Belegschaft (sowie auch der CEO Oliver Schimek) an die neue Gesellschaft über – und, so würden wir jedenfalls stark vermuten, auch ein Teil der alten Geschäftsaktivitäten. Die Crosslend GmbH wiederum? Agiert jetzt nur noch als Technologie-Dienstleister der „The Thing GmbH“.
Ist es am Ende vielleicht so, dass die alte Crosslend einfach im Mantel der „The Thing GmbH“ weiterlebt und ansonsten eigentlich gar nicht viel passiert ist? Nun, das würden wir sehr bezweifeln, denn vergleicht man einfach mal eine Crosslend-Gesellschafterliste von Mitte 2020 …
… mit der Gesellschafterliste der The Thing GmbH von Mitte 2023 …
… dann fällt auf: Bis auf einen kleinen Earlybird-Anteil sind alle großen Namen raus (Lakestar, Santander, ABN Amro, Finleap und größtenteils eben auch Earlybird).
Für uns liest sich das aber nicht nach einem triumphalen Exit. Sondern eher so, als hätten die Altinvestoren ihren Einsatz mehr oder weniger verloren – und als hätte man dem früheren Crosslend- und jetzigen „The Thing“-Geschäftsführer Schimek sowie dessen neuem Geschäftsführer-Kompagnon Luca Prosperi einen Neustart ermöglicht, bei dem ein paar neue Investoren auch ein bisschen frisches Geld investiert haben.
Einzig Oliver Schimek reagierte gestern auf unsere Anfrage. Er schreibt uns, gefragt, inwieweit unsere Interpretation der Ereignisse zutrifft: „Ihre Spekulationen gehen etwas in die verkehrte Richtung.“ Wie viel dieses „etwas“ genau ist und was denn die richtige Richtung sein könnte, das verrät Schimek nicht.
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