Von Christian Kirchner
Das Berliner Milliarden-Fintech N26 drängt seine Kunden immer stärker in kostenpflichtige Kontomodelle. Die jüngste Maßnahme: Wie die Challenger-Bank gestern mitteilte, erhalten Neukunden beim kostenlosen Standardkonto die physische Debitkarte nur noch gegen eine einmalige Gebühr von 10 Euro. Wollen die Kunden diesen Aufpreis nicht zahlen, müssen sie grundsätzlich auf die virtuelle Mastercard Debit ausweichen, die in der App hinterlegt ist. Für Bestandskunden ändert sich nichts.
Neu ist nach Finanz-Szene.de-Recherchen auch, dass Neukunden beim Gratiskonto die “Spaces” genannten Unterkonten nur noch 60 Tage lange testen dürfen. Wer sie dauerhaft nutzen will, muss in ein Bezahlmodell wechseln oder selbst eine Einladung zur Co-Nutzung erhalten. Bislang sind zwei Unterkonten pro Gratiskonto dauerhaft kostenfrei.
Die Bepreisung der physischen Mastercard nährt Zweifel, ob es N26 mit dem offiziell postulierten 100-Mio.-Kunden-Ziel immer noch ernst ist. Denn: Es dürfte ja nicht nur an der Corona-Krise liegen, dass die Neobank im vergangenen statt der ursprünglich avisierten mehr als fünf Mio. Kunden netto lediglich zwei Mio. neue Kunden hinzugewonnen hat. In Wirklichkeit läuft die Pricing-Politik von N26 nun schon länger darauf hinaus, die Kunden zu monetarisieren statt um jeden Preis zu wachsen. Konkret:
- Vor zwei Jahren strich N26 den Telefon-Support für das Standard-Konto und beschränkte den Service auf die teuerste Kontovariante. Die “Normalkunden” sollten sich fortan über die Chat-Funktion an die Bank wenden
- Im Mai 2020 kürzte N26 die Kostenlos-Abhebungen für Kunden unter 26 Jahren von fünf auf drei Euro pro Monat
- Im Herbst launchten die Berliner dann als Alternative zum kostenlosen Modell das mit monatlich 4,90 Euro bepreiste “N26 Smart”-Konto
- Im Januar kürzte N26 gegenüber Affiliate-Partnern die pauschale Neukunden-Prämie drastisch
- Und nun entfällt bei Gratiskonten für Neukunden also auch noch die physische Mastercard sowie zwei kostenlose Spaces
Für aktive Nutzer des N26-Girokontos kommen die besagten 10 Euro de facto einer Zwangsgebühr gleich. Schließlich gibt es immer noch Point-of-Sale-Terminals und vor allem Geldausgabe-Automaten, die sich mit einer virtuellen Karte nicht benutzen lassen. Als Alternative bleibt dann nur noch, seinen Bargeldbedarf über NFC-fähige Geldautomaten oder über die sogenannten “Cash 26”-Partner im Einzelhandel abzudecken. Aus Sicht von N26 freilich haben diese Beschränkungen sogar einen praktischen Nebeneffekt. Denn wer überhaupt kein Geld abheben kann – der verursacht auch keine Kosten (denn Banken und sonstige Geldautomaten-Betreiber stellen N26 die Nutzung ihrer Automaten natürlich in Rechnung).
Erstaunlich ist derweil, wie das Fintech der Wegfall der rund fünf Gramm schweren physischen Karte in seinem Blog begründet – nämlich unter anderem damit, dass Kunden nun die Möglichkeit hätten, sich für ein “Banking-Erlebnis ohne Karte und frei von Plastik (…) zu entscheiden.” Sprich: N26 will nach eigener Darstellung solchen Kunden entgegenkommen, die “lieber eine nachhaltige Wahl treffen und, wenn möglich, auf Plastik verzichten [möchten]. Wir denken, du solltest das selbst entscheiden können.”
Sorry, liebe N26-Blogger – aber diese Argumentation ist dermaßen meschugge, dass wir über unseren Artikel um ein Haar die Überschrift “Die Fintech-Sensation: N26 begräbt aus ökologischen Gründen seine Wachstumspläne” gesetzt hätten.
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