"Fintech im Wandel"-Serie (#6)

Trotz vermehrter Fundings: Warum die Fintech-Krise noch nicht vorüber ist

Viel hat nicht gefehlt, und Werner Steinmüller hätte sein Comeback gegeben – als Fintech-CEO. Der frühere Deutsche-Bank-Vorstand sollte Chef einer neuen Digitalbank namens „Infinibank“ werden, so zumindest stand es in einer Präsentation, die vor einigen Monaten unter VC-Investoren kursierte. Realität wurde der kühne Plan indes nie. „Herr Steinmüller ist aus persönlichen Gründen nicht mehr Teil des Projekts“, teilte die hinter der „Infinibank“ stehende Frankfurter FintechX GmbH letzten Herbst auf Anfrage von Finanz-Szene mit. Das war kurz bevor sich die junge Firma zunächst in die Insolvenz und letztlich in die Liquidation begab.

Dazu muss man wissen: Die FintechX GmbH galt unter Investoren mal als heiße Wette. 2021 erhielt das frische gegründete Startup ein Seed-Funding über 3 Mio. Euro, laut Linkedin-Daten beschäftigte die junge Firma bald mehr als 20 Mitarbeiter. Dann allerdings kam die Funding-Krise. Und der alte Mechanismus, wonach auf eine Seed-Runde eine üppige „Serie-A“-Runde folgte, galt urplötzlich nicht mehr.

Zwar sind Investoren inzwischen wieder bereit, größere Summen in hiesige Fintechs zu investieren, beispielsweise in Pliant (18 Mio. Euro), in Finmid (23 Mio. Euro) oder in Neoshare (19 Mio. Euro). Vielen, gerade jüngeren Fintechs allerdings bleibt der Zugang zu frischen Fundings weiterhin verwehrt – mit unschönen Folgen, wie nicht nur die Insolvenz von FintechX, sondern zuletzt auch Fälle wie Creditshelf oder Optiopay zeigten.

Im sechsten und letzten Teil unserer „Fintech im Wandel“-Serie beleuchten wir, warum die deutsche Fintech-Branche die Krise trotz mancher Hoffnungsschimmer noch immer nicht abgeschüttelt hat.

Bitte sehr:

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1.) Die Krisenherde – und wie sie immer noch nachwirken

Den einen großen Knall gab es nie. Aber eine Reihe von mittelgroßen, darunter Anfang 2022 der russische Angriffskrieg auf die Ukraine (massive geopolitische Verunsicherung), kurz darauf die Zinswende (signifikante Verteuerung von Wagniskapital) und im März 2023 schließlich die Implosion der Silicon Valley Bank (Fintech-Akteure erstmals in Finanz-Crash involviert).

Zwar hat sich manch dunkle Prophezeihung („80% der Leute sind nächstes Jahr nicht mehr hier“, meinte im Frühjahr 2023 ein prominenter Szene-Kopf bei einem großen deutschen Fintech-Event) im Nachhinein als übertrieben erwiesen. Trotzdem wirken die Schockwellen bis heute nach. Viele deutsche Fintechs haben den Paradigmenwechsel der Jahre 2022/23 (Profitabilität statt Wachstum, entlassen statt einstellen, konsolidieren statt funden) schlicht nicht verkraftet oder wurschteln mehr schlecht als recht durch die Dauerkrise.

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2.) Die Investoren – wer noch Geld gibt, und wer außen vor bleibt

Vor allem die US-Investoren zogen sich 2022 schlagartig aus der deutschen Fintech-Szene zurück: „Die kennen nur zwei Gangarten, entweder himmelhoch jauchzend oder tiefbetrübt“, sagt ein Brancheninsider.

Hiesige Geldgeber blieben zwar präsent, halten das Geld allerdings beisammen. „Wir konzentrieren uns seitdem sehr viel stärker auf die Arbeit mit unserem bestehenden Portfolio“, sagt zum Beispiel Barbod Namini, Partner beim VC-Investor HV Capital, der unter anderem bei der Solarisbank, Qonto (früher Penta) und Scalable Capital engagiert ist.

Auch untereinander sind Investoren sensibler geworden. „Wir schauen bei Deals genauer hin, wer noch mit im Cap Table steht – damit wir abschätzen können, ob diese Investorengruppe gegebenenfalls auch eine Folgefinanzierung stemmen kann“, sagt Matthias Lais, Geschäftsführer bei Neosfer, dem Frühphasen-Investor der Commerzbank, der beispielsweise Anteile am Kreditkarten-Fintech Pliant hält.

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3.) Die Modelle – warum B2B sich leichter tut als B2C

Während internationale B2C-Schwergewichte wie Revolut zuletzt wieder an alte Bewertungs-Niveaus anknüpften, tut sich die breite Masse der B2C-Fintechs am Funding-Markt weiterhin schwer. „Das Pendel ist extrem stark in Richtung B2B-Modelle geschwungen, weil bei diesen Modellen der Umsatz vorhersehbarer ist“, sagt HV-Capital-Partner Namini – eine Beobachtung, die Lais und andere VC-Investoren teilen.

Das bekommen zunächst vor allem jene B2C-Fintechs zu spüren, die in der Spätphase des Booms an den Start gingen. Die eingangs erwähnte Infinibank beispielsweise. Oder Neobanken wie Nuri, Owwn oder Ruuky, die in der Krise entweder verschwanden oder ihr Geschäftsmodell komplett umstrukturierten. Ein Fintech-Chef beschrieb das vor einiger Zeit so: „Alles, wo ‚B2B-Fintech‘ draufsteht und schon auf dem Markt ist, bekommt VC-Geld, während B2C selbst mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell aktuell kaum jemand anfassen möchte.“

Das große Manko von B2C aus Sicht der Investoren: Um auf eine relevante Anzahl an Kunden zu kommen, braucht es vorab hohe Marketing-Investitionen – ein sogenanntes „Frontlader“-Modell. B2B-Fintechs hätten dagegen den Vorteil, dass sie „mit ihren Kunden mitwachsen können“, sagt Namini.

Die Fundings der vergangenen Monate bestätigen diesen Trend, siehe unseren fünften Serienteil -> Von Finoa bis Lemon Markets – alle Fintech-Deals des Jahres auf einen Blick“).

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4.) Die CEOs – den Helden kann keiner mehr spielen

Wie sehr die neue Funding-Realität selbst gestandenen Szene-Köpfe zusetzt, zeigt sich am Massen-Exodus hiesiger Fintech-CEOs. Was dabei auffällt: Kaum ein ausgeschiedener Fintech-Gründer stürzt sich ins nächste Startup-Projekt. Wer über einen entsprechenden Marktwert verfügt, schlüpft im Zweifel lieber in der klassischen Bankenbranche unter, siehe der langjährige Elinvar-Chef, der nach der Pleite seines Fintechs jüngst bei der Commerzbank anheuerte.

In der jahrelang sehr selbstbewussten Branche werden plötzlich leise Töne angeschlagen. „Du kommst aus dem Bullenmarkt 2021, der sich plötzlich um 180 Grad dreht – und auf einmal bist du kein Held mehr, der Arbeitsplätze schafft und die Welt verändert, sondern einer, der Leute rauswerfen und jeden Cent an Kosten rechtfertigen muss. Du hast schlaflose Nächte und Probleme mit deiner mentalen Gesundheit. Das geht an die Substanz“, sagt ein Insider.

Wer bleibt oder in dieser Phase die CEO-Rolle übernimmt, wird automatisch zum Restrukturierer (oder zur Restrukturiererin). Und muss vor allem viele unbequeme Gespräche führen. Mit Mitarbeitern, die man noch vor wenigen Monaten mit großen Visionen und Versprechen von anderen Arbeitgebern losgeeist hat – nur um sie jetzt wieder entlassen zu müssen. Mit Managern, die nach dem Wachstumkurs der letzten Jahre mit der neuen Spar-Kultur nicht zurechtkommen. Mit Investoren, die früher nach Wachstum riefen und jetzt auf einmal fragen, warum denn der Cashburn so hoch ist. Und mit Aufsehern, die Investitionen in Infrastruktur und Prozesse fordern – selbst wenn es am Geld für solche Investitionen mangelt.

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5.) Die Fundings – wer nicht zu den besten 5% gehört, hat es schwer

Ein Kernproblem vieler Wachstums-Fintechs ist weiterhin die „Runway-Länge“, also die Frage, wie lange das Kapital aus einer Finanzierung reicht. Zu Boom-Zeiten galt es als smart, den Runway möglichst kurz zu halten und bald zu einer höheren Bewertung erneut zu funden.

Seit der Krise legen die Kapitalgeber ihren Fintechs nahe, dass sie mit frischem Geld – grob gesagt – mindestens 18 Monate, lieber sogar 24 Monate auskommen sollen. Solche Fundings gibt es aber meist nur um den Preis einer niedrigeren Bewertung (wie zuletzt bei Moss) oder anderer Zugeständnisse. In vielen Fällen gibt es statt eines echten Fundings ohnehin nur eine Zwischenfinanzierung. Und manchmal (siehe das Beispiel Compeon, nachzulesen im Fintech-Ticker aus dem Juni), muss ein Fintech sogar die Drohkulisse einer nahenden Insolvenz aufbauen, damit die Investoren noch einmal Geld nachlegen.

Und das sind nur die Geschichten von jenen, die noch Geld bekommen. Ein Insider gibt zu: „Wer als Fintech nicht zu jenen obersten 5% gehört, der hat es mit einer Wachstums-Finanzierung gerade extrem schwer.“

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6.) Die Hoffnung – Revolut und Raisin als Eisbrecher?

Interessanterweise betonen VC-Investoren, dass es trotz Funding-Krise immer noch „Fonds mit viel Kapital gibt“, so HV-Capital-Mann Barbod Namini. Allerdings tun sich die Wagniskapitalgeber offenkunding schwer, dieses Geld auch freizugeben. Was es brauche, das sei „idealerweise ein Leuchtturm-Deal, ein prominenter Exit-Deal“, so Neosfer-Geschäftsführer Matthias Lais. Also so etwas wie einen Eisbrecher.

International zeichnet sich ein solcher Deal momentan bei Revolut ab. So berichtete das „Wall Street Journal“ jüngst von einem bevorstehenden „Secondary“ zu einer krachenden Bewertung von 45 Mrd. Dollar. Hierzulande wiederum trifft der Berliner Einlagenbroker Raisin („Weltsparen“) aktuell erste Vorbereitungen für einen möglichen Börsengang im Jahr 2025 – auch das ein potenzieller Eisbrecher.

Die große Frage wird sein, inwiefern solche Leuchtturm-Deals auch auf die breite Masse an Fintechs abstrahlen.

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