Analyse

Warum das Retail-Brokerage trotz PFOF-Verbot eine Wildwest-Welt bleibt

Das Wertpapiergeschäft ist eine ziemliche Wildwest-Welt. Nicht mal unbedingt, was das Verhältnis zwischen Banken/Brokern auf der einen Seite und den Endkunden auf der anderen Seite angeht. Sondern bezogen auf das, was dahinter passiert. Also in jener Welt, in der die Banken und Broker (also die Comdirects und FlatexDegiros und Trade Republics und Scalable Capitals) höchstselbst die Kunden sind. Nämlich die Kunden der Börsen. Der sonstigen Handelsplätze. Und – nicht zu vergessen! – der Produktanbieter.

In dieser Welt, so viel weiß man inzwischen, fließt das Geld oft auf die wildeste Weise hin und her. Wobei von außen schwer ersichtlich bleibt, wer eigentlich wen wofür bezahlt. Und wer umgekehrt was wofür kassiert.

Genau daran wiederum begann sich irgendwann die Politik zu stören. Zumindest die in Brüssel. Weil sie fürchtete, dass unter den Zuständen in der Wildwest-Welt letztlich auch die Außenwelt leidet – also jene scheinbar heile Welt, in der sich die Endkunden bewegen. Nun argumentierten sich die Banken und Broker (oder jedenfalls die Neobroker) zwar den Mund fusselig, dass diese Furcht völlig unbegründet sei. Allein – es half nichts: Der wilde Westen wird jetzt reguliert! Und zwar mittels „Payment for Order Flow“-Verbots!

Alles klar also??? Von wegen!!! Denn: Von außen mag es zwar so aussehen, also seien die Dinge jetzt geregelt. Innerhalb der Wildwest-Welt allerdings hat längst das große Tuscheln, Rechnen und Interpretieren begonnen: Welche Zahlungen fallen wirklich unter das PFOF-Verbot? Und welche (Ha!!!) vielleicht auch nicht?

Ein kleiner Einblick in die laufende Debatte:

1.) Trotz Einigung im Grundsatz bleiben große Spielräume für Interpretationen

Es gibt bislang keinen konkreten Gesetzesentwurf, wie genau denn nun künftig die Zahlung von Provisionen reguliert werden soll. Am 29. Juni hat die EU unter der schwedischen Ratspräsidentschaft lediglich verkündet, dass es eine grundsätzliche politische Einigung zwischen dem Rat und dem EU-Parlament gibt, so genannte „Payment for Order Flow“-Zahlungen zu verbieten, mit einer Übergangsphase bis 30. Juni 2026 (Original hier).

Dieser politische Kompromiss muss nun noch in einen Gesetzestext gegossen und später durch den Rat und das Parlament verabschiedet werden. Grundlegende Änderungen sind hier nicht zu erwarten, doch im bisher Beschlossenen bleiben große Spielräume für Interpretationen.

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2.) Eine klare Definition von „Payments for Order Flow“ fehlt

Die entscheidende Passage in dem bereits Ende 2021 vorgelegten, als Teil eines größeren Maßnahmenpakets zur Stärkung der europäischen Kapitalmärkte vorgesehenen Entwurfs der EU-Kommission zur Regulierung von „Payment For Order Flow“ lautet wörtlich:

„Im Kundenauftrag handelnde Wertpapierfirmen nehmen von Dritten für die Weiterleitung von Kundenaufträgen an diese Dritten keine Gebühren, Provisionen oder andere monetäre oder nichtmonetäre Vorteile entgegen.“

Nun gibt es eine Praxis, die unstrittig von solch einer Klausel erfasst wäre, nämlich der simple „Deal“, dass ein Broker (oder Neobroker) eine Order an einen Handelsplatz oder Handelspartner weiterleitet (oder gar nur diesem einen anbietet) und von diesem dafür eine „Kickback“-Zahlung erhält – was gewissermaßen das Kerngeschäft der Neobroker ist.

Allerdings gibt es auch eine riesige Grauzone, die von vielen Banken (oder Neobrokern) extensiv ausgenutzt wird, wenn es um die Frage geht, welche weiteren Zuwendungen die Nutzung eines bestimmten Handelsplatzes oder „Partners“ in der Abwicklung mindestens fördern oder gar sehr nahelegen. Beispiele für diese Grauzonen sind, wenn ein Handelsplatz eine Bank (oder einen Broker) dafür bezahlt, ….

  • …. einen bestimmten Handelsplatz optisch herauszustellen oder gar zu empfehlen bei einer Order – handelt es sich dann um eine Provisionszahlung im Sinne des „Payment for Order Flow“-Verbots oder fällt das Ganze nicht darunter, weil die Zahlung ja unabhängig von einer konkreten Order fließt?
  • … einen bestimmten Emittenten oder Handelsplatz schlicht „Partner, „bevorzugten Partner“ oder ähnliches zu nennen – ist dies dann eine Provisionszahlung, obwohl der Geldfluss gar nicht transaktionsgebunden ist?
  • … bei Sparplänen und Einmal-Anlagen exklusiv mit nur einem oder mehreren ETF-Anbietern zusammenzuarbeiten?
  • … einen bestimmten Emittenten oder Handelsplatz preislich attraktiver zu präsentieren als andere (indem beispielsweise der Handel an „Partner-Handelsplätzen“ oder bei „Partnern“ generell umsonst ist, aber für alle andere Gebühren aufgerufen werden) – ist dies dann eine Provisionszahlung im Sinne des geplanten Verbots?

Und überhaupt: Wer bestimmt überhaupt, was eine „Provision“ ist, wenn das gezahlte Geld doch womöglich auch schlicht als eine „Marketingunterstützung“ oder ähnliches eingestuft werden kann?

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3.) Wo es besonders kernig zugeht: die „Partnerschaften“ bei Derivaten

Ein Parade-Beispiel für eine Incentivierung des Handels mit bestimmten Partnern – über die klassischen Provisionszahlungen für Order hinaus – ist in Deutschland die Derivate-Branche. Diese machte erst kürzlich wieder mit rasanten Zuwächsen auf sich aufmerksam: So knackte sie im April die 100-Milliarden-Euro-Marke im verwalteten Vermögen in Derivaten, nach einem Zuwachs um rund einem Viertel seit Jahresende.

Die Ausgangssituation hier ist, dass die meisten Zertifikate in Deutschland immer noch im klassischen Filialgeschäft vertrieben werden. Rund 70% des Gesamtmarkts decken daher die Sparkassen und Genossenschaftsbanken ab. Mehr als ein Dutzend Akteure „kämpfen“ um die übrigen 30%, die im Wesentlichen aus Selbst-Entscheidern mit Depots bei Direktbanken und Neobrokern bestehen. Und diese Akteure lassen sich das Bemühen der Zertifikate-Emittenten um Vertriebspartnerschaften dem Vernehmen nach sehr gut bezahlen. Mit Provisionen auf einzelne Order, aber eben auch Einmalzahlungen, mit wem man denn überhaupt Geschäfte macht, spricht, wessen Produkte man anbietet.

Hier ein paar Beispiele aus der Welt der Neobroker:

  • Trade Republic: Der Neobroker routet die normalen Aktien-Order seiner Kunden automatisch an die LS Exchange weiter, bietet aber als Reservelösung auch noch Tradegate an – und dass eine klassische Order bei Trade Republic unter die Regulierung fällt und neu bepreist werden muss, ist unstrittig. Aber auch Trade Republic hat im Geschäft mit Derivaten Partnerschaften: Handeln Kunden zum Beispiel Produkte der „Premium-Partner“ Citi, HSBC, Société Générale und UBS, fällt keine Ordergebühr an, sondern nur die übliche Fremdkostenpauschale pro Trade in Höhe von einem Euro. Und es scheint wahrscheinlich, dass Trade Republic seine „Premium-Partnerschaft“ mit einem Emittent auch hinreichend vergütet bekommt – schließlich schickt in diesen Fällen Deutschlands kundenstärkster Neobroker seine handelsaffine Kundschaft (und damit ein ordentliches Volumen) auf die Maschinen der Emittenten.
  • Auch Scalable Capital schickt seine Kundschaft bei Derivaten zu drei ausgewählten Derivate-Partnern: Goldman Sachs, HSBC und HVB. Deren Derivate können Anleger im Prime-Broker-Modell zu 2,99 Euro pro Monat völlig kostenfrei handeln, für alle anderen Kunden fallen 0,99 Euro pro Order an.
  • Auch bei Smartbroker gibt es im Geschäft mit Derivaten eine Vorselektion aus dem Kreis der insgesamt 16 Emittenten. Das Prinzip: Die Zertifikate der vier „Premium Partner“ – HSBC, Morgan Stanley, UBS und Vontobel – lassen sich nahezu kostenfrei handeln, bei den „Silber Partnern“ – BNP Paribas und Citi – sind zwei Euro je Trade fällig, bei allen anderen vier Euro.

Derlei „Premium-Partnerschaften“ gibt es auch bei den klassischen Brokern:

  • Die Comdirect etwa partnert mit BNP Paribas, Morgan Stanley und Société Générale mit einem abgestuften Modell.
  • Bei der Consorsbank ist der Handel mit Derivaten der „Starpartner“ BNP Paribas, Citi, J.P. Morgan und Société Générale gratis für Kunden.
  • Die ING Diba wiederum nennt fünf Emittenten „Partner“: JP-Morgan-Derivate handeln die Kunden ab 1.000 Euro umsonst, bei den Emittenten HSBC, Vontobel und ING Markets sind es 1,90 Euro je Order, für SocGen-Zertifikate sind 2,90 Euro fällig.

Und dann wäre da noch Flatex, ein Akteur, der sich – wie immer wieder in Finanzkreisen zu hören ist – aufgrund seiner handelsaffinen Kundenschaft die Partnerschaften gut bezahlen lässt, konkret etwa: Wer darf sich „Platin Partner“ nennen, dessen Order komplett kostenfrei sind (aktuell ist das zum Beispiel J.P. Morgan)? Und wer gehört zu den „Gold-Partnern“ (wie aktuell Morgan Stanley, SocGen und die UBS), deren Order nur 1,90 Euro kosten?

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4.) Welche Volumina und Erträge betroffen sein könnten, bleibt im Dunkeln

Weil ja nicht einmal die Definition von „Payment for Order Flow“ rechtssicher steht, sind auch die (vagen) Aussagen aller Akteure mit Vorsicht zu genießen, ob und in welchem Umfang Ordervolumina und Erträge betroffen sind. Wer „Payment for Order Flow“ streng nur anhand der Summen definiert, die für konkrete Order fließen, fällt die Summe eher klein aus. Zählt man aber noch den Koffer Bares hinzu, den etwa ein Emittent von Derivaten einem Broker hinstellen muss, um ein „Premium-Partner“ mit privilegiertem Pricing zu werden, das die Massen zu ihm lenkt, wird die Summe rasch größer. Ein Wertpapieranalyst, der anonym bleiben möchte, schätzt gegenüber Finanz-Szene die Höhe der „Zuwendungen“ bei den wichtigsten großen Brokern auf kumuliert mindestens 50 Mio. Euro pro Jahr.

Finanz-Szene hat exemplarisch Flatex, Comdirect, Scalable und Trade Republic direkt gefragt, welcher Teil der Erträge denn von der Regulierung betroffen ist und wie genau die PFOF-Zahlungen dabei interpretiert werden. Die Antworten:

„Eine Aufteilung der Erträge kommunizieren wir nicht“ – Scalable Capital

„Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen über betroffene Produkte oder Aktionsformate treffen können“ – Comdirect

„Den Ertragsanteil durch PFOF haben wir nie offen gelegt und tun es auch jetzt nicht“ – Trade Republic

„… Umsatzanteil daraus ist marginal“ – Flatex

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5.) Wie es (vermutlich) weitergeht

Solange noch kein konkreter Gesetzentwurf vorliegt, dürften insbesondere die Definitionsfragen noch Gegenstand von Verhandlungen werden. Nach Finanz-Szene vorliegenden Informationen zeichnet sich dabei ab, dass mit dem „PFOF“-Verbot die direkten Zahlungen von Market Makern adressiert werden sollen, während die möglicherweise weiter gefassten Zuwendungen im Rahmen der Retail-Investment-Strategy diskutiert und reguliert werden – das wäre jener Teil des Regulierungsvorschlags, für den bislang nur der Entwurf der Kommission vorliegt.

Unter dem Strich bedeutet dies: Vor der Branche liegen einerseits sehr großzügige drei Jahre Übergangsfrist für die Implementation des unstrittigen Teils des PFOF-Verbots (die direkten Zahlungen von Market Markern betreffend) – und möglicherweise noch ein weiteres Jahr, in dem auch die weiter gefassten Zuwendungen näher reguliert werden.

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