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Digitaler Euro und EPI müssen korrespondieren – sonst kannibalisieren sie sich

Das Spannungsverhältnis zwischen dem digitalen Euro und der European Payments Initiative haben wir zuletzt bereits in einer großen Reportage (siehe hier) sowie in unserem Podcast (siehe hier) beleuchtet. Heute wollen wir das Ganze abrunden, zu einer Trilogie, gewissermaßen – und zwar mit einem Gastbeitrag des Payment-Experten Marcus W. Mosen. Dabei handelt es sich um einen redaktionell bearbeiteten Auszug aus dem dieser Tage erschienen Buch „Digital Society“ (Details finden Sie unter dem Text).

Auf geht’s:

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Die EZB hat die Vorbereitungsphase für den digitalen Euro eingeleitet, die EU-Kommission die nötige Gesetzgebung angeschoben. Klappt es sowohl mit der technischen Umsetzung als auch mit der juristischen Grundlage, dann könnte die neue Währung schon in wenigen Jahren Teil des täglichen Lebens werden: verfügbar für alle Menschen im Euroraum, nutzbar „für elektronische Zahlungen in Geschäften, online oder zwischen Privatpersonen“, wie die EZB erklärt, zahlbar per Smartphone oder Karte. Dies wäre ein großer Schritt. Manch ein Experte sieht in dem Projekt bereits ein neues digitales Ökosystem heranwachsen, denn wenn der digitale Euro wie geplant den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels erhielte, könnte er schnell europaweit Akzeptanz finden und im Handel wie bei Bürgerinnen und Bürgern eine große Marktdurchdringung erreichen.

Als Möglichkeit für eine klare Differenzierung, zum Beispiel vom physischen Bargeld, wird die Verbindung einer digitalen Währung mit der digitalen Identität gesehen. Beides könnte dann in einer digitalen Brieftasche, einer Wallet, zusammengeführt werden. Auch hierfür hat die Europäische Union (EU) mit der „EU Digital Identity Wallet Pilot Implementation“ bereits eine Initiative ins Leben gerufen, die zunächst primär für einen digitalen Ausweis und Transaktionen mit Behörden gedacht ist. Für eine solche digitale Brieftasche spricht vieles, insbesondere wenn diese auf dem Smartphone als Wallet hinterlegt werden kann.

In der Finanzbranche könnte der Einsatz einer digitalen Identität bei der Überprüfung von Personen im Rahmen des Know-Your-Customer-Prozesses (KYC) bei der Kontoeröffnung zu einer erheblichen Vermeidung von Betrug beitragen oder das Aufsetzen weiterer Produkte, für die die Identität nochmals abgefragt werden muss, vereinfachen. Auch bei der Verifikation von Identitäten im Bezahlprozess bei einem Online-Einkauf könnte eine solche Lösung den Checkout-Prozess verschlanken. Immerhin kann sich mit 58% die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dies sehr gut vorstellen, so das Ergebnis einer Befragung des Bitkom, des Branchenverbands der digitalen Wirtschaft. Allerdings gaben in der Erhebung auch 23% der Befragten eine ablehnende Sicht auf eine digitale Brieftasche zu erkennen. Der digitale Euro könnte einer solchen Wallet jedoch Auftrieb geben, denn Payment findet im Gegensatz zu Transaktionen mit Behörden so gut wie jeden Tag statt.

Wie käme der digitale Euro zu den Bürgerinnen und Bürgern?

Der EU-Kommission ist bewusst, dass die Akzeptanz des digitalen Euros mit seiner Ausgestaltung steht und fällt. In ihrem Fortschrittsbericht aus dem Juni 2023 hält sie fest, dass Payment als Basisdienst des digitalen Euros für Bürgerinnen und Bürger kostenfrei sein wird, damit er dem Bargeld gleichgestellt ist. Damit Banken und Payment-Unternehmen motiviert sind, den digitalen Euro in den Markt zu bringen, soll es ein Vergütungsmodell für deren Dienste geben. Händlern darf dabei nicht zu viel abverlangt werden. Im Gegensatz zum Bargeld könnte der digitale Euro in einer Wallet für beide Welten – die Offline-Welt am Point of Sale sowie im Online-Handel – genutzt werden.

Das klingt stark nach einer Regulierung, die zwar eine Interchange-Gebühr vorsieht, aber einer Scheme-Fee wenig Spielraum lässt. Das wird dem Handel gefallen, aber es stellt sich die Frage, wie die europäische Payment-Landschaft incentiviert werden soll, damit sie die innovativen Anwendungsfälle entwickelt. Und diese werden notwendig sein, um mit den traditionellen Kartenorganisationen wie Mastercard, Visa sowie nationalen Debitcard-Anbietern konkurrieren zu können.

Dies ist eines der Dilemmata, in denen die Macher des digitalen Euros stecken. Denn aufgrund seiner Omni-Kanal-Fähigkeit ist es offensichtlich, dass der digitale Euro mit seinem potenziellen Funktionsumfang dem Bargeld weit überlegen sein wird. Solange sich jedoch kein profitables Geschäftsmodell für diejenigen ergibt, die letztlich dafür sorgen sollen, dass der digitale Euro in die Märkte und als relevante Zahlungsmethode via Endkunden-Wallets bei den Technologie-Plattformen wie Amazon & Co zum Einsatz kommt, droht die Gefahr, dass der digitale Euro nicht die erforderliche Akzeptanz erhält. Es stellt sich daher die Frage, wie der digitale Euro in den Markt und zu den Bürgern und Bürgerinnen kommt. Denn es ist klar, dass die Prozesse und Strukturen, wie wir sie aus der Bargeldversorgung kennen (mit Geldtransportern, Geldautomaten oder Bankfilialen für die Annahme und Ausgabe von Geld), damit obsolet werden. Die Frage, wie der digitale Euro in die Wirtschaft und Gesellschaft integriert werden kann, ohne zum Bargeldersatz respektive Bargeldsurrogat zu werden, beschäftigt derzeit viele Experten und Kommissionen.

Mit der EPI arbeitet Europas Finanzwelt an einer eigenen Lösung

Zudem gibt es parallel das Bemühen um ein neues privates Payment-Scheme in Form der privatwirtschaftlichen European Payments Initiative (EPI), die 2020 gestartet wurde und eigentlich schon im Jahr 2022 mit einem kartenbasierten Angebot eine Alternative zu Mastercard und Visa in den Markt bringen wollte. Bisher hat sie eher damit Aufmerksamkeit erzeugt, dass sich Banken von ihr abgewendet haben – um dann später doch wieder ein wenig Unterstützung zu signalisieren. Nach der ersten Phase (EPI 1.0) haben sich die verbliebenen Gesellschafter dann unter der Bezeichnung EPI 2.0 darauf verständigt, nicht mehr primär ein kartenbasiertes Produkt zu entwickeln, sondern ein Wallet-basiertes Instant-Payment-Angebot. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf die ich bereits 2021 in einem Gastbeitrag für Finanz-Szene hingewiesen habe: „Für die Erfolgsaussichten der EPI ist es zwingend notwendig, dass gleichzeitig mit EPI der Aufbau eines offenen, europäischen Ökosystems für Wallet-basierte Payment-Angebote und weitere Services wie z.B. digitale Identität oder digitale Signaturen einhergeht.“

Es war daher strategisch konsequent, dass die EPI Company SE im April 2023 die Übernahme von Currence iDEAL, dem führenden E-Commerce-Payment-Scheme, sowie von Payconiq International, einer in Luxemburg ansässigen Payment-Technologiefirma, die der EPI als Technologiebasis für ein Wallet-Produkt dienen soll, verkündete. Mit der iDEAL-Übernahme hat man sich in den sehr E-Commerce-affinen holländischen Markt eingekauft. Bereits heute werden mehr als 70% der Transaktionen im niederländischen Online-Handel mit iDEAL als Zahlungsmethode abgewickelt.

Wenn iDEAL auf die EPI-Plattform migriert wird, sollten die niederländischen Banken die Ersten sein, die ihren Kunden ein EPI-Wallet als alternative Payment-Methode anbieten. Da die meisten Online-Shops, die auch im niederländischen Markt verkaufen, iDEAL als Zahlungsmethode anbieten, müssten auch alle Zahlungsdienstleister (Payment-Service-Provider, PSP) künftig die EPI in ihre Plattformen integrieren. Damit könnte sich die EPI mit einem Schlag einen signifikanten Marktanteil auf der Händlerseite erschließen. Zudem hat sich die EPI mit den beiden Übernahmen als Konsolidierungsplattform für die fragmentierten nationalen Payment-Strukturen in anderen europäischen Ländern positioniert.

Für den deutschen Markt könnte das bedeuten, dass mittelfristig die Girocard (mit mehr als 100 Millionen Karten) und Giropay in die EPI eingehen. Die französischen Banken müssten ihre Carte Bancaire (mehr als 70 Millionen Karten), die zumeist mit einem Co-Badging mit Visa oder Mastercard herausgegeben wird, einbringen. Das Markt- und Kundenpotenzial ist gewaltig. Ob die jeweils dahinterstehenden traditionellen Banken bereit sind, Macht und Kontrollfunktionen aufzugeben, darf bezweifelt werden. Stattdessen werden in den Entscheidungsgremien eher Kompromisse in Form von Kooperation oder Koexistenz verfolgt werden. Ob dies jedoch zu einer verständlicheren Marktkommunikation und Marktakzeptanz führen wird, ist fraglich.

Will Europa gegenüber US-Anbietern bestehen, wird eine engere Abstimmung der zwei Initiativen nötig sein

Die Ausgangslage ist somit komplex: Auf der einen Seite soll es den von der EU-Kommission und Europas Regierungen politisch gewollten digitalen Euro geben. Dass dieser kommen wird, steht vor den Hintergrund der weltweit zahlreichen Projekte, digitale Währungen und Stablecoins zu emittieren, außer Frage. Auf der anderen Seite gibt es die von Banken und Zahlungsdienstleistern unterstützte EPI. Eine engere Abstimmung im strategischen Vorgehen der beiden Projekte könnte die jeweilige Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen respektive eine Kannibalisierung zwischen zwei im Wesen sehr ähnlichen Payment-Methoden vermeiden.

Die Entscheidungsstrukturen in den Projekten sind komplex und damit nicht ideal, um den sehr marktgetriebenen, amerikanischen Wettbewerbern den europäischen Markt wirklich streitig zu machen. Denn auch diese Unternehmen sehen nicht tatenlos zu, sondern verfolgen selbst die Weiterentwicklung ihrer Kartenprodukte hin zu mehr Wallet und mehr Instant Payment. Im Übrigen wird es bei Zahlungen im Ausland oder bei Cross-Border-Zahlungen auch in der Welt von digitalen Währungen den Zwang zur Kooperation geben.

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*Marcus W. Mosen ist einer der wichtigsten deutschen Payment-Experten, sitzt dem Aufsichtsrat von N26 vor – und war früher regelmäßiger und ist heute unregelmäßiger Gäste-Blogger bei Finanz-Szene. Bei dem Beitrag handelt es sich um einen redaktionell bearbeiteten Auszug aus dem Aufsatz „Digital Payment: Chancen und Risiken für die (digitale) Gesellschaft“. Der Aufsatz ist Teil des Buchs „Digital Society“, jüngst herausgegeben vom Frankfurt School Verlag, erhältlich unter anderem bei Amazon

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