von Heinz-Roger Dohms, 23. Juni 2020
Der Wirecard-Epos hat so viele Facetten, dass man sich als Journalist dieser Tage gar nicht recht entscheiden mag, welchen der vielen Fäden man eigentlich aufnimmt und welchen Faden man lieber Faden sein lässt. Simples Beispiel: Würde es sich beispielsweise lohnen, mal tiefer in Sachen Wirecard/Deutsche Bank zu recherchieren? Ist ja doch bemerkenswert, wie viele Verbindungen es da gab – wo die beiden Unternehmen doch eigentlich aus völlig verschiedenen Welten kommen: 1.) Der (laut Finanzkreisen weitergereichte) Deutsche-Bank-Kredit an Markus B.; 2.) Der (laut Finanzkreisen weitergereichte) Deutsche-Bank-Kredit an Wirecard selbst; 3.) Die Deutsche Bank als Joint Global Coordinator bei Wirecards Anleihe-Emission letztes Jahr; 4.) Die (siehe oben) „All in“-Nummer der Deutsche-Bank-Fondstochter; und 5.) Die Operation „Panther“, also der nach einer schlechten Tinder-Anekdote klingende angebliche Wirecard-Versuch, mal ein bisschen an der Deutschen Bank herumzustreicheln und zu gucken, ob sich in puncto möglicher Fusion was regt.
Wobei – bevor sich die Commerzbank mit ihrem „Wirecard ist einer unserer Kunden„-CEO Martin Zielke jetzt zurückgesetzt fühlt: Auch zwischen der Coba und Wirecard spannte jahrelang ein festes Band, und zwar nicht nur in Form des Kredit-Exposures (das im Falle der gelben ja noch deutlich größer ist als im Falle der blauen Bank) – sondern vor allem in Gestalt der Analystin Heike Pauls. „Fake News“, donnerte sie der „Financial Times“ einst entgegen (wofür sich die Commerzbank freilich entschuldigte), und auch sonst stand sie so fest auf Seiten Wirecards wie wenige sonst. Kein Wunder: Schließlich war Pauls ja die Analystin, die „das Unternehmen [Anm.: also Wirecard] und dessen Prozesse in- und auswendig kennt“, wie „Focus Money“ noch im April seinen Lesern erklärte. Selbst nach (!!!) dem Testats-GAU von letzter Woche informierte die Sonntags-„FAZ“ ihre Leser unter Berufung auf Heike Pauls noch mit der Exklusiv-Info, dass bei Wirecard „der Pragmatismus (…) zur groben Vernachlässigung der Strukturen geführt“ habe und dass die Coba-Analystin den Da-Schon-Ex-CEO Markus Braun „weiter für einen Visionär“ halte. Interessante Frage, der man auch mal nachgehen könnte: Haben nur die armen „Focus Money“-Leser auf die Empfehlungen von Frau Pauls (letztes ausgegebenes Kursziel vor Einstellung der Coverage: 230 Euro) gehört? Oder vertraute auch der ein oder andere ausgewiesene Investment-Profi ihrem Rat?
Auffällig ist dieser Tage freilich auch das beredte Schweigen der versammelten Fintech- und Payment-Community zur Causa Wirecard. Schon klar: Qua Standort (Aschheim statt Berlin), früher Geburt und wohl auch qua Unternehmenskultur war der Dax-Konzern nie integraler Bestandteil der neu-hippen Finanz-Startup-Szene. Und doch: Dass von den Fintech-Jungs jetzt rein gar nichts zu hören ist … – Mmhhh! Wird auf „Kinder haften nicht für ihre Eltern“ plädiert? Hat das durchschnittliche deutsche Fintech momentan schlicht andere Probleme? Oder liegt’s womöglich auch daran, dass im Zuge der jetzt einsetzenden „Was sind die Lehren aus dem Wirecard-Skandal“-Debatten auch die Frage aufkommen könnte, was die rasant zunehmende Digitalisierung von Finanz- und Zahlungsdienstleistungen für deren Kontrollierbarkeit bedeutet. Jedenfalls: Dass kaum einer der Payment- und Fintech-Jünger da draußen die vielen Verdachtsmomente gegen das eigene Aushängeschild wirklich Ernst genommen hat – das ist kein gutes Zeichen. Sorry, Jungs.
Und die Quintessenz aus alldem? Keine Ahnung. Natürlich ist jetzt erst einmal die Zeit des lauten Rufens nach mehr und besserer Kontrolle. Auch um des Standorts willen. (Einwurf: Wenn man die Sache wirklich aufklären will, dann kommt man um einen U-Ausschuss nicht herum, oder?). Aber vermutlich werden wir bald schon die ersten leisen Stimmen vernehmen, dass man es auch nicht übertreiben dürfe. Ebenfalls um des Standorts willen. Wie das halt immer so ist.
Uns hier als Journalisten – so ehrlich muss man sein – fehlen Einblick und Ausbildung, um die Dinge wirklich beurteilen zu können. Wenn es uns allerdings richtig erklärt wurde, dann muss man sich einen Sellside-Analysten als einen Menschen vorstellen, der Zahlen in Tabellen eintippt und am Ende auf ein Knöpfchen drückt. Und einen Wirtschaftsprüfer als einen Menschen, der Listen abarbeitet und dabei Häkchen setzt. Ob irgendwer von denen, die hätten verstehen müssen, was Wirecard macht, es wirklich verstanden hat? Immerhin: An frischen Blicken hat’s zumindest bei Ernst & Young nicht gemangelt. Zwischen 2015 und 2018 haben sich in wechselnden Besetzungen insgesamt vier Prüfer über die Konzernabschlüsse von Wirecard gebeugt. Einer von ihnen arbeitet ausweislich seines Social-Media-Profils nach 22 Jahren Ernst & Young inzwischen übrigens für die Deutsche Bank. Das wäre, wenn man so will, dann der sechste Link zwischen dem größten hiesigen Geldhaus und dem Konzern, der uns, seit sein Dax-Einzug feststand, als eine Art „deutsches Apple“ vorgeführt wurde.
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