von Tim Danker*, 11. Dezember 2025
„Hey Tim, hab neue Windeln für deinen Sohn bestellt. Nach meinen Berechnungen geht der Vorrat nächste Woche zu Ende. Lieferung des neuen Pakets erfolgt morgen. Bei der nächsten Bestellung sollten wir auf die nächste Größe wechseln, was meinst du?“
So oder so ähnlich könnten künftig Benachrichtigungen auf dem Smartphone klingen. Nicht von einem Online-Shop, sondern von einem digitalen Einkaufsagenten, der persönliche Vorlieben kennt, eine virtuelle Karte nutzen darf – und ganz nebenbei das gesamte Einkaufsverhalten verändert. Willkommen im Zeitalter des Agentic Commerce.
Und was hat das mit einem alten Plastikknopf zu tun, den man einst an die Waschmaschine klebte? Eine ganze Menge. Denn das Grundprinzip des legendären Amazon Dash Buttons war ganz ähnlich: „Ein Klick. Ein Produkt. Kein Nachdenken.“ Doch während der Dash-Button 2020 in Deutschland vom Markt verschwand – vor allem aus rechtlichen Gründen – feiern seine Prinzipien jetzt ein KI-gestütztes Comeback.
Der Dash-Button wurde vom BGH verboten, weil er gegen § 312j BGB („Button-Lösung“) verstieß: Kein klarer Preis, kein Produkt – kein gültiger Kaufvertrag. Agentic Commerce greift die Idee des Dash-Buttons wieder auf – aber mit mehr Kontext, intelligenterer Technik und (hoffentlich) besserer juristischer Absicherung. Was genau dahintersteckt, was es für PSPs, Acquirer und Händler bedeutet – und ob wir in Deutschland erneut in die juristische Stolperfalle tappen, klärt dieser Beitrag.
Agentic Commerce beschreibt eine neue Evolutionsstufe im digitalen Handel, bei der KI-Agenten im Namen der Kundinnen und Kunden Produkte recherchieren, vergleichen, auswählen – und eigenständig kaufen.
Statt sich durch Filter, Vergleichslisten und Checkouts zu klicken, genügt künftig eine Absichtserklärung: „Finde mir eine günstige schwarze Winterjacke unter 150 €, Fairtrade, Lieferung bis Freitag.“
Ein digitaler Einkaufsassistent – etwa in ChatGPT, Google, Siri oder einer Retail-App – übernimmt Recherche und Kaufentscheidung. Er entscheidet auf Basis von Kontext, Präferenzen, Budget und Regelwerken. Und ja: Perspektivisch bezahlt er auch selbstständig – etwa über Wallets, virtuelle Karten oder spezialisierte Zahlungstokens.
Für PSPs verschiebt sich der Ort der Transaktion. Der klassische menschlich bediente Checkout tritt in den Hintergrund, neue Schnittstellen und Zahlungsmechanismen, die auch von KI-Agenten genutzt werden können, rücken in den Vordergrund.
Gefragt sind:
Acquirer müssen mit autonomen Transaktionen umgehen lernen:
Für Händler bedeutet das: Kunden besuchen seltener aktiv Shops – sie delegieren an Agenten. Die Herausforderungen:
Händler müssen also ihren Shop auf die Welt des Agentic Commerce vorbereiten. Shops, die bisher vor allem auf die Psychologie des Menschen ausgerichtet waren und mit großen Werbebannern, professionellen Fotos, guten Beschriftungen und vor allem aussagekräftigen Bewertungen funktioniert haben, müssen in der Zukunft vor allem strukturierte Daten anbieten, die von einer AI interpretiert werden können und alle Prozesse auch gegenüber APIs von Agents öffnen. Das Testen von Shops muss auch Agenten umfassen und auch Rückgabe- und Chargeback-Prozesse müssen auf die Welt des Agentic Commerce vorbereitet sein.
Ein wichtiger positiver Nebeneffekt: Agentic Commerce bietet auch Chancen für barrierefreies Einkaufen. Für Menschen mit Einschränkungen kann ein sprachgesteuerter Agent echte Teilhabe schaffen. Vielleicht hat die Politik hier mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ausnahmsweise mal vorgebaut?
Mit dem kürzlich angekündigten Deal zwischen PayPal und OpenAI wird das Konzept von Agentic Commerce erstmals auf breiter Bühne real. Nutzer von ChatGPT können künftig direkt über den Assistenten mit ihrem PayPal- oder Venmo-Konto bezahlen – ohne den klassischen Checkout zu durchlaufen.
OpenAI spricht hier bewusst von einem „Autonomous Purchase Protocol“ – also einem strukturierten Rahmen, in dem Agenten für Nutzer Transktionen auslösen dürfen.
Der PayPal-Deal zeigt: Große Player setzen auf kontextbasiertes, agentengesteuertes Einkaufen – und machen die einst theoretische Idee praktisch erlebbar.
Auch Amazon und Perplexity liefern sich ein öffentliches Duell: Amazon geht gegen Perplexitys Shopping-Agenten vor, die eigenständig über Amazon-Plattformen Bestellungen auslösen können. Perplexity hingegen sieht sich als Verfechter eines „offenen Agenten-Ökosystems“.
Für Händler und PSPs heißt das:
Was heißt das für Issuer Processing?
Wenn Agenten zahlen, verändern sich auch die Anforderungen an Issuer. Drei Punkte sind entscheidend:
Ohne moderne Processing-Plattformen mit API-first-Logik, dynamischen Spend Controls und Echtzeit-„Fraud Engines“ wird Agentic Commerce nicht skalierbar funktionieren.
Agentic Commerce stellt das Grundprinzip des E-Commerce infrage: Aufmerksamkeit als knappes Gut. Der neue Engpass ist nicht mehr der Klick, sondern die Aufnahme in die Entscheidungslogik des Agenten.
Neue Wertschöpfung:
Neue KPIs:
Einwände aus dem regulatorischen Lager sind berechtigt:
Zusammengefasst: Es braucht neue technische Strukturen (Token, Limits, Agent-Whitelists), damit Agentic Commerce mit EU-Recht vereinbar wird. Möglich ist es – trivial wird es nicht.
Agentic Commerce ist kein Buzzword – sondern ein möglicher neuer Kanal für digitalen Handel. Händler, PSPs, Acquirer und Issuer müssen umdenken: Der Zugang zu Kunden erfolgt nicht mehr über schöne UI, sondern über Agentenlogik, Kontext und Vertrauen.
Die Welt im Agentic Commerce ist noch etwas unübersichtlich und es bewegen sich viele große Player gleichzeitig mit ihren Initiativen, die sich oft überschneiden. Wenn man genauer hinschaut, merkt man deutlich: Die großen E-/M-Commerce Gatekeeper und auch die großen Zahlungsverkehrsanbieter sind aufgeschreckt und jeder versucht sich für die Zukunft in Position zu bringen, um Marktanteile und Relevanz zu verteidigen. Es werden riesige Summen Geld in Bewegung gesetzt, um auch in der sich schnell entwickelnden neuen Welt einen Platz zu haben.
Ein bisschen klingt es so, als würde Online- oder Mobile-Shopping in Zukunft keinen Spaß mehr machen? Das glauben wir nicht. Es wird weiterhin viele Menschen geben, die gerne selbst entdecken, vergleichen und sich durch die besten Black-Friday-Deals klicken. Gleichzeitig wird es aber auch immer mehr geben, die sich beim Einkaufen unterstützen lassen möchten – etwa um den besten Preis für die nächste Urlaubsreise zu finden oder einfach sicherzustellen, dass das Hundefutter zuverlässig nachgeliefert wird. Agentic Commerce wird dabei nicht das Einkaufen verdrängen, sondern ergänzen und für viele einen festen Platz im Alltag einnehmen.
Wer früh vorbereitet ist, profitiert. Wer abwartet, wird vielleicht gar nicht mehr „angefragt“. Wenn man sich als E-Commerce Händler vom Dash Button bedroht fühlte, dann sollte man bei dem Thema Agentic Commerce wirklich hellhörig werden.
Wie sieht die Welt in ihrem Business aus, wenn das so Realität wird? Sind sie darauf vorbereitet? Oder glauben Sie das ist alles Humbug und es bleibt alles wie immer?
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Tim Danker ist Manager bei bei der auf Payment-Themen spezialisierten Unternehmensberatung Osthaven. Osthaven gehört zu den Premium-Partnern von Finanz-Szene. Mehr zu unserem Partner-Modell erfahren Sie hier.
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