Deep Dive

4,0% statt 19,8%: Wie unsere Banken das Basel-III-Finale gewinnen

Gefühlt ist „Basel III“ ja schon mindestens 2.000-mal diskutiert, 200-mal verändert und 20-mal verabschiedet worden. Was auf der Zeitachse übrigens auch Sinn machen würde. Schließlich liegt der Auslöser des großen Reform-Pakets (also die Finanzkrise) inzwischen fast anderthalb Jahrzehnte zurück.

In Wirklichkeit indes ist es so, dass zumindest die sogenannte Basel-III-Finalisierung allen  Ermüdungserscheinungen zum Trotz gerade erst in die heiße Phase geht. Der Baseler Ausschuss hat zwar gesprochen. Und die EU-Kommission auch. Der EU-Rat allerdings noch nicht. Sondern: Europas Wirtschafts- und Finanzminister haben sich in den letzten Monate über den Vorschlag der Kommission gebeugt. Und könnten am heutigen Dienstag nun ihren eigenen Vorschlag festzurren.

Frage: Muss einen das alles wirklich noch interessieren? Antwort: Unbedingt! Von außen mag es zwar so aussehen, als würde nur noch um Details gerungen. Tatsächlich sind viele dieser Details allerdings materiell. Wobei es grosso modo so aussieht, als könnte unsere Banken (bzw. deren Lobbyisten) auf der Zielgeraden der Basel-III-Reform noch etliche Erleichterungen herausschlagen.

Unser „Deep Dive“:

––––––––––––––––––––––

1.) 20%, 10%, 4% – wer bietet weniger?

Wie viel mit der künftigen Fassung der EU-Eigenkapitalvorgaben für die Banken auf dem Spiel steht, lässt sich daran erkennen, dass die Kreditwirtschaft zu kaum einem anderen Regelwerk in den vergangenen Jahren derart intensive Lobby-Anstrengungen unternommen hat.

Klar ist seit Langem, dass sich die Kapitalanforderungen an die Kreditwirtschaft erhöhen werden. Dies liegt vor allem daran, dass Basel III den Einsatz bankinterner Modelle zur Kalkulation des Eigenkapitalbedarfs einschränkt. Grundsätzlich sollen mit solchen Modellen berechnete Kapitalanforderungen in Zukunft mindestens 72,5% des per Standardmethode ermittelten Kapitalbedarfs entsprechen.

Der Grund: In der Vergangenheit hatten die internen Modelle Argwohn erzeugt wegen der Vermutung, dass Banken diese nutzen, um ihre Risiken kleinzurechnen. In der Tat hatten Quer-Untersuchungen der Aufseher bei Banken extreme Unterschiede bei der Kapitalunterlegung zutage gefördert. Die 72,5% sollen nun eine Untergrenze ziehen, die nicht unterschritten werden kann. 

Aus Banken ist allerdings zu hören, die europäische Bankenaufsicht habe die Erhöhung des Kapitalbedarfs zu einem guten Teil bereits im Zuge einer aufwändigen Überprüfung der internen Modelle der Großbanken in Euroland sowie deren Harmonisierung vorweggenommen. Zudem hat die EU-Kommission schon in ihren Vorschlag von 2021 einiges an Erleichterungen eingebaut, welche den Kapitalauftrieb für die Banken deutlich abschwächen.

Was das konkret heißt, lässt sich an den jüngsten Szenario-Berechnungen der Deutschen Bundesbank von Ende September ablesen (alle gerechnet zum Stichtag Ende 2021). Dabei nennen die Aufseher gleich einen ganzen Strauß von Zahlen für den Anstieg der Mindestkapital-Anforderungen an deutsche Banken. Dies lässt auch darauf schließen, wie erbittert seit Jahren um die Details der Umsetzung gerungen wird – aber auch, wie sich die Pläne verändert haben, indem wieder und wieder an Details geschraubt wurde. 

  • Eigentlich lässt die volle Umsetzung von Basel III die Mindestanforderungen an deutsche Banken um 19,8 % steigen – so hat es die EU-Bankenbehörde EBA ermittelt (verglichen, wie gesagt, mit dem Stichtag 31.12.2021). 
  • Laut Methodik des Baseler Ausschusses, die einige der Kapitalzusatzpuffer außer Acht lässt, sind es 16,7%.
  • Schon der 2021er-Vorschlag der EU-Kommission hat den Auftrieb dann auf 10% sinken lassen (so eine damalige Berechnung der Deutschen Bundesbank). 
  • Ende September nun bezifferte die Bundesbank den Anstieg auf Basis des Kommissionsvorschlags auf nurmehr 5,4%. Erklärung: Die Stichprobe wurde erweitert, so zum Beispiel um viele kleinere Banken, die den Standardansatz verwenden und daher weniger Auftrieb zu verzeichnen haben; zudem haben die Aufseher inzwischen weitere Elemente des Kommissionsvorschlags eingearbeitet und Schätzungen durch Daten aus dem offiziellen Meldewesen ersetzt. 
  • Bis Anfang 2033 erhöht sich der Anstieg in der Stichprobe dann wiederum wegen auslaufender Übergangsfristen auf 11,1%.
  • Rechnet die Bundesbank die für ihre Stichprobe ermittelten Ergebnisse auf den gesamten deutschen Bankensektor hoch, kommt sie auf einen Anstieg um 4% für das Jahr 2030, wenn die Beschränkung der bankinternen Modelle voll greifen soll, sowie von 7%, wenn 2033 weitere Übergangsvorschriften ausgelaufen sind.

Von fast 20% auf nurmehr 4% Kapitalauftrieb: Dazu haben im Entwurf der EU-Kommission im Wesentlichen drei Faktoren beigetragen, konkret Erleichterungen für interne Modelle verwendende Banken

  • bei den Kapitalanforderungen für Unternehmen ohne externes Rating (siehe Punkte 3 bis 5)
  • bei Finanzierungen von Wohnimmobilien (siehe Punkt 6) sowie
  • im Derivategeschäft (siehe Punkt 7). 

Zunächst aber mehr zu einer Neuerung, die der Ministerrat in seinem Entwurf am heutigen Dienstag neu ins Spiel bringt.

––––––––––––––––––––––

2.) Lockerung in der Handelsfinanzierung

Wie Finanz-Szene erfahren hat, will der Ministerrat die Lockerungen der EU-Kommission nicht nur sämtlich übernehmen, sondern in seinem Entwurf eine weitere Erleichterung in der Handelsfinanzierung einführen. Demnach ist der Ministerrat auf Forderungen der Branche eingegangen, im Gegensatz zum Vorschlag der EU-Kommission auf härtere Vorgaben zur Berechnung von Trade-Finance-Forderungen zu verzichten.

Die Kommission will den Prozentsatz vom Ursprungswert, der etwa für Garantien oder Kreditlinien anzusetzen ist, von 20% auf 50% heraufsetzen – wie vom Baseler Ausschuss gefordert. Der Rat will den sogenannten Credit Conversion Factor hingegen bei 20% belassen. Auch im EU-Parlament zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab, diesen Faktor nicht anzutasten, heißt es bei Beobachtern.

Wie stark dies die Institute entlasten könnte, bleibt abzuwarten. Auf der Hand liegt aber, dass vor allem in der Handelsfinanzierung tätige Häuser aus exportstarken Nationen davon profitieren. Konkret dürfen sich damit die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Landesbanken freuen.   

––––––––––––––––––––––

3.) Unternehmen ohne Rating (I): Großzügige Frist

Auch die zuvor bereits genannten, den Kapitalauftrieb begrenzenden Erleichterungen für interne Modelle nutzenden Banken (welche die Bundesbank in ihrem Szenario bereits berücksichtigt hatte) haben es in sich. So zeigt neben der EU-Kommission auch der Ministerrat Entgegenkommen bei Kapitalanforderungen für Kredite an Unternehmen ohne externes Rating, einer der heißesten Eisen in der Debatte um Basel III – gerade für deutsche Banken und ihre Kreditnehmer. 

Die Ausgangslage: Das Regelwerk Basel III erhöht die Kapitalanforderungen im Falle von Krediten an Unternehmen ohne das externe Rating einer Agentur. Wo Banken bisher Risikogewichte von 45% oder deutlich weniger zuordnen, sieht das Baseler Regelwerk ein pauschales Risikogewicht von 100% vor – was in der Praxis auf einen Eigenkapitalbedarf von 8% der Forderungssumme hinausläuft.

Stuft eine Bank die Bonität solcher Schuldner auf Basis ihrer internen Modelle mit Investment Grade ein (sprich als gut), ist laut Vorschlag der EU-Kommission noch ein Gewicht von 65 % erlaubt. Auf solche Forderungen entfällt ein Großteil der Exposures. Gerade in der Bundesrepublik wimmelt es von soliden Mittelständlern, die sich eine Bewertung durch externe Bonitätswächter bisher ge­spart haben. Auch europaweit dominiert dieser Typ Unternehmen – zumindest im Segment der kleinen und mittelgroßen Firmen. Auch aus einem anderem Grund ist die Frage wichtig: Weil Emissionen hochverzinster Anleihen sowie von Anleihen ganz ohne Rating zugenommen haben, ist das ausstehende Volumen an Unternehmens-Bonds abseits des Finanzsektors und mit einer Laufzeit von mehr als zwölf Monaten in der EU von gut 8 Billionen auf knapp 10 Billionen Euro gestiegen – und das nur binnen fünf Jahren, zwischen Ende 2016 und Ende 2021.

Um zu verhindern, dass Kapitalanforderungen für Kredite an solche (intern mit Investment Grade eingestufte) Gesellschaften sprunghaft auf 100% steigen, dürfte der Ministerrat wie die Kommission für diese, wie erwähnt, zunächst nur einen Wert von 65% vor. Dieser soll dann zwar auf 100% hochgefahren werden, das aber mit einer Übergangsfrist bis 2032! In diesem Punkt weicht die EU-Kommission, und offenbar auch der Ministerrat, von den Vorschlägen des Baseler Ausschusses ab, der diese Variante nur für Länder vorsieht, in denen externe Kredit-Ratings nicht genutzt werden. 

––––––––––––––––––––––

4.) Unternehmen ohne Rating (II): Konflikt zwischen Ministerrat und Parlament

In diesem Punkt zeichnet sich ein potenzieller Konflikt mit dem EU-Parlament ab. Denn als der zuständige Berichterstatter dort, der Sozialist Jonás Fernández, Anfang Juni einen ersten Draft für den Beschluss der EU-Legislative vorlegte, stellte sich heraus, dass dieser die Erleichterung beim Risikogewicht für Firmen ohne Rating (genauer: den niedrigeren Wert von zunächst nur 65% für intern mit Investment Grade bewertet Firmen) nur für Firmen mit einem Umsatz von weniger als als 500 Mio. Euro vorsah.

Es erfordert Mut, als Politiker in Zeiten von Pandemie, Rezession und wachsenden globalen Spannungen – in diesem Umfeld eine Forderung aufzustellen, die auf eine rein regulatorisch bedingte Verteuerung von Krediten für viele große Unternehmen hinausläuft. Allerdings sollten sich die Regulierer mit ihren Kapitalvorgaben für Banken auch nicht an Konjunkturzyklen orientieren. Ohnehin soll die bis Ende 2032 gestaffelte Umsetzung der Regeln erst in drei Jahren beginnen. Bankenvertreter sehen dennoch bereits das Gespenst einer Kreditverknappung umgehen.

––––––––––––––––––––––

5.) Unternehmen ohne Rating (III): Sorgen und Freuden der Ratingagenturen

Ganz andere Sorgen treiben dagegen die Bonitätswächter in den Ratingagenturen um. Ihrer Ansicht nach könnten verminderte Kapitalanforderungen, wie sie die EU-Kommission vorsieht, zur Folge haben, dass Risiken unterschätzt werden – so geht es aus einer internen Präsentation des europäischen Verbands der Ratingagenturen (EACRA) hervor.

Die Folgen der Vorschläge für den Markt der Firmenkredite dürften demnach unterschiedlich ausfallen. In ferner Zukunft können sich Ratingagenturen voraussichtlich über neue Kunden freuen. Es ist anzunehmen, dass Firmen aus dem Segment der (nicht ganz so dollen, aber immer noch als Investment Grade geltenden) “BBB”-Bonität vermehrt externe Ratings einholen werden, auf dass ihr Risikogewicht für die Banken fallen möge (und zwar von 100% auf 75%, jedenfalls in der Zeit nach 2032, nach der Übergangsfrist, versteht sich).

Die Hoffnung auf günstigere Kredite dürfte selbst bonitätsstärkere Gesellschaften dazu bewegen, eine Ratingagentur zu mandatieren. All dies wird zwar das Oligopol der großen drei Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch stärken, gegen das die Regulierer nach der Finanzkrise eigentlich angehen wollten. Der Effekte dürfte dennoch durchaus im Sinne der EU-Kommission sein, bringt es doch voraussichtlich das Vorhaben einer europäischen Kapitalmarktunion voran. Mittelständler, die sich – um leichter an Kredite zu kommen – ein externes Rating besorgen, können künftig auch leichter an den Kapitalmarkt gehen, zum Beispiel Anleihen emittieren. Dies würde erstens konkret ihre Abhängigkeit von Bankkrediten reduzieren und zweitens die Kapitalmarkte generell in ihrer Bedeutung stärken. 

Ach ja, und was ist mit dem Rest? Die große Zahl der Unternehmen, die noch schlechter abschneiden als “BBB”, dürften dem Rating-Markt fernbleiben, da ein externes Rating ihre Finanzierungskonditionen nur verschlechtern würde – glaubt die EACRA.

––––––––––––––––––––––

6.) Risikogewicht für Kredite zu Wohnimmobilien halbiert

Mit der Kommission konform geht der Ministerrat dem Vernehmen nach auch in der Frage einer Erleichterung in der Finanzierung von Wohnimmobilien: Länder, deren Immobilienmarkt in der Vergangenheit mit geringen Ausfallquoten geglänzt haben, sollen in den Genuss verminderter Risikogewichte kommen und erhalten ein entsprechendes Wahlrecht.

Auch diese Lockerung dürfte deutschen Banken eher zugutekommen als etwa ihren Wettbewerbern in Spanien, Italien oder Griechenland. Bei einem Beleihungswertauslauf von bis zu 55% etwa halbiert sich das Risikogewicht demnach auf 10%. Auch bei höheren Ausläufen winken interne Modelle einsetzenden Banken Erleichterungen – und auf solche Banken entfällt bundesweit immerhin die Hälfte aller Aktiva.

––––––––––––––––––––––

7.) Derivategeschäft leichter gemacht

Ein weiterer Punkt, auf den Beobachtern zufolge ein guter Teil der im Kommissionsvorschlag enthaltenden Erleichterungen zurückzuführen ist, betrifft das Geschäft mit Derivaten, konkret den sogenannten Alpha-Faktor. Mit diesem ist der Forderungswert einer Derivate-Position zu multiplizieren, wenn es an die Berechnung des jeweiligen Gegenpartei-Risikos geht.

Kommission und Ministerrat wollen den Faktor im Falle von Modelle nutzenden Banken von 1,4 auf 1 reduzieren, diesen damit neutralisieren und zugleich verhindern, dass die mit Basel III verbundene Begrenzung der Effekte interner Modelle den Kapitalbedarf von Banken in die Höhe schießen lässt. Dies wird sich vor allem im Geschäft mit Fremdwährungs-Derivaten auswirken, in dem europaweit die Deutsche Bank zu den größten Spielern zählt. 

––––––––––––––––––––––

8.) Streitpunkt grüner Kapitalrabatt

Im Trilog, dem Prozess, in dem sich EU-Kommission, Ministerrat und EU-Parlament traditionell einigen, könnte es mit Blick auf eine Frage noch besonders hoch hergehen: Will die EU gerne ESG-konforme Finanzierungen regulatorisch fördern und Kredite für fossile Energien sanktionieren, und wenn ja, wie sehr?

Als Aufseher schauen sich die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Behörden schon seit längerem die Bemühungen der Institute etwa in Sachen grüne Transformation genau an – wer zum Beispiel Kohle-Aktivitäten in rauen Mengen finanziert, muss bereits jetzt unter dem Aspekt der Risikosteuerung mit höheren individuellen Kapitalanforderungen der Aufsicht rechnen. Eine etwas andere Frage ist es aber, ob eine generelle Differenzierung mit Hilfe der Eigenkapitalvorgaben angezeigt ist.

Kommission und Ministerrat liegen in diesem Punkt dem Vernehmen nach nur in Detailfragen auseinander. Sie wollen es den Aufsehern überlassen, dies individuell zu überprüfen. Im EU-Parlament hingegen gibt es sehr wohl Bestrebungen, etwa die Finanzierung fossiler Aktivitäten pauschal mit einem Risikogewicht von 1250% zu belegen – damit müssten Banken 100% der Summe eines Kredits an Eigenkapital vorhalten. Auch werden Forderungen nach einem grünen Eigenkapitalrabatt etwa für die Finanzierung umweltfreundlicher Wohnimmobilien erhoben – eine Verknüpfung von Immobiliendarlehen mit ESG-Aspekten sieht auch der Entwurf von Jonás Fernández, dem Berichterstatter des EU-Parlaments, vor. 

Viele EU-Parlamentarier sehen im Abschluss des Regelwerks Basel III die Chance, die grüne Transformation zu forcieren. Kritiker argumentieren, die Eigenkapitalvorgaben müssten sich allein an Risiken orientieren, ohne für die Umsetzung politischer Projekte eingespannt zu werden. Generell nimmt die Bankenbranche EU-Parlamentarier aus Deutschland, Frankreich und Italien tendenziell eher als bankenfreundlich wahr, Abgeordnete aus Belgien, den Niederlanden oder Osteuropa eher als “Basel-Hardliner”.

Rechtehinweis

Die Artikel von Finanz-Szene sind urheberrechtlich geschützt und nur für den jeweiligen Premium-Abonnenten persönlich bestimmt. Die Weitergabe – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Wie Sie Inhalte rechtssicher teilen können (z.B. via Pressespiegel), erfahren Sie hier.

Danke für Ihr Verständnis. Durch Ihr Abonnement sichern Sie ein Stück Journalismus!

To top