Exklusiv

Bafin und Buba verschieben Abschaffung des Millionenkredit-Meldewesens

Reißen Finanzinstitute ihre aufsichtlichen Meldepflichten, können Bafin und Bundesbank schnell die Geduld verlieren. Anders ist es mit Fristen, die sich die Aufsichtsbehörden selbst setzen – und dann doch reißen. In dem Fall müssen sich die Banken in Nachsicht üben. So auch dieser Tage wieder. Der Grund: Die fürs Jahresende geplante Abschaffung des Millionenkredit-Meldewesens deutscher Banken. Die ist nämlich erstmal geplatzt.

“Aufgrund der laufenden Prüfung durch Bafin und Bundesbank und der notwendigen Vorlaufzeit für die Einstellung des Millionenkredit-Meldewesens kann das angestrebte Ziel der Einstellung zum 31.12. 2023 nicht aufrechterhalten werden”, heißt es in einem Schreiben von Bafin und Bundesbank an die Kreditwirtschaft, in das Finanz-Szene Einsicht nehmen konnte. Auf unsere Nachfrage, welchen neuen Termin sie denn nun stattdessen für die Abschaffung ins Auge gefasst hätten, antworten die Aufseher wortgleich – und sehr ausweichend: „Das weitere Vorgehen stimmen Bafin und Bundesbank ab.“

Ds Eingeständnis, den eigenen Vorschlag nicht wie geplant in die Tat umsetzen zu können, ist die jüngste Volte auf einem Feld, das Deutschlands Banken und Sparkassen schon seit geraumer Zeit nervt.

Überhaupt notwendig? Das Millionenkredit-Meldungen

Es gehört zu den Pflichten deutscher Finanzinstitute, der Aufsicht quartalsweise Kredite zu melden, die eine bestimmte Schwelle überschreiten. Diese Schwelle lag früher bei 1,5 Mio. Euro, seit 2015 liegt sie bei 1 Mio. Euro. Dabei müssen die Banken Informationen zur Art des Kredits (z.B. bilanziell oder außerbilanziell), zum Kreditnehmer (z.B. Rechtsform, Wirtschaftszweig, Insolvenzen) oder zum Kredit selbst (z.B. Ausfall-Wahrscheinlichkeit, Einzelwert-Berichtigungen, Besicherung) übermitteln.

Beim Millionenkredit-Meldewesen, das noch auf das KWG zurückgeht, handelt es sich um eine deutsche Spezialität, nicht um einen EU-Standard. Anderswo müssen Banken der Aufsicht schon seit einiger Zeit weit detailliertere Daten liefern. Im Jahr 2018 änderte sich aber auch für die deutschen Häuser alles, und zwar mit der Einführung des granularen Kreditregisters AnaCredit (Analytical Credit Datasets), das statistische und bankaufsichtliche Melde-Anforderungen zusammenführt: Seither melden die Banken in der Euro-Zone ihren nationalen Notenbanken für jeden ihrer Kredite von mehr als 25.000 Euro an nicht-natürliche Personen knapp 100 Datenpunkte. Die nationalen Notenbanken liefern diese Daten weiter an die EZB.

Was zur Frage führt: Wer braucht da heute, fünf Jahre später, noch ein nationales Millionenkredit-Meldewesen für Kredite ab 1 Mio. Euro, wie es die Bundesbank unterhält?

Seit Monaten bemüht: die deutschen Aufseher

Anfangs, bei der Einführung von AnaCredit, waren Deutschlands Aufseher noch vorsichtig. Motto: So ein neues System einzuführen, hat ja bekanntlich seine Haken und Ösen, da geht gerne mal etwas schief, da behalten wir unser bewährtes Millionenkredit-Meldewesen doch lieber erst einmal bei. Einstellen können wir das Ganze ja immer noch, wenn AnaCredit gut läuft. Damit machen wir unseren Banken zwar doppelte Arbeit, aber sei es drum.

Froh klang daher die Botschaft, die Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling im letzten Sommer für die Kreditwirtschaft bereithielt. Künftig könnten Bafin und Bundesbank AnaCredit für Analysen nutzen, “die wir derzeit anhand des Millionenkredit-Meldewesens durchführen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass das Millionenkredit-Meldewesen mittelfristig eingestellt werden kann”, erklärte Wuermeling im Interview mit der Börsen-Zeitung. Den Worten folgten Taten: “Bafin und Bundesbank haben im Juli 2022 dem BMF (Bundesfinanzministerium, Anm. der Redaktion) vorgeschlagen, das Millionenkredit-Meldewesen zum 31.12. 2023 einstellen”, heißt es im eingangs erwähnten Brief an die deutsche Bankenwelt, der von Mitte April datiert.

Nun das Eingeständnis: Wir kriegen es nicht hin. Jedenfalls nicht bis Jahresende.

Dem Laien stellen sich da wieder ein paar simple Fragen: Was prüfen Bundesbank und Bafin denn da eigentlich noch? Haben sich im Zuge dieser Prüfung Probleme ergeben? Und wieso braucht es überhaupt eine „Vorlaufzeit“, wenn es doch allem Anschein nur darum geht, ein altes System abzuschalten und auf ein anderes, schon seit Jahren laufendes System umzusteigen? Gut, es wird mehr brauchen als das Drücken auf einen roten Aus-Knopf, aber was ist da bloß so kompliziert? Doch nach den konkreten Gründen gefragt, wiederholen Bundesbank und Bafin nur stoisch, was sie den Banken mitgeteilt haben (und natürlich in unserer Anfrage stand).

Einzig die ergänzende Frage, ob es einen Zusammenhang mit etwaigen Defiziten, Lücken oder Problemen bei AnaCredit gibt, liefert einen interessanten Anhaltspunkt: „Dies ist u.a. Gegenstand der laufenden Prüfung“, so die wortgleiche Antwort von Bundesbank und Bafin. Nun, das heißt natürlich NICHT, dass es bei AnaCredit tatsächlich Defizite, Lücken oder Probleme GIBT, bitte nicht falsch verstehen – aber zu 100 Prozent SICHER, dass mit AnaCredit alles rund läuft, scheinen sich die deutschen Aufseher dann doch noch nicht zu sein.

Seit langem genervt: die deutschen Kredithäuser

Bafin und Bundesbank wollen ausweislich ihres Briefs mit der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) – dem Zusammenschluss der fünf Spitzenverbände (insbesondere von Sparkassen, Genossen und Privatbanken) – “das weitere Vorgehen” erörtern und “Lösungsmöglichkeiten eruieren”. Auf jeden Fall besteht Redebedarf: Geplant ist ein Treffen, zu dem auch das Bundesfinanzministerium eingeladen werden soll. Womit die Angelegenheit auf der Agenda doch ziemlich weit nach oben gerückt zu sein scheint.

Wann der Austausch stattfindet, ist offen. „Das Treffen ist derzeit noch nicht terminiert“, schreiben Bundesbank und Bafin auf Nachfrage. Der genossenschaftliche BVR, der 2023 bei der DK die Federführung hat, will sich auf Anfrage nicht äußern.

Dass nicht nur Rede-, sondern auch Handlungsbedarf besteht, ist den Aufsehern bewusst. Laut einer Machbarkeitsstudie der Bafin vom vergangenen Sommer müssen Deutschlands Institute derzeit stolze 400.000 Regeln und Datenpunkte für das Meldewesen individuell anwenden und mit ihrer IT bewältigen. Schuld sind die ständig gewachsenen Anforderungen aus Bankstatistik, Aufsichts- und Abwicklungsrecht. Selbst die Bafin räumte offen ein: „Das bisherige Vorgehen ist ineffizient, wenig digital und erfordert lange Umsetzungszyklen.”

Weiter Wunschdenken: ein digitales, zentrales Meldewesen

Ideen gibt es. So schwebt der EZB für die Zukunft ein System vor, in dem Banken nicht mehr separaten und teils überlappenden Anfragen verschiedenster Behörden nachkommen müssen, sondern diesen Rohdaten bereitstellen, aus denen die Aufseher ihre Berichte dann selbst basteln – ein Datensee, aus dem sich jeder fischt, was er braucht. Dies wäre ganz im Sinne der Bafin und ihrer Machbarkeits-Studie vom Sommer 2022 zum “Meldewesen der Zukunft”. Weit mehr als 75% der Aggregate von Datenpunkten könnten künftig zentral entstehen, schrieb die Bafin damals mit Blick auf ihre eigenen, gemeinsam mit Bundesbank und Kredithäusern entwickelten Überlegungen hoffnungsfroh – für die Institute wäre dies eine enorme Entlastung.

Noch ist der Weg lang. Zwar machte der für Banken zuständige Bafin-Exekutivdirektor Raimund Röseler bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie das Jahr 2023 als „das ideale Zeitfenster” aus, um ein gemeinsames Zielbild final abzustimmen, das Meldewesen “auf einem zukunftsfähigen digitalen Fundament neu auszurichten” und deutsche Ideen in den europäischen Prozess einzubringen. Für die Jahre 2024 bis 2027 sah die Bafin aber schon damals nur die Umsetzung einer „ersten Ausbaustufe“ vor, gefolgt von weiteren Schritten in den Jahren „2028 ff.“. Sollte sich nun herausstellen, das schon bei der Einstellung eines alten Meldeformats Probleme auftreten – wie soll dann in absehbarer Zeit im großen Maßstab der Aufbau eines neuen, integrierten Systems gelingen? Klingt doch alles eher nach „in weiter Ferne“.

Sicher ist nur: Bafin und Bundesbank werden vor 2024 nicht einmal das Millionenkredit-Meldewesen abstellen können.

Rechtehinweis

Die Artikel von Finanz-Szene sind urheberrechtlich geschützt und nur für den jeweiligen Premium-Abonnenten persönlich bestimmt. Die Weitergabe – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Wie Sie Inhalte rechtssicher teilen können (z.B. via Pressespiegel), erfahren Sie hier.

Danke für Ihr Verständnis. Durch Ihr Abonnement sichern Sie ein Stück Journalismus!

To top