von Christian Kirchner, 18. März 2020
Sparkassen und Volksbanken, aber auch anderen Instituten droht im Zuge des Corona-Crashs ein ähnliches Desaster mit den von ihnen vertriebenen Zertifikaten wie in der Finanzkrise. Wie eine erste Bestandsaufnahme von “Finanz-Szene.de” zeigt, verzeichnete per gestern Vormittag von 832 ausstehenden “Express-Zertifikaten” der DZ Bank knapp ein Drittel bereits Verluste von 50% und mehr; in extremen Fällen hatten die Papiere im Vergleich zum Emissionspreis sogar schon mehr als vier Fünftel an Wert eingebüßt.
Auch bei der Deka scheint sich die Lage zuzuspitzen. Insgesamt hat die Fondsgesellschaft der deutschen Sparkassen momentan 2218 aktive “Express-Zertifikate” am Markt (die Gattung macht fast 2/3 des Zertifikate-Absatzes der Deka aus). Von diesem gut 2000 Papieren hatten gestern Vormittag 110 mehr als 50% gegenüber ihrem Emissionspreis verloren; bei einem halben Dutzend war ein Wertverlust von mehr als 80% zu verzeichnen.
Noch deutlich größer ist – jedenfalls relativ – der sich abzeichnende Schaden beim zweitwichtigsten derivativen Vertriebsprodukt hinter den “Express-Zertifikaten”, nämlich bei den “Aktienanleihen”. Von denen hat die Deka momentan 674 Produkte ausstehen. Und auch hier konnte Finanz-Szene.de im Zuge einer ersten groben Auswertung gestern bereits bei 114 Papieren ein Minus von mehr als 50% ausmachen.
Wer die Ausmaße des drohenden Ungemachs verstehen will, muss sich vor Augen führen, dass der deutsche Retail-Zertifikatemarkt immer noch rund 71 Mrd. Euro schwer ist – und dass hiervon rund 70% auf die sparkasseneigene Deka (der Nr. 1 im Markt), die genossenschaftliche DZ Bank (Nr. 2) sowie auf zumindest sparkassennahe Institute wie die Helaba, BayernLB oder die LBBW entfallen. Mit anderen Worten: Der allergrößte Teil der aktuell verlustbedrohten Zertifikate (die allerdings während ihrer Laufzeiten noch Werte aufholen können) dürfte im ganz normalen Filialgeschäft vertrieben worden sein – was die Frage aufwirft, wie gut die betroffenen Anleger die derivativen Strukturen der Papiere wirklich verstanden haben.
Nun könnte man einwenden, dass ein Crash, wie wir ihn momentan erleben (der Dax hat seit seinem Hoch Mitte Februar 35% verloren) notwendigerweise auch am Zertifikate-Markt für Verwerfungen sorgt. Es ist fraglos eine historische Extremlage. Gegen diese exkulpierende Sichtweise sprechen aber zumindest zwei Argumente:
Die Auswertung von zehntausenden Zertifikaten der Marktführer Deka und DZ Bank anhand der jeweiligen Zertifikate-Datenbanken durch Finanz-Szene.de zeichnet indes ein völlig anderes Bild. Wobei sich diverse Muster erkennen lassen, die die jüngsten Kursstürze forciert haben:
Tatsächlich hatte “Finanz-Szene.de” im vergangenen Sommer vor einem Szenario, wie es nun einzutreten scheint, eindringlich gewarnt. In dem mit “Warum die Deka (und die Sparkassen-Berater) so krass auf Zertifikate abfahren” überschriebenen Artikel kritisierten wir die (aus unserer Sicht) hohen Gebührenstrukturen und die Sicherheit suggerierenden Namen (hier übrigens die damalige Replik der Deka). Konkret untersuchten wir mehrere damals relativ frisch emittierte Papiere, die als “Frühlingszertifikate” beworben worden waren. Wir kamen zu dem Schluss, …
Wir haben uns im Zuge unserer Auswertung diese Woche auch angeschaut, was konkret aus den fünf damals intensiver von uns analysierten Papieren geworden ist:
Die Deka teilte gestern auf Anfrage von Finanz-Szene.de ferner mit:
“Express-Zertifikate vereinen viele Eigenschaften, die Privatkunden besonders wichtig sind. So bieten sie schon bei der Erwartung seitwärts tendierender oder nur leicht steigender Kurse des Basiswerts die Chance auf entsprechende Ertragszahlungen und die Möglichkeit einer vorzeitigen Rückzahlung zur Verkürzung der Kapitalbindungsdauer. Darüber hinaus beinhalten Express-Zertifikate diverse Mechanismen zur maßgeschneiderten Risikosteuerung zur Abbildung der individuellen Marktmeinung und Anlegerpräferenzen. Die produktinhärenten Sicherungsmechanismen ermöglichen Anlegern mithin mehr Sicherheit, als dies bei einer vergleichbaren Direktanlage in Aktien der Fall wäre. Aber natürlich sind bei extremen Basiswertrückgängen auch entsprechende Kursverluste möglich. Da Express-Zertifikate, wie alle anderen Zertifikate auch, für einen Anlagehorizont bis zur Endfälligkeit konzipiert sind, verbleibt in der Restlaufzeit bis zur Endfälligkeit jedoch noch die Chance einer Rückzahlung zum Nennbetrag sowie zur „Nachholung“ der ausgefallenen Zinszahlungen.”
Weiter hieß es:
“Wir befinden uns aufgrund der Corona-Krise sowohl gesellschaftlich als auch kapitalmarkttechnisch in einer absoluten Ausnahme- und Extremsituation. So hat z.B. der DAX seit seinem Allzeithoch im letzten Monat ca. 35% verloren, einzelne Aktien sogar deutlich. Der derzeitigen Kursentwicklung können sich beispielsweise auch die Frühlingszertifikate nicht entziehen. Es ist aber kein spezifisches Problem der Zertifikate an sich.
Vonseiten der DZ-Bank hieß es:
“Mehr als die Hälfte unseres Expresszertifikate-Bestandes ist mit Stichtagsbetrachtung ausgestattet. Aktuell verfügen mehr als 84% unserer Expresszertifikate trotz der derzeitigen Marktturbulenzen über eine intakte Barriere. Zertifikate sind kapitalmarktnahe Produkte, die sich an der Entwicklung des jeweiligen Basiswertes orientieren. Insofern ist Ihre Beobachtung der aktuellen Entwicklung eine Stichtagsbetrachtung, die noch keine Aussage über die tatsächliche Entwicklung der Anlage per Endfälligkeit möglich macht”