von Arne Storn, 2. Januar 2023
In unserem Jahresrückblick zeigen wir, welche Themen Sie 2022 besonders interessiert haben – mit zwölf Klickfavoriten aus zwölf Monaten.
Heute mit Teil sechs:
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Nehmen wir die Sparkasse Aachen. Die gehört nämlich nicht nur zu den größten deutschen Kommunalinstituten. Sondern (was laut Ermittlern an der Nähe zu den Niederlanden liegt) auch zu den verwundbarsten. Schon seit Jahren beklagt das Geldhaus immer wieder die Sprengung von Automaten, siehe kürzlich unseren Eifel-Krimi „Wurde da ein Automat gesprengt – oder die ganze Bank?“.
Jedenfalls: In Aachen zieht man jetzt weitere Konsequenzen: Nachdem seit 2019 bereits ein Viertel aller Geldautomaten abgebaut wurde (auf Empfehlung des LKA, wie es heißt), legt die Sparkasse nun weitere 19 Geräte still und will von den verbleibenden knapp 80 Automaten etliche nur noch tagsüber betreiben. Damit steht das Institut stellvertretend für einen um sich greifenden Trend – nämlich die Demontage der Banken-Infrastruktur hierzulande.
Lange Zeit war es insbesondere in den Verbünden üblich, den Abbau klassischer Filialen durch SB-Einrichtungen wenigstens teilweise zu kompensieren. Damit scheint es nun vorbei: Bei den Volks- und Raiffeisenbanken ist die Zahl der SB-Stellen letztes Jahr erstmals zurückgegangen; bei den SB-Automaten scheint der Peak branchenweit überschritten; und Geldautomaten verschwinden längst im ganz großen Stil (siehe zuletzt unsere Stücke über die Cash Group sowie die ING Diba).
Die Anfälligkeit der physischen Infrastruktur (erinnert sei auch an die Schließfach-GAUs bei der Haspa und der Sparda Südwest) ist freilich nur ein Grund für die Demontage. Viel wichtiger sind: die Kosten. Mit der Folge, dass nicht nur, der Filialabbau unvermindert weitergeht – sondern jene Filialen, die erhalten bleiben, werden zunehmend entkernt, siehe die Beispiele der Hypo-Vereinsbank (-> Weniger Schalter, weniger Kassen: HVB baut Filialgeschäft um) und zuletzt der Deutschen Bank. Freilich: Rein anekdotisch wird man dem Thema nicht gerecht. Sondern: Es ist an der Zeit, dem Demontage-Trend endlich mal Zahl für Zahl nachzugehen.
SB steht für Selbstbedienung, für Filialen ohne Personal, für Überweisungs- und Geldautomaten. Und bisher war die gängige Lesart, dass Deutschlands Banken zwar mit Menschen besetzte (sprich: teure) Filialen abbauen, dafür aber ihre automatisierte (sprich: günstigere) SB-Infrastruktur ausbauen. Die Idee dahinter: Die Kunden sollen weiter ihren Geschäften nachgehen können und nicht völlig vergrätzt werden. Doch spektakuläre Einzelfälle, aber auch einige Statistiken legen den Schluss nahe: Damit ist es vorbei. Die Zahl der SB-Automaten in Deutschland: ist von 2018 bis 2020 um 1.688 gesunken (-6,1%)! Die Zahl der Geldautomaten im Inland: ging 2020 laut Bundesbank um 1.496 zurück (-2,6%) und liegt nur noch bei 56.000 bis 57.000! Auch andere Daten deuten auf den Beginn eines tief greifenden, von Corona verstärkten Wandels hin.
Hier unser Deep Dive:
Zunächst ein paar Einzelfälle aus den vergangenen Monaten, bei denen nicht nur Filialen abgebaut wurden (das alte Muster), sondern auch SB-Standorte verschwanden (das neue Muster). Natürlich sind das fürs Erste nur anekdotische Beispiele, doch wir halten sie für bemerkenswert. Da wären die…
Noch ein Indiz nährt unseren Verdacht: Bei Deutschlands Genossenschaftsbanken ist die Zahl der SB-Stellen 2021 zum ersten Mal seit Jahren zurückgegangen, und zwar um 3,4% (von 4320 auf 4175). Damit ist der Aufwärtstrend der Jahre 2015 bis 2020 gebrochen (+24,6%, in absoluten Zahlen: +854)!
Umso spannender wird sein, wie die Zahlen der Sparkassen für 2021 ausfallen (noch liegen sie nicht vor). Bei ihnen stieg die Zahl der SB-Stellen von 2012 bis 2020 massiv, und zwar um 50,1% (konkret: um +1.319). Folgte 2021 auch bei ihnen ein Rückgang?
Quelle: DSGV, BVR
Ohnehin gilt: „Mehr SB-Stellen“ heißt nicht zwingend „mehr SB-Infrastruktur“. Betrachten wir einmal die Zahl der SB-Automaten näher – jene Terminals in den SB-Zonen der Banken, an denen Kunden längst nicht mehr nur Kontoauszüge ausdrucken, sondern meist auch Überweisungen tätigen oder Daueraufträge einrichten können.
Laut der Deutschen Bundesbank ist die Zahl dieser Terminals bei inländischen Zahlungsdienstleistern bis 2011 stark gestiegen. Dann verharrte sie (nach einem kurzen Ausreißer) über Jahre knapp unter der Marke 28.000. Seit 2018 ist ihre Zahl aber zwei Jahre in Folge gesunken – um insgesamt 1.688 Stück bzw. 6,1%.
Quelle: Deutsche Bundesbank
Neben den SB-Automaten gibt es noch die Geldautomaten. Seit Jahren ist gerne von rund 60.000 bundesweit die Rede. Doch 56.000 bis 57.000 trifft die Realität wohl besser. So weist die Statistik des genossenschaftlichen Dachverbands BVR nach einem Rückgang von 2015 bis 2018 (-5,5%) und einer leichten Zunahme in den Jahren 2019/20 (+5,2%) für 2021 einen massiven Einbruch aus: um 7,7% – von 60.752 auf nur noch 56.097!
Quelle: BVR (2021)
Die Deutsche Bundesbank wiederum verzeichnete lange Zeit Werte zwischen 58.000 und 59.000, nach den jüngsten verfügbaren Zahlen für 2020 aber ebenfalls einen klaren Rückgang um -2,6%.
Quelle: Deutsche Bundesbank (2021); Hinweis: In ihrer jüngsten Statistik hat die Bundesbank ihre Daten zu Geldautomaten inländischer Zahlungsdienstleister (im In- UND Ausland) um Mehrfachzählungen bereinigt und teils deutlich revidiert; um Verwechslungen zu vermeiden, weist sie die Zahlen fürs Inland neuerdings separat aus; die Lücke für 2018 erklärt sie auf Nachfrage mit Vertraulichkeitsgründen.
Der Vergleich zeigt: 2020 gab es zwar eine seltsame Diskrepanz in den Zahlen, als der BVR satte 3.884 (!) Geldautomaten mehr zählte als die Deutsche Bundesbank. Erklären konnte der BVR diese Diskrepanz nicht, er teilte auf Nachfrage lediglich mit, seine Daten seien „aus den Produktivsystemen gezogen worden“ (whatever that means) – und wie die Bundesbank ihre Zahlen erhebe, sei dem BVR nicht bekannt. 2021 allerdings brachte in den Zahlen des BVR die erwähnte scharfe Korrektur, so dass sie wieder sehr nahe an denen der Bundesbank liegen – und belegen, dass die 60.000, die in der Öffentlichkeit früher herumgeisterten, inzwischen der Vergangenheit angehören.
Für diese Einschätzung spricht auch ein Blick auf einzelne Anbieter. Bleiben wir zunächst bei den Genossen: In Deutschlands Volks- und Raiffeisenbanken sinkt die Zahl der Geldautomaten seit Jahren! Und zwar nicht zu knapp! Ihren Spitzenwert erreichte sie 2013 mit genau 19.632 – seither ging es deutlich bergab.
Somit ist die Zahl der Geldautomaten bei der zweitgrößten deutschen Betreibergruppe allein im vergangenen Jahr um 5,8% gesunken (-1.001) – und binnen acht Jahren um 16,9% (-3.323). Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Genossenschaftsbanken um 28,4% (von 1.078 auf 772) und die Zahl ihrer Bankstellen (Haupt- und Zweigstellen) um 38,2% (von 13.056 auf 8.074) . So gesehen, wirkt der Rückgang bei den Geldautomaten noch vergleichsweise moderat – aber er ist deutlich.
Auch bei anderen Betreibern ist ein Schrumpfen des Netzes zu verzeichnen.
Daneben gibt es weitere Anbieter wie Cardpoint (1.800) oder IC Cash (1.000), deren Zahlen zumindest in letzter Zeit unverändert blieben.
Kurz zusammengefasst: Etliche Anbieter haben die Zahl ihrer Geldautomaten in jüngster Zeit reduziert. Was nahe liegt, denn wo weniger Filialen, da auch weniger Automaten. Die Daten der Bundesbank dürften jedenfalls die Realität korrekt widerspiegeln, die Zahl der Geldautomaten geht deutschlandweit tatsächlich zurück – und bewegt sich zurzeit nur noch bei 56.000 bis 57.000.
Hoch spannende Aufschlüsse liefert auch ein Blick auf die Nutzung der Geldautomaten. So sank die Zahl der Bargeldabhebungen mit inländischen Karten 2020 drastisch – um mehr als 400 Millionen (genauer: um 21,6%!). Dafür sprang der durchschnittlich abgehobene Geldbetrag deutlich in die Höhe, von 192 Euro (2019) auf 217 Euro (2020). Hier die Zahlen (Daten für 2021 liegen noch nicht vor):
Quelle: Deutsche Bundesbank (2021), eigene Berechnungen
Schon in den Vorjahren war die Zahl der Abhebungen leicht gesunken, doch so ein Einbruch wie 2020 ist neu. Natürlich erklärt er sich vor allem – aber nicht allein – mit der Pandemie: Die Leute gingen seltener zum Geldautomaten, hoben dafür aber umso mehr Geld ab.
Etwas anders die Entwicklung bei der Zahl der Bargeldeinzahlungen: Diese war bis 2019 ohne Unterlass gestiegen, verzeichnete aber 2020 auch einen Einbruch – allerdings zum ersten Mal, und nur um 5,2%. Zusammen mit der Tatsache, dass die durchschnittlich eingezahlten Beträge auch 2020 weiter gestiegen sind, ist dies ein Indiz dafür, dass die Einzahlungsfunktion gerade auch für Kleinbetriebe (Händler u.a.) von großer Bedeutung ist.
Ursachen für die Krise der SB-Infrastruktur in deutschen Banken gibt es viele. Die wichtigsten sind …
Allein 2020 stieg die Zahl der Transaktionen an POS um stolze 15,6%. Damit hat die Zahl dieser Transaktionen im Lauf von nur drei Jahren um mehr als die Hälfte zugelegt (genauer: um 52,8%).
Quelle: Deutsche Bundesbank (2021), eigene Berechnungen; Hinweis: Die Zahlen umfassen alle Transaktionen mit Karten inländischer Zahlungsdienstleister, diese finden nach Wert und Zahl zu 99,3% im Inland statt.
Zwar fällt der Durchschnittswert dieser Transaktionen recht niedrig aus, 2020 betrug er nur noch 49 Euro. Doch das dürfte daran liegen, dass die Statistik nicht nach Einkäufen und Abhebungen trennt. Die Alltagserfahrung, gerade auch in der Pandemie, legt nahe, dass sich die Kunden zunehmend fragen: Warum extra zum Geldautomaten gehen, wenn sich Einkaufen und Abheben in einem Aufwasch erledigen lassen?
Mit der Folge, dass die SB-Infrastruktur nicht nur langsam ausdünnt, sondern auch seltener genutzt wird. Mit der Folge, dass sie weiter ausgedünnt wird. Mit der Folge, dass … Sie verstehen?
*Unter Mithilfe weiterer Redaktionsmitglieder
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