Rückblick (#11)

November 2022: Die Buba ruft Alarm. Und bei dutzenden Sparkassen springen die Warn-Ampeln an

In unserem Jahresrückblick zeigen wir, welche Themen Sie 2022 besonders interessiert haben – mit zwölf Klickfavoriten aus zwölf Monaten. 

Heute mit Teil elf:  

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Wackelnde Firmenkredite. Risse am Immobilienmarkt. Steigende Ausfallraten bei Konsumentendarlehen. Es gab genügend Themen, die die Bundesbank bei der Präsentation ihres Finanzstabilitäts-Berichts gestern Vormittag hätte herausstellen können. Stattdessen drängte im Laufe der Veranstaltung vor allem ein Thema in den Vordergrund – die drohenden Verheerungen in den Eigenanlagen von Sparkassen und Genobanken.

Kurz zum Hintergrund:

  • Einerseits ist ja seit Monaten klar, dass sich im sogenannten „Depot A“-Geschäft ein bisschen was zusammenbraut. Die Zinsen steigen (und zwar viel schneller als für möglich gehalten), entsprechend fallen bzw. crashen die Kurse festverzinslicher Wertpapiere.
  • Andererseits: Wie gefährlich sind diese Effekte wirklich? Geht es hier um mögliche Ausfälle in Milliardenhöhe – oder doch nur um Wertkorrekturen, die vorübergehen, sobald sich die betroffenen Anleihen dem Ende ihrer Laufzeit nähern?

Um eines vorwegzunehmen: Auf diese, alles entscheidende Frage hat die Bundesbank gestern keine Antwort gegeben. Dafür allerdings enthüllte sie eine Reihe bemerkenswerter Zahlen. So sind laut Stabilitätsbericht von Januar bis Juni allein bei Sparkassen und Genossen 21,8 Mrd. Euro (!!!) an stillen Bewertungsreserven verdampft. An einer anderen Stelle des Berichts ist – wiederum bezogen auf Sparkassen und Genobanken – von Abschreibungen auf Wertpapiere in Höhe von 12,3 Mrd. Euro (!!!) die Rede, umgerechnet 5,6% des harten Kernkapitals.

Gewaltige Dimensionen sind das, die freilich bestens passen zu Informationen, die Finanz-Szene dieser Tage aus der S-Finanzgruppe erreichten. Dazu muss man wissen: Ein zuverlässiger Indikator für die Risikolage der deutschen Sparkassen ist die sogenannte "Ampel" – eine Warnfunktion, mit deren Hilfe die zwölf regionalen Sparkassen-Verbände die Risikolage in ihrem Sicherungsverbund überwachen. Nach Informationen von Finanz-Szene steht diese Ampel in einem der zwölf Regionalverbände inzwischen bei etwa jeder zweiten Sparkassen entweder auf "Gelb" oder bei einigen sogar schon auf "Rot" – ein zumindest für die jüngere Vergangenheit beispielloser Vorgang. Wie es in den übrigen Regionen aussieht, ist zwar nicht zu 100% klar. Laut einem Kenner der Materie soll die Lage dort allerdings ähnlich sein.

Es gibt Sparkassen, wo die "Festverzinlichen" 60% des Geschäfts ausmachen

Nun hat mit der fulminanten Zinswende keiner rechnen können. Was aber sehr wohl klar war: dass, wenn die Zinsen rasch steigen, dies nicht ohne Konsequenzen auf die Eigenanlagen bleiben würde.

Welche Umfänge das Depot-A-Geschäft nicht nur, aber eben vor allem im Sparkassen-Sektor mittlerweile annehmen, hatte im vergangenen Jahr die große "Sparkassen-Studie" von Finanz-Szene zutage gefördert. Demnach machten Schuldverschreibungen per Ende 2019 (aktuellere Daten haben wir leider noch nicht) stolze 14,2% des Geschäftsvolumens der deutschen Sparkassen aus. Im "oberen Dezil" – also bei den 38 Instituten mit dem stärksten Fokus auf festverzinsliche Wertpapiere – lag der Anteil sogar bei 37%. Zwei ostdeutsche Institute kamen gar auf abenteuerliche Werte von 61% und 58%.

Nun bedeutet ein hoher Anteil an festverzinslichen Wertpapieren nicht zwingend auch hohe Risiken. Von der Tendenz her dürfte der Zusammenhang aber kaum von der Hand zu weisen sein. "In vielen Sparkassen wurden die Risiken im Depot-A-Geschäft in den vergangenen Jahren eher stiefmütterlich behandelt", sagt ein Sparkassen-Manager, der selber stark mit dem Thema Eigenanlagen befasst ist. "Dabei kann einen das derzeitige Marktumfeld mit stark steigenden Zinsen durchaus grausen." Das Problem sei zwar keinesfalls auf die ostdeutschen Sparkassen beschränkt, zeige sich dort aber in massierter Form.

Zwar hielten sich die regionalen Sparkassen-Verbände auf Anfrage von Finanz-Szene in den vergangenen Tagen offiziell bedeckt. Im Hintergrund war allerdings zu erfahren, dass die sektorweiten Abschreibungen auf Wertpapiere in diesem Jahr das rund Zehnfache des durchschnittlichen Volumens der zurückliegenden Jahre betragen dürften. Dazu passen die gestern präsentierte Bundesbank-Zahlen. Und dazu passt auch ein Datenpunkt, den der bayerische Sparkassen-Präsident Ulrich Reuter vor wenigen Tagen gegenüber "Bloomberg" nannte. Demnach rechnen die Kommunalinstitute im Freistaat für dieses Jahr mit Wertberichtigungen im "hohen" dreistelligen Millionenbereich.

Freilich: Reuter sprach von "vorübergehenden Wertkorrekturen", eine Sichtweise, die andernorts im Verbund geteilt wird. Der DSGV räumte diese Woche zwar auf Nachfrage ein, dass der Zinsanstieg für die Kreditwirtschaft neben Entlastungen auch einige Herausforderungen mit sich bringt. Die Branche insgesamt und konkret die Sparkassen aber seien mit der Steuerung von Zinsänderungsrisiken sehr gut vertraut. Letztlich spricht auch der DSGV von einem "Bewertungsbedarf", wobei die Institute "in aller Regel" über genügend Puffer beim Eigenkapital verfügten, um etwaige GuV-Effekte abzufedern.

Bei der Bundesbank laufen immer mehr "Verlustanzeigen" auf

Ist das Aufblinken der Ampel also letztlich eher eine Formalie? Wäre es sogar umgekehrt bedenklich, wenn die Überwachungs-Funktionen momentan eine heile Welt suggerieren würden? Nun ja. Als Bundesbank-Vorstandsmitglied Claudia Buch bei der gestrigen Pressekonferenz anmerkte, dass die Banken ihre "stillen Reserven bereits weitgehend aufgebraucht" hätten, klang das jedenfalls nicht nach "Business as usual".

Zumal sich die Bundesbank in erstaunlicher Publizitätslaune präsentierte. So war gestern auch zu erfahren, dass momentan 40% der deutschen Kreditinstitute einen erhöhten "Zinsrisiko-Koeffizienten" aufweisen. Das heißt: Im Szenario des sogenannten Baseler Zinsschocks, der eine Verschiebung der Zinskurve um zwei Prozentpunkte unterstellt, tritt bei den zinsabhängigen Aktiva und Passiva ein Verlust des Barwerts von 20% oder mehr ein. In der Simulation vollzieht sich dieser Zinsschock binnen eines Jahres. In der Realität ist er innerhalb von vier Monaten eingetreten, umriss Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling die Dimensionen – und zeigte sich angesichts der allgemeinen Aussichten auf das kommende Jahr im Übrigen "ein bisschen" verwundert, dass so wenige Banken derzeit zusätzliche Risikovorsorge bilden (siehe auch kürzlich unsere Deep Dive -> "Müssten unsere Banken nicht viel mehr Risikovorsorge bilden?").

All das kesselt. Wobei die Sparkassen natürlich nicht alleine sind. Schon im September hatten Bundesbank und Bafin gewarnt, jede 20. Bank hierzulande habe infolge der Zinswende inzwischen mindestens 5% ihres Eigenkapitals verloren. Und wie Finanz-Szene schon im Oktober berichtete, erreichte im Genosektor der Value at Risk, also das Maß für das Verlustrisiko von Portfolien, zuletzt lange Zeit nicht mehr gesehene Höhen. Auch in Anbetracht der strammen Daten zum Zinsrisiko-Koeffizenten, dessen Mittelwert bei den Genossen übrigens noch etwas höher liegt als bei den Sparkassen, treten die Aufseher nun vermehrt auf den Plan. Dabei prüfen sie etwa, inwieweit Häuser nach einer KWG-Verlustanzeige über Reserven verfügen – oder ob sie intervenieren müssen.

Was nun die Sache mit den blinkenden Ampeln betrifft: In jedem Fall muss ein regionaler Sparkassenverband den Verwaltungsrat der betreffenden Sparkassen informieren, sobald die Ampel auf "Gelb" springt – auch wenn dieser Schritt erst einmal keine weiteren Konsequenzen nach sich zieht. Blinkt die Ampel sogar "Rot", werden die Verantwortungsträger zu Beratungen beim Verband einbestellt. Die Folgen können von prophylaktischen Maßnahmen bis hin zur Abberufung eines Vorstands reichen; oftmals laufen die Sondierungen auch auf ein Stabilisierungs- bzw. Sanierungskonzept hinaus.

Gleichwohl – aus dem Regionalverband mit den vielen blinkenden Warnlampen hieß es dieser Tage, von einer Schieflage eines Instituts sei nichts zu sehen. Immerhin.

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