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Die ganze Aufregung um IFRS 9 – war sie am Ende völlig überflüssig?

Was war das für eine Aufregung, als vor einigen Jahren der Bilanzstandard IFRS 9 die Bewertung von Finanzinstrumenten sowie Wertminderungen neu regelte (insbesondere unter dem Eindruck, dass zuvor geltende Vorschriften wie der alte Standard IAS-39 die Banken dazu verleiteten, „zu spät und zu wenig“ Risikovorsorge zu bilden). In Hintergrundgesprächen mit Bankvorständen und Verbandsvertretern mangelte es nicht an Warnungen vor den Folgen der Vorgabe, Risikovorsorge künftig vorausschauender zu betreiben.

Die strengere neue Vorschrift gipfelte bekanntlich in der Verpflichtung, nicht leistungsgestörte Kredite (Stufe 1), bei denen nur auf Sicht eines Jahres Rückstellungen gebildet werden müssen, nach einer deutlichen Verschlechterung im Rating des Schuldners in Stufe 2 (deutlich erhöhtes Kreditrisiko) – respektive Stufe 3 (leistungsgestört) – zu verschieben und damit gleich für die gesamte Restlaufzeit einer Forderung Risikovorsorge zu bilden.

Die Sorge der Branche (und mancher Studien-Autoren): Würden Banken im Fall eines Konjunkturabschwungs Kredite im großen Stil von Stufe 1 in Stufe 2 oder gar Stufe 3 verfrachten, würde dies nur prozyklisch wirken und den Abschwung verstärken. Gemessen am damaligen Geraune, scheint sich die Bilanzreform aus dem Jahr 2018 nun aber mehr oder minder als Non-event zu entpuppen. Diesen Schluss legt zumindest eine Untersuchung nahe, die im gestern publizierten Finanzstabilitäts-Bericht der EZB veröffentlicht wurde.

Autoren der Untersuchung sind Markus Behn und Cyril Couaillier, zwei Ökonomen der EZB, die alle, die die Fachdebatte nachvollziehen wollen, auf eine Literatur-Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich von 2021 sowie auf einen Report des European Systemic Risk Board von 2017 verweisen.

Behn und Couaillier folgern, aufbauend auf einer Analyse der Risikovorsorge für mehrere Tausend Kredite von gut 1.700 Banken in den Jahren 2018 bis 2022: Verglichen mit Rechnungslegungsvorschriften nationaler Art, hat die Reform nicht so wahnsinnig viel verändert.

Die wichtigsten Erkenntnisse ihrer Analyse:

  • Die Dynamik der Vorsorge nach IFRS 9 und nach nationalen Bilanzvorgaben ähnelt sich.
  • Viele Kredite bleiben selbst in der Bilanzierung nach IFRS 9 in Stufe 1, bis sie ausfallen oder kurz davor stehen (zwei Quartale vor Ausfall wird jeder zweite Kredit noch in Stufe 1 bilanziert).
  • Im Quartal des Ausfalls ergeben sich zwischen IFRS 9 und den nationalen Bilanzstandards nur “unbedeutende Unterschiede” in der Risikovorsorge.
  • Der befürchtete „Klippeneffekt“ im Falle einer allgemeinen Verschlechterung von Ratings lässt sich nicht nachweisen.
  • Im Falle nicht leistungsgestörter Kredite – das dann doch – fällt die Risikovorsorge nach IFRS im Durchschnitt höher aus als nach nationalen Bilanzvorgaben. IFRS 9 führt also zu einem Vorziehen der Risikovorsorge, selbst wenn die Banken auf eine Verschlechterung der Bonität nicht wie gewünscht mit einer Verschiebung des Kredits von Stufe 1 in Stufe 2 reagieren.
  • Angesichts deutlicher Ermessensspielräume bei der Bilanzierung nach IFRS 9 agieren Banken mit dünner Kapitaldecke weitaus sparsamer in der Risikovorsorge als gut gepolsterte Institute – für Forderungen an ein und dieselbe Firma. Und im Fall des Energiepreis-Schocks 2022 hätten die Banken mit dünner Kapitaldecke gezielter Risikovorsorge gebildet, sich stärker auf Firmen fokussiert, die dem Schock besonders ausgesetzt waren, während Banken mit besserer Kapitalausstattung breiter Rückstellungen gebildet hätten. Insgesamt liefen schwächer kapitalisierte Banken – womöglich auch aufgrund der Ermessensspielräume – Gefahr, zu wenig Risikovorsorge zu bilden. Dieses Phänomen „erfordere“ eine genaue Untersuchung seitens der Aufsicht.

Das Fazit der beiden EZB-Autoren: IFRS 9 hat die Muster der Risikovorsorge nicht fundamental verändert. Was aber auch heißt, dass die neue Bilanznorm ihr eigenes Ziel nach Ansicht von Behn und Couaillier “nur teilweise erreicht” hat. Somit hat die (bisherige) Praxis weder den großen Skeptikern noch den entschiedenen Befürwortern Recht gegeben. Was insgesamt doch etwas dürftig erscheint, zumindest vor dem Hintergrund, dass einzelne Banken die Kosten der Einführung von IFRS 9 je nach ihrer Größe mit bis zu 125 Mio. Euro angegeben haben.

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