Von Christian Kirchner
Erinnern Sie sich noch an unser kleines Stück über die Bremer Greensill Bank AG Mitte August? Nein? Nun gut, vielleicht waren Sie ja in Urlaub, hier noch mal eine kurze Zusammenfassung:
Seinerzeit scoopten die Kollegen von „Bloomberg“, Greensill stehe nun unter besonderer Beobachtung der Bafin und habe Besuch vom Einlagensicherungsfonds erhalten (was auch damit zu tun haben könnte, dass Greensill recht aktiv Gelder über das Raisin-Portal „Weltsparen“ einsammelt und daher auch Zinsjägern ein Begriff sein dürfte). Anlass der Untersuchungen, so „Bloomberg“ damals: Kredite und Wertpapiere wiesen angebliche eine unschöne Konzentration auf – und zwar bezogen auf Unternehmen, die dem Dunstkreis des umtriebigen britisch-indischen Unternehmers Sanjeev Gupta zuzurechnen sind.
Dummerweise war die belastbare Quellenlage im August noch etwas diffus, zur Verfügung standen lediglich ein veralteter Geschäftsbericht und ein angegrauter Research-Report der Ratingagentur Scope. Gut also, dass seit gestern endlich auch der 2019er-Abschluss einsehbar ist.
Der zeigt: Das bis 2014 als „Nordfinanz“ firmierende und seit 2018 der australischen Greensill Capital Pty gehörende Institut dreht ein bemerkenswerte großes Rad. Vergleicht man z.B. die 2019er-Zahlen mit denen von 2018, bleibt einem gelegentlich die Spucke weg:
- Die Bilanzsumme hat sich fast versechsfacht auf 3,8 Mrd. Euro
- Genauso stark ging es bei den Kundenforderungen und den Verbindlichkeiten nach oben
- Das Eigenkapital wuchs um den Faktor 7,2 auf 522 Mio. Euro
- Aus einem kleinen Minus in der GuV wurde ein Überschuss von 21 Mio. Euro
- Die annähernde Versechsfachung des Geschäftsvolumens ging einher mit einem überschaubaren Anstieg der Mitarbeiterzahl, nämlich von 61 auf 80
- Dass der Einlagensicherungsfonds vorbeigeschaut haben soll, erscheint nicht unplausibel (auch wenn wir die „Bloomberg“-Info damals nicht verifizieren konnten), denn die Sicherungsgrenzen des BdB-Sicherungsfonds haben sich von zuvor knapp 12 Mio. Euro auf nunmehr gut 100 Mio. Euro je Kunde mehr als verachtfacht (quasi parallel zum Anstieg der Eigenmittel).
- Ein weiteres spannendes Detail: Die Provisionsaufwendungen haben sich ebenfalls mehr als versechsfacht, und zwar auf gut 1,8 Mio. Euro, unter anderem „für das ausgeweitete Einlagengeschäft (…) über die Plattform Weltsparen mit Privatkunden“, wo die Greensill Bank exemplarisch 0,55% für einjähriges Festgeld bietet
Für Zahlenfetischisten hier noch mal eine kleine Übersicht der wichtigsten Kennziffern aus der Bilanz …
in Mio. Euro | 2017 | 2018 | 2019 |
Bilanzsumme | 338 | 666 | 3.809 |
Barreserve | 53 | 52 | 708 |
Forderungen an Kunden | 234 | 499 | 2.850 |
Spareinlagen | 7 | 6 | 6 |
andere Verbindlichkeiten ggü. Kunden | 286 | 576 | 3.261 |
Eigenkapital | 33 | 73 | 522 |
Mitarbeiter | 58 | 61 | 80 |
… sowie der GuV
in Mio. Euro | 2017 | 2018 | 2019 |
Provisionsüberschuss | 0 | 0 | 39 |
Verwaltungsaufwand inkl. Abschr. | 10 | 11 | 17 |
Zinsüberschuss | 7 | 11 | 8 |
Jahresüberschuss | -1 | -1 | 21 |
Nun wüsste man natürlich zu gerne: Was ist denn da los? Die offene Antwort lautet: Wir haben keine Ahnung. Es ist zwar erkennbar, dass die Bank ein großes Rad dreht – aber was für Räder das sind? Mmmhhh.
Aus der Lektüre des Jahresabschlusses lernt man:
„Die Greensill Bank AG konzentrierte sich weiterhin innerhalb des Geschäftsmodells der Greensill-Gruppe auf ihre strategiekonformen Kernfunktionen, die Refinanzierung und Übernahme des Bonitätsrisikos für einzelne Engagements der Greensill Capital (UK) Ltd. (im Folgenden: GCUK) aus dem Bereich WCS in Form von Supply Chain Finance (im Folgenden: SCF) – sowie Account-Receivable-Purchase „ARP“-Programmen.“
Und weiter:
„Mit der Konzentration auf die Refinanzierung, die gleichzeitige liquiditätssicherung als auch auf die korrespondierende Übernahme des Adressenausfallrisikos übernimmt die Greensill Bank AG die Reaktion der Eigenrisikoübernahme für einen Teil des WCS-Gesamtportfolios (Co-Investment) in der Greensill-Gruppe. Das Kerngeschäft der Greensill Bank AG umfasst somit ausschließlich die umfassende Refinanzierungsfunktion der „WCS-Produkte“ im Kontext der Einbindung in die Greensill-Gruppe (auch hier stellt SCF und ARP das Kerngeschäft dar). Im Ergebnis betreibt die Greensill Bank AG selbst kein voll umfassendes WCS-Geschäft, da die eigentliche Abwicklung des Produktes beider GCUK liegt.“
Verstehen Sie das? Wir nicht.
Sicherheitshalber haben wir unseren Bilanzexperten Thomas Borgwerth konsultiert, also den Mann, der als vielleicht einziger die Wirecard-Bilanzen durchstiegen hat. Aber auch er wusste die Passage nicht auf Anhieb zu dechiffrieren.
Was sich immerhin unfallfrei sagen lässt: Die Greensill Bank hat eine ganze Menge Einlagen und Eigenkapital bekommen, sammelt auch eine ganze Menge Geld bei Sparern ein, und dieses Geld wird für Risikoübernahmen und Refinanzierung des Geschäfts andere Konzernteile innerhalb der Greensill-Gruppe verwendet. Und as sich zumindest erahnen lässt: Wenn man auf der Suche nach günstigen Einlagen mit hoher Absicherung ist, dann ist Deutschland nicht der schlechteste Ort, um Gelder – vulgo: Verbindlichkeiten bei Kunden – aufzunehmen.
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