von Bernd Neubacher, 26. Mai 2023
Goldman Sachs stärkt das Geschäft seiner Frankfurter Einheit massiv. Laut dem seit einigen Tagen öffentlich einsehbaren aktuellen Geschäftsbericht erhielt die Goldman Sachs Bank Europe SE zuletzt 6 Mrd. Euro frischen Kapitals aus den USA – womit sich ihre Kapitalbasis gegenüber Ende 2021 verdoppelt (und gegenüber Ende 2020 gar vervierfacht) hat. Zudem steigerte die Europa-Tochter ihre Belegschaft um 21% auf 1097 Beschäftigte. Das Vorsteuerergebnis nach den internationalen Bilanzierungsstandards (IFRS) schnellte um 13% auf 690 Mio. Euro in die Höhe.
Ablesen lässt sich der neue Fokus auch an der Bilanzsumme, die sich nach IFRS im vergangenen Jahr auf 240 Mrd. Euro glatt verdoppelte. Damit avancierte die Frankfurter Goldman Sachs – jedenfalls gemessen an den Assets – zur drittgrößten Auslandsbank in Deutschland hinter den lokalen Dependancen von J.P. Morgan (436 Mrd. Euro) und Unicredit (318 Mrd. Euro).
Parallel zum Ausbau des Geschäfts stieg – wenig überraschend – auch der operative Aufwand, und zwar nach IFRS um 14% auf 1.226 Mio. Euro. Dies ist allerdings nicht, wie zu vermuten wäre, einer höheren Vergütungssumme geschuldet. Im Gegenteil: Die Vergütung fiel 2022 um 9% auf 574 Mio. Euro. Bei deutlich mehr Beschäftigten allerdings – die durchschnittliche Pro-Kopf-Vergütung sank also. Setzt man die Gesamtvergütung mit der Zahl aller Beschäftigten ins Verhältnis, so sank die Pro-Kopf-Vergütung von gut 698.000 Euro auf rund 523.000 Euro, ein Minus von 25%.
Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass die Ausweitung der Aktivitäten auch einen starken Ausbau der Support-Funktionen erforderlich macht (Stellen, die traditionell nicht so hoch bezahlt werden wie etwa Händler oder M&A-Spezialisten). So entfielen – diesmal nach Vollzeitstellen gerechnet – von insgesamt 187 zusätzlichen Köpfen allein 74 auf “unterstützende Funktionen”. Die EZB legt nach wie vor Wert darauf, dass Auslandsbanken infolge des Brexits Aktivitäten in die EU verlagern und dabei zum Beispiel ausreichende Kapazitäten im Risikomanagement schaffen. Das gilt auch für den neuen EU-Hub von Goldman Sachs.
Ein anderer Grund für den Rückgang bei der Vergütung dürfte die Entwicklung in den verschiedenen Geschäftssparten der GSBE sein. Zwar liegen dafür nur Zahlen nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) vor, diese sind aber sehr aufschlussreich. So brachen die Einnahmen der ertragsstärksten Sparte, dem klassischen – und häufig die üppigsten Boni zahlenden – Investmentbanking, um 31% auf 540 Mio. Euro ein. Im Kontrast dazu stiegen die Erträge im Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren, Währungen und Rohstoffen (FICC) massiv um 176% auf 491 Mio. Euro. Auch das Geschäft mit Aktien legte zu, um 15% auf 304 Mio. Euro. Ein Muster, das man aus vielen anderen Bankabschlüssen für 2022 kennt.
Auf jeden Fall spricht Goldman Sachs selbst von einem „Rückgang der variablen Vergütung zum Jahresende“. Was dem sechsköpfigen Vorstand offenbar erspart blieb: Dessen Gesamtvergütung stieg 2022 um rund 60% auf 21 Mio. Euro.
Zusammen konnten die Zuwächse bei FICC und im Aktiengeschäft das Minus im Investmentbanking (sowie im Asset & Wealth Management, dessen Erträge leicht um 1,3% auf 151 Mio. Euro zurückgingen) mehr als kompensieren, so dass insgesamt Erträge von 1.486 Mio. Euro (+8%) zu notieren waren. Erwartet hatte die Bank eigenen Angaben zufolge leicht sinkende Einnahmen. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nach HGB legte um 16% auf 588 Mio. Euro zu (und somit etwas stärker als das bereits erwähnte Ergebnis nach IFRS mit 13%, siehe Tabelle am Ende).
Wie sehr sich die Gewichte zwischen den Sparten verschoben, weg vom Investmentbanking hin zu mehr Gleichverteilung, zeigt der Vergleich mit dem Vorjahr:
Wie der regionalen Aufschlüsselung im HGB-Abschluss zu entnehmen ist, trugen zum Betriebsgewinn von 588 Mio. Euro vor allem die Niederlassungen in Paris (244 Mio. Euro), London (191 Mio. Euro) sowie Mailand (125 Mio. Euro) bei. Dagegen produzierte das mit den Overhead-Kosten beladene Geschäft in Deutschland mit mehr als 400 Leuten einen Verlust von 76 Mio. Euro. Die nach HGB berechnete Kapitalrendite ging von 0,7% auf 0,5% zurück.
Auf das Geschäft 2023 blickt der Vorstand "zurückhaltend optimistisch", er erwartet "wachsende Geschäftsaktivitäten" sowie einen Anstieg des Jahresüberschusses. Zentral für diese Einschätzungen ist dabei vor allem die eingangs erwähnte Stärkung der Kapitalbasis:
Im globalen Goldman-Sachs-Konzern ist die Europa-Einheit jedenfalls ein Faktor: So vereinte sie im Startquartal 2022 mehr als 5% des weltweiten Leverage Exposure auf sich – daher muss sie neuerdings die EU-Anforderungen an die internen Kapazitäten zur Verlustabsorption zu 90% erfüllen (zuvor hatte die interne Total Loss Absorbing Capacity, kurz TLAC, für sie keine Rolle gespielt). Will sagen: Die Frankfurter Dependance ist inzwischen so groß, dass sie nicht mehr nur auf die Mutter verweisen kann, wenn es um ihren Schutz im Fall von Verlusten geht.
Auch die Bafin hat die Anforderungen erhöht: Anfang 2022 erlegte sie der Europa-Einheit wegen nationaler Systemrelevanz einen zusätzlichen Kapitalpuffer von 25 Basispunkten auf. Anfang 2023 erhöhte sie diesen Puffer auf 50 Basispunkte. Mit einer harten Kapitalquote von fast 32% liegt die Europa-Tochter allerdings meilenweit über der Mindestanforderung von 9,2% (Stand Ende 2022).
Das enorme Wachstum der Bilanzsumme geht derweil zu rund 80% auf Handelsaktiva zurück. So fußt die Verdopplung auf 240 Mrd. Euro nach IFRS vor allem auf dem Volumen der Derivate, die die Goldman Sachs Bank Europe SE inzwischen einsetzt (eigenen Angaben zufolge vor allem im Market Making sowie im Risikomanagement). Im Zuge der Zinswende und der damit einher gehenden Kursausschläge, aber auch wegen der Ausweitung der Aktivitäten in Europa ist dieses Volumen auf 184 Mrd. Euro geradezu explodiert. Im Vergleich zu Ende 2021 ist das eine knappe Verdreifachung.
Deutlich wird die Rolle der Derivate auch anhand der Bilanzierung nach dem HGB. Danach kommt das Institut nur auf eine Bilanzsumme von 67 Mrd. Euro. Das sind gerade einmal 28% der Aktiva nach IFRS – und der Unterschied geht auf unterschiedliche Vorschriften zur Saldierung von Derivaten zurück. Dies schlägt bei einer so massiven Nutzung von Derivaten wie in der Europa-Einheit von Goldman besonders stark zu Buche.
In der IFRS-Welt belegt die GSBE unter den Auslandsbanken in Deutschland, wie erwähnt, nun Platz drei, es sei denn, die ING Deutschland (2021: rund 180 Mrd. Euro) hat im vergangenen Jahr ebenfalls kräftig zugelegt. Andere wichtige Europa-Einheiten liegen weit zurück, so die Citigroup (84 Mrd. Euro), Santander Consumer Bank (56 Mrd. Euro), State Street (55 Mrd. Euro) und UBS (50 Mrd. Euro). Doch erstens stehen auch deren Bilanzen für 2022 noch aus. Und zweitens weisen diese Konkurrenten ihre Zahlen nicht nach IFRS, sondern nur nach HGB aus.
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Quelle: Goldman Sachs Bank Europe SE
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