Das große Interview

Verurteilter Sparda-Banker Kahl: „Das System hat mir keine Grenzen auferlegt“

Die Anklageschrift umfasste mehr als 600 Seiten. Es ging um Spesenbetrug in hunderten Fällen. Um Geschenke an Vorstandskollegen und Aufsichtsräte. Um private Geburtstagsfeiern, die ebenso über die Bank abgerechnet wurden wie Aufenthalte in Luxushotels.

Ende Oktober hat Enrico Kahl, langjähriger Vorstandschef der Sparda Münster (die inzwischen zur Sparda West gehört), seine finale Quittung erhalten – vom Landgericht Münster, das den Ex-Banker zu zwei Jahren Bewährung und 300 Sozialstunden verurteilte. Viel hat nicht gefehlt, und Enrico Kahl wäre im Gefängnis gelandet. Beruflich ruiniert ist er vermutlich auch so.

Es stellen sich Fragen: Wie kann einem Banker, einem gut bezahlten Vorstandschef zumal, derart eklatant das Gefühl dafür fehlen, was man tut und was nicht? Wie fing alles an, warum hörte es dann nicht mehr auf – und wie denkt der Manager heute über seine Verfehlungen?

Darüber hinaus muss allerdings auch das System, in dem sich Enrico Kahl bewegte, hinterfragt werden: Wie kann ein Vorstandschef über Jahre hinweg die eigene Bank ausplündern – und keiner will was mitgekriegt haben? Wo waren die Aufsichtsräte? Wo der Verband? Wo die Finanzaufsicht? Und warum dauerte es so lange, bis der Manager schließlich aufflog?

Nach langem Zögern hat sich Enrico Kahl bereiterklärt, mit Finanz-Szene über seinen Fall zu sprechen. Hier unser großes Interview:

Herr Kahl, Sie sind Ende Oktober wegen Untreue zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden und müssen 300 Sozialstunden leisten. Vorweg die Frage: Finden Sie Ihr Urteil gerecht?

Über das Urteil hatte die Justiz zu entscheiden. Die hat ihren Job gemacht, ich akzeptiere das Urteil und blicke nach vorne. Ich habe sieben Jahre auf dieses Urteil gewartet und bin froh, nun endlich einen Strich unter den strafrechtlichen Vorgang ziehen zu können.

Hatten Sie Angst, ins Gefängnis zu müssen? Immerhin forderte die Staatsanwaltschaft dreieinhalb Jahre Haft ohne Bewährung.

Sie wissen doch, vor Gericht und auf hoher See … Wir – das heißt, meine Verteidiger und ich – hatten aber stets die Hoffnung, dass es auf eine Bewährungsstrafe hinausläuft. Ich habe die mir zur Last gelegten Taten mit einem Gesamtschaden von knapp einer halben Mio. Euro ja auch zugegeben.

Lassen Sie uns zunächst kurz über Ihre Biografie sprechen: Sie waren mehr als 40 Jahre lang ausschließlich in der Bankenbranche tätig, sind vom Lehrling zum Vorstandschef aufgestiegen. War Banker immer Ihr Berufsziel?

Überhaupt nicht. Meine Mutter arbeitete in der Käseabteilung eines Supermarkts. Da stand eines Tages die Frau des örtlichen Bankdirektors und plauderte: In vier Wochen sollte eigentlich ein Azubi anfangen, aber der hat einfach abgesagt. Was machen wir denn jetzt? Da sagte meine Mutter: Das trifft sich ja gut, mein Sohn ist in vier Wochen beim Bund fertig und hat sich überall beworben, aber keine Stelle bekommen. Der könnte das doch machen. Vier Wochen später war ich angehender Bankkaufmann der Volksbank Boppard am Mittelrhein. Und das mit einem Abiturschnitt von 3,3. Damit hätte ich ohne diesen glücklichen Zufall keine Chance in der Bankenbranche gehabt. Danach habe ich aber rasch Spaß dran gefunden. Und ein Ziel: Vorstand werden.

Das nimmt man sich mit Anfang 20 vor?

Ja. Ich habe dann immer darauf hingearbeitet. Alle drei Jahre musste es nach oben gehen. Von Boppard ging es zur Bayerischen Landesbank. Von dort Wiesbadener Volksbank. Dann bekam ich 1994 das Angebot, mit gerade mal Mitte 30 Vorstand bei der Sparda Münster zu werden. Ich war damit gewissermaßen am Ziel. Und 1997 dann Vorstandschef. Das hatte aber weniger mit meinem Bank-Knowhow zu tun, sondern: Ich konnte führen, das lag mir, gute Teams zusammenbauen, die Erfolg haben. So vervielfachte sich die Bilanzsumme der Sparda Münster unter meiner Ägide um den Faktor 4. Dass ich abgesehen von den Dingen, die letztlich zu meiner Verurteilung führten, ein sehr fähiger Vorstandschef war – das hat mir ja sogar der Staatsanwalt im Prozess so diagnostiziert.

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„Über alles, was ich getan habe, herrschte intern stets volle Transparenz.“

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Ihre Karriere endete 2015 mit der Suspendierung. Sieben Jahre später, im vergangenen Oktober, wurden Sie dann verurteilt. Es geht um massenhaften Spesenbetrug in hunderten Fällen, es geht um private Übernachtungen in Luxushotels, es geht um eine Geburtstagsfeier für Ihre Frau, die über die Bank abgerechnet wurden, Geschenke an Vorstände und Aufsichtsräte, angebliche bewirtete Gäste, die es nie gab. Gab es einen Moment, von dem Sie sagen: Da ist mir klar geworden, dass ich Grenzen überschreite? Strafrechtlich, aber auch moralisch?

Das war der Moment, als mir die Anklageschrift in Papierform vorlag.

Im Frühjahr 2020? Nicht früher? Die Ihnen vorgeworfenen Taten fallen in die Jahre 2010 bis 2015. Und nach allen Regeln der Plausibilität dürften Sie auch vorher schon unrechtmäßig gehandelt haben …

Es ist so. Ich habe erst durch die Klageschrift wahrgenommen, was ich alles gemacht habe. Ich habe in den 20 Jahren zuvor bei Entscheidungen nie Zweifel gehabt: Passt das jetzt oder passt das nicht, wenn Du dieses und jenes jetzt machst. Ich hatte nie auch nur entfernt strafrechtliche Bedenken oder dass die Dinge ein Geschmäckle haben könnte. Über alles, was ich getan habe, herrschte intern stets volle Transparenz, und ich habe mich fortlaufend mit Kollegen und Aufsichtsrat kurzgeschlossen. Niemand protestierte. Niemand stupste mich mal an, niemand stellte Fragen.

Sie wollen damit sagen: Ihr Treiben war bekannt, und es hat niemanden gestört?

In meinem Prozess fiel der Satz, dass es eine solche Form von „Transparenz in der Untreue“ noch nie gegeben habe. Angesichts der kursierenden Summen möchte ich auch etwas klarstellen: In meinem Prozess wurde mir die alleinige Verantwortung für einen Schaden von 120.000 Euro nachgewiesen. An weiteren 380.000 Euro Schaden war ich beteiligt, trug aber nicht die alleinige Verantwortung.

Es ist allerdings auch prozessual üblich, dass sich die Staatsanwaltschaft vor allem auf die beweisbaren Fälle konzentriert. Die Ermittlungen liefen anfangs auf ein Volumen von 2 Mio. Euro Schaden hinaus.

Mag sein. Dennoch lege ich Wert auf die Feststellung, dass es in meiner Bank kein alleiniges „System Kahl“ gab. Mir war zu Beginn des ganzen Verfahrens etwa im Jahr 2016 gar nicht klar, dass man sich einen Beschuldigten aussucht und dass der Beschuldigte ich allein sein würde.

Herr Kahl, Sie haben der Bank unter anderem die Kosten für die private Geburtstagsfeier Ihrer Frau aufgebürdet im mittleren fünfstelligen Bereich. Solche Taten sind von anderen Vorständen nicht aktenkundig.

Ich möchte mich jetzt weder in eine Verteidigungshaltung bringen noch mein eigenes Fehlverhalten damit rechtfertigen, dass andere auch etwas falsch gemacht haben könnten. Aber bleiben wir gerne bei dieser Geburtstagsfeier. Der private Charakter der Veranstaltung war allen klar und stand sogar auf den Einladungskarten. Es gab keinerlei Widerspruch, dass ich das privat so ausrichte und die Bank bezahlt. Alle Budgetverantwortlichen in der Bank wussten, dass die Bank hierfür aufgekommen ist.

Es klingt fast so, als fühlten Sie sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Nein, ich lege die Fakten dar. Also, was üblich war. Und wie es lief. Damit möchten ich nicht beschönigen, was ich getan habe. Wenn man mir an einer Stelle Grenzen gesetzt hätte seitens des Vorstands, des Aufsichtsrats oder des Verbandes und gesagt hätte: Das bitte lass mal schön bleiben – ich hätte das gemacht. Aber diese Grenzen wurden mir nie gesetzt.

Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.

Noch einmal: Mir ist zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass ich strafrechtlich relevante Dinge mache. Ich weiß, dass dies im Nachhinein unglaubwürdig wirkt. Aber es ist so.

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„Ziel war es, über das gelebte Ritual die Strukturen zusammenzuschweißen“

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Spätestens seit der Finanzkrise war doch jedem in der Bankenbranche klar: Es gibt keine Grauzonen mehr, eine vernünftige Compliance ist essenziell. 

In der Bankenbranche allgemein war das vielleicht so. Im genossenschaftlichen Sektor habe ich davon nichts gespürt. Es war ja so, dass die Probleme der Finanzkrise – faule Kredite, windige Immobilienengagements in den USA – die Genobanken kaum betrafen. Unser Geschäft wuchs weiter. Und auch die Incentive-Reisen innerhalb des Genossenschaftsverbunds für Vorstände gingen nach 2008 weiter wie zuvor.

Wenn Sie von „Incentive-Reisen“ reden, dann meinen Sie vermutlich Vorgänge wie jene, die Finanz-Szene Mitte 2020 in dem Artikel „Union Investment lud Sparda-Chefs jahrelang zu Luxusreisen“ öffentlich gemacht hat …

Den Artikel habe ich damals gelesen. Und ja, auf genau solche Vorgänge spiele ich an …

Wir deckten damals auf, dass etliche Vorstände deutscher Sparda-Banken bis ins Jahr 2016 von der Union Investment auf mehrtägige Reisen in diverse europäische Metropolen eingeladen worden waren. Unter anderem skizzierten wir einen mehrtätigen Trip nach Dubrovnik, bei dem Kost, Logis und Freizeit auf höchstem Niveau geboten wurde, aber in drei Tagen kein einziger fachlicher Punkt auf dem Programm stand. Eine anderer dieser Trips ging nach Lissabon. Dort war auch der damalige Vorsitzende des Sparda-Verbands dabei, Joachim Wuermeling, der seit Jahren und noch bis Ende März als Vorstand der Deutschen Bundesbank für die Bankenaufsicht verantwortlich zeichnet …

Ich kann bestätigen, dass es diese Reisen gegeben hat. Jedes Jahr mit einem anderen Ziel, immer mit vollem Unterhaltungsprogramm, einmal sogar mit einer eigens gecharteten Privatmaschine, auch die Ehefrauen waren eingeladen. Übrigens wurde so was nicht nur von der Union veranstaltet.

Worum ging es bei diesen Reisen – jenseits des Vergnügens?

Ziel war es, über das gelebte Ritual die Strukturen zusammenzuschweißen, also die Bande zwischen den Sparda-Banken und den sektoreigenen Produktanbietern zu stärken. Damit möglichst nur Produkte aus dem eigenen Verbund vertrieben werden – auch wenn das schon damals ein schreiender Anachronismus war.

Sie waren immer dabei und hatten nie ein Störgefühl?

Ich hielt das für ein ganz normales, gelebtes Verhalten innerhalb der genossenschaftlichen „Familie“, wie es so schön heißt. Und es zeigt Ihnen womöglich auch, warum ich seinerzeit gar nicht wusste, was man mir genau vorwirft. Es war ja üblich, aus dem Vollen zu schöpfen bei den Incentives. Erst als ich abberufen wurde und die Ermittlungen begannen, habe ich das alles kritisch hinterfragt. Und übrigens wegen der Reisen auch selber Strafanzeige gestellt. Die entsprechenden Ermittlungen wurden allerdings eingestellt.

Sie hätten es gern gesehen, wenn auch andere angeklagt worden wären?

Zumindest stört mich, dass die Öffentlichkeit ihr Urteil über mich schon lange vor dem richterlichen Urteil gefällt hat. Ab dem Moment meiner Abberufung 2015 wurden sämtliche Vorwürfe gegen mich coram publico ausgebreitet. Die Presse war mit Informationen versorgt, die nicht öffentlich verfügbar waren. In den Medien erschienen unverpixelte Bilder meiner Frau, zumindest auf lokaler Ebene geriet meine Familie in mediale und soziale Sippenhaft. Ich dagegen war zum Schweigen verpflichtet, musste sieben Jahre auf ein Urteil warten müssen, ein Bankdirektor mit Strafverfolgungsbehörde im Schlepptau – da bekommen Sie natürlich keinen Job mehr. Es gab in der genossenschaftlichen Gruppe immer den Grundsatz, dass Dinge intern geregelt werden. Ich hätte mich gefreut, wenn man, jenseits der strafrechtlichen Aufarbeitung, auch in meinen Fall so verfahren wäre. Ich habe Briefe geschrieben, an den Verband, die Bundesbank, die Bafin und so weiter, habe Leute angerufen. Aber niemand hat mit mir geredet. Ich hatte manchmal das Gefühl, als wollte man mich menschlich und wirtschaftlich vernichten.

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„Wir wussten, dass wir auch an die vermögende Klientel ran müssen“

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Das ist Ihre persönliche Wahrnehmung, die wir jetzt mal so stehen lassen. Wer hat konkret von Ihrem Treiben gewusst? Im Aufsichtsrat, im Genosektor?

Sehr viele Leute haben Bescheid gewusst. Und selbst wer es mangels Interesse nicht wusste, hätte es wissen müssen. Ich habe ja keine schwarzen Kassen geführt. Es herrschte stets absolute Transparenz über das, was ich mache, wie ich die Bank führte, wofür Geld ausgegeben wurde, jede Übernachtung, jede Feier. Niemand sagte mir: Enrico, lass das mal.

Wären sie froh gewesen, wenn man sie gestoppt hätte?

Im Nachhinein lässt sich das leicht behaupten. Aber wenn mir zum Beispiel der Aufsichtsrat konkret gesagt hätte: Es ist erwünscht, dass eine dienstliche Hotelübernachtung maximal in einem Drei- oder Vier-Sterne-Hotel stattfinden darf, dann hätte ich das so gemacht. Aber es gab nie Beschwerden. Das Geschäft lief ja auch.

Hatten Sie das Gefühl, es steht Ihnen zu, was Sie sich von der Bank nehmen?

Ich komme aus einer Bankenwelt, in der gewisse Dinge als normal galten. Als ich ins Bankgeschäft eingestiegen bin, war das schon so. Und dann habe ich eben verinnerlicht, dass die Dinge nun mal so laufen, wie sie laufen. Das galt auch für das Ausgabenverhalten.

Sie waren aber kein angelsächsischer Investmentbanker, sondern Chef eines genossenschaftlich organisierten Instituts. Verpflichtet nicht allein dieser Umstand zu einem bescheideneren Auftreten, als Sie es pflegten?

Ich hatte als Vorstandschef zunächst mal die Aufgabe, die Bank erfolgreich zu führen, gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das ist uns, wie auch in meinem Prozess zur Sprache kam, gelungen. Die Bilanzsumme wuchs von rund 800 Mio. Euro auf auf 2,2 Mrd. Euro, Gewinne und Dividenden relativ gesehen in ähnlichem Maße. Das rechtfertigt kein Fehlverhalten, aber ich habe zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, den Eignern der Bank etwas wegzunehmen.

Hatten Sie den Eindruck, Sie müssen bestimmte Grenzen überschreiten, damit die Bank Erfolg hat?

Wie gesagt, ich habe die Dinge ja nichts als Grenzüberschreitung wahrgenommen. Letztlich ist es so: Die Kundinnen und Kunden der Sparda-Banken gehören traditionell eher den niedrigen bis mittleren Einkommensschichten an. Es gab und gibt nur sehr wenige Vermögende, die bei der Sparda Bank sind und sich dort beraten lassen. Wir wussten, dass wir auch an diese Klientel ran müssen, um langfristig überleben und als Bank für Gering- und Durchschnittsverdiener überhaupt existieren zu können. Was zählte war, gesellschaftlich ein entsprechendes Image aufzubauen lokal in Münster, Osnabrück und unserem Geschäftsgebiet. Dass die Leute denken: Wir müssen ja nicht zwingend zu einer Großbank. Wir können es ja auch mal mit der Sparda probieren. Deutlich gesagt: Wenn Sie wollen, dass gut verdienende Freiberufler auf einer Tagung mit der Karte der Sparda-Bank statt mit der Karte einer Großbank wedeln – dann müssen Sie solche Tagungen eben auch schon mal finanziell unterstützen. Ich habe alles in meiner Möglichkeit stehende getan, um die Sparda Bank lokal zu verankern, durchaus auch mit Großzügigkeit. Hier mal zum Kölner Karneval mit Unternehmern. Da mal nach Dortmund zu einem Fußballspiel. Dass mir das im Nachhinein als Schädigung der Bank ausgelegt wurde – nun gut. Darüber hatte die Justiz zu urteilen.

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„Die Sparda-Banken werden von Leuten beaufsichtigt, die dafür nicht qualifiziert sind“

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Haben wir im deutschen Bankwesen ein Problem mit den Aufsichts-Strukturen? Bei den Genobanken möglicherweise sogar besonders?

Ja, und zwar ein eklatantes. Das hat ja sogar das Gericht festgestellt: dass die Kontrolle durch den Aufsichtsrat aufgrund fehlender Kompetenz nicht stattfinden konnte. Bei den Sparda-Banken hat es über die historischen Entwicklung eine regelrechte Infiltration durch die Eisenbahner-Gewerkschaft gegeben. Die entscheidet über den Aufsichtsrat und die Qualität der Aufsichtsräte und besetzt sie, unter den Augen des Sparda-Verbands, der Bundesbank und der Bafin.

Das sagt doch nicht zwingend etwas über die Qualifikation. Die Aufsichtsräte werden geschult und geprüft.

Ich bitte Sie. Der persönliche und berufliche Erfahrungshintergrund vieler Aufsichtsräte hat mit dem, worauf es bei der wirksamen Kontrolle einer Bank ankommt, nichts zu tun. Daran ändern auch ein paar Pflichtseminare nichts. Unter den Augen des Sparda-Verbands müssen diese Leute Banken beaufsichtigen mit Bilanzsummen im teils zweistelligen Milliardenbereich. Es ist ein geschlossenes System, das seit Jahrzehnten am Laufen gehalten wird.

Aber Ihnen wurde doch vorgeworfen, gerade den Aufsichtsrat mit Geschenken gefügig gemacht zu haben.

Das ist vollkommener Quatsch und im Prozess auch widerlegt worden. Ich musste zu keinem Zeitpunkt irgendwen mit Geschenken gefügig machen oder bestechen, ganz einfach, weil dazu überhaupt keine Notwendigkeit war. Es hat schlicht niemanden interessiert, was ich trieb, weder den Aufsichtsrat noch den übrigen Vorstand, solange es lief und die Bank wuchs und profitabel war. Es war überhaupt kein fachlicher Hintergrund da, mich zu kontrollieren.

Welchen Schaden hat die Bank durch Ihr Handeln erlitten?

Ich kenne keine genauen Beträge, aber nach meinem Kenntnisstand ist der Sparda Münster durch mein Fehlverhalten entstandende Schaden vollständig von der Managerhaftpflicht ersetzt worden. So wurde das auch vor Gericht ausgeführt.

Was haben Sie all die Jahre gemacht nach der Abberufung?

Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und habe nur schwer realisiert, dass ich in einer ganz neuen Situation bin. Die ökonomische Fallhöhe war dramatisch, vom gut bezahlten Vorstandschef fiel ich buchstäblich ins Nichts, hatte keinerlei Einkommen mehr. Null! Freunde haben mich dann glücklicherweise aufgefangen. Ich habe dann versucht, die Vergangenheit im Interesse des Unternehmens aufzuarbeiten, habe mich noch jahrelang verantwortlich gefühlt, Schaden von der Sparda Münster abzuwenden. Aber als ich versucht habe, entsprechende Kontakte zu nutzen, stieß ich nur auf Blockade. Das hat geschmerzt, nicht einmal gehört zu werden.

Wie geht es Ihnen wirtschaftlich?

Schlecht. Sehr schlecht. Ich habe kein Erwerbseinkommen und bin am Arbeitsmarkt natürlich gebrandmarkt. Ich darf bei meiner Ex-Frau wohnen und beziehe 1.930 Euro brutto gesetzliche Rente. Zuletzt habe ich mich um einen Ort gekümmert, an dem ich nun meine 300 Sozialstunden als Teil des Urteils ableisten kann. Und ich befinde mich in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit der Sparda West als Nachfolge-Institut der fusionierten Sparda Münster. Dabei geht es um die Frage, ob mir meine Betriebsrente zusteht.

Sie glauben, die steht Ihnen zu?

Ja, davon bin ich überzeugt. An der Unverfallbarkeit meiner Ansprüche aus der Betrieblichen Altersversorgung besteht kein Zweifel.

Herr Kahl, wenn Sie es könnten, würden Sie Ihre Taten ungeschehen machen?

Wenn ich jetzt „Nein“ sage, heißt es: Was für ein Starrkopf. Sagen wir es so: Mein Blickwinkel hat sich verändert, so dass ich tatsächlich viele Dinge nicht noch einmal tun würde.

Kann das deutsche Bankwesen etwas aus Ihrem Fall lernen?

Technisch gesprochen: Man sollte das Vier-Augen-Prinzip nicht vergessen. Es muss einer drüberschauen. Mit Verstand und als echter Sparrings-Partner, das heißt, jemand, der sich auch traut, Kontra zu geben. Die formale Kontrolle nutzt nichts, wenn auf Aufsichtsposten oder in Vorständen vor allem solche Leute sitzen, die sich nicht trauen, ihre Position auch auszufüllen. Nur dann gibt es eine Verhaltensreflexion, haben Leute auch mal einen Spiegel vor sich. Ich hatte den so gut wie nie.

Union Investment lud Sparda-Chefs jahrelang zu Luxusreisen ein

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