Exklusiv

Ein Asset, auf das viele schielen – was Warburg mit Marcard, Stein & Co vorhat

Von M.M. Warburg zu Marcard, Stein & Co, also von Mutter zu Tochter, sind es nur 150 Meter, zu Fuß keine zwei Minuten. Wobei, und das sagt schon vieles, die Mutter in der zweiten Reihe sitzt, die Tochter in der ersten. Mit Blick auf die Binnenalster, am Ballindamm 36, feiner geht’s nicht, nicht einmal in Hamburg. Die hell leuchtende Fassade, wie in ein weißes Kleid gehüllt, ragt heraus aus einer Reihe moderner Geschäftshäuser mit Betonfassade. Gleich nebenan liegt der Jungfernstieg, der seinen Namen dermaleinst bekanntlich durch ein bürgerliches Ritual erhielt: Die Kaufmannsfamilien führten hier sonntags ihre unverheirateten Töchter spazieren, in der Hoffnung, eine gute Partie für sie zu finden. Jedenfalls – wenn man so will, dann ist es mit Marcard, Stein & Co gerade ähnlich!

Kurz ausgeholt: Wie exklusiv berichtet (siehe hier, hier und hier), befindet sich M.M. Warburg inmitten einschneidender Umbauten. Nachdem sich die alteingesessene Hamburger Privatbank in den vergangenen Jahren bereits von ihrer Hypothekentochter sowie der Warburg Invest AG getrennt hat und zuletzt auch kleinere Beteiligungen liquidiert wurden, geht es jetzt ans Eingemachte. Weite Teile des Kapitalmarktgeschäfts sollen eingestampft, rund 150 Arbeitsplätze abgebaut werden. Übrig bleiben dürfte am Ende nur mehr ein Nischenplayer mit Fokus auf Private Banking und Corporate Banking. Und eigentlich (eigentlich!) würde in einen solchen Zuschnitt auch Marcard, Stein & Co ganz gut hineinpassen. Die Sache ist nur: Im Gegensatz zum Kapitalmarktgeschäft ist Marcard, Stein & Co begehrt da draußen. Nach Informationen von Finanz-Szene haben sich mehrere potente Player den Family-Office-Spezialisten angeguckt.

Und nun? Geld oder Tochter?

Marcard, Stein & Co., muss man dazu wissen, ist mehr als eine Tochter. Eine Bank in der Bank. Mit eigener Banklizenz. Eigenem Vorstand. Und einer beträchtlichen Autonomie, was insbesondere für Vorstandschef Thomas Fischer gilt, der schon für Marcard arbeitete, als Marcard noch gar nicht zu Warburg gehörte, und der im Laufe der Jahre manchen Warburg-Vorstand hat kommen und gehen sehen.

Dabei speist sich das reiche Selbstverständnis der Marcard-Leute auch aus der Historie. Als Gründungsdatum wird 1790 angegeben, womit die Tochter nicht nur feiner logiert als die Mutter, sondern auch acht Jahre älter ist. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war Marcard, Stein & Co. eine klassische Hamburger Privatbank, mit durchaus breitem Geschäftsmodell. Erst nach und nach fokussierte man stärker aufs Private Banking, bevor im Zuge der Übernahme durch M.M. Warburg eine weitere Spezialisierung einsetzte, hin zur „Family Office Bank“, wie das Leitmotiv heute lautet. Die Kernklientel: vermögende Privatkunden, Familienunternehmer und eben Family Offices.

Wie die Zyklen halt manchmal so sind, macht Marcard, Stein & damit das, was viele andere Banken hierzulande neuerdings auch (wieder) unbedingt machen wollen. 2024 kündigten gleich mehrere Institute eine Neuaufstellung ihres UHNWI-Geschäfts an, also des Geschäfts mit den „Ultra-High-Net-Worth Individuals“, der extrem vermögenden Klientel.

Den Anfang machte die Deutsche Bank, die die frühere HVB-Managerin Stefanie Rühl-Hoffmann zur „Head of UHNW Germany“ berief und bald darauf eine Ebene darunter mehrere UHNW-Regionalleiter installierte. Unlängst kündigte man überdies an, die Zahl der UHNWI-Berater „perspektivisch verdoppeln“ zu wollen. Die Commerzbank wollte dem in nichts nachstehen und kündigte an, die Zahl ihrer Standorte für die UHNW-Beratung von vier auf sechs zu erhöhen. Zudem gründete sie einen eigenen Bereich für die Super-Reichen, den sie unter die Leitung von Sebastian Ahlhorn stellte, der vom Multi Family Office Finvia gekommen war. Die Hypo-Vereinsbank wiederum erkannte im UHNW-Geschäft ein „strategisches Wachstumsfeld“. Dafür ernannte sie mit Nasim Amini einen neuen Leiter – wobei Amini jüngst zur Deutschen Bank weiterzog und dort jetzt zu einem Schlüsselmanager in der neu aufgestellten Vermögensverwaltung werden soll.

Das Geschäft mit den Ultrareichen ist also gerade en vogue. Auch Merck Finck gründete 2024 ein UHNW-Team. Hauck Aufhäuser Lampe hatte selbiges schon im Oktober 2023 angekündigt – und verschiedene Banken halten dafür nach Finanz-Szene-Informationen zurzeit nach Zukäufen Ausschau.

Wobei die Banken nicht allein sind. Auf dem hierzulande noch immer arg fragmentierten Markt von Vermögensverwaltern und Multi Family Offices (also solchen, die mehr als eine Familie bedienen) sind seit einiger Zeit auch Private-Equity-Investoren immer umtriebiger. Drei aktuelle Beispiele:

  • Beim Frankfurter Family Office Finvia stieg im vergangenen Jahr der emiratische Investor Modus Capital ein
  • Das Hamburger Family Office Kontora schloss sich im März dem US-Wealth-Manager AlTi Global an, an dem die Allianz über ihre Venture-Capital-Tochter Allianz X beteiligt ist
  • Der unabhängige Vermögensverwalter HRK Lunis, der selbst als Konsolidierer am Markt auftritt, bekam kürzlich mit dem Pariser Private-Equity-Unternehmen Seven2 einen neuen Mehrheitsgesellschafter.

Im Falle von Marcard, Stein & Co bedeutet „sehr vermögend“, dass die Mandanten mindestens mal rund 20 Mio. Euro mitbringen müssen. Für das Vermögen entwickelt die Bank eine Asset Allocation, wählt Vermögensverwalter aus, überwacht diese, erstellt Reportings, bietet Beteiligungs- und Immobilienmanagement sowie Concierge-Services. Dafür kassiert Marcard, Stein & Co eine transaktionsunabhängige Gebühr. Auch zu Unternehmensverkäufen oder zur Vermögensnachfolge berät die Bank – ein Beratungsfeld, das immer wichtiger wird.

Zur Höhe der Kundengelder macht Marcard, Stein & Co zwar keine Angaben. Als Bank mit eigener Bafin-Lizenz muss das Institut allerdings regelmäßig Geschäftszahlen vorlegen. Die zeigen, dass das Geschäftsmodell des Multi Family Office zu funktionieren scheint. 2023 zum Beispiel steuerte Marcard, Stein & Co mit 5,4 Mio. Euro (Vorjahr 5,6 Mio. Euro) mehr als die Hälfte des Gewinns der Gesamtbank bei. Allein der Provisionsüberschuss betrug fast 18 Mio. Euro, dank steigender Erlöse aus Family-Office-Honoraren. Auch 2024 wuchsen die Provisionserträge aus den Family-Office-Mandaten, ist im Geschäftsbericht der Mutter zu lesen. Der Rückgang im Zinsüberschuss sei damit überkompensiert worden. Während also andere Privatbanken zuletzt vor allem vom Zinsgeschäft lebten (siehe letzten Herbst unsere zweiteilige Serie hier und hier), brummt bei Marcard, Stein & Co. tatsächlich das Kerngeschäft.

Und dieses ist, so lautet jedenfalls das branchenweite Kalkül, im UHNWI-Segment noch lange nicht ausgereizt. Der UBS Global Wealth Report prognostiziert, dass die Zahl der ultrareichen Kunden in Europa bis 2027 (gemessen an 2022) um rund 43% auf 57.000 zunehmen wird. Laut dem World Wealth Report von Capgemini wiederum sind die UHNWIs die Millionärs-Gruppe, die am stärksten wächst, in 2024 bezogen auf die Anzahl um 6,2% zum Vorjahr. Ein wesentlicher Grund dafür: die Vermögenskonzentration durch Erbschaften.

Laut KfW-Nachfolgemonitoring wiederum streben hierzulande bis 2027 jährlich rund 125.000 mittelständische Unternehmen eine Nachfolgelösung an. Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass sich 2023 das übertragene geschenkte Betriebsvermögen über 26 Mio. Euro – sogenannte Großerwerbe – im Vergleich zum Vorjahr fast auf 15,7 Mrd Euro fast vervierfachte. Marcard, Stein & Co besetzt in genau solchen Fällen eine Schlüsselposition. Denn Family Offices entwickeln mit Unternehmerfamilien, die sie betreuen, sogenannte Familien-Strategien bzw. Familien-Verfassungen. Ziel: den Vermögenserhalt über Generationen sicherzustellen. Aus Sicht der Bank bedeutet das im besten Fall, dass die nachfolgende Kundengeneration schon früh ans Haus gebunden wird.

Nun gibt es natürlich viele Multi-Family-Offices in Deutschland. Aber kaum eines, das so wie Marcard, Stein & Co. mit dem Vollsortiment einer eigenen Bank werben kann. Zwar hat fast jede Privatbank zumindest eine Family-Office-Einheit, die Frankfurter Bankgesellschaft sogar ein eigenständiges Family Office. Ein Setup wie das von Marcard, Stein & Co ist hierzulande allerdings ziemlich unique, vergleichbar am ehesten vielleicht noch mit dem Deutsche Oppenheim Family Office, der Family-Office-Tochter der Deutschen Bank.

Kein Wunder also, dass sich zwei andere Frankfurter Banken nach Finanz-Szene-Informationen in den vergangenen Monaten schon mal intensiv mit Marcard Stein & Co. beschäftigt haben, genauso wie ein Private-Equity-Investor, der bereits umtriebig in der hiesigen Vermögensverwaltungs-Industrie ist. Und, auch das sagen Kenner der Materie: Mit einem Konsortium privater Unternehmer sei sich M.M. Warburg vor einigen Monaten sogar fast einig über einen Verkauf von Marcard, Stein & Co gewesen. Doch der Deal platzte auf der Zielgeraden. Eine Sprecherin der M.M. Warburg wollte entsprechende Informationen nicht kommentieren.

Tatsächlich läuft wohl aktuell kein formeller Verkaufsprozess. Aber flaniert, im übertragenen Sinne, wird nahe des Jungfernstieg dem Vernehmen nach weiterhin. Das Problem, so heißt es, sei, anders als bei der Kapitalmarktsparte, nicht mangelndes Interesse – sondern eher die stolzen Preisvorstellungen seitens M.M. Warburg (bzw. seitens der dahinter stehenden Eigentümerfamilien). Kolportiert wird, dass für Marcard, Stein & Co das 14- bis 15-fache des Ebitdas aufgerufen werde – sportlich.

Ebenfalls ein Teil der Kalkulationen potenzieller Käufer sei die starke Rolle des schon erwähnten Vorstandschefs Fischer, heißt es. Der 63-Jährige kam Anfang der 1990er zu Marcard, Stein & Co, stieg 2007 zum Vorstandssprecher auf. Er war es, der die Positionierung des Instituts zuspitzte, also die „Family Office Bank“ erfand. Wie es heißt, legt Fischer großen Wert auf die Eigenständigkeit von Marcard, Stein & Co. Zudem wolle er die Ausrichtung und die über Jahre aufgebauten Strukturen gewahrt wissen.

Es gibt gegenüber potenziellen Käufern also gewisse Ansprüche. Und was wiederum die Sache mit der Vollbanklizenz angeht – die ist zwar ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Multi Family Office, kostet aber auch Geld. So eine Lizenz sei für einen Player wie Marcard, Stein & Co eher ein „nice to have“ als zwingend notwendig, sagen Branchenkenner. Die Mitarbeiterzahl ist mit 79 (das war der Stand per Ende 2023) durchaus üppig, die Cost-Income-Ratio (77%) noch nicht wirklich optimiert. Laut dem Warburg-Geschäftsbericht hat sich der Personalaufwand der Tochter auch 2024 wieder erhöht. Es ist ein lukratives Business, das Marcard, Stein & Co betreibt. Aber auch ein teures.

Was nun aber wiederum aufhorchen lässt: Begründet wird der Personalaufbau bei der Tochter nicht nur durch die regulatorischen Anforderungen (Stichwort Banklizenz). Sondern auch mit einer „arbeitsprozessualen Entflechtung“ von der Muttergesellschaft. Laut Kennern steht diese Formulierung im Zusammenhang mit dem Wechsel des Kernbankensystems bei M.M. Warburg – bekanntlich migrieren die Hanseaten zur Atruvia, dem IT-Dienstleister der Volks- und Raiffeisenbanken. Nach Informationen von Finanz-Szene wechselt auch Marcard, Stein & Co zu den Genossen, jedoch als eigenständige Organisationseinheit. Ein Projekt im Projekt für die Bank in der Bank.

Die Autonomie nimmt also sogar noch zu. Was einem etwaigen Verkauf ganz sicher nicht abträglich wäre.

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