von Christian Kirchner, 10. Mai 2022
Bei der ING Diba hat man ja den Eindruck, sie mache die Dinge manchmal auch um des Andersmachens willen anders als der Rest der Branche.
Nur zur Erinnerung: Als unzählige Banken und Sparkassen längst Minuszinsen erhoben, zeigt man sich bei der Oranje-Bank noch ziemlich überzeugt, diesen Weg nicht gehen zu müssen. Als man es schließlich aber doch tat – dann auch so richtig. Lag der Freibetrag anfangs noch bei 100.000 Euro, wurde er bald schon auf 50.000 Euro gesenkt. Und mussten anfangs nur Neukunden das Verwahrentgelt berappen, wurde bald auch die Bestandsklientel zur Kasse gebeten. Letzten Herbst ging die ING Diba in ihrem Furor sogar so weit, bestehenden Kunden, die keinen Strafzins akzeptieren wollten, unverhohlen mit dem Rauswurf zu drohen.
So gesehen ist es dann doch ein ziemlicher U-Turn, den die größte deutsche Direktbank da gestern vollführt hat. Denn: Nicht nur schafft sie die Minuszinsen im Retail-Geschäft ab Juli faktisch ab, siehe unsere News –> Zinswende erreicht Sparer: ING Diba streicht Verwahrentgelte. Sondern: Obendrein (und das ist fast die größere Sensation) reanimiert die Frankfurter Onlinebank auch noch das totgeglaubte Extra-Konto – fast schon ein Aufruf, seine Einlagen von Sommer an wieder zur ING Diba zu tragen.
All das lässt eigentlich nur eine Deutung zu: Nein, das hier ist kein Marketing-Gag. Und nein, die ING Diba macht die Dinge diesmal nicht nur um des Andersmachens willen anders. Da muss mehr dahinterstecken! Aber was? Glaubt die Oranje-Bank an eine rasche und kräftige Zinswende und will sich hierfür in Position bringen? Fest steht: Wenn es das Ansinnen der ING Diba gewesen sein sollte, die Konkurrenz zu schocken, dann ist ihr das gelungen. Wie reagiert der Rest der Branche? Wer könnte folgen, wer kann sich das überhaupt leisten? Und ist das Verwahrentgelt bald schon branchenweit Geschichte?
Unsere Analyse:
Ab 1. Juli steigt der Freibetrag, ab dem das Verwahrentgelt erhoben wird, von bislang 50.000 Euro auf dann 500.000 Euro. Und zwar pro Konto. Heißt: De facto steigt die Minuszins-Grenze sogar auf 1 Mio. Euro (500.000 Euro auf dem Girokonto plus 500.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto). Interessanterweise gilt diese Regelung nicht nur für Bestandskunden, sondern auch für Neukunden – denn auch die dürfen bei der ING Diba ab Juli wieder ein Tagesgeldkonto eröffnen (was sie zuletzt nicht mehr durften).
Strategisch wie kommunikativ: nein, überhaupt nicht. Denn die ING Diba führte zwar erst recht spät Verwahrentgelte ein, weitete ihre Strafzins-Regeln dann aber im vergangenen Jahr drastisch aus. Ein kurzer Abriss:
Sprich: Drohten Bestandskunden, die kein Verwahrentgelt akzeptieren, kürzlich noch der Rauswurf, werden jetzt plötzlich Neukunden mit dem Versprechen gelockt, bis zu 1 Mio. Euro strafzinsfrei zur ING Diba tragen zu dürfen. Und das in einer Phase, in der sich zum Beispiel die Apobank gerade erst durchgerungen hat, erstmals überhaupt Strafzinsen zu erheben, siehe hier. Und in einer Phase, da manche Banken merken, dass Verwahrentgelte ein durchaus einträgliches Geschäft sein können. So steigerte die Deutsche Bank im Q1 ihre Erträge aus Negativzinsen (bezogen rein aufs Privatkundengeschäft) um 14% verglichen mit dem unmittelbaren Vorjahresquartal.
Die ING Diba bewegt sich hier entgegen der Laufrichtung des übrigen deutschen Bankenmarkts.
Das heißt: Da der Einlagenüberhang abgeschmolzen ist, braucht die ING Diba im Moment nicht übermäßig viel Geld zu negativen Zinsen bei der EZB zu parken. Zugleich verbessern sich die Aussichten, überschüssige Einlagen künftig wieder zu positiven Zinsen anlegen zu können – spätestens dann, wenn die Zinsen nicht mehr nur am langen Ende, sondern auch am kurzen Ende über die 0%-Marke klettern).
Am Geldmarkt wird momentan damit gerechnet, dass der EZB-Einlagenzins in maximal eineinhalb Jahren wieder ins Positive dreht. Dadurch könnten sich die Parameter im Zinsgeschäft fundamental verändern. Je nachdem, wie weit die Zinsen klettern, würden Einlagen nicht mehr abgewehrt – sondern plötzlich wieder gesucht. Genau auf dieses Szenario scheint die ING Diba ein Stück weit zu wetten.
Nein – denn wie in unserem Newsletter prominent berichtet (siehe hier), kündigte Ende April bereits die mit 625.000 Kunden freilich weniger relevante Oldenburgische Landesbank an, die Verwahrentgelte bei Privatkunden faktisch abzuschaffen.
Was hieran interessant ist:
Das hängt entscheidend vom Geschäftsmodell ab – und natürlich davon, wie sich die Zinsen tatsächlich entwickeln werden in den kommenden Monaten. Finanz-Szene fragte gestern bei einem halben Dutzend namhafter hiesiger Banken an, ob sie der ING Diba zeitnah folgen werden. Kein einziges Institut wollte dieses Versprechen abgeben.
Gut denkbar, dass das Gros der Branche abwartet und erst einmal weiterhin Verwahrentgelte ab 25.000 Euro (z.B: DKB, Deutsche Bank) bzw. 50.000 Euro (z.B: Commerzbank) erhebt. Doch wie sieht die Gemengelage konkret aus:
Frühestens 2023, wenn wir die Kurven am Terminmarkt richtig deuten. Dazu muss man wissen: Normalerweise bewegen sich die Einlagenzinsen bei einem Zinsanstieg als allerletztes. Danach sieht es bzw. sah es auch diesmal aus. Hier ein kleiner Überblick über die Entwicklungen der durchschnittlichen Marktzinsen laut der Datenbank der FMH Finanzberatung;
Auf den ersten Blick gewinnen bei einer Zinswende sowohl die Banken als auch deren Kunden. Zumindest im Einlagengeschäft. Eine andere Frage ist, was ein (möglicherweise zu rascher) Zinsanstieg beispielsweise in der privaten Baufinanzierung anrichtet. Lässt das Geschäft nach? Geraten gar Kreditnehmer unter Druck?
Unter Bankinvestoren jedenfalls überlagerten geopolitische und sonstige Sorgen zuletzt die Aussicht auf die etwaigen Segnungen einer etwaigen Zinswende. Der Euro Stoxx hat seit Mitte Dezember 12% verloren; die Aktien von Deutsche Bank und Commerzbank notieren je rund ein Drittel unter ihren Februar-Hochs.
Wie schnell Gewinne zerrinnen können in der schwierigen Lage, zeigt just dieser Tage ausgerechnet das Beispiel der größten deutschen Direktbank, siehe -> Hohe Risikovorsorge: ING Diba erleidet Quartalsverlust.