von Christian Kirchner, 14. Juli 2022
Man braucht kein Staatschef zu sein, kein Zeithistoriker und nicht einmal der Klarna-Chef, um die Zeit, in der wir gerade leben, in ein “Davor” und ein “Danach” zu unterteilen. Sondern: Es reicht auch, ein Bank- oder Sparkassen-Vorstand zu sein, der ganz einfach nur auf seine Bilanz schaut und sich fragt: Und was heißt das jetzt alles für mich???
Kurzer Rückblick: Vor etwa einem halben Jahr hatte es für einen ganz kurzen Moment den Anschein, als stünde die (deutsche) Kreditwirtschaft vor einem spektakulären Comeback. Immer mehr Banken bekamen ihre Kosten in den Griff, vielerorts zog das Provisionsgeschäft an, und nun, so sah es jedenfalls aus, würde sich auch noch die größte aller Sehnsüchte erfüllen – die Zinswende. Effizienz-Champions wie die HVB oder die OLB gaben eine Cost-Income-Ratio von 50% oder weniger als neue Ziele aus, und selbst die Commerzbank (die Commerzbank!) stimmte sich auf bessere Zeiten ein. Doch dann marschierten die Russen in der Ukraine ein. Und nun? Sind die Zeiten so, dass dieser Tage ein namhafter deutscher Bankvorstand, angesprochen auf das Thema Zinswende, antwortete, er wolle erst einmal den 21. Juli abwarten, also den Tag, an dem sich entscheiden könnte, ob das russische Gas wieder bzw. weiter fließt – oder eben auch nicht.
Mit anderen Worten: Die Zinswende, jahrelang das Überthema schlechthin für Banken und Sparkassen, ist plötzlich nur noch ein Faktor unter vielen. Und nicht wenige in der Branche fragen sich: Bringt mir die Zinswende überhaupt noch was? Wären die Nettoeffekte für meine GuV wirklich positiv? Und kann es nicht sein, dass, wenn jetzt die Rezession droht, die Zinswende schon wieder vorbei ist, bevor sie überhaupt begonnen hat?
Unsere große Analyse:
Die Zinsen haben über die zurückliegenden Monate zweifelsohne gedreht. Zwar nicht am kurzen Ende (die sogenannte “Euro short-term rate” verharrt bei -0,58%) – wohl aber am langen. In Antizipation künftiger Zinsschritte durch die EZB und angetrieben durch die hohe Inflation ist zum Beispiel die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen um anderthalb Prozentpunkte auf aktuell 1,16% geklettert.
Gleichwohl: Da wo sie jetzt stehen (oder sogar noch ein klein bisschen höher), standen die Zinsen vor ein paar Wochen auch schon. Und vor allem aufgrund der Rezessionssorgen sanken die Renditen die vergangenen Wochen wieder deutlich. Statt von der Zinswende sollte man daher vorerst besser von einem Zinswendchen sprechen.
Erste positive Effekte dieser Entwicklung sah man bereits in den Q4-Zahlen letzten Jahres (siehe etwa -> Hier kommen die Q4-Zahlen der Deutschen Bank und -> Was der plötzliche Zinsanstieg mit unseren Banken macht) und noch deutlicher in den Q1-2022-Zahlen (-> 47% Cost-Income-Ratio: Die unfassbaren Q1-Zahlen der HVB).
Der Zinsanstieg hat seinen Preis. Denn während er für den Zinsüberschuss tendenziell positiv ist (zumindest, solange kein scharfer Wettbewerb um Einlagen ausbricht), droht er die Bewertungsergebnisse tendenziell zu belasten. Der Grund: Statt überschüssige Einlagen zu minus 0,5% bei der EZB zu parken, investierten viele Institute ihre freie Liquidität lieber in Anleihen – beziehungsweise verschoben Anleihen und sonstige festverzinsliche Wertpapiere aus dem Umlauf- ins Anlagevermögen.
Solange die Zinsen niedrig blieben, war das eine naheliegende Strategie. Nun allerdings sorgt der Zinsanstieg dafür, dass die Anleihekurse fallen. So notiert eine im Juni letzten Jahres begebene 10-jährige Bundesanleihe ohne Zinskupon (!!!) zuletzt zeitweise bei nur noch 87% des Nennwerts. Diese Kursverluste belasten – sofern keine ausreichenden Sicherungsgeschäfte abgeschlossen wurden – nun erst einmal das Bewertungsergebnis und gegebenenfalls auch das Eigenkapital, siehe neulich unser Exklusivstück -> "Zinswende führt zu Eigenkapital-Schwund bei der IKB". Nun sind das zugegebenermaßen temporäre Effekte – getilgt wird die beispielhaft genannte Bundesanleihe irgendwann natürlich trotzdem mit 100%. Das allerdings dauert. Und bis dahin ...
Der vorerst letzte Banken-Stresstest, der einen massiven Zinsanstieg durchexerzieren ließ, liegt zwar fünf Jahre zurück – lässt aber trotzdem Rückschlüsse zu auf das, was jetzt passieren könnte da draußen.
Die EZB-Bankenaufsicht unterstellte damals einen Anstieg von 200 Basispunkten über alle Laufzeiten; getestet wurden 111 systemrelevante europäische Geldhäuser; heraus kam:
Nun ging es bei dem Test seinerzeit ja nur um die systemrelevanten Institut – in Deutschland keine zwei Dutzend. Indes: Mit langen Zinsbindungen auf der Aktivseite dürfte sich auch die ein oder andere kleine bzw. mittelgroße Bank hierzulande auskennen.
In den Eigenanlagen von Banken und Sparkassen freilich finden sich nicht nur Anleihen – sondern auch Aktien. Die Ausmaße dieses Phänomens hatte unser Analyst Thomas Borgwerth vergangenes Jahr in der "großen Sparkassen-Studie von Finanz-Szene.de" offengelegt: Bei nicht weniger als 17 deutschen Kommunalinstituten machten die Erträge aus Aktien und sonstigen nicht-festverzinslichen Wertpapieren mindestens 20% (!) der Gesamterträge aus – bei der (kürzlich in der Sparkasse Rhein-Maas aufgegangenen) Verbandssparkasse Goch-Kevelaer-Weeze lag der Anteil sogar bei einem Drittel. Und: Es gibt ja durchaus Genossenschaftsbanken, bei denen es ähnlich aussieht, siehe jüngst unser Stück über die Sparda Hessen (-> Eine Bank, die geführt wird wie ein Aktiendepot). Alles in allem erwirtschafteten die hiesigen Banken von 2016 bis 2020 insgesamt 26,3 Mrd. Euro an laufenden Erträge aus Aktien- oder aktienähnlichen Anlagen – ungefähr 16% des Betriebsergebnisses vor Bewertung.
Wird sich diese Strategie nun rächen? In der Vergangenheit jedenfalls waren steigende Zinsen meist Gift für Aktienkurse. Nun steht zu hoffen, dass möglichst viele Banken die steigenden Kurse der vergangenen Jahre zur Bildung stiller Reserven genutzt haben. Gleichwohl bleibt festzuhalten: Die zurückliegenden Monate haben den Eigenanlagen von Banken und Sparkassen nicht gutgetan. Weder im Anleihen- noch im Aktienbestand. Und: Es gibt ja nicht wenige Branchen-Insider, die behaupten, die jüngste Häufung abgesagter Fusionen in den beiden Verbünden (siehe etwa hier und hier) habe unter anderem mit der Angst zu tun, in wacklige Anlagebestände hineinzuheiraten. Erinnert sei in diesem Kontext auch an dieses Stück hier neulich:
War’s das Depot A? Genos lassen 12-Mrd.-Euro-Fusion platzen
Selbst wenn die positiven Effekte der Zinswende in der Theorie überwiegen – in der Praxis war die Zinswende, die die Banken wollten, ganz sicher nicht die Zinswende, die sie jetzt bekommen (könnten). Nämlich eine, die daherkommt mit einer ungeahnten Inflation. Und flankiert wird von einer drohenden Rezession.
Nun mag es die ein oder andere Bank da draußen geben, die von einer Zinswende womöglich stärker profitiert, als dass sie unter der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung leidet (zumindest, solange das Worst-Case-Szenario einer schweren Rezession ausbleibt). Die Commerzbank könnte ein solcher Kandidat sein. Zumindest steht deren Aktie heute höher als im letzten Herbst, als die Zinsen zu drehen begannen.
Typischer dürfte allerdings das Beispiel Deutsche Bank sein. Deren Aktien hat zuletzt bekanntlich einen ziemlichen Crash hingelegt (siehe unsere Analyse hier). Die steigenden Zinsen? Sind in ihrem Fall Peanuts verglichen mit dem, was sonst so dräut. Konkret gibt es mindestens drei Gründe, die dafür sprechen, dass die Effekte einer Rezession die Effekte einer (wenn sie denn kommt ...) Zinswende überlagern dürften. Und zwar:
Schlimmstenfalls kommt für Banken und Sparkassen dann alles zusammen. Wieder sinkende langfristige Zinsen. Abebbende Kreditnachfrage. Und Ausfälle auf der Aktivseite.