von Christian Kirchner, 5. April 2023
Die Sparkassen und ihr hauseigener Fondsanbieter Deka haben im Zuge der Zinswende offenbar radikal die Vertriebs-Strategie geändert – darauf jedenfalls deuten die jüngsten Absatzzahlen hin.
Hintergrund: Viele Sparkassen hatten ihren Wertpapier-Absatz im vergangenen Jahr trotz des Abschwungs an den Börsen erstaunlich stabil gehalten. Die am Dienstag präsentierten Zahlen der Deka scheinen nun die Erklärung zu liefern, wie das überhaupt möglich war. So scheinen die Absatzerfolge zu substanziellen Teilen auf einer historisch beispiellosen Vertriebskampagne für Zertifikate insbesondere im zweiten Halbjahr zu fußen.
Konkret: Insgesamt addierte sich der (vor allem über die Sparkassen organisierte) Vertrieb von Zertifikaten bei der Deka im Geschäftsjahr 2022 auf 12,6 Mrd. Euro – ein Plus von 78% zum Vorjahr! Damit entfielen knapp zwei Drittel des Wertpapierabsatzes mit Retail-Kunden von 20,7 Mrd. Euro auf Zertifikate. Ein Abgleich der Jahreszahlen mit den im vergangenen August präsentierten Halbjahreszahlen illustriert darüber hinaus, wie massiv der Vertriebs-Push für Zertifikate gewesen sein muss: So stand bei der Deka im H2 einem Nettoabsatz von Investmentfonds im Retail-Geschäft von 1,7 Mrd. Euro ein mehr als viermal so hoher Absatz bei Zertifikaten von 7,4 Mrd. Euro gegenüber.
Dass diese Offensive bislang kaum auffiel, liegt vor allem daran, dass die zuletzt berichtenden Sparkassen, Verbünde und Einzelinstitute in den vergangenen Wochen das Wort „Zertifikate“ in ihren Reden und Präsentationen meist komplett unter den Tisch fallen ließen. Stattdessen war, wenn überhaupt, nur vom Absatz in „festverzinslichen Wertpapieren“ die Rede, der sektorweit laut den Zahlen des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) von einem Nettoabfluss 2021 auf einen Nettoabsatz von 13,9 Mrd. drehte.
Damit standen die „Festverzinslichen“ auch beim DSGV für knapp die Hälfte des Netto-Wertpapierabsatzes 2022. Hintergrund: Zertifikate sind, rechtlich gesehen, Inhaber-Schuldverschreibungen, die formal tatsächlich in die Kategorie „Festverzinsliche Wertpapiere“ fallen, ähnlich wie eine Bundes- oder Unternehmensanleihe.
Der Turbo-Absatz bei den Zertifikaten trug dazu bei, dass die Deka-Gruppe für 2022 ein um 16% gestiegenes wirtschaftliches Rekordergebnis von 985 Mio. ausweisen konnte. Einerseits ist der Absatz sofort provisionswirksam. Andererseits hat die Ausweitung der Credit Spreads 2022 das Finanzergebnis positiv beeinflusst. Den genauen Effekt des Zertifikate-Geschäfts auf das Finanzergebnis, das sich insgesamt von 140 Mio. Euro auf 277 Mio. Euro annähernd verdoppelte, bezifferte die Deka auf Nachfrage mit 77 Mio. Euro.
Nun gibt es zwei Einschränkungen, die die Interpretation der Vertriebsleistung bei Zertifikaten etwas relativieren: Erstens nennt die Deka ihre Absatzzahlen zwar "netto", tatsächlich wird aber bei Zertifikaten nur der Neuvertrieb aufaddiert und ohne Berücksichtigung von Rückgaben gezählt. Das heißt: Hat ein Anleger für 1.000 Euro Zertifikate erworben, die dann zurückgezahlt wurden, und legt er diese 1.000 Euro dann wieder neu an, sind dies nach Lesart der Deka rechnerisch 2.000 Euro "Nettovertrieb".
Zweitens hat sich die Deka auch ausweislich der gestern präsentierten Zahlen im Zertifikate-Geschäft erfolgreich als Mittler zwischen andere Banken und die Sparkassen-Vertriebsstruktur geschoben. Das so vermittelte Volumen schlägt sie ebenfalls dem "Netto-Absatz" zu – eine sportliche Interpretation von Absatzerfolgen, denn in diesen Fällen agiert die Deka nur als Strukturierer und Vermittler.
So arbeitet die Deka zum Beispiel seit 2022 mit der Helaba, der Société Générale und Goldman Sachs als "Kooperationspartner" bei Zertifikaten zusammen. Diese fungieren dann formal auch als Emittenten von durch die Deka strukturierten Zertifikaten, welche offenbar über den Vertrieb der Sparkassen zu den Kunden gelangen. Es ist gewissermaßen eine Symbiose aus dem Fremdkapitalbedarf dieser Finanzinstitute und der Vertriebsstärke der Sparkassen-Organisation.
Laut der Zertifikate-Datenbank der Deka gibt bislang nur 146 derartiger "Fremdzertifikate" der drei Kooperationspartner (vor allem eher defensive Zinsprodukte), doch allein diese drei Partner stehen laut Geschäftsbericht für 4,0 Mrd. Euro der 12,7 Mrd. Euro Retail-Absatz. Kurzum: Die neue Zusammenarbeit mit Fremd-Emittenten ist bisher operativ ein Riesenerfolg gewesen. Allerdings bedeutet dies nun, dass im Zuge des Vertriebs-Pushs auch Inhaber-Schuldverschreibungen internationaler Großbanken wie eben Goldman Sachs und der Société Générale in die Depots der Kunden wandern. Banken somit, die mit ihrem Investmentbanking ganz anderen Risiken ausgesetzt sind als die Deka selbst – weshalb bei ihnen ein Ausfall der Zertifikate ein Risiko darstellt, das mehr als nur theoretischer Natur ist.
Ein Beispiel für ein über diese Kooperationen emittiertes Zertifikat ist die laut Deka-Datenbank aktuell in Zeichnung befindliche "Goldman Sachs 3,50% Festzins-Anleihe" mit Laufzeit bis April 2028. Sie zahlt Haltern 3,5% fix bis 2028, als Emittentin agiert die "Goldman Sachs Finance Corp International Ltd". Für Goldman Sachs ist das ein gutes Geschäft, denn Goldman-Sachs-Anleihen ähnlicher Laufzeit in Euro weisen aktuell eine Rendite von 3,9% auf. Für die Deka rechnet sich das Ganze ebenfalls, denn die Emittenten-Marge (sprich die Kosten für Strukturierung, Market-Making und Abwicklung der Anleihe sowie den erwarteten Gewinn für die Emittentin) addiert sich auf einmalig 2,65% des Verkaufspreises von 100 Euro. Anleger wiederum profitieren von signifikant höheren Zinsen als im klassischen Einlagengeschäft.
Allerdings täte der Deka unrecht, wer das Jahr 2022 allein auf den Vertriebserfolg bei Zertifikaten reduzierte. So berichtete die Deka auch über netto rund 368.000 neue Wertpapier-Sparpläne im Jahr 2022 (Gesamtbestand: 7,4 Millionen). Zur Einordnung: Beim Geno-Rivalen Union Investment betrug der Anstieg 2022 netto nur rund 100.000 Sparpläne, bei einer deutlich nachlassenden Vertriebsdynamik (2021 waren es netto noch rund eine halbe Million Sparpläne mehr gewesen). Indes sind auch diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da die Zahl an ruhenden Fonds-Sparplänen nicht bekannt ist. Was sich aber feststellen lässt: Im reinen Fonds-Nettoabsatz unter Privatkunden ohne Zertifikate lag die Union Investment im abgelaufenen Jahr mit 10,7 Mrd. Euro vor der Deka mit 8,1 Mrd. Euro – was auch mit einem vermutlich anderen Vertriebsschwerpunkt zusammenhängt.
Insgesamt stand der Retail-Absatz für 76% der gesamten Vertriebsleistung (von 27,4 Mrd. Euro, minus 23% zum Vorjahr). Viele andere Kennziffern verbesserten sich: Einem Plus von 11% bei den Erträgen (getragen vor allem vom 54% höheren, bei der Deka aber in aller Regel wenig bedeutsamen Zinsergebnis) stand zwar auch ein Plus von 7% bei den Kosten gegenüber. Zum Plus beim Gewinn trug dafür die Auflösung von 67 Mio. Euro an Rückstellungen bei, die dem sonstigen betrieblichen Ergebnis zugeschlagen werden konnten. Risikovorsorge musste weiter nur auf anämischem Niveau gebildet werden (41 Mio. Euro bei einem auf 27,1 Mrd. Euro – um 5% – gestiegenen Brutto-Kreditvolumen und einer auf 97,4 Mrd. Euro – um 10% – gestiegenen Bilanzsumme).
Das verwaltete Vermögen bezifferte die Deka Stand Ende 2022 auf 372 Mrd. Euro, ein Minus von 6%, das sie der schlechten Entwicklung an den Börsen zuschrieb.
Für das laufende Jahr gab sich die Deka verhalten optimistisch und stellte ein wirtschaftliches Ergebnis von "leicht über 500 Mio. Euro" in Aussicht. Dies darf als vermutlich eher konservative Prognose gelten, gemessen daran, dass sie in den ersten zwei Monaten schon 126 Mio. Euro wirtschaftliches Ergebnis und 6,6 Mrd. Euro Nettoabsatz über Retail-Anleger und Institutionelle hinweg eingefahren hat.
Quelle: Unternehmen
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