Deep Dive

Wird die Baufinanzierung jemals ihr altes Niveau erreichen? Zehn Thesen zur Lage

Es sagt sich so leicht: Der Baufi-Markt wird schon irgendwann wiederkommen. Oder: Dem schrumpfenden Neugeschäft stehen ja steigende Zinsspannen gegenüber. Mithin: Alles halb so schlimm. Doch ist dem wirklich so? Gleichen die sich weitenden Zinsspannen wirklich die fehlenden Abschlüsse aus? Legt das Geschäft mit der privaten Baufinanzierung wirklich nur eine Pause ein? Lautet das Basis-Szenario also immer noch: „Wird schon wieder!“??? Oder ist die Zeit der Durchhalteparolen nicht langsam vorbei???

Zur Ausgangslage: Nach Jahren des Baufi-Booms sitzen Banken und Sparkassen auf Wohnimmobilien-Krediten im Umfang von fast 1,3 Billionen Euro. Weil aber die Zinsen (und die Baukosten) drastisch gestiegen sind, die Preise aber trotzdem kaum sinken wollen, geht das Geschäft seit Monaten kontinuierlich zurück.

Die Folgen sind gewaltig. Psychologisch (in den Baufi-Abteilungen sitzen Mitarbeiter, die kaum noch was zu tun haben). Aber auch mathematisch (denn was nützen lukrative Neukredite, wenn im Bestand noch auf Jahre hinaus das schwach verzinste Altgeschäft dominiert?). Wer dieser Tage mit Marktteilnehmern spricht und die Dinge zu analysieren versucht, kommt jedenfalls zu dem Schluss kommen, dass die tatsächliche Lage womöglich noch düsterer ist als die gefühlte.

Unsere zehn Thesen zu den Perspektiven im Baufi-Markt:

1.) Der Einbruch im Neugeschäft ist historisch

Mit dem Ukraine-Krieg und allem, was folgte (Energiekrise, Inflation, Zinswende etc.pp.), kam es 2022 im Neugeschäft mit Immobilienkrediten für Privathaushalte zu einem historischen Einbruch:

  • Der jüngste verfügbare Monatswert für Januar 2023 liegt fast 50% unter dem des Vorjahresmonats (siehe Grafik)
  • Verglichen mit dem All-Time-High von 32,3 Mrd. Euro aus dem März 2022 betrug der Einbruch sogar fast 61%
  • In keinem der vergangenen 20 Jahre lag der Wert für Januar niedriger (am nächsten kam noch der Januar 2005, als 12,9 Mrd. Euro erreicht wurden); das letzte Mal, dass ein Monatswert niedriger lag, war im Februar 2010 (mit 11,9 Mrd. Euro)
  • Auch schon der Dezember-Wert (13,5 Mrd. Euro) war niedriger als in jedem anderen Dezember, den die Deutsche Bundesbank seit 2003 ausweist

Hier der Überblick für die vergangenen Monate:

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2.) Im Bestand spiegelt sich der Einbruch (noch!) nicht

Um die ökonomischen Folgen dieses historischen Einbruchs zu verstehen, muss zwischen der Entwicklung des Neugeschäfts und dem Bestand unterschieden werden. Letzterer lag im Q4 2022 bei kaum fassbaren 1.260 Mrd.Euro (womit übrigens das monatliche Neugeschäft zuletzt nur 1% des Bestands ausmachte, dazu weiter unten mehr). Damit stand die private Baufi für etwa 37% des gesamten Kreditbestands an Privat- und Unternehmenskrediten deutscher Banken.

Selbst im Q4 2022 wuchs der Bestand noch um 0,8% zum Vorquartal und um 5,3% zum Vorjahresquartal.

Hier der Überblick für 2012 bis 2022 (in Quartalen):

Die auf den ersten Blick kontraintuitive Entwicklung (sinkende Neugeschäft, steigender Bestand) hat zwei wesentliche Ursachen:

  • Zum einen haben viele Kreditnehmer aufgrund der hohen Inflation (2022: 7,9%) auf Sondertilgungen verzichtet. Mit der Inflation verliert die (in der Regel sehr niedrig verzinste) Schuldenlast an Wert, daher lohnt es sich, mit Tilgungen zu warten.
  • Zum anderen schleicht sich der Einbruch im Neugeschäft schon rein mathematisch eher langsam in den Bestand ein, der in den Boomjahren seit 2012 um mehr als 50% gestiegen war (Q1/2012: 806 Mrd. Euro; Q4/2022: 1.260 Mrd. Euro).

Es steht aber zu vermuten, dass der Trend im laufenden Q1 kippt und auch der Bestand zeitnah zu sinken beginnt. Das zinstragende Volumen in den Büchern der Bank wird dann anfangen zu sinken.

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3.) Kapazitäten werden abgebaut – aber langsamer als zu erwarten wäre

Die Lebenserfahrung lehrt: Wo es nichts (oder nur noch deutlich weniger) zu tun gibt, da sinkt der Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein Blick auf die großen deutschen Baufi-Vermittler Interhyp und Hypoport bestätigt dies:

  • Interhyp trennte sich Ende 2022 nach Finanz-Szene-Informationen von rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei 1.700 Beschäftigten in der Gruppe (siehe hier)
  • Bei Hypoport fielen, was man bereits im September kommunizierte, rund 10% der 2.600 Stellen weg (siehe hier), bis heute herrscht weitgehend Einstellungsstopp.

Beide Kürzungen sind insofern bemerkenswert, als dass noch bis in den Sommer hinein bei beiden Unternehmen händeringend Vertriebsprofis und bei Hypoport vor allem Franchise-Nehmer für die Tochter Dr. Klein gesucht wurden.

Wie aber sieht es bei den Banken aus? Same same, but different, könnte man sagen. Wie es aus dem Markt heißt, sitzen in Deutschlands Kreditinstituten derzeit viele auf die Baufi spezialisierte Mitarbeiter beschäftigungsarm herum. "Hier wird Däumchen gedreht und sich mehr mit der Raumtemperatur und offenen Fenstern beschäftigt als mit Kundengeschäft", berichtet ein Mitarbeiter einer deutschen Großbank. "Wir haben bereits Ende 2022 begonnen, den Vertriebsmitarbeitern in den Filialen vom Baufi-Geschäft andere Aufgaben zuzuweisen, etwa in der Anlageberatung", hört man aus einem anderen namhaften Haus. Auch die Einträge in der Unternehmen-Bewertungsplattform Kununu legen nahe, dass in vielen Banken die nackte Angst umgeht, welche Konsequenzen der Einbruch im Neugeschäft personell noch haben wird.

Tatsächlich bleibt die Frage, ob ein Stellenabbau um 10% oder ein Verlagern von Mitarbeitern in andere Abteilungen reicht, um die Kosten an ein Neugeschäft anzupassen, das sich halbiert hat. Banken wie Vermittlern könnten noch einige unangenehme Entscheidungen bevorstehen. Wie diese ausfallen, hängt von einer grundlegenden, mit sehr viel Unsicherheit versehenen Frage ab: Kommt das Geschäft überhaupt noch mal wieder – und wenn ja, wird es das alte Niveau erreichen? (siehe dazu weiter unten Punkt 9)

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4.) Eine kurzfristige Anpassung scheitert an strukturellen Faktoren

Ehrlicherweise wissen wir wenig über die Personallage in den Baufi-Abteilungen der Banken, denn weder wurde früher berichtet, wie viele Personen dort arbeiten, noch war zuletzt offiziell von Veränderungen zu hören. Über die Größenordnungen, um die es geht, könnten wir somit nur spekulieren, und das lassen wir lieber.

Was wir aber sehr wohl sagen können: Baufi-Abteilungen funktionieren anders als klassisches Investmentbanking, wo Banken ihre Kapazitäten in Krisen gerne schnell runterfahren, sie im Boom aber auch schnell wieder hochfahren. Zumal: Deutschlands Banken mussten in den vergangenen Jahren sowohl personell als auch bei den Sachkosten erheblich aufrüsten, um in der Baufinanzierung gegenüber den Vermittlern nicht an Boden zu verlieren und am Boom zu partizipieren. Die Gründe dafür waren teils struktureller Natur:

  • Das Wachstum der Plattformen (siehe auch unsere Analyse "Wie Hypoport und Interhyp die Baufinanzierung duopolisieren") machte Konditionen leichter vergleichbar und zwang die Banken dazu, in die eigene Baufi-Wettbewerbsfähigkeit auf der Zinsseite und im Vertrieb zu investieren. Ohne attraktive Konditionen wäre das Geschäft sonst automatisch hinter dem Markt zurückgeblieben.
  • Mit dem Anstieg der Immobilienpreise – die Bundesbank sieht seit Jahren insbesondere in Städten deutliche Überbewertungen – nahm auch die Sorge der Aufseher zu, dass sich Banken bei der Kreditvergabe verheben könnten. Entsprechend stieg der dokumentarische Aufwand deutlich; das gilt auch für bestehende Kredite. Auch Geldwäsche-Verdachtsfälle müssen heute weit intensiver geprüft werden.
  • Weil die Zeit zwischen Kreditanfrage und Kreditgewährung heutzutage ein entscheidender Wettbewerbsfaktor ist (weil beim Kauf wiederum oft entscheidend ist, wer von den Interessenten als erstes eine sichere Finanzierung bieten kann), mussten Banken umfangreiche IT-Investitionen tätigen, um ihre internen Prozesse zu beschleunigen.

Die Sorgen der Aufseher und der Bedarf an IT sinken nicht auf einmal, nur weil das Neugeschäft einbricht. So gesehen, stellt sich die Frage, ob die Banken ihre Belegschaften in der Baufi überhaupt so reduzieren können, wie sie (vermutlich) gerne würden.

All das könnte langfristig dazu führen, dass die "Plattformisierung" – hier hinkt Deutschland international hinterher – künftig sogar noch zunimmt. Manche Bank hat womöglich noch einmal kurzfristig mit einer Internalisierung des Geschäfts die ersten Einschläge ein wenig ausbessern können bilanziell (Finanz-Szene hörte aus dem Umfeld einer Berliner Bank, es habe zeitweilig ein "Plattform-Verbot" gegolten). Aber wer die Automatisierung des Geschäfts nicht dauerhaft pusht, droht langfristig an den Fixkosten kaputtzugehen. Baufinanzierung ist reines Eigengeschäft, und es kann sich rächen, eine zu starre, zu teure Infrastruktur vorzuhalten, die sich nicht flexibel an neue Marktgegebenheiten anpassen lässt.

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5.) Nein, die Banken verdienen sich trotz Zinswende nicht dumm und dämlich

Im Prinzip haben die deutschen Banken beste Voraussetzungen, um von der Zinswende zu profitieren: Sie mussten ihre Zinsen auf Einlagen nur um ein paar Basispunkte anheben (laut Bundesbank-Daten von im Tief minus 0,02% auf zuletzt 0,09%) – und konnten bei der Kreditvergabe zugleich immer höhere – gemessen am Tief mehr als verdreifachte – Zinsen durchsetzen. Lange Zeit betrug die Zinsspanne zwischen in der Baufi maximal 1,3 Prozentpunkte – aktuell sind es rund 3,5 Prozentpunkte.

Wer nun aber glaubt, die Banken würden sich dank der Zinsspanne dumm und dämlich verdienen, der sei (siehe oben) daran erinnert, dass das Neugeschäft im Januar nur läppische 1% des Bestands ausmachte. Will sagen: Die Banken schieben einen Berg von 1.260 Mrd. Euro an bestehenden Finanzierungen vor sich her – zu den alten, meist sehr viel niedrigeren Zinsen. Da hilft ein wenig Neugeschäft zu besseren Konditionen kaum weiter. Wollen die Banken tatsächlich von den neuen, deutlich gestiegenen Zinsen ökonomisch profitieren, brauchen sie möglichst viel Neugeschäft – auf jeden Fall deutlich mehr, als aktuell am Markt zu sehen ist.

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6.) Die Zinswende birgt in der Baufinanzierung sogar Gefahren

Maßgeblich für die Zinsgewinne der Banken ist das Delta zwischen Zinserträgen und Zinskosten. Die Zinskosten steigen für die meist einlagenfinanzierten hiesigen Banken nur langsam, siehe oben. Das ist gut. Maßgeblich für die Zinserträge ist mit Blick auf die Baufinanzierung hingegen der Bestand. Das ist schlecht. Weil kaum lukratives Neugeschäft ins Kreditbuch hineinkommt, wird der vereinnahmte Zins stark von den in den Boomjahren zu Niedrigzinsen ausgereichten Baufi-Darlehen geprägt.

Was das heißt, lässt sich an den Effektivzinsen auf Baukredite ablesen, die die Bundesbank ausweist. Ergebnis: Trotz der massiven Zinswende ab Herbst 2021 steigt die effektive Verzinsung der Baufi-Kreditbücher aus Sicht der Banken nur in Zeitlupe. Bei den langfristigen Baufinanzierungen mit mindestens fünf Jahren Laufzeit – wo mehr 80% des privaten Baufi-Volumens stecken – sank die effektive Verzinsung bis Sommer 2022 zunächst immer weiter. Und gestiegen ist sie seither nur um läppische 0,06 Prozentpunkte, auf zuletzt 1,76%.

Diese sehr langsame Entwicklung birgt für die Banken eine Gefahr. Denn damit sind zumindest seit dem Sommer 2022 die effektiven Einlagenzinsen auf der Passivseite der Bilanz sogar etwas stärker (!) gestiegen als die effektive Verzinsung des Baufi-Kreditbuchs auf der Aktivseite.

Noch fällt das kaum ins Gewicht, noch reicht die Differenz zwischen den 1,76%, die Banken auf ihr gesamtes, langfristiges Baufi-Kreditbuch verdienen, und den 0,09%, die sie auf die Einlagen ihrer Retail-Kunden zahlen müssen, aus, um auskömmlich zu wirtschaften.

Und: Noch kommen die Banken mit dem Knausern bei den Einlagenzinsen bei den Kunden durch. Früher oder später droht allerdings ein Wettrennen der Konditionen – möglicherweise zulasten der Zinssspanne. Die Kernfrage dabei: Was steigt schneller: die Einlagenzinsen, mit denen die Banken ihre Retail-Kunden bei der Stange halten müssen? Oder die Effektivzinsen des Baufi-Kreditbuchs?

Bleibt das Neugeschäft, das sich mit höheren Zinsen abschließen lässt, so mickrig wie derzeit, ist nicht auszuschließen, dass die durchschnittlichen Einlagenzinsen schneller steigen als die durchschnittlichen Kreditzinsen. Mit der Folge, dass die effektiven Zinsspannen der Banken trotz Zinswende sinken.

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7.) Besonders die Genossen sollten achtsam sein

Betrachtet man die Veränderung der Baufi-Volumina in der Boom-Dekade seit 2012, dann fällt auf: Den größten Zuwachs verzeichneten zwar die Großbanken, doch deren Dynamik ist eher der Statistik zuzuschreiben denn einem stark überdurchschnittlichen Wachstum. Hintergrund: Erst seit vier Jahren gehört die Postbank laut Buba-Statistik zu den Großbanken.

Somit erweisen sich vor allem die Genobanken als Volumentreiber. Ihr Kreditbuch in der privaten Baufinanzierung wuchs seit 2012 um 78% – 22 Prozentpunkte mehr als der Gesamtmarkt. Entsprechend stieg auch der Marktanteil der Genossen von 22% auf 25% (die Spitzenposition halten allerdings weiter die Sparkassen mit 31%). Auch die Abhängigkeit vom Baufi-Geschäft ist im Lager der Genossen vergleichsweise hoch: Bei ihnen entfallen kumuliert 43% der Kundenkredite auf die private Baufinanzierung – vergleichen mit 39% bei den Sparkassen und ebenfalls 39% im Gesamtmarkt.

in Mrd. Euro Alle Großbanken Sparkassen Geno-Banken Bausparkassen Restliche Banken
2012 809 89 246 180 101 193
2022 1.260 218 390 320 159 173
Zuwachs 56% 145% 59% 78% 57% -10%
Markt-Anteil 2012 - 11% 30% 22% 12% 24%
Markt-Anteil 2022 - 17% 31% 25% 13% 14%

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8.) Das Baufi-Volumen hängt vor allem von der Preisentwicklung ab

Zwar sind die Volumina in der privaten Baufinanzierung sowohl beim Neugeschäft als auch den Beständen in den vergangenen zehn Jahren um rund 50% gestiegen. Dies war aber vor allem eine Funktion steigender Immobilienpreise. Trotz Baubooms stagniert die Transaktionsanzahl. Die Anzahl der Baufinanzierungen inklusive Prolongationen im Neugeschäft sank laut Schätzungen von Industrieexperten (detaillierte Zahlen werden nicht mehr erhoben) von in der Spitze 1,4 Mio. Stück im Jahr 2015 auf zuletzt unter 1 Mio. Stück.

Das ist zum einen ein Indiz dafür, dass der Anstieg der Immobilienpreise in absoluten Zahlen schon vor dem großen Einbruch 2022 immer mehr Menschen vom Immobilienerwerb abhielt – sei es aus taktischen Gründen (vielleicht wird's ja demnächst billiger ...), sei es aus Gründen der Erschwinglichkeit. Zum anderen ist es ein Hinweis darauf, dass es für die Banken weniger darum geht, ob wieder mehr Menschen einen Kredit brauchen, sondern ob der Immobilienmarkt stabil bleibt oder sogar wieder anzieht. Natürlich ist es denkbar, dass sinkende Preise durch einen Ansturm neuer Kunden überkompensiert werden, doch ist das auch wahrscheinlich?

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9.) Eine Erholung des Neugeschäfts in den nächsten zwei Jahren ist unwahrscheinlich

Sagt wer? Jemand, der es wissen sollte: Ronald Slabke, CEO des zweitgrößten Baufi-Plattform-Betreibers Hypoport. "Vier bis acht Quartale" brauche sein Unternehmen, um im Plan-Szenario wieder an das Transaktions-Volumen des Jahres 2021 heranzukommen – und das auch nur, weil das Plattformgeschäft rascher wachse als der Gesamtmarkt.

Letzterer dürfte noch länger brauchen. Wenn er denn überhaupt je wieder das alte Neugeschäfts-Niveau erreicht. Schließlich gibt es gewichtige Indizien, dass die Ära der Null- und Niedrigstzinsen zwischen 2012 und 2021 eine historische Ausnahmesituation gewesen ist, die sich so nicht wiederholen wird. Die Inflation liegt strukturell höher, die Zinsen werden entsprechend weiter oben bleiben, und eine Entspannung der geopolitischen Lage in Europa ist nicht in Sicht.

Klar ist: Es braucht irgendeinen Impuls, um das Neugeschäft erstmal wieder in Gang zu bringen und die aufgrund der höheren Zinsen dramatisch gesunkenen Erschwinglichkeit von Baufi-Krediten aus Sicht potenzieller Kreditnehmer zu erhöhen. Entweder wieder sinkende Zinsen – was unwahrscheinlich ist, siehe oben. Oder aber sinkende Preise – und diese sind neuerdings, nach einem kurzen Rückgang ab Sommer 2022, nicht mehr zu sehen: In sämtlichen (!) Wohnformen (Eigentumswohnung, Neubauhäuser, Bestandshäusern) verzeichnete der auf tatsächlichen Transaktionen basierende "Europace"-Preisindex im Februar wieder einen Anstieg zum Vormonat.

Gut möglich also, dass die Phase der Preisrückgänge bereits wieder beendet ist. Dann drohen sich aber potenzielle Käufer und Verkäufer weiter unbeweglich gegenüberzustehen: Die Verkäufer, die nicht einsehen wollen, dass ihre Preisvorstellungen aus den Boomzeiten nicht durchsetzbar sind oder schlicht unter der massiven Inflation im Neubau leiden und gar nicht billiger werden können. Und die Käufer, denen die finanzielle Feuerkraft fehlt, bei diesem Zinsniveau überhaupt den benötigten Wohnraum finanzieren zu können.

Die bankinternen Gleichungen völlig verändert hat auch die Inflation: Die Banken unterstellen inzwischen eine deutlich höhere Dynamik der Lebenshaltungskosten der Darlehensnehmer bei der Kreditprüfung. Das lässt viele Finanzierungsanfragen scheitern.

Wie man es auch dreht: Vielleicht ist die Lücke zwischen benötigtem und vorhandenem Wohnraum mit 700.000 Objekten (ein 20-Jahres-Hoch) zu groß, als dass die Zinslage zu einem ausreichenden Rückgang der Nachfrage und damit der Preise führt. Zudem brechen Genehmigungen wie Neubauten zuletzt ebenfalls ein. Somit scheint denkbar, dass sich das Neugeschäft bald stabilisiert, dass es also Boden findet – aber ein Anstieg dürfte in weiter Ferne liegen.

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10.) Ohne Baufi-Revival wird das gesamte Retail-Geschäft lahmen

Nur einmal angenommen (und so weit hergeholt scheint uns das nicht), der Krieg in der Ukraine zieht sich über Jahre hin, die politischen Unsicherheiten bleiben hoch, die Energiepreise auch, die Inflation geht nur langsam zurück – dann könnte das Neugeschäft in der Baufinanzierung auch länger als zwei Jahre mau bleiben. Nun könnte man sagen: Ist ja nur ein Geschäftsfeld. Aber so einfach ist es nicht. Vieles im Geschäft mit Privatkunden hängt implizit mit der Baufi zusammen. Und so könnte es zum Beispiel sein, dass ein dauerhaft niedriges Neugeschäft in der Baufi dazu führt, dass sich Deutschlands Retail-Kunden auf höhere Konto-Gebühren einstellen müssen.

Klingt konstruiert? Ist es aber nicht. Simplifiziert gesagt: Die Gebühren für viele Konten von Privatkunden sind niedrig, weil die Banken davon ausgehen, dass ein Teil ihrer Kunden früher oder später auch mal einen Immobilienkredit braucht – an dem sie dann wirklich Geld verdienen. Fällt diese Monetarisierung über die Gesamtdauer der Kundenbeziehung im großen Stil weg, könnte sich auch die Kalkulation für die Basisprodukte, die überhaupt erst eine Kundenbeziehung etablieren, verändern.

Zumindest kann sich jeder ausmalen, dass eine Bank nicht davon lebt, dass ein Kunde über 30 Jahre hinweg 60 Euro pro Jahr für sein Girokonto bezahlt. Sondern eben ein gewisser Teil auch eine Immobilienfinanzierung macht, bei der dann ein Vielfaches an Zinsgewinnen anfällt. Die Baufinanzierung ist der "Jackpot" der Kundenbeziehung, sowohl als Gewinntreiber als auch zur Kundenbindung. Das Schlagwort lautet "Customer Lifetime Value", der in den internen Steuerungsgrößen auch von einem möglichen "Immobilien-Deal" getrieben wird. Weniger Immobilienfinanzierungen bedeutet: Niedrigerer "Customer Lifetime Value".

Zugegeben, diese These ist ein "Long shot". Gespräche mit Bankern zeigen aber immer wieder, wie wichtig die Baufinanzierung für das Geschäft, die Ertragserwartungen und damit auch für die Preiskalkulation von Kreditinstituten ist. Und so außergewöhnlich, wie die Dekade der Niedrigstzinsen war, so außergewöhnlich war ihr abruptes Ende 2022, samt historischen Einbruchs des Neugeschäfts. Da scheint es ein wenig naiv anzunehmen, alles werde sich nach ein, zwei Jahren schon wieder zurechtruckeln.

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