von Bernd Neubacher, 26. Januar 2023
Gut drei Jahre liegt die milliardenschwere NordLB-Rettung erst zurück – trotzdem fiel die Landesbank zuletzt bereits wieder mit ziemlich ambitionierten Wachstumsplänen auf (siehe etwa unseren Artikel -> „Neugeschäft? Immer gut! Jörg Frischholz und die neue NordLB“). Laut Recherchen von Finanz-Szene sorgt genau diese strategische Ausrichtung nun für schweren Streit im Kreis der Anteilseigner.
Vorläufiger Höhepunkt des Disputs: Vorletzte Woche kam unseren Informationen zufolge die bundesweite Sicherungseinrichtung der S-Finanzgruppe zu einer Sondersitzung zusammen, um mehr über den Kurs (oder genau: über die Risiken) der NordLB zu erfahren. Das Ergebnis: Die Sicherungseinrichtung will mit der Landesregierung in Hannover in Kontakt treten und dort die Strategie der NordLB aufs Tapet bringen.
Worum geht es? Im Kern um die Frage, wie stark die mit hohem Aufwand stabilisierte Landesbank überhaupt noch wachsen darf und soll. Was das öffentlich-rechtliche Lager auf die Palme bringt: Seit Jörg Frischholz Anfang 2022 das Zepter übernommen hat, treibt die NordLB ihr Geschäft auf breiter Front voran. Was sich per September bereits deutlich in den Zahlen niederschlug (siehe auch unsere Berichterstattung hier): Auf Neunmonatssicht weitete die Landesbank ihre Kreditvergabe um nicht weniger als 80% aus. „Wir sind zurück am Markt“, frohlockte Frischholz. „Den Ansatz, in ausgewählten Geschäftsbereichen weiter profitabel zu wachsen, werden wir daher konsequent weiterverfolgen.“
Rückblende: Als die Sparkassen 2019 die Rettung der mit Schiffskrediten in schwere Schieflage geratenen Landesbank mitfinanzierten, geschah dies auch auf Basis der Einschätzung, dass die 3,6 Mrd. Euro schwere Rekapitalisierung immer noch günstiger sei als eine Abwicklung durch das Single Resolution Board (SRB). Allerdings gingen im öffentlich-rechtlichen Sektor manche Akteure davon aus, dass die kurzfristige Stabilisierung der NordLB einhergehen würde mit einem langfristigen Downsizing – bis hin zu einer geordneten Abwicklung. Angeblich war dieser Masterplan sogar Bedingung für die Finanzspritzen. Und zumindest so viel ist verbürgt: Der für die Bank entworfene Restrukturierungsplan sah bis 2024 einen drastischen Sparkurs sowie den Abbau von fast der Hälfte der Arbeitsplätze vor.
Allerdings hieß es schon damals, die NordLB werde im Firmenkundengeschäft ein „starker“ und „verlässlicher“ Partner für den Mittelstand bleiben und sowohl Großkunden als auch KMUs „weiterhin ihr gesamtes Leistungsangebot zur Verfügung stellen“. Und auch bei Infrastruktur, im Kapitalmarktgeschäft für institutionelle Kunden und bei Erneuerbaren Energien wollte das Institut präsent bleiben.
Als die EU-Kommission Ende 2019 die Rekapitalisierung durchwinkte, erklärte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager bemerkenswert ambivalent: „Das Vorhaben Deutschlands zielt darauf ab, dass die NordLB als stabile und rentable staatliche Bank fortbestehen kann, lässt aber die Möglichkeit einer künftigen Konsolidierung des gesamten deutschen Landesbankensektors offen.“
Sprich: Die damaligen Vereinbarungen wurden durchaus unterschiedlich interpretiert.
Nun müssen die Sparkassen feststellen, dass von einer Konsolidierung nicht viel zu sehen ist, schon gar nicht in dem Sinne, dass die NordLB einen leisen Abgang aus dem Markt einläuten würde. Eher scheine es um eine Revitalisierung zu gehen, heißt es. So werde die Konsolidierung im Sektor zurückgedreht. Was aus dem Aktionärskreis derzeit an strategischen Überlegungen aus der Landesbank-Zentrale in Hannover zu vernehmen ist, lässt manchen Beteiligten erzittern. So soll angeblich ein Vorstoß ins US-Immobiliengeschäft zur Rede stehen – was ungute Erinnerungen an manches Desaster deutscher Landesbanken im Subprime-Sektor in der Finanzkrise hervorruft. Derzeit entfallen auf Immobilien 15% des NordLB-Exposures, auf Nordamerika gerade einmal 5%.
Im April 2019 hatte Thomas Bürkle, Vorgänger von Frischholz, für die NordLB als mittelfristige Zielgröße eine Bilanzsumme von rund 95 Mrd. Euro genannt. Tatsächlich aber weitete die Landesbank ihre Bilanz von Januar bis September um rund 5% auf etwa 120 Mrd. Euro aus. Das waren nur noch 17% weniger als der Wert vor Beginn des (zwischenzeitlichen) Schrumpfkurses. Frischholz sei halt ein Vertriebsmann, und gar kein schlechter, heißt es dazu lakonisch im Markt.
Ein Sprecher der NordLB weist auf Anfrage darauf hin, dass die Bank ihr Bilanzsummen-Ziel zwischenzeitlich auf rund 110 Mrd. Euro heraufgesetzt habe, um dem durchgeleiteten KfW-Geschäft gerecht zu werden. Auch gibt er zu bedenken, die Strategie sehe eine vermehrte Ausplatzierung von Forderungen etwa an Asset Manager vor. Das Wachstum sei damit nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zur Strategie. Angebliche Pläne im US-Immobilienmarkt will die Bank nicht konkret erläutern. Man schaue sich Opportunitäten an und bespreche sie mit den Trägern, heißt es.
Dass die Ambitionen der NordLB bei den Sparkassen in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen nicht gut ankommen – geschenkt, schließlich stehen die dort beheimateten Landesbanken in direkter Konkurrenz zum Hannoverschen Institut. Auch im übrigen Verbundgebiet wächst allerdings die Aufmerksamkeit. Denn falls die NordLB nochmals leckschlagen sollte, würde dies auch die Sparkassen frontal treffen. Seit Rettung des Instituts fungieren alle elf regionalen Sparkassenverbände, die über Stützungsfonds verfügen, als Treugeber für die sogenannte „Fides Gamma“ – eine Untergesellschaft des deutschen Sparkassenverbands DSGV, welche 12,73% an der NordLB hält. Auch vor diesem Hintergrund lässt der jüngste Vorstoß von Liane Buchholz aufhorchen. Die Präsidentin des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe hatte im Gespräch mit dem „Handelsblatt“ angeregt, eine Bad Bank für Landesbanken zu gründen, die dem Sektor kostspielige Rekapitalisierungen wie im Fall der NordLB künftig ersparen soll.
Derweil zeigt sich die NordLB seit Monaten auch jenseits der Geschäftsausweitung auffällig tatfreudig, wie man in der S-Finanzgruppe findet. Bereits Ende 2021 hatte die Bank eine fünfjährige Zusammenarbeit mit Tata Consultancy Services vereinbart. Der IT-Spezialist soll demnach einen Großteil der Anwendungen in den Geschäftsbereichen Financial Markets, Wholesale und Retail betreiben und dabei auch „neue Features und Funktionalitäten“ entwickeln, „um die Transformationsziele der NordLB zu unterstützen“, wie es hieß. Mit Blick auf das IT-Service-Management berichtete unterdessen die „Computerwoche“ zuletzt von einer alle Geschäftsbereiche überspannenden “Kunden Plaza”.
Parallel führen die Hannoveraner momentan ein cloud- und echtzeitbasiertes Liquiditätsmanagement ein. Der IT-Chef lässt sich auf der NordLB-Website zitieren: „Die Bank implementiert in den nächsten Jahren ein in dieser Dimension noch nicht da gewesenes Transformationsprogramm. Ein wesentlicher Teil davon betrifft die Neu- und Weiterentwicklung der IT-Landschaft.“ Dem Vernehmen unterteilt sich das Mammut-Vorhaben in drei Phasen, die insgesamt 800 Mio. Euro kosten könnten. Ein NordLB-Sprecher bestätigt die Zahl nicht. Das IT-Programm sei ein Kernelement der Transformation, die von Beginn an transparent gewesen sei, sagt er. Eine zeitgemäße IT sei notwendig, um die Effizienz zu erhöhen. In der Summe koste dies einen dreistelligen Millionenbetrag.
Gut möglich, dass die europäische Bankenaufsicht den eingeschlagenen Kurs unterstützt. Operationelle Effizienz und Residenz schreibt man bei der EZB bekanntlich groß – und darüber hinaus geht es ihr, anders als der EU-Bankenabwicklungs-Behörde SRB, vor allem darum, dass eine Bank ein tragfähiges Geschäftsmodell und ihre Risiken im Griff hat. Dies wiederum könnte neben einem gescheiten Apparat schon eine gewisse Größe erfordern. Dazu passt, dass zu hören ist, der im November ins Amt gekommene Finanzminister und NordLB-Aufsichtsratschef Gerald Heere (Grüne) habe sich bei der EZB-Bankenaufsicht beschwert, die Sparkassen würden in Sachen NordLB nicht so recht mitziehen. Fest steht: Seit die Grünen das Ministerium führen, wird zumindest die Geschäftsausweitung im Bereich der Erneuerbaren Energien sehr goutiert.
Auf die Frage, wie das Finanzministerium Niedersachsens den Expansionskurs der NordLB beurteile und wo es dessen Grenzen sehe, teilt ein Sprecher Finanz-Szene mit:
„Mit den jüngsten Geschäftszahlen hat die NordLB gezeigt, dass sie auf einem guten Kurs ist… Die Kapitalausstattung der NordLB ist weiterhin auf einem hohen Niveau. Und das positive Konzernergebnis ist einem profitablen Neugeschäft zu verdanken. Damit die NordLB ihren Weg zu einer nachhaltig ertragreichen Bank fortsetzen kann, halten wir eine dynamische Neugeschäftsentwicklung und Wachstum in ausgewählten Geschäftsbereichen für notwendig. Die große Mehrheit der Träger steht auch hinter diesem Kurs, der sich im Rahmen des ausgehandelten Stützungsvertrags bewegt. Die Landesregierung befürwortet insbesondere die Strategie der Bank, ihren risikoreduzierten Wachstumskurs mit einem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit auszurichten.“
Zetteln die Sparkassen da gerade einen Streit an, der für sie nicht zu gewinnen ist? Letzten Endes wird entscheidend sein, was seinerzeit im Stützungsvertrag für die NordLB konkret vereinbart wurde. Genau hierüber indes schweigen sich alle Beteiligten aus. Hat man im Sparkassen-Lager in das Dokument womöglich Regelungen zu einem Marktaustritt hineinlesen wollen, die dort explizit gar nicht drinstehen?
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