Gebloggt

„Forced fire sale“: Lässt Vivid Money seine Kunden auf Verlusten sitzen?

Die Kundin der Berliner Neobank Vivid Money wirkte regelrecht entrüstet: „Dear Vivid Money. I’ve been the biggest fan for quiet some time, but whats happening right now is outrageous and nobody is talking about it. […] I cannot believe that a company takes such a move that only harms the customer without giving them any options to remediate.“

Das Spezielle an dem Beschwerdeschreiben, mal abgesehen davon, dass es in englischer Sprache verfasst war: Es kam nicht von irgendeiner Kundin. Sondern von Jessica Holzbach, im richtigen Leben eine prominente Fintech-Gründerin (Penta, Pile) – darüber hinaus aber, wie man jetzt weiß, auch eine engagierte Fintech-Nutzerin, zumindest des Angebots von Vivid Money.

Nun mag man es für eine Posse halten, wenn eine Berliner Fintech-Gründerin öffentlichkeitswirksam (Holzbach platzierte die Beschwerde via „Linkedin“) über das Geschäftsgebaren eines anderen Fintechs herzieht. Allerdings: Die Causa „Vivid vs. Holzbach“ hat durchaus eine grundsätzliche Relevanz. Denn, erstens: Holzbach war mitnichten die einzige betroffene Kundin. Ähnliche Beschwerden machten schon vorher zum Beispiel in Foren und bei Twitter die Runde.

Und zweitens: Schon in den letzten Monaten zeigten sich Fälle, bei denen man den Eindruck hatte, am Ende seien es oftmals die Kunden, die die komplexen Strukturen der Fintech-Branche ausbaden müssen. Man denke an die deutschen Kunden des Berliner Fintechs Nuri, die eher unvermittelt von der Pleite des US-Krypto-Fintechs Celsius erwischt wurden (siehe –> Nuri und das Krypto-Fiasko: Was ist passiert, was sind die Lehren?). Oder, anderer Fall: Die Berliner KMU-Neobank Penta, die im September für viel Geld an die französische Konkurrenz Qonto verkauft wurde – mit der Folge, dass die Penta-Kunden ihre Konten jetzt aufgeben oder zu ungleich höheren Kosten auf die Qonto-Plattform migrieren müssen (siehe –> Der „Fall Penta“ als Lehrstück: Lassen sich 50.000 Kunden so einfach verfrachten?).

Auch im Fall „Holzbach vs. Vivid“ geht es nun wieder um eine komplexe Dreiecksbeziehung zwischen dem eigentlichen Fintech der Kundin (also Vivid Money), der Kundin (also Holzbach) selber und einem irgendwie involvierten weiteren Finanzdienstleister. Die Details:

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1.) Um was geht es eigentlich?

Nach dem Erwerb einer eigenen Investment-Lizenz (siehe -> Der stille Pivot von Vivid) trennte sich Vivid Money von seinem bisherigen „Investment as a Service“-Partner CM Equity. Die Kunden wurden Ende Februar per Mail in Kenntnis gesetzt, dass ihre Verträge für „Fractional Shares“, „Fractional Coins“ und „Fractional Metals“ aufgekündigt worden seien („fractional“ heißt, dass der Kunde lediglich einen Bruchteil eines Wertpapiers im Portfolio hat, und zwar in Form eines Derivats).

Die zentrale Gegenpartei der Vivid-Kunden war dabei kein Handelsplatz, sondern CM Equity. Auf der Website von Vivid heißt es dazu:

„By purchasing fractional shares, fractional coins or fractional precious metals you enter into a bilateral agreement with CM-Equity AG (CM-E). CM-E is the sole counterparty for all claims arising from the fractional shares, coins or precious metals. The trading of the fractional shares, coins or precious metals doesn’t take place on the exchange but via CM-E as counterparty, Over-the-Counter (OTC).“

Laut dem Kundenanschreiben von Ende Februar und weiteren Mailings gaben Vivid Money und CM Equity den Anlegern folgende Optionen:

  1. Sie konnten ihre Bruchstück-Investments zum aktuellen Wert zu verkaufen.
  2. Sie konnten die Frist abwarten, bis CM Equity das Produkt einstellt, die gehaltenen Positionen würden dann zum jeweiligen Kurs des Stichtags liquidiert.
  3. Für die Fractional Shares“ und die „Fractional Coins“ gab es das Angebot, in ein Folgeprodukt zu „migrieren“. Die Infrastruktur dafür kommt von Vivids neuem Dienstleister Upvest, die Verträge schließen die Kunden künftig allerdings direkt mit Vivid – genauer mit deren holländischer Gesellschaft Vivid Money B.V, über die sich das Fintech schon die Lizenz organisiert hatte. Für die „Fractional Metals“ unterbreitete Vivid eine solche Offerte nicht, dieses Angebot wird gar nicht weitergeführt.

Die Fristen, bis zu denen sich Anleger entscheiden mussten, waren unterschiedlich – für die Coins lief sie nur bis Ende März, für die Metalle bis Ende Mai und für die Aktien bis Ende Juni.

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2.) Was ist das Problem?

Die Portfolios etlicher Anleger sollen sich zuletzt im Minus befunden haben; in Foren ist von Verlusten zwischen 40% und 60% zu lesen. Viele Kunden sehen sich nun durch Vivid Money und CM Equity genötigt, die Verluste zu realisieren. Und zwar selbst im Falle der angebotenen „Migration“ in die neuen Produkte. Denn auch in diesem Szenario werden die Investments der Kunden zunächst einmal zum aktuellen Wert liquidiert, bevor das Geld zum gleichen Kurs wieder in analoge Produkte gesteckt wird.

Die Anleger kritisieren nun, dass …

  • die von Vivid gesetzten Fristen bis zur Zwangsliquidation viel zu kurz gewesen seien,
  • ihnen trotz des offensichtlichen Kursverfalls keine Alternative angeboten worden sei, um die Investments länger bei CM Equity halten zu können,
  • die Kommunikation seitens Vivid und CM Equity äußerst intransparent gewesen sei,
  • eine Migration ebenfalls zunächst einen Verkauf der Investments beinhaltet, den Kunden dann aber die Entscheidung genommen wird, ob sie das Geld überhaupt wieder bei Vivid anlegen wollen.

Jessica Holzbach tobte via Linkedin zunächst wie folgt:

„While I am an educated user and aware that fractional shares are not your own and therefore not able to be transferred – there was no transparent communication for end customers. This is harming the trust into an industry and we should not only speak about it, but I like to see solutions.“

Später ruderte die prominente Vivid-Kundin zurück und bedankte sich, weil es vonseiten Vivids nun eine Lösung gäbe, wobei es sich offenbar um die Migration handelte (also das, was andere Kunden ebenfalls als Scheinlösung bemängeln, siehe oben). Vivid erklärte auf Anfrage, dass Angelegenheiten einzelner Kunden nicht kommentiert würden.

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3.) Wie geht es nun weiter?

Alles deutet darauf hin, dass Vivid Money die Affäre aussitzen will. Juristischer Ärger droht dem Fintech vermutlich keiner. Denn der Vertragspartner der Vivid-Kunden war CM Equity – das Berliner Fintech agierte lediglich als Frontend, über das die Kunden die Investments tätigen konnten.

Wie viele Kunden betroffen sind, ist unklar. Vivid Money äußert sich dazu ebensowenig wie zu der Frage, um welche Anlagesumme es insgesamt geht. Realistisch erscheint ein hoher siebenstelliger, vielleicht auch niedriger achtstelliger Betrag. Vivid betont, dass a) die gesetzten Fristen bis zur Liquidation „den Marktusancen“ entsprochen hätten und b) ein „überwiegend positives Feedback“ zu den Änderungen und dem Migrationsangebot erhalten zu haben – letzteres kann man glauben oder auch nicht. Wie viele Kunden bislang auf das Angebot eingegangen sind, ihre Vermögenswerte zu „migrieren“? Auch dazu gibt Vivid keinerlei Auskunft.

Von einer Ausgleichszahlung für die entstandenen Verluste ist bislang keine Rede. Begründung: CM Equity war ja der Vertragspartner – und zumindest die Inhaber von „Fractional Shares“ und der „Fractional Coins“ hätten ja das Angebot erhalten, ihr Geld nach der Liquidierung in analoge Produkte anzulegen. Vivid und CM Equity verzichten im Falle einer Migration lediglich auf anfallenden Gebühren, zudem zahlt Vivid einen Ausgleich für die Steuern, welche bei Anlegern anfallen können, weil die Investments ja durch den Umzug einmal liquidiert werden müssen.

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