von Heinz-Roger Dohms und Christian Kirchner, 3. April 2023
Da ist die NordLB, deren Vorstand die Anschaffung einer neuen Banksteuerung zu einer fast schicksalhaften Frage hochstilisiert. Da ist die Helaba, bei der (Stichwort: „Modernisierung“ der IT-Systeme) die Verwaltungskosten inzwischen um fast 500 Mio. Euro über dem Niveau von 2015 liegen. Da sind die Volksbanken, die in puncto „IT-Umlage“ auf einen regelrechten Showdown mit der Atruvia zurasen. Da ist die Apobank, die (wie am Freitag aufgezeigt) immer noch massivst unter ihrer verpatzten Core-Banking-Migration von 2020 leidet …
Die Lehren? Fast schon banal: IT ist wichtig. IT ist teuer. IT ist komplex. Und so verlockend es auch sein mag, den nervigen IT-Alltag mittels großer IT-Migration endlich hinter sich zu lassen – im Zweifel geht’s schief. Siehe Haspa/SAP. Siehe Helaba/SAP. Siehe Apobank/Avaloq. Und: Siehe den Versuch von sieben Sparda-Banken, gemeinsam mit dem französischen IT-Konzern Sopra Steria den deutschen Core-Banking-Markt zu revolutionieren.
Dass das Gemeinschafts-Projekt von Spardas und Sopra gescheitert ist, hatten wir in unserer Berichterstattung aus dem November (siehe hier) und von Anfang März (siehe hier) ja schon vorweggenommen. Kurz vor dem Wochenende ist das Aus nun auch offiziell besiegelt worden. Wer davon noch nichts mitbekommen hat, den verweisen wir auf unsere frei zugängliche Exklusiv-News von Freitagvormittag, siehe -> Jetzt offiziell: Sopra-Projekt gescheitert – Sparda-Banken wechseln zur Atruvia. Und den weiterführenden Fragen – widmen wir uns hier:
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Wie Finanz-Szene am Freitagvormittag von Insidern erfuhr, beenden die Spardas Hessen, West, Augsburg, Nürnberg, Ostbayern, München und Baden-Württemberg ihr Core-Banking-Projekt mit dem französischen Technologiekonzern Sopra Steria – und wechseln stattdessen zur genossenschaftlichen Atruvia. Im Lauf des Vormittags wurden zunächst die Mitarbeiter der Sparda-Banken informiert, gegen Mittag wurde eine knappe offizielle Mitteilung veröffentlicht.
In der offiziellen Mitteilung heißt es, den Beteiligten sei „klar geworden, dass sich [im Vergleich zum Beginn des Projekts 2019] die Vorstellungen der Sopra Steria Gruppe und der sieben beteiligten Sparda-Banken hinsichtlich der Ausrichtung der Banking-Plattform, des erwarteten Zeitrahmens für das Projekt und der erforderlichen Investitionen heute deutlich unterscheiden“. Auch die externen Rahmenbedingungen hätten sich „seit Abschluss der Kooperations-Vereinbarung im Jahr 2019 erheblich verändert„.
Der Umzug zur genossenschaftlichen Atruvia wird bis 2026 angepeilt. Alles in allem hätten die sieben betroffenen Sparda-Banken dann rund sieben Jahre gegenüber jenen vier Sparda-Banken (Berlin, Hannover, Südwest und Hamburg) verloren, die bereits 2018 bzw. 2019 zur einstigen Fiducia-GAD gewechselt sind. Wie Finanz-Szene von Insidern erfuhr, erfolgt die Migration schrittweise. Als Erstes sollen demnach die vergleichsweise kleinen Sparda-Banken aus Ostbayern und Augsburg an das Kernbanken-System der Atruvia angedockt werden. Laut den aktuellen Planungen folgen Baden-Württemberg, Hessen, München sowie Nürnberg, bevor als Letztes dann die Sparda West (deren Fall als besonders komplex beschrieben wird) an der Reihe wäre.
Während jetzt die Vorbereitungen für den Wechsel zur Atruvia anlaufen, stützen sich die sieben Sparda-Banken parallel bis 2026 auf den IT-Support durch die Sopra Financial Technology (SFT) – also des 2019 gegründeten Joint-Ventures, an dem Sopra Steria 51% hält und die Sparda-Banken zusammen 49%. Die Arbeiten an dem geplanten neuen Core-Banking-System werden allerdings eingestellt. Stattdessen sollen die derzeit genutzten Systeme (die noch auf der IT-Plattform der alten „Sparda Datenverarbeitung eG“ beruhen) drei weitere Jahre instandgehalten werden.
„Sowohl die Betriebsstabilität der SFT als auch die IT-technische Versorgung der betroffenen Sparda-Banken bleiben bis zum Wechsel der Sparda-Banken zur Atruvia gesichert„, heißt es in der offiziellen Mitteilung. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. So wurde am Freitag im Umfeld der Sparda-Gruppe bereits die Sorge geäußert, dass sich lebenswichtige Mitarbeiter die Sopra Financial Technology alsbald nach neuen Arbeitgebern umsehen könnten. Was man dazu ebenfalls wissen muss: Sopra Financial Technology erwirtschaftete 2022 laut Sopra-Steria-Geschäftsbericht rund 16 Mio. Euro Verlust, hat allerdings auch in der Vergangenheit Leistungen über 41 Mio. Euro erbracht, die man noch gar nicht in Rechnung gestellt hat.
Zu einem Problem könnte auch werden, dass das derzeitige IT-System ja eigentlich nur den Übergang bis zum Launch der neuen Kern-IT sichern sollte. Ist die Plattform noch auf der Höhe der Zeit? Welche Entwicklungen (und Investitionen) wird es in den nächsten Jahren noch brauchen, um die Betriebssicherheit aufrechtzuerhalten – beispielsweise auch in regulatorischer Hinsicht?
Schon der Wechsel der ersten vier Sparda-Banken zur Atruvia in den Jahren 2018 und 2019 war keine Liebesheirat – sondern eher eine Vernunftehe. Umso mehr gilt dies nun für die Migration der restlichen Sparda-Banken. Angeblich hätten zuletzt einige der sieben Institute auch lieber mit Sopra Steria weitergemacht, als sich dem zentralen IT-Dienstleister der Genobanken anzuschließen, ist zu hören. Das Gemeinschaftsprojekt mit noch weniger Banken voranzutreiben, „hätte aber keinen Sinn gemacht, weil die kritische Masse dann endgültig gefehlt hätte“, sagt ein Kenner. So folgt der Gang nach Canossa zur Atruvia eher nolens volens.
Bei der Atruvia wiederum freut man sich zwar über die sieben Neuzugänge – gibt sich aber zugleich ein Stück weit reserviert, wie zu hören ist. Hintergrund: Der IT-Spezialist der Genossen hat momentan genügend eigene Probleme. Er muss (siehe oben) seine Finanzierung für die kommenden Jahre sicherstellen. Zudem stehen auch in diesem Jahr wieder Dutzende von Fusionen innerhalb des Genosektors an, ein Trend, an dem sich in den kommenden Jahren wenig ändern dürfte. Diese Zusammenschlüsse auf der IT-Seite abzusichern, ist aufwendig – entsprechend werden die Kapazitäten der Atruvia schon genügend beansprucht.
Die Migration der sieben Sparda-Banken kommt mithin on top und muss sich dem Vernehmen nach mit einem eher mittleren Platz auf der Prioritätenliste begnügen. Extrawünsche würden keine eingebaut, ist zu hören – stattdessen werden sich die sieben Sparda-Banken wohl mehr oder weniger mit den Standard-Applikationen der „agree21“ genannten Atruvia-Plattform anfreunden müssen. Dazu passt übrigens auch eine Formulierung in der offiziellen Pressemitteilung von Freitag. Dort ist die Rede von einer „informationstechnischen Ausrichtung näher am genossenschaftlichen Verbund“.
Angesichts der Aufregung um das gescheiterte Kernbanken-Projekt ist die zweite große Baustelle der Sparda-Banken zuletzt ein wenig in den Hintergrund gerückt – nämlich die „TEO“ genannte neue Banking-App. Diese war ursprünglich von exakt denselben sieben Sparda-Banken aufgesetzt worden, die auch beim Core-Banking gemeinsame Sache machten. Zuletzt wurde das Projekt dann vor allem noch von den Spardas Baden-Württemberg, München, Nürnberg und Augsburg auch finanziell vorangetrieben (siehe unser Themen-Dossier hier). In diesem Umfeld soll auch die Sympathie für eine weitere Zusammenarbeit mit Sopra am größten gewesen sein.
Wie sich dem jüngst veröffentlichtem Geschäftsbericht entnehmen lässt, hat die hinter der „TEO-App“ stehende Betreibergesellschaft Comeco ihren Cashburn im Geschäftsjahr 2021 etwas eindämmen können. So addierte sich der Jahresverlust auf 13 Mio. Euro nach noch 21,9 Mio. Euro im Vorjahr. Allerdings betrug das ausgewiesene Eigenkapital per Ende Dezember gerade mal noch 5,8 Mio. Euro – was auch erklären dürfte, wieso die Comeco im Februar 2022 noch einmal gut 5 Mio. Euro bei den Gesellschaftern tanken musste (siehe unsere Exklusivberichterstattung hier). Insgesamt haben die Gesellschafter seit 2018 knapp 70 Mio. Euro in die Comeco investiert, den Löwenteil trug die Sparda Baden-Württemberg.
Obwohl die Sparda-Kunden aus BaWü, München, Nürnberg und Augsburg bereits per Ende Q3 2021 auf die „TEO-App“ migriert waren, nehmen sich die Erträge der Comeco GmbH im Geschäftsjahr 2021 mit 3,5 Mio. Euro weiterhin bescheiden aus. Zwar ist im Geschäftsbericht von einer „stark wachsenden Kundenbasis in den Folgejahren“ die Rede; auch heißt es, die „Skalierungs-Strategie“ könne „auf eine breite Masse an möglichen Kooperationspartnern ausgeweitet“ werden. Trotzdem fragt sich, wann die beteiligten Sparda-Banken mit dem „TEO-Projekt“ endlich Geld verdienen – und ob sie sich einen etwaigen weiteren Cashburn leisten können bzw. wollen. Hinter den Kulissen ist jedenfalls schon von Plänen die Rede, möglicherweise auch die „TEO-App“ näher an die Atruvia heranzuführen. In welcher Form dies passiert, steht abzuwarten.
Während sich die Verluste der Comeco GmbH anhand der Geschäftsberichte zumindest grob nachvollziehen lassen, sind die Kosten für das gescheiterte Kernbanken-Projekt unklar. Fest dürfte allerdings stehen, dass die Sparda-Banken ihre Core-Banking-Pläne letztlich sehr viel teurer kommen dürften als ihre Banking-App-Pläne – zumal für die jetzt anstehende Übergangsphase sowie für die sich anschließende Migration zur Atruvia weitere Mittel eingeplant werden müssen. Kenner des Projekts gehen alles in allem von einem signifikanten dreistelligen Millionenbetrag aus.
Kernbanken-Projekt der Sparda-Banken wackelt. Wechsel zur Atruvia?
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