Exklusiv: Die Geschichte eines deutschen Fintechs, das zehn Jahre auf den Durchbruch warten musste

Finanz-Szene.de: Herr Rupprecht, ihr Unternehmen, das Frankfurter Fintech Traxpay, hat nach unseren Informationen einen ziemlich fetten Deal gelandet. Sie haben den Einzelhandels-Riesen Edeka als Kunden gewonnen. Das ist richtig, oder?

Markus Rupprecht: Fast. Es gibt neben der deutschlandweit tätigen Zentraleinheit ja auch noch die Edeka-Regionalgesellschaften. Unser Kunde ist aber erst einmal die Edeka-Zentrale …

Naja, trotzdem fett. Nun muss man aber dazu sagen, dass Traxpay, wenn wir das richtig verfolgt haben, bis auf Edeka noch nie einen größeren Kunden akquiriert hat. Und das, obwohl Ihr Unternehmen schon 2009 gegründet wurde.

Rupprecht: Da möchte ich widersprechen. Was richtig ist: Es gibt die „alte Traxpay“, die im B2B-Payment tätig war – und Kunden wie EOS oder Flightright hatte, also durchaus bekannte Namen. Leider sind wir nicht so schnell gewachsen, wie es für ein Startup nötig ist. Darum haben wir 2016 unser Geschäftsmodell gedreht und eigentlich nochmal ganz von vorn angefangen. Seitdem haben wir durchaus wieder ein paar kleinere B2B-Kunden gewonnen. Aber, und da haben Sie Recht: Keinen aus der Gewichtsklasse, in der Edeka spielt.

Ohne Sie jetzt provozieren zu wollen: Für uns klingt das so, als hätten Sie zehn Jahre auf den Durchbruch warten müssen …

Rupprecht: Man kann es aber auch andersrum drehen: Die „neue Traxpay“ gibt es gerade mal gut zwei Jahre. Und schon erfährt unser Business Case dank Edeka eine Beschleunigung, wie sie für ein junges Finanz-Startup sehr ungewöhnlich ist! Auch wenn Sie jetzt sagen, wir seien ja kein junges, sondern ein altes Fintech …

Bevor wir zur „neuen Traxpay“ kommen und zu der Frage, wie ihr neues Geschäftsmodell seit dem Pivot überhaupt aussieht – können Sie uns erst nochmal ein bisschen was zur „alten Traxpay“ erzählen und zu der Frage, warum der Pivot überhaupt nötig wurde?

Rupprecht: Gern. Wo soll ich anfangen?

Ruhig mal damit, wo Sie selber beruflich herkommen …

Rupprecht: Okay. Von Haus aus bin ich Banker, ich habe rund zehn Jahre lang in der Deutschen Bank gearbeitet, zunächst als Kreditanalyst. Als ich keine Bilanzen mehr gliedern wollte, bin ich 1997 in den Zahlungsverkehr gewechselt, also lange, bevor das Thema sexy wurde. Dann kam die New Economy, und ich habe innerhalb der Deutschen Bank eine Abteilung aufgebaut, die große Kunden in Sachen e-Business beraten hat. Das war ein sehr fruchtbares, höchst profitables Geschäft damals.

Ernsthaft?

Rupprecht: Ernsthaft. Die Abteilung sollte dann aber verkauft werden, und so bin ich 2001 ausgestiegen. Danach habe ich erstmal ein Sabbatical in einem chinesischen Kloster gemacht, war danach ein paar Jahre als Berater tätig, bevor ich 2009 Traxpay gegründet habe.

Mit welcher Geschäftsidee?

Rupprecht: Wie gut kennen Sie sich im Corporate Banking aus?

Geht so.

Rupprecht: Also, wenn ein Unternehmen eine Überweisung tätigt, dann muss es den Zweck der Überweisung in das Betreff-Feld eintragen. Das ist nicht anders als beim Privatkunden, nur dass der Privatkunde mit dem Platz in der Betreff-Zeile normalerweise locker hinkommt. Er trägt dann halt so was ein wie „Miete Juli 2018“, und alles ist gut. Wenn aber ein großer Kunde Geld an einen Zulieferer überweist, dann geht es nicht nur um eine Rechnung, sondern es geht dann gerne mal um hunderte Rechnungen, die mit dieser einen Überweisung beglichen werden – und da sind dann auch strittige Rechnungen darunter, bei denen der Kunde zum Beispiel erst mal 20% abzieht, weil er irgendwelche Reklamationen hatte oder so. Hinter einer Überweisung verbergen sich also unzählige Informationen, die aber natürlich nicht alle in ein Betreff-Feld von 140 Zeichen passen. Sondern: Da braucht es dann parallel eine manuelle Nachbearbeitung, die irre Prozesskosten verursacht.

Und Sie wollten ein Tool entwickeln, mit dem sich diese Informationen sozusagen über die Überweisung abbilden lassen?

Rupprecht: So ungefähr, ja. Damit war ich sogar schon sehr weit. Die Idee hat dann das Interesse von SAP gefunden. Der damalige CEO hat gesagt: „Okay, eine Rechnung ad-hoc zu finanzieren, lohnt sich nicht, wenn die dafür notwendige Zuordnung der einzelnen Rechnungsposten 30 bis 80 Euro Arbeitsaufwand kostet. Wenn es nun aber gelingt, diese Zuordnung zu automatisieren, dann ist das ja fast eine Revolution.“ Jedenfalls: Ich durfte die Idee dann bei verschiedenen großen Kunden von SAP vorstellen, und auch da war das Interesse an so einer Lösung beträchtlich.

Danach muss aber irgendwas schiefgelaufen sein, und zwar gewaltig. Sonst wäre ja nicht irgendwann der Pivot nötig gewesen …

Rupprecht: Es passierte, was halt oft bei Startups passiert – es kam anders als erwartet. Ich habe mit SAP über einen Einstieg bei Traxpay verhandelt, hatte aber ein bisschen Angst, dass so ein großer Konzern einen plattmacht, wenn er einmal drin ist – das war lange bevor deutsche Konzerne eigene Startup-Programme, Acceleratoren und Incubatoren hatten. Es gab dann die Idee, parallel einen Risikokapitalgeber mit reinzuholen, um das besser auszutarieren. Auch das hat sich aber zerschlagen.

Das klingt jetzt nach: Sie wollten es ohne SAP alleine durchziehen – und sind dabei dann gescheitert.

Rupprecht: Naja, zumindest hatte ich gedacht, dass sich die Unternehmen für mein Produkt auch ohne einen Intermediär wie SAP interessieren würden. Diese Annahme hat sich aber als ein bisschen naiv erwiesen, das muss ich rückblickend einräumen. Die Türen, die sich zwischenzeitlich geöffnet hatten, waren dann erst einmal wieder zu.  Das war ja damals auch alles, bevor der Begriff „Fintech“ überhaupt existierte.

Anfang 2012 ist stattdessen der Münchner Venture-Capital-Spezialist Earlybird bei Traxpay eingestiegen. Bald darauf, das ist ebenfalls dokumentiert, hieß der CEO dann plötzlich nicht mehr Rupprecht, sondern das war dann irgendein Amerikaner. Und 2014 sind Sie dann dem Handelsregister zufolge komplett bei Traxpay ausgeschieden.

Rupprecht: Um diese ganze Phase in zwei, drei Sätze zu packen: Die Idee von VC-Seite war es, die Führung des Unternehmens einem externen Manager anzuvertrauen. Ich sollte mich stattdessen aufs Produkt konzentrieren.  Das hat in diese Kombination aber nicht wirklich funktioniert. Also habe ich für mich die Konsequenz gezogen und Traxpay verlassen.

Es gab dann eine Phase, in der das Unternehmen medial durchaus präsent war. Ende 2014 gab es eine Meldung, dass Traxpay von durchweg renommierten Investoren – darunter die Commerzbank – umgerechnet 15 Mio. Dollar Funding erhalten habe. Ein Jahr später wurde ihr Nachfolger dann vom „European CEO Magazine“ sogar zum „Best CEO in the Financial Technology Industry 2015“ gewählt …

Rupprecht: Wenn Sie das so recherchiert haben, wird es so gewesen sein. Ist halt immer die Frage, was solche Auszeichnungen im wirklichen Geschäft wert sind …

Tatsächlich scheint uns die Erfolgsstory, die damals erzählt wurde, nicht ganz deckungsgleich mit der Realität zu sein. Denn: 2017 gab es, auch das ist öffentlich dokumentiert, einen ziemlichen Wash-out auf Investorenseite – also eine Finanzierungsrunde, bei der die Altgesellschafter weitgehend verwässert wurden. Die Mehrheit lag nun bei Family Offices, deren Namen wir ehrlich gesagt noch nie gehört haben. Und Ende 2016 waren Sie dann plötzlich wieder CEO.

Rupprecht: Hier sind wir jetzt bei dem Pivot, der letzten Endes zum Turnaround führte. Traxpay hat damals mit Jochen Siegert als COO und Thomas Fuhrmann als CTO sehr gute Manager für das operative Geschäft gewonnen. In Siegfried Heimgärtner, dem früheren Skrill-CEO, gab es auch einen hervorragenden Aufsichtsratsvorsitzenden für den Wandel. In dieser Konstellation habe ich mich dann überzeugen lassen, auf den CEO-Posten zurückzukehren und gemeinsam mit dem Team einen Neustart zu wagen. Lassen Sie es mich so sagen: In der Berliner Startup-Szene hätte man die Firma pleitegehen lassen und wäre mit der neuen Idee einfach frisch gestartet. Im B2B-Bankenbereich, wo es sehr viel auf Vertrauen ankommt, war das keine Option. Stattdessen ist das Unternehmen während des Pivots durch eine schwierige Phase gegangen. Und die Family Offices waren Geldgeber, die ans uns und unser neues Thema geglaubt haben – und so gab es 2017 trotz der angespannten Lage noch einmal eine Finanzierungsrunde, die dann zum von Ihnen angesprochenen Wash-out geführt hat.

Kommen wir zu ihrem neuen Thema: Im Oktober haben wir bei „Finanz-Szene.de“ einen Artikel gemacht, der „Das ultimative Lehrstück über die Schlacht zwischen Banken und Fintechs“ hieß. In dem Stück ging es um die Pläne der Deutschen Bank, einen internationalen Marktplatz für Handelsforderungen zu gründen. Und dann haben wir gegengeschnitten, welche Fintechs es schon gibt in dem Bereich und was die machen.

Rupprecht: Habe ich gelesen

In dem Stück kam am Rande auch Traxpay vor. Denn: Ihr Unternehmen stellt heute nicht mehr nur die Informationen zur Verfügung, die es für die Vorfinanzierung einer Rechnung braucht – das war ja Ihre ursprüngliche Idee 2009. Sondern: Sie sind jetzt eine sogenannte „Supply Chain Factoring“-Plattform. Das heißt: Über Traxpay soll jetzt die gesamte Abwicklung der Finanzierung laufen – was Sie jetzt plötzlich für einen Riesen wie Edeka interessant macht.

Rupprecht: Richtig. Traxpay versteht sich als übergreifende Plattform, die sowohl den Abnehmern als auch den Lieferanten sämtliche gängigen Formen der Rechnungsfinanzierung zur Verfügung stellen will.

Vorreiter in dem Beritt ist allerdings nicht Traxpay, sondern das sind das von Deutschen gegründete US-Fintech Taulia und ein weiterer US-Player mit starkem Deutschland-Bezug, nämlich C2FO mit dem dahinter stehenden Großinvestor Allianz. Und dann gibt es hierzulande ja auch noch ein Fintech wie CRX Markets, das auch schon den ein oder anderen prominenten Kunden vorweisen kann. Und bei einem weiteren Traxpay-Wettbewerber, nämlich Trustbills, stehen die DZ Bank und die Deutsche Bank dahinter. Was unterscheidet Ihren Ansatz von dem der Wettbewerber? Denn: Im Grunde geht es Ihnen doch allen um die – ultraneudeutsch ausgedrückt – Platformication des Factoring-Geschäfts.

Rupprecht: Für Außenstehende liegen die Unterschiede tatsächlich in den Details. Komme ich als Plattform eher über den Lieferanten, der eine offene Forderung gegenüber seinem Kunden hat? Oder gehe ich über den Kunden, der bereit ist, diese Forderung zu begleichen, wenn der Lieferant ihm entgegenkommt? Das sind so Punkte, aus denen sich dann die unterschiedlichen Modelle ableiten. Eines allerdings ist den meisten Plattformen gemein: Sie wollen die Bank als Intermediär ersetzen. Und hier ist unser Ansatz ist ein etwas anderer: Wir nehmen den Weg über die Banken. Sie sind unsere Kooperationspartner.

Wobei es bislang erst ein einzige Bank gibt, die mit Ihnen kooperiert, nämlich die  NordLB.

Rupprecht: Nein, es gibt noch weitere, und zwar auch große wie z.B. die LBBW – auch wenn das noch nicht öffentlich kommuniziert wurde. Aktuell stehen wir sogar kurz vor dem Abschluss unserer ersten internationalen Kooperation. Was aber stimmt: Unser erster Bankpartner war die NordLB

Und welche Rolle spielt eine Bank wie die NordLB dann konkret in Ihrem Modell?

Rupprecht: Sie ist, wie die anderen Banken auch, unser Produktgeber und Vertriebspartner, der uns zum Beispiel bei Edeka den Weg in den Pitch geebnet und dort natürlich das notwendige Vertrauen aufgebaut hat.

Das heißt, die NordLB macht für Sie den Vertrieb, und Sie machen jetzt das Geschäft …

Rupprecht: So ist es natürlich nicht, ganz im Gegenteil: Zum einen festigt die Bank über die Kooperation mit uns die Beziehung zu ihren Kunden statt – wie es bei anderen Plattformen der Fall ist – im Working-Capital-Geschäft marginalisiert zu werden. Zweitens teilen wir mit den Banken nach Zustimmung unserer Kunden sämtliche Informationen, die wir bei den Finanzierungen sammeln – was für die Banken sehr wertvoll ist. Und drittens machen wir selbstverständlich einen Revenue-Share. Und diese Provisionserlöse, das können Sie mir glauben, sind in diesen Zeiten für Banken extrem interessant.

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