von Christian Kirchner, 21. März 2023
Ein Anschiss durch die Bafin ist auch nicht mehr das, was es mal war. Weil: Gefühlt wird inzwischen ja fast täglich irgendeine Bank gerüffelt. Mängel in der Geschäftsorganisation. Höhere Anforderungen ans Eigenkapital. Aber das war’s dann auch. Heute trifft’s die „Bank A“, morgen die „Bank B“ und übermorgen die „Bank C“. Fast schon Routine, seit die Finanzaufsicht im Zuge ihrer „Transparenz-Offensive“ auch kleinere Verfehlungen gewissenhaft öffentlich macht.
Ganz, ganz anders allerdings liegen die Dinge, als sich die Bafin am 26. Januar die Berliner Solarisbank vorknöpft. Schon der Umfang der Mitteilung (Überschrift: 222 Zeichen; Volltext: 2.382 Zeichen) lässt erahnen, dass es sich um keinen gewöhnlichen Fall handelt. Und der Inhalt? Eine regelrechte Kanonade! Probleme im Risikomanagement. Probleme bei der Geldwäsche-Prävention. Probleme bei der Betrugs-Vermeidung. Probleme beim Onboarding. Probleme in der Adress-Verifizierung. Probleme im Meldewesen. Und das alles 1.) garniert mit dem Hinweis auf einen delikaten, von der Bafin eher selten bemühten Absatz im KWG. Und 2.) mit der Konsequenz, dass die Solarisbank seitdem ohne Zustimmung der Aufsicht keine neuen Kooperationen mehr eingehen darf – also faktisch unter Kuratel steht.
Unserer Erinnerung nach ist die Bafin in der jüngeren Vergangenheit mit keiner anderen Bank derart hart ins Gericht gegangen, allenfalls die Causa N26 erscheint vergleichbar. Und die große Frage lautet: Wie bloß konnte es so weit kommen? Der Knatsch zwischen Solaris und Bafin. Versuch einer Rekonstruktion.
Als die Bafin 2020 bei der Solarisbank vorstellig wird, fühlt es sich für alle Beteiligten nach einem Routinevorgang an. Die Rollen in der Berliner Fintech-Szene scheinen klar verteilt. Während N26 im Dauer-Clinch mit der Finanzaufsicht liegt, gilt die Solarisbank als moderater Gegenentwurf zum aggressiv wachsenden Lokalrivalen. Seriöser im Auftritt. B2B statt B2C. Geführt von erfahrenen Bankern – nicht von jungen Revoluzzern.
Tatsächlich stellt die Bafin bei ihrer turnusmäßigen Prüfung (für die Connaisseure: Es handelt sich um den „Supervisory Review and Evaluation Process“, kurz SREP) dann aber fest, dass auch bei der Solarisbank geschlampt wird. Ob die Mängel zum Teil auch „schwergewichtig“ sind, wie es später heißen wird, sei mal dahingestellt. Verbürgt ist jedenfalls, dass die Prüfer mindestens mal etliche organisatorische Schwachstellen bei dem Fintech diagnostizieren.
Wie in solchen Fällen üblich, einigen sich Bank und Aufsicht darauf, die Mängelliste abzuarbeiten. Öffentlich wird von alldem zunächst nichts.
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Als die Solarisbank ins Geschäftsjahr 2021 einbiegt, hat sie andere Themen als die Bafin. Für schnell wachsende Fintechs tun sich damals etliche Möglichkeiten auf. Die Berliner sondieren einen Börsengang – verwerfen die Option aber wieder. Sie planen einen Spac-IPO – lassen es dann aber doch lieber bleiben. Stattdessen vollzieht der „Banking as a Service“-Spezialist im Juli 2021 eine Kapitalerhöhung über 190 Mio. Euro und steigt mit einer Bewertung von 1,4 Mrd. Euro endlich zum Unicorn auf. Ein Großteil des frischen Geldes ist da längst verplant. Quasi zeitgleich zur Funding-Runde verkündet die Solarisbank die Übernahme des britischen Konkurrenten Contis für 152 Mio. Euro. Ein veritabler Coup.
Doch nicht nur anorganisch wächst die Solarisbank wie wild in jenem Jahr – auch organisch. Die Zahl der verwalteten Konten vervierfacht sich von 940.000 auf 3,5 Mio. Stück (was einem Delta von 7.014 zusätzlichen Konten pro Tag entspricht, Wochenenden und Feiertage eingerechnet). Weitere 2,7 Mio. Konten kommen durch die Akquisition von Contis hinzu.
Parallel zum rasanten Wachstum der Challenger-Banken häufen sich die Hinweise auf die missbräuchliche Nutzung von Konten durch Kriminelle. Im Fokus der Kritik steht zunächst wieder N26. So erscheinen 2021 etliche Medienberichte, die Überschriften wie „Ermittler stoßen bei Geldwäsche-Verfahren häufig auf N26“ oder „N26 hat massives Problem mit Fake-Konten“ tragen. Auch die Bafin hat das Problem auf dem Zettel. Im Mai schickt sie der Berlinern Neobank einen Sonderbeauftragten ins Haus. Und im Oktober dann gleich noch einen zweiten.
Und Solaris? Anfang 2022 berichtet die „Wirtschaftswoche“, dass auch der Anteil von Solarisbank-Konten an den Geldwäsche-Verdachtsverfahren laut den LKAs „massiv gestiegen“ sei. Eine Parallele zu N26? Davon will Vorstandschef Roland Folz damals nichts wissen: „Die Verhältnisse sind ganz anders. Die Solarisbank genießt ein Riesenvertrauen am Markt.“ Ende Januar allerdings lässt das „Handelsblatt“ die Bombe platzen: „Bafin schickt Sonderprüfer“, titelt die Wirtschaftszeitung. Die Quellenlage? Unklar. Denn die Information sind zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht offiziell.
Am 8. März 2022 – rund sechs Wochen nach dem „Handelsblatt“-Artikel – äußert sich die Bafin erstmals zur Solarisbank. „Bei einer Sonderprüfung wurden bei dem Institut zahlreiche organisatorische Mängel festgestellt. Sie belegten eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsorganisation“, heißt es in der entsprechenden Mitteilung. Die Konsequenz: „Bafin legt zusätzliche Eigenmittelanforderungen fest.“
Und der Sonderprüfer? Von dem ist in der auffallend knappen Mitteilung interessanterweise gar nicht die Rede. Dabei ist zu diesem Zeitpunkt doch längst in der Welt, dass die Bafin der Solarisbank einen solchen Sonderprüfer ins Haus geschickt hat. Warum macht die Bonner Behörde es dann nicht öffentlich? Bei N26 hat sie es doch auch getan. Sogar zweimal.
Was man dazu wissen muss: Zwischen der Bafin und der Fintech-Szene (oder wenigstens Teilen davon) ist es im Laufe des Jahres 2021 zu einem regelrechten Bruch gekommen. Die Aufseher in Bonn fühlen sich nicht ernst genug genommen von den Startup-Menschen in Berlin, zweifeln an deren Bereitschaft, die aufsichtlichen Mängel wirklich abzuarbeiten. Umgekehrt? Ist in Fintech-Kreisen damals von einer regelrechten Kampagne der Aufsicht gegen N26 und Co. die Rede.
Ihren sichtbarsten Ausdruck findet das Zerwürfnis in jener Mitteilung, mit der die Bafin im November 2021 nicht nur die Entsendung des zweiten Sonderbeauftragten zu N26 öffentlich machte – sondern darüber hinaus auch eine „Wachstumsbeschränkung“ verhängt (die übrigens bis heute gilt), siehe unser damaliger Artikel -> Der Bafin scheint das N26-Bashing inzwischen fast Spaß zu machen.
In Finanzkreisen kursiert nun folgende Erzählung: Womöglich habe die Solarisbank damals befürchtet, von der Bafin ebenso vorgeführt zu werden wie N26. Und womöglich habe sie deshalb auf juristischem Wege eine weitergehende Veröffentlichung durch die Bafin verhindert oder wenigstens hinausgezögert. Möglich sei das, sagen Experten. Und plausibel ist es auch. Denn warum sonst hat die Bafin den Sonderprüfer damals nicht erwähnt? Offen bliebe dann nur noch die Frage, wer die Sache dem „Handelsblatt“ gesteckt hat.
Sonderprüfer hin oder her – Anfang 2022 stehen die Zeichen bei der Solarisbank auf Wachstum. Bei gut 6 Mio. Konten ist man jetzt. Binnen fünf Jahren sollen es 20 Millionen sein. Italien. Frankreich. Spanien. UK. Die Route ist gesteckt. Solaris will zum europäischen „BaaS“-Champion werden.
Dann allerdings kommt es binnen weniger Monate zu gleich mehreren Volten:
Für jede einzelne dieser Volten mag es plausible Erklärungen geben. Aber so viele Volten auf einmal?
Die Bafin veröffentlicht ihre zweite Mitteilung zur Solarisbank gut zehn Monate nach der ersten – nämlich am 26. Januar 2023. Doch während die erste Veröffentlichung eher dünn daherkam und zumindest einen wichtigsten Sachverhalt unterschlug (nämlich die Bestellung des Sonderbeauftragten), kommt die neue Mitteilung einer Generalabrechnung gleich.
So sieht die Bafin Probleme …
Zugespitzt formuliert scheint es nichts zu geben, was die Bafin bei der Solarisbank nicht stört. Wobei die Anordnung auffälliger- und ungewöhnlicherweise auf Basis das „§ 25a Absatz 2 Satz 2 KWG“ erfolgt – ein Absatz des Kreditwesengesetzes, der sich um „Verfahren zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit“ dreht, wobei, wie es weiter heißt, „eine vorsichtige Ermittlung der Risiken, der potentiellen Verluste, die sich auf Grund von Stressszenarien ergeben, einschließlich derjenigen, die nach dem aufsichtlichen Stresstest nach § 6b Absatz 3 ermittelt werden, und des zu ihrer Abdeckung verfügbaren Risikodeckungspotenzials zugrunde zu legen ist“.
Auf den Punkt gebracht: Die Bafin erweckt den Eindruck, dass es bei der Solarisbank nicht nur um organisatorische Mängel, sondern um sehr grundsätzliche Themen wie Risikotragfähigkeit und Stressresistenz geht.
Tatsächlich haben es die Sanktionen, die Aufseher an jenem 26. Januar verkünden, in sich. Der Solarisbank
De facto stellt die Bafin die Solarisbank also unter Kuratel. Wozu auch passt, dass sie dem Fintech einen weiteren Sonderbeauftragten ins Haus schickt, der „an ein Sonderbeauftragtenmandat anknüpft, das mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. Januar 2022 angeordnet wurde“, wie es heißt. Erst mit der Bestellung des zweiten Sonderbeauftragten bestätigt die Bafin also auch offiziell die Existenz des ersten – mit rund einjähriger Verspätung.
Das Bild, dass sich im Januar 2023 vor dem externen Beobachter ausbreitet, ist voller (zumindest vermeintlicher) Widersprüche. Der größte, zugespitzt formuliert: Wenn die Bafin der Ansicht ist, dass die Solarisbank schon in ihrem Normalgeschäft organisatorisch überfordert ist – warum durfte sie dann den geradezu transformativen ADAC-Deal einstielen? Nochmal zur Erinnerung (unsere ausführliche Analyse zu dem Deal lesen Sie hier): Mit der Übernahme des ADAC-Portfolios …
Durch die ADAC-Transaktion wird Solarisbank von einem Infrastruktur-Spezialisten zu einem echten Risikoträger. Schließlich verlangt so ein Kreditkartenvertrag (samt Teilzahlungsmöglichkeiten) nach ganz anderen Fähigkeiten als die technische Betreuung eines Girokontos. Aus Ertragssicht tun sich für die Solarisbank plötzlich riesige Chancen auf. Doch damit einher gehen völlig neue Risiken für das immer noch sehr junge Institut.
Und das findet die Bafin gut?
Die Bafin gibt in aller Regel keine Statements zu ihrem Umgang mit einzelnen Banken ab. Und einzelne Banken geben in aller Regel keine Statements zu ihrem Umgang mit der Bafin ab. Somit lässt sich auch in der Causa „Bafin vs. Solarisbank“ nicht mit letzter Sicherheit ermitteln, was genau vorgefallen ist in den zurückliegenden 24 Monaten. Unsere Recherchen allerdings lassen zumindest einige unserer Ansicht nach plausible Schlussfolgerungen zu:
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Das Berliner Fintech will sich zu alldem nur wie folgt äußern:
„Das Jahr 2022 war ein herausforderndes Jahr für die gesamte Fintech-Branche. Die Solaris hat in diesem dynamischen Marktumfeld bewiesen, wie robust und anpassungsfähig unser Geschäftsmodell ist. Die enge Zusammenarbeit mit dem Regulator hat uns dabei geholfen, Mängel zu identifizieren und zu beseitigen. In den letzten sechs Monaten haben wir zudem intensiv an der Weiterentwicklung unserer Strategie gearbeitet und klare Ziele und Prioritäten definiert. Für das Gesamtjahr 2023 planen wir erstmals mit einem operativen Gewinn. Zudem haben wir unser Risikomanagement, auch durch die Besetzung eines zusätzlichen Vorstandsposten, verstärkt und streben damit ein Höchstmaß an Compliance an. Wir sind davon überzeugt, dass wir den Regulator und den Sonderbeauftragten von unseren Fortschritten baldmöglichst überzeugen können.“
*In der Ursprungsfassung des Artikels hatten wir Diewald irrtümlich als „Chief Operating Officer bezeichnet; wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
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